Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.
Der Stockholmer Jurist Jan Widlund besitzt seit dreißig Jahren eine große Kunstsammlung. Er gilt als einer der passioniertesten Sammler der zeitgenössischen schwedischen Kunstszene; er hat viele schwedische Nachwuchskünstler entdeckt und ihnen den Weg in die Kunstwelt geebnet. Seine Sammelstandards sind kompromisslos und streben Museumsqualität an. Wir besuchten Jan Widlund in seinem Haus in Östermalm und unterhielten uns mit ihm darüber, wie er gute von schlechter Kunst unterscheidet, über die Gründe für seine neuerliche Hinwendung zu schwedischen Nachwuchskünstlern und fragten ihn, welchen Rat er angehenden Sammlern gibt.
Wenn man sich mit der schwedischen Kunstszene beschäftigt, stößt man sehr schnell auf Ihren Namen als einen von Schwedens ersten ernsthaften Sammlern von zeitgenössischer Kunst.
Das stimmt. Als ich vor etwa dreißig Jahren mit Sammeln begann, gab es nur wenige Kunstsammler in Schweden. Damals existierte praktisch kein Bewusstsein für zeitgenössische Kunst. Außer den Auktionshäusern gab es nur wenige Galerien und ich gehörte zu den wenigen, die sie regelmäßig aufsuchten. Diese Situation hat sich grundlegend verändert. Heute gibt es besonders in Stockholm eine sehr lebendige Galerienszene, die regelmäßig besucht wird.
Wenn Sie zurückschauen, was war es, das ihr Interesse an Kunst seit dreißig Jahren gefesselt hält?
Mich hat das Ästhetische an der Kunst immer angezogen, denn ich bin im Grunde ein sehr ästhetischer Mensch und dies nicht nur in Bezug auf die Kunst. Um mein Wissen über Kunst zu vertiefen, entschloss ich mich, neben meinem Jurastudium an der Universität Stockholm und Wirtschaftsstudium an der Stockholm School of Economics, auch ein Kunststudium abzuschließen. Und während meine Kollegen später in der Anwaltskanzlei Aktien von Wirtschaftskonzernen kauften, kaufte ich Kunst. Eine Zeit lang fühlte ich mich auf diesem Gebiet sehr einsam. In den mehr als 15 Jahren, seit denen ich für die Direktoren des Moderna Museet David Elliott, Lars Nittve und inzwischen Daniel Birnbaum als Anwalt arbeite, hatte ich das Privileg, Einblick in die innersten Kreise der Kunstszene zu erlangen und durfte das Museum in einigen wirklich heiklen Fragen wie zum Beispiel der Wiedergutmachung für ein Gemälde von Emil Nolde im Wert von mehreren Millionen an eine jüdische Familie vertreten. Ich pflege meine engen Verbindungen zu Kunstinstitutionen auch insofern, als dass ich Mitglied in verschiedenen Vorständen wie dem Marabou Park bin, bis vor kurzem auch als Vizepräsident des Vorstands der Freunde des Moderna Museet.
In Kunstkreisen sind Sie als der Mann mit dem guten Blick und sicheren Gespür für thematisch relevante und zeitgemäße Kunst bekannt.
Ich möchte nicht arrogant erscheinen, aber über die Jahre habe ich tatsächlich einen untrüglichen Sinn für gute oder schlechte Kunst entwickelt. Ich sehe oder spüre es vielmehr sofort. Mit wenigen Ausnahmen hat mich mein Gefühl in den dreißig Jahren meiner Sammeltätigkeit nie getäuscht.
Viele Menschen, und dazu gehören Prominente der Kunstszene, verlassen sich auf Ihr Urteil. Wie beurteilen Sie die Qualität eines Kunstwerks?
Ein sehr wichtiger Aspekt ist das Gefühl, dass das, was man betrachtet, bisher noch nicht gesehen hat. Dieses Gefühl kann sich sowohl auf das künstlerische Konzept als auch auf den Arbeitsstil beziehen. Es ist einfach ein Bauchgefühl, auf das ich mich verlasse.
Dreißig Jahre sind eine lange Zeit. Hat sich Ihre Sammlung in dieser Zeit in neue Richtungen entwickelt?
Am Anfang lag der Schwerpunkt mehr auf internationaler Kunst, einschließlich amerikanischen Künstlern wie Roy Lichtenstein oder James Rosenquist und einigen anderen internationalen Künstlern wie Sigmar Polke. Aber mit der Zeit änderten sich meine Prioritäten und in den letzten Jahren habe ich mich auf das Sammeln schwedischer Künstler beschränkt. Oft versuche ich, junge Nachwuchskünstler zu unterstützen, und einige dieser Künstler, die damals, als ich sie entdeckte, noch jung waren, sind nun bekannt und nicht nur in Schweden, sondern auch international sehr angesehen. Vor zehn Jahren kaufte ich eine Videoarbeit von Natalie Djurberg von ihrer Galerie Marconi. Damals war Marconi erstaunt, dass sich jemand für ihre Arbeiten interessierte. Heute ist Natalie Djurberg die vielleicht bekannteste schwedische Künstlerin.
