Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.
Als Sohn der Galeristen-Familie Nordenhake trat Erik bereits mit Vierundzwanzig selbst in den Stockholmer Kunstbetrieb ein, um der Öffentlichkeit mit seiner eigenen Galerie eine aufstrebende Künstlergeneration vorzustellen. Er ist einer derjenigen, die für eine progressivere Kunstszene in Schweden einstehen und ist der Meinung, dass es für Schwedens regional orientierten Kunstbetrieb nur einen Weg nach vorne gibt, nämlich sich jenseits Skandinaviens zu orientieren, sich gegenüber Außenstehenden zu öffnen, und Künstler darin zu unterstützen, sich auch außerhalb Schwedens zu entwickeln. Wir trafen Erik zuhause im Stockholmer Galerieviertel Östermalm und sprachen mit ihm darüber, welche Tendenzen er in der schwedischen Kunstszene beobachtet, über seinen Kundenstamm an jungen ambitionierten Sammlern, und wie diese neue Sammlergeneration ihren eigenen Zugang zu zeitgenössischer Kunst findet.
Erik, deine Wahl, in den Kunsthandel einzusteigen, ist verständlich, wenn man bedenkt, dass deine Eltern seit den frühen 70er Jahren Inhaber der renommierten Galerie Nordenhake sind. Kunst muss in deinem Leben schon früh eine Rolle gespielt haben.
Es stimmt, Kunst hat schon in sehr jungen Jahren für mich eine Rolle gespielt. Meine Eltern haben uns zu vielen Events wie Künstleressen und Atelierbesuchen, und natürlich in Museen und Galerien, mitgenommen. Ich erinnere mich noch heute, welchen Spaß es machte, als Kind auf Kunstmessen zu gehen. Es gab so viele visuelle Eindrücke, ich durfte herumrennen und staunte über die Vielfalt der Kunst und der Leute, die kamen um sie zu sehen. All das war sehr aufregend. Und bei manchen Kunstwerken gab es sogar nackte Körper zu sehen! (lacht)
Es hört sich an, als sei Kunst immer etwas gewesen, womit du ganz selbstverständlich aufgewachsen bist, etwas das immer lebendig für dich war. Gab es denn Künstler, die einen besonderen Eindruck bei dir hinterlassen haben, als du noch ein Kind warst?
In meiner Familie lag der Fokus immer auf abstrakter und konzeptioneller Kunst und minimalistischer Ästhetik – weniger auf figurativer Kunst. Vielleicht ist Richard Serra der Künstler, der den größten Eindruck bei mir hinterlassen hat. Ich erinnere mich an seine aneinander gelehnten Stahlstrukturen, durch die ich entdeckte, dass abstrakte Kunst etwas sehr Physisches sein kann, etwas Raum einnehmendes, das eine Wirkung auf einen haben kann. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich erinnere mich auch an Anthony Gormley, ein Künstler mit dem mein Vater oft zusammengearbeitet hat, als ich noch ein Kind war. Seine Ausstellungen waren immer sehr spektakulär, regten aber auch zum Nachdenken an. Auch sie haben bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich glaube, Kunsterlebnisse dieser Art haben meine ästhetische Sensibilität und meine Präferenzen sehr stark geformt. Ich schätze minimalistische Ästhetik und konzeptionelle Ideen in der Kunst noch immer.
Mit solch einem Hintergrund, war es dir da klar, dass du früher oder später selbst einmal ins Kunstgeschäft einsteigen würdest?
Ich hatte eigentlich nie bewusst geplant, in die Kunst zu gehen. An der Universität hatte ich mich zunächst auf meinen Master in Wirtschaft und Management konzentriert. Da mein Interesse für Kunst nicht nachließ, belegte ich nebenbei auch Kurse in Kunstgeschichte und Psychologie. Während meines Studiums half ich in der Galerie Nordenhake in Stockholm mit, und während der Semesterferien im Sommer arbeitete ich als Praktikant in anderen Galerien. Als ich noch aufs Gymnasium ging lebten wir in Berlin. Schon damals ging ich viel auf Vernissagen und war mit vielen dort lebenden jungen internationalen Künstlern unterwegs. Bei meiner Rückkehr nach Stockholm kannte ich zunächst nicht allzu viele Leute. Ausstellungseröffnungen boten eine gute Gelegenheit für mich, unter Leute zu gehen und neue Gesichter kennenzulernen. Nach dem Studium arbeitete ich dann in einem Auktionshaus, in der Sparte für modernes Design, was mich außer Kunst ebenfalls sehr interessiert.
