Adrienne von Korff-Kerssenbrocks Prager Wohnung ist Spiegel einer Vielgereisten. Allgegenwärtig ist ihre große Leidenschaft für die Kunst. Ihre eklektische Sammlung reicht von Max Ernst und Jörg Immendorff, über Blinky Palermo bis zu Julian Opie und Jim Avignon. Wir erhielten bei einer Führung durch ihr privates Reich die Möglichkeit, mit der vielseitig interessierten Sammlerin zu sprechen.
Frau von Korff-Kerssenbrock, wie kam es dazu, dass Sie begonnen haben, sich für Kunst zu interessieren, der Sie einen so großen Teil Ihres Lebens widmen?
Ich bin in einer Familie groß geworden, in der Antiquitäten und Kunst wichtig waren. Ich bin da also hineingewachsen, weil Kunst schon seit meiner Kindheit eine Rolle gespielt hat. Berührungsängste hatte ich also nie. Damals habe ich im eher bescheidenen Maß gesammelt und nur hin und wieder etwas gekauft, vor allem Werke aus der zweiten Hälfte des 19. bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese vorhandene Liebe zur Kunst habe ich vermutlich an meinen Sohn weitergegeben.
Wie haben Sie zur zeitgenössischen Kunst gefunden?
Mein Sohn fing in den Neunzigern an, selbst zeitgenössische Werke von Künstlern wie Fritz Winter zu sammeln. Ich glaube, es war wohl eher aus Protest. (lacht) Zunächst dachte ich: „Mein Gott, wie kann er für so etwas nur so viel Geld ausgeben?“ Trotzdem hat es mich wahrscheinlich unbewusst sensibilisiert, und ich begann, mich zunehmend auch für zeitgenössische Kunst zu interessieren. Ich lernte eine andere Seite der Kunst kennen und Stil und Interessen veränderten sich nach und nach. Ich begann zu verschiedenen einschlägigen Messen zu gehen und bin langsam immer tiefer in die Szene hineingerutscht.
Was bedeutet es für Sie, zu sammeln?
Ich betrachte das Sammeln als eine Art Bildung: Ich muss nicht unbedingt etwas kaufen, aber ich freue mich, wenn ich Arbeiten von interessanten Künstlern zu sehen bekomme, die meinen Horizont erweitern. Das war hier in Böhmen traditionell allerdings eher schwierig, weil kaum jemand Künstler außerhalb des Landes kannte, deswegen war ich schon immer viel international unterwegs.
Sie sind in Ihrem Leben weit herumgekommen. In Ihrer Wohnung fallen Aufnahmen des Himalayas auf, aber auch sehr viele Porträts. Von wem stammen die?
Die habe ich alle selbst fotografiert. Ich habe zum Beispiel den Mount Everest morgens, mittags und abends fotografiert. Aber, ehrlich gesagt, Bilder wie diese findet man ja auch oft in Kalendern. Daher finde ich es viel interessanter, Menschen zu fotografieren. Menschen sind in dem Moment, in dem man sie fotografiert, einzigartig. Ein zweites Mal fotografiert, ist es schon ein anderer Mensch. Ich habe zum Beispiel eine Serie mit dem Titel Kinder der Welt gemacht, die seinerzeit auch in Wien ausgestellt wurde. Dafür habe ich lauter Kinder in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Situationen fotografiert.
Sie fotografieren nicht nur leidenschaftlich gerne, sondern haben früher auch einmal selbst Malkurse genommen.
Ein akademischer Maler hat mich auf die Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie hier in Prag vorbereitet. Dort wurden aber nur alle zwei Jahre fünf Leute aufgenommen und deswegen habe ich mich im Endeffekt nie beworben. Stattdessen habe ich Mathematik und Sport studiert und diese Fächer auch mein Leben lang am Gymnasium unterrichtet. Das war nicht leicht für jemanden, der aus einer nicht kommunistischen, katholischen und adeligen Familie kam. Ich habe jedoch die aktive Kunst nie ganz verlassen: In meiner Berufszeit habe ich für verschiedene Fachzeitschriften sportliche Bewegungsabläufe illustriert und sogar mit eigenen Zeichnungen das Buch Tanz mit veröffentlicht. Später habe ich mit verschiedenen Materialien wie Glasscherben, Eierschalen oder rostigem Eisen experimentiert, mich durch meine vielen Reisen aber doch mehr aufs Fotografieren konzentriert.
Wenn Sie von Ihren Reisen zurückkommen, was nennen Sie Ihr Zuhause?
Mein Lebensmittelpunkt ist in Garching bei München. Dort habe ich meine Enkelkinder, meine Ärzte, Banken, Frisöre und so weiter. Aber hier in Prag fühle ich mich auch sehr wohl, weil ich hier ein recht großes gesellschaftliches Umfeld habe, in dem ich mich bewege. Und natürlich eine Wohnung voller Kunst, mit der ich mich immer wieder gerne umgebe.
Sie pendeln also zwischen München und Prag. Dazu kommen noch zahlreiche Kunstmessen im Jahr, die Sie besuchen.
Richtig. Kommenden Samstag fliege ich zur Art Dubai und direkt im Anschluss geht es weiter zur Art Basel Hong Kong. Inzwischen gibt es ja in fast jeder Stadt irgendeine Messe. Ich kann also bei Weitem nicht alle schaffen. Köln und Basel besuche ich aber wirklich immer. In Miami war ich heuer das erste Mal, in Hong Kong und Dubai bereits zweimal. Sonst bin ich hin und wieder in Karlsruhe, Berlin, Paris, Wien, London, New York, aber selbstverständlich auch in München und Prag.