Wer sind die anderen Künstler, die Sie schon früh für sich entdeckt haben?
Es waren einige schwedische Künstler wie Annika von Hausswolff, Ernst Billgren und Jacob Dahlgren; ich war unter den ersten, die ihr Talent erkannten und förderten. Ich finde es ganz allgemein viel interessanter, Kunst von jungen Nachwuchskünstlern zu kaufen als von jemandem, der schon sechzig Jahre alt und allgemein anerkannt ist. Zum Beispiel würde ich heute keinen Andy Warhol kaufen – selbst wenn ich das Geld hätte würde ich es nicht tun. Ich finde es viel befriedigender zu wissen, dass ich zu den ersten gehörte, die das Talent und den Wert eines Künstlers erkannten bevor alle anderen auf ihn springen. Kunst von einem etablierten Künstler zu kaufen, ist nicht spannend und es zeugt auch nicht von Sportsgeist.
Sammeln als sportliche Tätigkeit zu sehen ist ein interessantes Konzept. Jede Sportart hat ihre Strategie. Haben Sie eine?
Nein, ich habe wirklich keine Strategie außer der, dass es gute Kunst sein muss. (lacht) Ich sammle Kunst nicht nach einem bestimmten Thema. Und wie ich schon sagte, mir ist es wichtig, dass die Werke in meinem Besitz einen sehr hohen Qualitätsanspruch erfüllen. Das glaube ich jedenfalls. Ich sammle jedes Genre von Kunst: Skulpturen, Ölgemälde und seit kurzem auch Videoarbeiten und ich sammle keine Aquarelle. Auch habe ich kein Interesse an dem Gesamtwerk eines Künstlers. Ich konzentriere mich eher auf die Qualität einzelner Arbeiten.
Es ist nicht zu übersehen, dass Sie in der Kunst keine Kompromisse eingehen. Sammeln ist für Sie kein Hobby, sondern ein außerordentlich ernstes Geschäft.
Nun, Kunstsammler werden nach dem schwächsten, nicht nach dem exquisitesten Werk in ihrer Sammlung beurteilt. Ich investiere einen erheblichen Teil meiner Zeit, um mir neue Kunst anzusehen und mich über sie zu informieren. Es ist mir sehr wichtig, von Menschen anerkannt zu werden, die ein tieferes Verständnis von Kunst und ein gutes Urteilsvermögen haben. Statt Reichtum anzuhäufen ist mein persönliches Ziel als Sammler vor allem anderen, den Respekt eines kritischen und sachkundigen Publikums zu erhalten. Ich möchte, dass die Menschen meine Sammlung sehen und sagen „sie ist wirklich gut“ und nicht „sie ist wirklich viel Wert.“
„Gute Kunst“ zu finden ist, wie Sie schon sagten, immer eine Herausforderung, sicherlich auch weil der Kunstmarkt zunehmend dichter und komplexer wird. Was sind Ihre Jagdgründe, in denen Sie gute Kunst aufspüren?
Wissen Sie, als ich vor mehr als dreißig Jahren durch Galerien zu gehen begann, gab es in Stockholm etwa einhundert von ihnen. Ich wählte etwa 10 bis 15 aus und besuchte sie regelmäßig. Und da es damals nur wenige ernsthafte Sammler gab, beachtete man mich und ich machte mir als ernsthafter Sammler und loyaler Kunde einen Namen. Im Laufe der Zeit lud man mich ein, neu eingetroffene Kunstwerke zu sichten bevor sie einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Natürlich verschafften mir diese Vorschauen einen Vorteil vor anderen Sammlern. Ich verbringe etwa zwanzig Stunden pro Woche damit Kunst anzusehen. Und natürlich besuche ich Kunstmessen wie die Armory und die Frieze in London und New York, und natürlich die Art Basel. Aber die meisten Kunstwerke, die ich kaufe, kommen aus den von mir ausgewählten Galerien in Stockholm.
Kunst von skandinavischen Künstlern erhält seit einiger Zeit zunehmend Aufmerksamkeit und wird gerne mit dem Begriff „Nordic Art“ verbunden. Kann Kunst aus den nordischen Ländern unter einem einzigen Label subsummiert werden?
Ich habe den Eindruck, dass skandinavische Kunst in den Köpfen der Menschen, die nicht in einem der nordischen Länder wohnen, sich hauptsächlich auf dänische und norwegische Kunst bezieht. Ich glaube nicht, dass der Begriff „Nordic Art“ der Vielfalt der Kunstproduktion der nordischen Regionen gerecht wird. In der heutigen Kunstwelt kommt es immer weniger darauf an, woher die Künstler kommen. Heute arbeiten viele skandinavische Künstler im Ausland. Viele haben ein Atelier in Berlin. Es bringt sie mit Künstlern anderer Orte zusammen, von denen sie beeinflusst werden, und sie selbst beeinflussen wiederum andere. So entsteht ein Netzwerk gegenseitiger Beeinflussungen.