Aber letztendlich hast du dann den Auktionsbetrieb verlassen, um mit Vierundzwanzig der wahrscheinlich jüngste Galerist der Stockholmer Kunstszene zu werden.
Ja, ich war noch sehr jung als ich Niklas Belenius traf. Wie mein eigener Vater war sein Vater im Kunstbetrieb tätig. Man sagt, es erfordert 10.000 Stunden, um in einer Sache richtig gut zu werden. Da wir beide mit Kunst aufgewachsen waren, hatten wir schon einen gewissen Vorsprung bei diesen 10.000 Stunden. Diese frühe Berührung mit Kunst war wohl mit ausschlaggebend dafür, dass wir in vergleichsweise jungem Alter schon so selbstbewusst waren, ins Galeriegeschäft einzusteigen. Natürlich kann das jahrelange Erfahrung und den Aufbau von Beziehungen in der Kunstszene nicht ersetzen. Als Neuankömmling in der Galerieszene empfiehlt es sich, gerade wenn man selbst noch jung ist, mit jemandem zusammenzuarbeiten, und sich gemeinsam einen Namen und ein Netzwerk aufzubauen. Niklas sprach mich damals an und fragte mich, ob ich nicht für ihn arbeiten wolle. Sein Fokus lag überwiegend auf jungen Künstlern, gepaart mit ein paar ausgewählten etablierten Künstlern. Ich mochte dieses Konzept sehr und bald wurde uns klar, dass wir als gleichberechtigte Partner zusammenarbeiten würden. Vor zweieinhalb Jahren fand ich einen großartigen Raum zur Zwischenmiete im Stadtzentrum. So kam es, dass wir Belenius/Nordenhake eröffneten.
Trotz eures großen Erfolgs haben du und Niklas Belenius euch entschieden, wieder eure eigenen Wege zu gehen.
Ja, es war unsere gemeinsame Entscheidung. Während dieser vier Jahre wurde uns klar, dass wir unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, in welche Richtung sich die Galerie entwickeln sollte. Niklas’ Interesse galt hauptsächlich der schwedischen Kunstszene, und er wollte intensiver mit dem Sekundärmarkt arbeiten, während ich mehr in Richtung der internationalen Kunstszene mit stärkerer Präsenz auf Kunstmessen schaute, und den Fokus mehr auf aufstrebende internationale Künstler legen wollte.
Weißt du schon, was du als nächstes machen willst? Wirst du im Galeriegeschäft bleiben?
Auf jeden Fall. Ich sehe mir gerade ein paar Orte im Zentrum von Stockholm an. Der Fokus wird wie gesagt überwiegend auf jungen Künstlern liegen, von denen viele unter 35 sein werden. Es wird auch manche geben, die erst vor kurzem von der Akademie abgegangen sind. Mein Plan ist es, die Galerie sehr stark international auszurichten.
Warum Stockholm? Würde es nicht mehr Sinn machen, eine Galerie mit einem so jungen Profil im angesagten und trendigen Berlin zu eröffnen?
Ich glaube, dass Stockholm viel Potential hat. Natürlich ist Stockholm nicht Berlin, Paris oder New York – Städte, in denen Kunst schon immer eine wesentliche Rolle gespielt hat. Ich meine, man kann sich New York gar nicht ohne die Künstlerlofts und Warhol vorstellen – sie sind zu sehr mit der Identität der Stadt verwachsen. Das Gleiche gilt für das heutige Berlin, und auch für Paris, wo die Kunstszene vielleicht nicht mehr ganz so lebendig ist wie noch vor ein paar Jahrzehnten, aber immer noch integraler Bestandteil seiner Geschichte ist. Obwohl Schweden keine traditionelle Kultur des Kunstsammelns hat, gibt es dort viele potentielle Käufer. In Schweden gibt es durchaus Reichtum, der hauptsächlich in Stockholm konzentriert ist. Stockholms Galerieszene ist noch relativ klein, und ich glaube es gibt noch Platz für eine Galerie, die lokale Attraktivität mit einer starken internationalen Orientierung verbindet.
Du bist selbst Teil der jungen Generation. Wie wichtig ist es dir, Leute deines Alters für die Galerie zu interessieren und in die zeitgenössische Kunst einzuführen?
