Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.
Was als Interesse seines Vaters begann, hat das Leben des jungen Kunstsammlers Kristian Roland überraschend beeinflusst. Die Kunst wurde zu einem zentralen Aspekt seines Lebens, was die stetig wachsende Kunstsammlung in seinem Haus bezeugt. Für Kristian sind Kunstwerke Träger von Geschichten, von denen die besten den Betrachter herausfordern und als Tore zu unerforschtem Gebiet fungieren. Seit er im Alter von 18 Jahren die Kunstwelt entdeckte, hat er immer wieder neuen Boden betreten und visuelle Geschichten entdeckt, die ihn von ausgetretenen Pfaden weggeführt haben. Wir trafen Kristian in seinem Haus in Aarhus zu einem Gespräch über seinen persönlichen Weg und eine Kunstwelt im Wandel.
Kristian, kannst du uns von deinem Weg in die Kunstwelt erzählen?
Gegen 2006 begann mein Vater, Kunst zu sammeln. Er hatte zuvor mehrere klassische Kunstwerke auf Auktionen gekauft, aber als er Eske Kath kennenlernte, der in Christiansfeldt aufgewachsen war – in der Nähe, wo auch mein Vater groß geworden ist –, wurde sein Interesse an zeitgenössischer Kunst geweckt. Deshalb beschlossen wir, nach Aarhus zu fahren, wo Charlotte Fogh eine Einzelausstellung mit Eske Kath hatte. Wir wussten im Voraus, dass es Werke zum Kauf gab, aber auch, dass die Nachfrage groß war. Also gingen wir früh hin und bekamen einen guten Platz in der wachsenden Warteschlange vor der Galerie an diesem frühen Samstagmorgen. Abgesehen davon, dass es ein lustiges Erlebnis war, das den Beginn unserer Reise als Sammler markierte, verließen wir die Ausstellung mit dem Kunstwerk, das der Ausstellung ihren Namen verlieh: Piles and Bones. Eine ähnliche Erfahrung machten wir in Aalborg, wo wir eine ganze Nacht in der Schlange vor einer Galerie standen, um zwei Werke von Jacob Rantzau zu kaufen. Beide Käufe sind geprägt vom Aspekt der „Jagd“, der Erfahrung, zielorientiert einem Werk gemeinsam mit mehreren „Wooers“ zu folgen, sowie der damit verbundenen Aufregung und Möglichkeit der Befriedigung. Das gleiche Gefühl entsteht auf einer Auktion beim Kunstkauf, der eine adrenalingeladene Form des Kunsterwerbs ist. Einige Sammler stehen diesem Ansatz skeptisch gegenüber, aber für uns war es eine gute Möglichkeit, Kunstwerke zu erwerben, die anderswo nicht erhältlich waren.
Apropos Auktionen: Du hast ein Praktikum bei Bruun Rasmussen Auctioneers of Fine Art gemacht und promovierst derzeit an der University of Southern Denmark mit einer Forschungsarbeit zur Frage, wie dänisches Möbeldesign aus historischer Perspektive vermittelt wird. In diesem Sinne hat dich deine Leidenschaft für Kunst und Design schließlich dazu bewogen, sie zum Schwerpunkt deines Berufslebens zu machen. Hast du jemals über eine andere Richtung nachgedacht, oder war dies ein selbstverständlicher Schritt für dich nach der Entdeckung der Kunstwelt?
Es war ein relativ selbstverständlicher Schritt für mich, diese Richtung einzuschlagen. Ich habe mein Interesse immer als wesentlichstes Kriterium für die Wahl des Bildungsweges sowie für die von mir ausgeübten Tätigkeiten angesehen, welche immer eine Mischung aus Arbeit und Freizeit waren. In diesem Sinne könnte man durchaus sagen, dass die in Galerien und Museen verbrachte Zeit meinen beruflichen Weg geprägt hat. Während mein Interesse am Design besonders auf einem akademischen Studium des Faches einschließlich Forschung basiert, beruht meine Neugierde auf Kunst eher auf subjektivem Interesse. Beides ergänzt sich gegenseitig und ist nicht gänzlich verschieden, allerdings gibt es einen Unterschied in der Herangehensweise.
Lass uns ein wenig über diese subjektive Erfahrung mit der Kunst sprechen, auf die sich deine Sammlung stützt. Deine Kunstsammlung
umfasst einen weiten Bereich, sowohl moderne als auch zeitgenössische Kunst, abstrakt und figurativ, sowie die unterschiedlichsten Medien.
Kannst du uns deine Gedanken zu deiner Sammlung und darüber, wie sie sich entwickelt hat, erzählen?
Der aktuelle Trend unter Sammlern zeigt eine vorherrschende Tendenz zum Konzeptuellen und Minimalistischen. Im Jahr 2007, als meine Sammlung anfing, Gestalt anzunehmen, vollzog sich eine Hinwendung zur figurativen Kunst, insbesondere zur Malerei. In diesem Sinne könnte man argumentieren, dass die Sammlung verschiedene Bewegungen und Stilwechsel in der Kunstgeschichte repräsentiert. Die Stücke der Sammlung stehen als historische Marker und Träger eines Zeitgeistes. Dennoch glaube ich, dass die besten Werke in der Sammlung immer noch eine gewisse Energie und Relevanz haben, die sich oft erst aus einer gewissen zeitlichen Distanz zu ihrem Entstehungsprozess zeigen. Vor allem offenbart die Sammlung natürlich etwas über meine ganz persönliche Beziehung zur Kunst: Malerei und Fotografie haben mein vorrangiges Interesse; sie sind die wichtigste Medien meiner Sammlung. Die Fotografie ist als Teil der Popkultur sowohl immens banal als auch enorm elitär und fortschrittlich zugleich, und ich glaube definitiv, dass sie ihre Berechtigung hat. Sie hinterfragt unsere Sichtweise auf die Welt mit den Geschichten, die sie erzählt.
Dies führt zu meiner nächsten Frage, die ein Zitat von dir in einem kürzlich erschienenen Interview mit Larry’s List als Ausgangspunkt nimmt: „Im Großen und Ganzen muss eine Geschichte erzählt werden.“ Kannst du diese Aussage erläutern? Was macht deiner Meinung nach in Bezug auf ein Kunstwerk eine gute Geschichte aus?
Eine gute Geschichte basiert immer auf interessanten, ungewöhnlichen oder herausfordernden Ideen und Gedanken, die der Künstler in seine Arbeit einbringt und die dem Zuschauer in gewisser Weise Neuland bieten. Bei konzeptionellen Arbeiten muss man das Kunstwerk besser kennenlernen als beispielsweise bei einem figurativen Werk, an dem die Komponenten leichter zu entschlüsseln sind. Ich denke, dass ein Künstler wie Albert Mertz interessant ist, weil seine Arbeit uns etwas Grundlegendes über Imagination und Kommunikation erzählt. Ein anderer Künstler, John Knuth, stellt den Prozess in den Mittelpunkt – wie bei unserem Kunstwerk Brinch’s Security, das aus Fliegenexkrementen besteht und einen lebendigen, fast hypnotischen Ausdruck schafft. Im Allgemeinen kann eine gute Geschichte viele unterschiedliche Formen annehmen, abhängig von der Sichtweise des Betrachters. Wir alle lesen etwas anderes in der Kunst – was für mich eine hervorragende Geschichte ist, könnte für dich nur eine ordentliche Geschichte sein.
Apropos Kunstbetrachtung, ich beziehe mich auf den ehemaligen Galeristen David Risley, der in einem Interview mit „Kunstkritikk“ sagte, dass die Menschen keine Kunst mehr sehen: „Jeder behauptet, dass er es tut, aber ich kann dir sagen, wer es tut und wer nicht. Und im Grunde genommen tut es niemand. Nur eine unglaublich kleine Anzahl von Menschen tut es.“ Wie siehst du das als junger Sammler?
Wenn beispielsweise Galerien mehr Besucher haben wollen, ist es wichtig, die Galerie zu einem Erlebnisraum zu machen – mit Kunst als Mittelpunkt. David Risley ist sich dessen sehr bewusst und brillant darin. Es gibt jedoch viele Galerien, die sowohl in ihrer Rolle als Mediator versagen als auch ein sehr arrogantes Kunstverständnis haben. In Dänemark kann man immer noch beim Galeriebesuch die Art von Assistentin antreffen, die hinter einem großen Schreibtisch sitzt und auf ihr MacBook starrt, ohne auf den Besucher zu achten – das schafft nicht gerade eine Grundlage, um die Galerie als Erlebnisraum zu nutzen. In meinen Augen macht die Entwicklung der Social Media-Nutzung die Kunst als kommerzielles und kulturelles Phänomen besser zugänglich. Social Media haben ein enormes Potenzial für Galerien und stehen nicht in Konkurrenz zu ihnen. Die Galerien tragen eben auch die Verantwortung, ihre Ausstellungen für ein neues Publikum attraktiv zu machen. Leider gibt es wahrscheinlich auch Galerien, die sich nicht so sehr um Besucherzahlen und Kommunikation kümmern.
Du wohnst in Aarhus, einer Stadt in Dänemark mit rund 273 000 Einwohnern. Überlegst du manchmal, in eine größere Stadt umzuziehen, mit einer reicheren und vielfältigeren Kunstszene und nicht zuletzt der Möglichkeit, mehr Ausstellungen und Kunstwerke aus nächster Nähe zu erleben?
Ich vermisse bestimmte Dinge definitiv, weil ich nicht in Kopenhagen lebe, das eine viel dynamischere Kunstszene hat als Aarhus, und wir haben schon mehrmals überlegt, in eine größere Stadt zu ziehen. Wenn die Zeit kein Hindernis wäre, würde ich öfter nach Kopenhagen fahren, aber das ist einer der Fälle, in denen die Vorzüge von Social Media erlebbar werden. Dank der Social Media kann ich Ausstellungen sehen und erfahren, aber andererseits regen sie mich an, die grundlegenden Voraussetzungen einer Ausstellung und deren Erlebnis zu hinterfragen. Glücklicherweise haben mehrere Museen, darunter ARoS, eine steigende Besucherzahl, so dass immer mehr Menschen das physische Kunsterlebnis attraktiv finden.
Du hast Social Media als Möglichkeit erwähnt, Ausstellungen aus der Ferne zu erleben, und tatsächlich hat die Digitalisierung völlig neue Methoden der Navigation in der Kunstwelt eingeführt. Neben dem Nutzen, über aktuelle Ausstellungen auf dem Laufenden zu bleiben, wie beeinflusst deine Social Media-Nutzung deine Erfahrung als Sammler?
Mein Instagram-Profil, das ich in erster Linie als Kanal nutze, um meine Kunsterfahrungen auszutauschen, hat mir definitiv eine festere Verbindung zur Kunstwelt verschafft. Ich nutze Artland als Werkzeug, um mir einen Überblick über zukunftsweisende Sammler und junge Künstler zu verschaffen. Das hilft, den Kommunikationsfluss überschaubarer zu machen, was bei knapper Zeit definitiv eine große Hilfe ist. Die leichtere Zugänglichkeit ist ein großer Vorteil und macht vielen Freude, aber sie verursacht auch gewisse Schwierigkeiten. Ich denke zum Beispiel, dass mehrere Galeristen viel Zeit damit verbringen, sich mit Social Media auseinanderzusetzen und deren Auswirkungen auf die Entscheidung der Menschen, eine Ausstellung live oder auf dem Screen zu sehen. Es gibt also sowohl Vor- als auch Nachteile, wenn es um den Einfluss von Social Media auf die Kunstwelt geht.
In Fortsetzung deiner Gedanken über das Ökosystem Kunstwelt: Was ist die größte Veränderung, die wir in den nächsten fünf Jahren auf dem Markt sehen werden?
Es ist immer schwierig, die Zukunft vorherzusagen, und es gibt viele verschiedene die Entwicklungen beeinflussende Akteure und Positionen. Ich glaube jedoch, dass die digitale Evolution weiterhin einen Einfluss haben und Auswirkungen auf die Art und Weise haben wird, wie wir Kunst betrachten und vermitteln. Sowohl Konsumenten als auch Mitwirkende des Kunstmarktes werden in Zukunft höchstwahrscheinlich einen professionelleren Umgang mit Medien erleben - als Möglichkeit, Kunst zu erleben, zu kaufen und zu verkaufen. Kunstmessen als Format sind keine besonders nachhaltige Einrichtung in einer Welt, in der die Klimakrise immer mehr zu einem Thema wird. Vielleicht müssen wir also dieses Format überdenken.
Wenn wir von der Makro- zur Mikroebene übergehen – wie sieht die Zukunft deiner Sammlung aus?
Ich persönlich habe begonnen, in der Zeit zurückzublicken, anstatt dem nächsten Shooting Star zu folgen, was schließlich ein typisches Verhalten und Ziel eines Kunstsammlers des 21. Jahrhunderts ist. Ich finde es wunderbar, meine Sammlung von Arbeiten junger Künstler mit bis heute Bestand habenden Werken einer älteren Künstlergeneration ergänzen zu können, die vor fünfzig Jahren begonnen hat, Kunst zu schaffen. Das Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart verleiht meiner Sammlung einen einzigartigen Nerv.
Interview: Anne-Lill Bøndergaard Brok
Photos: Luna Lund Jensen
Diese Story ist in Zusammenarbeit mit Artland entstanden, einer App um neue zeitgenössische Kunst zu entdecken und sich mit Sammlern und Galerien weltweit zu vernetzen.