Geht es bei den Messen darum, Ihre Sammlung zu erweitern?
Ich fahre vorrangig zu den Messen, um mich fortzubilden. Eigentlich habe ich nie vor, unbedingt etwas zu kaufen, meistens ist es dann aber trotzdem so. Aber sehen Sie sich um. Ich habe jetzt schon keinen Platz mehr! Dieses Bild zum Beispiel ist von Julian Opie. Es hat noch nicht den richtigen Platz gefunden, es stammt von der letzten Art Basel Miami. Das Mädchen auf dem Bild schaut genauso aus wie meine Enkelin. Mich faszinierte, dass Ihnen die Augen des Kindes folgen, wenn Sie sich im Raum bewegen. Aber ich weiß eigentlich noch nicht so recht, wo es hängen soll.
Gibt es ein Objekt in Ihrer Sammlung, dessen Geschichte Sie besonders gerne erzählen?
Eine lustige Geschichte hat zum Beispiel dieses Pferd. In Karlsruhe wurde von einer Galerie ein Künstler aus Korea ausgestellt. Seine Arbeiten haben mich interessiert, aber entweder waren sie zu groß, die Farbe hat mir nicht gefallen, oder das Pferd darauf hat irgendwie falsch geguckt. Ich habe meine Visitenkarte dort gelassen und nur halb im Ernst gesagt, dass ich eines der Bilder kaufen würde, wenn das da so groß wäre wie jenes, blau wie das andere und das Pferd zur Seite guckte wie bei diesem da … Als ich dann wieder in Prag war, bekam ich einen Anruf: Da sei ein Herr, der mich besuchen wolle. Es war der Galerist dieses Künstlers, und er hat mir direkt aus Seoul noch ein nasses Bild, genau das, was mir vorschwebte, mitgebracht.
Für manche wird Kunst erst interessant, wenn sich ein persönlicher Kontakt mit der Künstlerin oder dem Künstler ergibt. Wie ist das bei Ihnen?
Oft entwickeln Werke überhaupt erst ihren Reiz für mich, nachdem ich den Künstler selbst kennengelernt habe. Da ist diese Skulptur von Terence Carr ein gutes Beispiel. Mir haben seine Sachen bei einer Gruppenausstellung in München gut gefallen, aber ich habe mir gedacht, dass man nicht immer nur die Galeristen unterstützen muss. Also habe ich ihn im Internet gesucht und herausgefunden, dass er ein Atelier genau in der Ortschaft hat, in der ich 1969 als Flüchtling das erste Mal gewohnt habe: Burgau in Schwaben. Ich habe ihn dann kontaktiert und er hat mich in sein Atelier eingeladen. Das war unheimlich nett und ich habe einige Arbeiten von ihm gekauft.
Sind Editionen eine Option für Sie, wenn Sie eine Arbeit von einem bestimmten Künstler haben wollen, der außerhalb Ihrer budgetären Reichweite liegt? Oder muss es ein Unikat sein?
Ich kaufe eigentlich lieber weniger und konzentriere mich dafür auf Unikate. Angefangen habe ich natürlich trotzdem anders. Und wenn ich von einem Künstler unbedingt eine Arbeit haben will, die Originale aber einige Millionen wert sind, kaufe ich auch gerne eine Lithografie.
Abgesehen von Ihrer Wohnung, gibt es für Sie als weitgereiste Sammlerin Orte, an die Sie immer wieder gerne zurückkehren?
Das von Frank Gehry entworfene Guggenheim-Museum in Bilbao hat mich sehr beeindruckt. Kürzlich war ich in Paris und habe die neue Fondation Louis Vuitton besucht, die auch von ihm ist. Texas hat mir bei einer Reise vor einigen Jahren auch sehr gefallen. Texas mag architektonisch nicht so interessant sein, aber immerhin gibt es in Houston eine Kapelle von Mark Rothko. Und dann gibt noch Marfa, wo die Chinati Foundation von Donald Judd eine alte Armeebasis künstlerisch bespielt. Es gibt im Westen der USA viel faszinierende Land Art: riesige Objekte in der Natur. The Lightning Field von Walter De Maria in New Mexico zum Beispiel besteht aus 400 Stäben an der Stelle, wo weltweit angeblich die meisten Blitze einschlagen. Double Negative von Michael Heizer in Nevada ist direkt in die Landschaft hineingefräst.
Von welcher Künstlerin oder welchem Künstler würden Sie noch gerne eine Arbeit besitzen?
Es passiert eigentlich nie, dass ich unbedingt ein konkretes Bild haben muss, aber es ist tatsächlich oft so, dass ich von einem bestimmten Künstler irgendetwas haben will. Das war zum Beispiel bei Sam Francis, bei Hans Arp oder Max Ernst so. Gerade fällt mir nichts ein, was mir noch fehlt. Das passiert aus dem Moment heraus, wenn ich auf eine Messe oder in eine Galerie gehe. Kunst ist unberechenbar. Sie zu sammeln ist auch deshalb so faszinierend, weil man nie weiß, wann es einen das nächste Mal erwischt. Und wie arm wäre die Welt, wenn es die Kunst nicht gäbe!
Interview: Florian Langhammer
Fotos: Maximilian Pramatarov