Was mir an meinem Beruf besondere Freude bereitet, ist, ein Kunstwerk an jemanden in meinem Alter oder jünger zu verkaufen. In der Regel ist es der erste Kauf eines Kunstwerks und stellt eine vergleichsweise hohe Investition sie oder ihn dar. Diese jungen Käufer kommen aber nicht unbedingt aus reichem Haus oder aus Familien, in denen Kunst schon immer wichtig war, wie man das vielleicht erwarten würde. Es sind meistens Leute, die selbst diese Welt für sich entdeckt haben und in sie vordringen möchten. Kunst bietet Zugang zu einer Szene voller kreativer, verrückter und glamouröser Menschen, und ich glaube, dass dieser identitätsbildende Prozess nicht unterschätzt werden sollte. Daher sind auch die meisten meiner Kunden Unternehmer oder Menschen, die eigenverantwortlich an ihrem Erfolg gearbeitet haben. Die Kunst, die sie kaufen, wird ein Teil ihrer selbst, und wie sie sich selbst sehen.
Wenn es nicht so sehr Kunst ist, für die sich Menschen in Stockholm interessieren, wenn es um die “schönen Dinge des Lebens” geht, was ist es dann?
Ich würde sagen, es ist vor allem Mode, mit dem man sich hier viel beschäftigt. Die Stockholmer sind stolz darauf, als Vorbild für europäische Modetrends zu dienen. Der gesellschaftliche Druck, gut auszusehen, ist enorm hoch. Das gilt besonders für die junge Generation. Auch eine schöne Wohnung zu besitzen ist wichtig, klar. Wir verbringen ja recht viel Zeit Zuhause. Bedeutsame Kunst an den Wänden hängen zu haben, steht aber weiter unten auf der Liste. Aber ich habe das Gefühl, dass sich immer mehr junge Leute auch für Kunst interessieren. Viele finden Zugang zur Kunstwelt über die vielen Partys, die rund um Galerieeröffnungen und Messen organisiert werden, und ich finde das ganz okay. Es ist eben ein anderer Zugang. Aber es muss ja auch nicht immer ein abgehobener Kunstdiskurs sein.
Wie glaubst du, wird sich die schwedische Kunstszene noch entwickeln?
In den vergangenen 20 oder 30 Jahren konnten schwedische Künstler noch erfolgreich sein, ohne mehrfach in schwedischen Kunstinstitutionen ausgestellt worden zu sein, ganz zu schweigen von Museen und Galerien im Ausland. Ich denke, hierzulande herrscht immer noch eine sehr regionale Mentalität, was sich aber sicher ändern wird. Ich glaube, für Schwedens kommerziellen Kunstsektor gibt es nur einen Weg nach vorn – sich aus Schweden herauszuwagen und engere Beziehungen mit dem internationalen Kunstmarkt aufzubauen. Das wird klar, wenn man sich nur einmal die schwedischen Künstler ansieht, die bereits international erfolgreich arbeiten – sie alle haben zuvor fast immer im Ausland studiert oder ausgestellt.
Gelegentlich taucht der Ausdruck Nordische Kunst auf. Kann Kunst aus den „Nordics“, ähnlich wie nordisches Design, nordische Küche oder nordische Mode, als eigenes Label bestehen?
Wenn man genau hin sieht, wird man vielleicht bei Kunst von nordeuropäischen Künstlern bestimmte Themen entdecken, die ich aber für äußerst subtil und für nicht ausgeprägt genug halte, als dass man sie mit einem Label auszeichnen könnte. Wie auf allen anderen Gebieten verlieren nationale Grenzen in der Kunstwelt zunehmend ihre Bedeutung. Viele schwedische Künstler leben und arbeiten heute in Berlin, wo sie sich mit anderen internationalen Künstlern austauschen. Inzwischen erhalten viele schwedische Künstler ihre Ausbildung an Kunstakademien im Ausland, zum Beispiel an der Städelschule in Frankfurt oder der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam. Der einzige schwedische Einfluss, der erhalten bleibt ist die Tatsache, dass jemand zufällig in Schweden aufgewachsen ist.
Du sprichst viel darüber, wie wichtig es ist, sich international zu orientieren. Riskieren schwedische Künstler, vom Kunstmarkt abgehängt zu werden, wenn sie den Sprung ins Ausland nicht schaffen?
Natürlich würde ich nicht ausschließen, dass Künstler, die es vorziehen in Schweden zu bleiben, erfolgreich sein können. Aber wie schon gesagt, die Chancen auf Erfolg sind größer, wenn man ins Ausland geht. Es ist wahrscheinlich, dass die Karriere eines Künstlers, der nicht die Chance hatte im Ausland zu studieren oder an einem internationalen Artist-in-Residency Programm teilzunehmen, auf dem Niveau von nationalen Galerieausstellungen stagnieren wird. Ich bin davon überzeugt, dass sowohl die Künstler selbst als auch die schwedische Kunstszene als solche davon profitieren werden, wenn mehr schwedische Künstler im Ausland leben und arbeiten.
Glaubst du, dass Galerien eine noch größere Rolle spielen könnten, um schwedische Künstler im Ausland zu etablieren?
Ich glaube, dass Galerien eine viel stärkere Rolle übernehmen sollten, schwedischen Künstlern international zu mehr Profil zu verhelfen. Galerien haben die Möglichkeit, neue künstlerische Positionen durch Galerieausstellungen, im Internet oder auf Kunstmessen einer internationalen Öffentlichkeit vorzustellen, meistens bevor diese Kuratoren oder institutionellen Ausstellern auffallen. Eine Galerie bedeutet normalerweise die erste Station für einen Künstler, der gerade von der Kunstakademie kommt. Hätten wir in Schweden mehr Galerien mit größerer Ambition, an internationalen Kunstmessen teilzunehmen, würde sich schwedische Kunst im Ausland sicherlich erfolgreicher etablieren – das wiederum würde zu mehr Interesse im Heimatmarkt führen. Ich hoffe, zukünftig in diesem Sinne mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Du hast erwähnt, dass dein Hauptinteresse bei jungen Kunstpositionen liegt. Wie findest du neue Künstler für deine Ausstellungen?
Seien wir ehrlich, im ersten Moment geht es immer um den visuellen Eindruck, der darüber entscheidet, ob dich etwas interessiert oder ob es dich kalt lässt. Oft brauchst du aber diesen zweiten Blick. Was dich anfänglich noch nicht vom Stuhl gerissen hat, kann plötzlich in Wertschätzung umschlagen, vor allem wenn man darin eine gute Idee oder ein starkes Konzept entdeckt. Viele Sammler und Kunsthändler suchen sich die Künstler nach ihrer Biographie aus. Das kann, muss aber kein entscheidender Faktor sein… Denn, was passiert, wenn ein Künstler erst ganz am Anfang seiner Karriere steht und bislang noch nicht ausgestellt hat? Das war bei Julius Göthlin der Fall, den wir gerade erst im Sommer bei uns gezeigt haben. Julius hatte 2012 sein Studium am Royal Institute of Art abgeschlossen, und seitdem machte er Kunst vor allem für sich selbst. Entsprechend dünn fiel auch sein künstlerisches Resumé aus. Mir war das aber unwichtig. Die Ausstellung mit ihm wurde ein Riesenerfolg.
Gibt es besondere schwedische Künstler, die wir kennen sollten?
Da gibt es besonders eine Künstlerin, die ich sehr gern mag. Ihr Name ist Anna Uddenberg. Sie macht Skulpturen von Frauen, die oft in sexuell provokanten Posen dargestellt sind. Sie spielt mit Konzepten wie Identität, sozialen und sexuellen Machtverhältnissen. Ihre Skulpturen könnten fast Selbstportraits sein, aber sie könnten ebenso gut Objekte ihrer eigenen Begierde, mit ihr als Beobachterin, sein. Ich denke bei ihrer Kunst spielt Schweden eine wichtige Rolle, weil wir Schweden von der Diskussion um die Gleichheit der Geschlechter geradezu besessen sind. Schwedens feministische Bewegung war seit jeher skeptisch eingestellt gegenüber sexuell aufgeladenen Darstellungen von Frauen. Anna stellt das aber komplett auf den Kopf. Ich finde sie nähert sich dem Konzept menschlicher und weiblicher Darstellung auf sehr erfrischende und interessante Weise, die sehr zeitgenössisch ist. Anna ist 34 und lebt in Berlin. Sie nimmt an der 9. Berliner Biennale teil, aber ist noch nicht wirklich in Schweden ausgestellt worden. Das muss sich definitiv ändern.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer