En

Johanna und Friedrich Gräfling, Wiesen, Deutschland

Collector Stories

»Sammeln ist ein Abwägen zwischen Prioritäten.«

Das Programm, das Johanna und Friedrich Gräfling in Sachen Kunst in den letzten zehn Jahren absolviert haben, reicht eigentlich für drei Leben. Sie haben einen experimentellen Ausstellungsraum in Aschaffenburg gegründet, mit dem „Salon Kennedy“ in Frankfurt am Main einen Ort für Ausstellungen und Diskurse rund um Kunst, Architektur und Design in ins Leben gerufen, einen Kunstverein gegründet, eine Scheune zu einem Wohnhaus umgebaut und eine renommierte Kunstsammlung mit internationalem Ruf aufgebaut, in der sich Positionen wie Alicja Kwade, Simon Fujiwara und Michael Sailstorfer befinden. In Wiesen, einem kleinen Ort im Spessart, haben wir uns mit den beiden getroffen und uns darüber unterhalten, wie eigentlich alles begann, wie ihr Selbstverständnis als Sammler heute ist und wie lange es dauert, bis Kunst in ihre Sammlung gelangt.

Johanna, andere Leute schließen in eurem Alter ihr Studium ab und fangen erst langsam damit an, über das Sammeln von Kunst nachzudenken. Wäre Anfang dreißig ein gutes Alter, um damit zu beginnen?
Johanna (J): Ich würde sagen, je früher, desto besser. Aber ich glaube, Anfang dreißig ist tatsächlich ein ganz guter Moment, weil die meisten dann doch schon im Berufsleben angekommen sind und sich eventuelle Interessen vertiefen. Das bekommen wir aktuell in unserem Freundeskreis mit – Familien werden gegründet, der Wohnort wird fixer, Prioritäten verschieben sich, und so kommen viele dann auch auf den Gedanken, sich mit Kunst auseinanderzusetzen und Kunst zu kaufen.

Friedrich (F): Ich meine, im Prinzip ist das Alter vollkommen egal. Ich stimme allem zu, was Johanna gerade gesagt hat, aber die Frage des Zeitpunkts für das Sammeln von Kunst stellt sich im Leben immer wieder. Bei uns kam sie auf, als wir um die zwanzig waren, aber sie stellt sich jetzt genauso, und sie wird sich wahrscheinlich auch, wenn wir siebzig sind, noch stellen. Geld ist als solches nicht unbedingt das Kriterium. Sammeln ist ein Abwägen zwischen Prioritäten. Mit Anfang zwanzig wägt man möglicherweise zwischen anderen Dingen ab als mit dreißig oder siebzig, aber die Frage an sich stellt sich wahrscheinlich immer. Wobei der Begriff des Sammelns ja auch nicht klar definiert ist.

Was bedeutet Sammeln denn für dich, für euch?
J: Sammeln ist für uns eine Einstellung und auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Ich denke, das Wichtigste ist, aus einem tiefen Interesse mit dem Sammeln anzufangen. Dann ist das Alter tatsächlich egal.

13 Graeflings 190 c Sabrina Weniger
12 Graeflings 190 c Sabrina Weniger

Wie fing euer gemeinsamer Weg eigentlich an, der von Beginn an intensiv von Kunst begleitet wurde?
J: Wir haben uns vor etwas mehr als zehn Jahren in London kennengelernt und dort erste Ausstellungen in unserer gemeinsamen Wohnung gemacht.

F: Das Problem damals war: Die Kunst war da, das Interesse und die Energie waren da, der Drang, Kunst auszustellen und zu zeigen – aber es fehlten uns immer Räume. Wir wollten kein Pop-up in irgendeiner Galerie machen und Museen standen natürlich unter ferner liefen. Wir suchten nach einer Zwischenraumnutzung, aber wie kommt man da dran, vor allem in London? Wir haben deshalb kurzerhand in unserer Wohnung in London meistens zu Events wie der Frieze einfach in unserem Wohnzimmer Ausstellungen gemacht.

J: Teilweise war das extrem, wir haben alle Möbel raus ins Schlafzimmer gestellt oder ins Bad und dann versucht, richtig freien, also leeren Raum zu schaffen und mit den Künstlern umzugestalten, z. B. etwa Teppichboden mit Milchverpackungssilberfolie zu überdecken, da das zur Ausstellung passte.

F: Genau. Aber das war natürlich immer nur begrenzt und auch wenig praktisch, übers Sofa in die Dusche zu steigen für die Laufzeit der Ausstellungen. Und dann kam der Raum in Aschaffenburg aufs Tapet. Logistisch nicht ganz einfach zu lösen von London aus, aber damals, ungefähr 2010, war das für uns ein guter Weg.

Um das kurz zu erklären: Ihr habt damals ein Schlachthaus in Aschaffenburg in einen Ausstellungsraum umgebaut. Ein Jahr später war dort die erste Ausstellung zu sehen, die Gregor Hildebrandt kuratiert hatte. Wie habt ihr das eigentlich finanziert damals, ihr habt doch noch studiert, oder?
F: Der Raum in Aschaffenburg wurde von uns mithilfe von Friedrichs Vater, der vor Ort war, in Eigenleistung renoviert. Natürlich hatten wir auch keine Möglichkeiten, den Ausstellungsraum professionell zu betreiben. Es gab z. B. keine Öffnungszeiten, es funktionierte eher auf einer Art Event-Basis, etwa wenn Kulturtage in Aschaffenburg waren, dann waren wir auch dort und haben aufgemacht.

J: Es war und ist immer sehr viel eigene Handarbeit, die damals wie heute in alles mit reinfließt, was wir machen, auch hier in der Scheune. Wir packen selber mit an und ziehen selten externe Bauleute hinzu. Wir beziehen alles direkt, die ganzen Materialien. Das, was wir machen können, machen wir mit unseren Händen und Köpfen. Das spart ziemlich viel Geld ein. Der Boden, der uns umgibt, wurde beispielsweise von Friedrich verlegt.

Das Schlachthaus existiert inzwischen nicht mehr als Ausstellungsraum, stattdessen habt ihr 2013 den „Salon Kennedy“ gründet. Was hat es damit auf sich?
J: Uns ging es darum, Ausstellungen zu machen und Leuten die Kunst näherzubringen. Unser Interesse war es und ist es auch immer noch – und deshalb auch der Begriff des Salons –, dass man nicht einfach nur einen Raum schafft, wo man sich die Kunst an der Wand anschaut, sondern einen Diskurs bereitet. Wir wollen auch Leute zur Kunst bringen, die vielleicht noch gar nichts damit zu tun haben. An diesem Ort hat man die Gelegenheit, auch mit dem Künstler oder der Künstlerin direkt ins Gespräch zu kommen. Jeder, der in den Salon hineinkommt, muss zuerst bei uns klingeln und an uns vorbeigehen, aber dadurch kommt man automatisch ins Gespräch und dadurch entsteht Weiteres; und wenn man sich am Ende über was anderes als über Kunst unterhalten hat, ist das auch gut. Und die Künstler haben eine carte blanche bei uns. Sie können ganz frei auf die Architektur und die ganzen Gegebenheiten in diesen herrschaftlichen Räumen eingehen und sich ausprobieren ohne die Restriktionen, die es vielleicht in einer Galerie oder im Museum gäbe. Sie können dort einfach experimentieren, wie sie wollen.

09 Graeflings 190 c Sabrina Weniger

Hattet ihr jemals Berührungsängste mit Künstlern? Für manche Sammler ist das durchaus ein Thema …
F: Nein, nie. Dadurch, dass ich es nicht anders kannte, waren Berührungsängste zu Künstlern nie da. Ich habe in verschiedenen Künstlerateliers gearbeitet, manchmal, um die Kunst mit meiner Arbeit zu bezahlen, weil ich sie mir sonst nicht hätte leisten können. Der Kontakt zu Künstlern war für mich von Beginn an selbstverständlich.

J: Mein Interesse war immer da, aber den Zugang zu Künstlern hatte ich zuerst nur über Freunde, die Kunst studiert hatten. Aber das änderte sich durch Friedrich, der auch, als ich ihn kennengelernt hatte, schon seit ein paar Jahren eng mit Künstlern in London zusammengearbeitet und da auch schon teilweise Ausstellungen organisiert oder eben im Studio gearbeitet hatte. Heute ist das natürlich ganz anders.

Warum seid ihr eigentlich 2013 von London aus nach Frankfurt gezogen? War Berlin auch eine Option für euch?
F: Wir wollten London verlassen und wieder im deutschsprachigen Raum leben. Damals haben wir die großen Städte in Österreich, der Schweiz und Deutschland verglichen. Berlin war zu keinem Zeitpunkt in der Diskussion. Wir sind – und waren damals auch schon – oft dort, aber bereits damals war es eben nicht mehr die Stadt, wie man sie von Martin Kippenbergers Paris-Bar kennt. Wir fanden Frankfurt vom institutionellen Level her extrem gut. Und es gibt hier die Städelschule, die HfG Offenbach und andere gute Orte für junge Künstler, und wir dachten, da können wir vielleicht mit unserem Beitrag irgendwo zwischen den Studierenden und all den Top-Institutionen wie dem Städel Museum, dem MMK, der Schirn Kunsthalle vermitteln.

08 Graeflings 190 c Sabrina Weniger

Lasst uns noch mal über das Sammeln und eure Sammlung sprechen. Wie groß ist eure Sammlung heute? Ich habe mal etwas von ca. 400 Werken gelesen, ist das noch aktuell?
J: So um dem Dreh.

F: Ist natürlich konstant wachsend.

Habt ihr ein Konzept, nach dem ihr sammelt, z. B. ein bestimmtes Thema oder Genre?
J: Es gibt kein Konzept per se. Es ist tatsächlich immer ein sehr langer Prozess, bis wir uns erst mal dazu entscheiden, Künstler oder Künstlerinnen in die Sammlung aufzunehmen. Uns geht es darum, die jeweilige künstlerische Praxis zu verstehen und im besten Fall auch kennenzulernen. Das passiert nicht immer, aber etwa in 85 Prozent der Fälle schon, vielleicht sogar öfter. Dann beschäftigen wir uns erst mal eine ganze Weile mit der Kunst. Alles, was wir in der Sammlung haben, wollen wir auch gerne in der Tiefe weiterverfolgen, soweit das eben geht. Manche Künstler sind natürlich leider – oder zum Glück – auch nicht mehr so erschwinglich für uns wie am Anfang.

Das bedeutet, ihr entscheidet immer gemeinsam, welche Kunst gekauft wird?
J: Ja, einer bringt einen Künstler aufs Tapet, und wir entdecken die Kunst dann zusammen und entscheiden im Prozess gemeinsam – und eigentlich bleibt es nie bei nur einer Arbeit. Ein gutes Beispiel ist der Berliner Künstler Michael Sailstorfer. Wir haben ihn schon früh gesammelt, und draußen auf dem Kunstweg, den wir hier in Wiesen installiert haben, steht beispielsweise seine Arbeit Tränen, die von unserer gemeinsamen Produktion zeugt. 2015 hat er hier gemeinsam mit uns ein Haus abgerissen, wodurch ein neuer Werkkomplex entstanden ist. Nebendran ist seine Skulptur Wohnen mit Verkehrsanbindung installiert. Mit allen Künstlern setzen wir uns, wenn es geht, in dieser Tiefe auseinander, und dann gucken wir, dass wir so viel wie möglich von deren künstlerischem Schaffen in der Sammlung abdecken können.

05 Graeflings 190 c Sabrina Weniger

Warum wollt ihr immer gleich mehrere Kunstwerke sammeln, warum reicht es euch nicht, nur eine Arbeit von, sagen wir, Alicja Kwade in der Sammlung zu haben?
F: Das ist das Sammeln. Das ist wahrscheinlich eine Krankheit oder irgendwie ein Gendefekt (lacht). Es tut jedes Mal weh, wird immer verrückter, so dass man es ab einem bestimmten Punkt wahrscheinlich nicht mehr handeln kann. Weil du Alicja Kwade nanntest: Von ihr kam z. B. letztens ein 400 kg schwerer Stein, was macht man jetzt damit?

J: … es wird natürlich ein bisschen obsessiv alles …

F: … Ja genau. Das ist so die Sache. Wir beobachten lange. Simon Fujiwara zum Beispiel haben wir erstmals bewusst in der Ausstellung Made in Germany 2 gesehen, also 2012. Die erste Arbeit haben wir letztes Jahr gekauft. Wir haben uns also fast zehn Jahre möglichst konstant immer wieder mit ihm beschäftigt. Und es geht uns nicht darum, ob sich ein Künstler gut entwickelt, überhaupt nicht …

J: … lieber erst mal nicht!

F: Ja genau, aus Sammlersicht hoffentlich nie, denn dann steigen die Preise. Aber fesselt er uns immer wieder, was sind seine Themen und so weiter, darum geht es uns. Simon ist jetzt natürlich ein relativ extremes Beispiel, aber es sind immer Jahre, bis wir eine Position neu in die Sammlung aufnehmen. Sobald sie dann drin ist, ist es relativ unkompliziert. Natürlich kommt es immer auf die einzelne Arbeit an, aber wir brauchen dann nicht lange, um über einen Ankauf nachzudenken. Dann ist es wirklich eine Sekundenentscheidung.

Gab es denn auch schon mal einen Impulskauf, der nicht gut überlegt war?
F: Nein, das kann ich garantieren. Wir sind nicht diejenigen, die zu Messen und Galerieeröffnungen eingeladen werden sollten (lacht). Wir kaufen natürlich in Galerien, oder es entwickeln sich Kontakte auf Messen. Aber wir sind eben keine Event- oder Impulskäufer.

Ihr sammelt vorwiegend Kunst aus „eurer Generation“, habt ihr mal gesagt, plus minus zehn Jahre, was ein Blick auf die Künstlerliste eurer Sammlung auf der Website auch bestätigt. Die Liste sieht tatsächlich wie eine Momentaufnahme unserer Gegenwartskunst aus. Was muss eine zeitgenössische Künstlerin oder ein Künstler tun, um in eure Sammlung zu kommen?
F: Zunächst würde ich dazu sagen, davon absehen, sich bei uns mit Portfolios zu melden. Aus meiner Sicht ist das Wichtigste, umtriebig zu sein, eben nicht auf irgendetwas zu warten, sondern selbst was zu machen. Wenn ihr das jetzt lest: Macht euren eigenen Raum auf. Wenn ihr keine Ausstellung bekommt, stellt selbst aus.

Würdet ihr sagen, es ist es egal, ob eine solche Ausstellung in der Stadt oder auf dem Land stattfindet?
J: Auf dem Land hat man natürlich mehr Freiheiten, kürzere Wege. Wir haben 2014 hier in Wiesen einen Kunstverein gegründet, und unsere aktuelle Ausstellung mit Dominika Bednarsky findet in den Schaufenstern der ortsansässigen Geschäfte und Einrichtungen statt. Man muss natürlich auf dem Land noch mal extra daran arbeiten, dass die Leute auch kommen und sie überhaupt sehen und ein Interesse dafür entwickeln. Warum sollte man eine Stunde von Frankfurt hier rausfahren, um Kunst anzugucken? Eben weil sie gut ist, und das setzt sich durch. Man muss in der Hinsicht natürlich ein bisschen mehr leisten. In der Stadt ist es, was das angeht, schon einfacher, gesehen zu werden.

F: Für uns ist es im Prinzip vollkommen egal, wer sich die Ausstellungen anschaut, im positiven Sinne gemeint. Das kann der Handwerker aus dem Ort sein bis hin zu dem dreifach habilitierten Kunsthistoriker, der aus London anreist. Aber beide müssen, für sich gesehen, einen gewissen Aufwand betreiben, um sich die Kunst anzuschauen. Das ist eigentlich das, was wir wollen. Das ist ähnlich wie beim „Salon Kennedy“. Man hat keine Öffnungszeiten, man muss klingeln oder in den Laden hineingehen und kann nicht aus Langeweile gerade mal ins Schaufenster gucken, dann versteht man nichts. Wenn man das überwindet, hat man Interesse, und dann entsteht etwas Neues. Und dann ist jeder willkommen, und wir freuen uns auf spannende Auseinandersetzungen.

Habt ihr abschließend noch weitere Tipps für junge Sammlerinnen und Sammler?
J: So viel Kunst sehen, wie möglich! Und schauen, ob sich daraus ein Interesse entwickelt.

F: Ja genau, und wenn man die Notwendigkeit verspürt, das Gesehene besitzen zu wollen, dann muss man es kaufen, aus dem Herzen heraus. Dann ist es, glaube ich, ein guter Kauf.

02 Graeflings 190 c Sabrina Weniger

Interview: Dr. Sylvia Metz
Photos: Sabrina Weniger

Connect with us
Als Subscriber erfahren Sie als erstes von neuen Stories und Editionen und erhalten unser zweiwöchentliches Culture Briefing.