Glauben Sie, dass schwedische Künstler sich jetzt schon im internationalen Kunstmarkt behaupten können?
Ja, ich glaube, einigen Künstlern wird es gelingen, auf der internationalen Bühne Aufmerksamkeit zu erlangen. Natalie Djurberg gehörte zu denen, die diesen Schritt schon geschafft haben. Sicherlich werden ihr andere Künstler auf diesem Weg folgen.
Viele Sammler pflegen eine persönliche Beziehung zu den Künstlern und finden dies ebenso bereichernd wie den Besitz eines Kunstwerks. Wie denken Sie darüber?
Um ehrlich zu sein, es ist mir nicht so wichtig. Ich vermeide es eigentlich, enge Beziehungen zu den von mir gesammelten Künstlern zu entwickeln. Es entbindet mich von jeglichen Verpflichtungen und gewährt mir persönliche Freiheit, wenn ich mich entscheide, aus irgendeinem Grund ein Kunstwerk aus meiner Sammlung zu verkaufen, die ich sonst nicht hätte.
Man sagt, Sie hätten zu einer Zeit etwa 300 Kunstwerke besessen. Wo bringt man eine so große Zahl unter?
Sie befanden sich natürlich nicht alle in unserem Haus. In den ersten Jahren wollte ich die Räume von Vinge, eine Kanzlei, in der ich viele Jahre Partner war, mit Kunst ausstatten. Die Werke an den Wänden wurden sowohl von den Klienten als auch von den Angestellten so gut angenommen, dass wir bald regelmäßig öffentliche Kunstausstellungen in der Kanzlei organisierten. Und mir wurde klar, dass ich dazu mehr Kunstwerke brauchte und begann, den größeren Teil meiner Sammlung zu Vinge zu bringen. Es machte mir Spaß, die Kunstwerke auf diese Art und Weise zu neuem Leben zu erwecken. Seit ich pensioniert bin und meine Aktivitäten als Anwalt reduziert habe, habe ich einen Großteil meiner Sammlung an Vinge und andere Kanzleien, die Interesse zeigten, verkauft. Ich selbst habe nur ein paar ausgewählte Werke behalten.
Es muss hart sein, sich von einer Sammlung, die man mit großem Engagement über einen langen Zeitraum aufgebaut hat, zu trennen.
Glücklicherweise bin ich kein besonders sentimentaler Mensch. Das hilft. (lacht) Ich habe meiner Lust, auch wieder Dinge zu verkaufen, nie Grenzen gesetzt. Einige Sammler behalten alles. Ich dagegen verkaufe, wenn ich den Eindruck gewinne, dass ich mit einem Kauf einen Fehler begangen habe, weil ich das Werk nach einer Weile nicht mehr mag oder weil der Künstler sich nicht wirklich weiterentwickelt hat. Ich mag nicht gern von Fehlern umgeben sein. Und ich halte es grundsätzlich nicht für eine gute Idee, an allem festzuhalten, was man gekauft hat.
Wo wir gerade über Fehler sprechen: Würden Sie uns verraten, wann Sie als Sammler einmal eine Fehlentscheidung getroffen haben?
Ich hatte einmal einen Donald Judd. Er hat mich immer beeindruckt, besonders in den ersten Jahren als ich einen überwiegend internationalen Fokus hatte. Ich verkaufte ihn als ich meine Sammlung mehr auf schwedische Kunst umstellte. Hätte ich den Judd nicht verkauft, wäre ich heute Milliardär.
Würden Sie uns zum Schluss noch einen Rat an angehende Sammler von zeitgenössischer Kunst auf den Weg geben?
Ich glaube, man sollte sich zuerst ein Wissen über Kunst erarbeiten. Vielleicht war ich selbst damals gar nicht ausreichend informiert. Es ist jedenfalls sinnvoll, viele Kunstbücher zu lesen, um einen Überblick über das breite Spektrum von zeitgenössischer Kunst zu erlangen. Man muss sehen lernen! Man kann sich gar nicht genug Kunst ansehen! Je mehr man sieht, desto besser wird man das Konventionelle vom wirklich Spannenden unterscheiden lernen und das finden, was zur eigenen Sammlung passt. Am Anfang meiner Sammeltätigkeit lernte ich viel aus Gesprächen mit Galeristen. Ich halte dies für wichtig. Mit der Zeit entwickelt man ein Gefühl für die Galerien, die qualitativ hochwertige Kunst anbieten und von denen man vertrauensvoll kaufen kann. Letztendlich geht es immer um Qualität, nicht um Quantität.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer