Michael Trestik ist mit Helena Trestikova, einer berühmten Dokumentarfilmerin in der Tschechischen Republik verheiratet und Vater von Tomas Trestik, einem der gefragtesten Fotografen des Landes. Er selbst ist eine Person öffentlichen Interesses, und kann auf ein Berufsleben zurückblicken, das leicht für zwei reichen würde. Denn Michael Trestik ist eigentlich Ingenieur und Architekt, hat jedoch mehrere Bücher geschrieben, war selbst Verleger, Kunst- und Literaturkritiker, und stand für Dokumentarfilme gemeinsam mit seiner Frau Helena hinter der Kamera. Er ist auch leidenschaftlicher Sammler von Antiquitäten, Keramik, und Kunst. Wir trafen Michael Trestik in seiner Wohnung im Stadtteil Letná, über den Dächern von Prag, und sprachen mit ihm unter anderem über seine Sammelleidenschaft, weshalb er sich momentan dennoch von seiner Sammlung trennt, und was ihn seit kurzem veranlasst hat, seinen Stift gegen Pastellfarben zu tauschen, um selbst künstlerisch tätig zu werden.
Herr Trestik, Sie sind in vielen verschiedenen Arbeitsgebieten wie etwa Architektur, Literatur, Kunstkritik zu Hause?
Ja, das stimmt. Es hat sich so ergeben, dass ich in meinem Leben immer wieder etwas Neues anfangen konnte und mich so mit teilweise sehr unterschiedlichen Themen beschäftigt habe. Sie können auch noch den „Kunsthändler“ dazuzählen, wenn Sie wollen (lacht). Ich betreibe seit einiger Zeit auch einen Online-Shop mit Antiquitäten, Schmuck und Kunst. Ich glaube einfach, dass es für die persönliche Entwicklung eines Menschen bereichernd ist, verschiedene Dinge im Leben zu machen. Und ich hatte immer das Glück, das tun zu können, wonach mir gerade war.
Woher kommt Ihr Interesse an Kunst?
Das ging schon ziemlich früh los, als ich noch ein Kind war. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Kunst immer einen hohen Stellenwert hatte. Obwohl keines meiner Elternteile bildender Künstler war, so hatten doch beide eine gewisse künstlerische Veranlagung, denn mein Vater war Komponist und spielte Klavier, und meine Mutter war Sprach- und Literaturwissenschaftlerin. Sie nahmen mich schon früh mit zu Kunstausstellungen. Viel später konnte ich dann während meines Architekturstudiums auch etwas über Gesetzmäßigkeiten von Kunst lernen.
Kunst ist in Ihrer Wohnung sehr präsent, und man spürt sofort, dass Kunst Sie bereits über lange Zeit begleitet hat. Können Sie uns etwas über Ihre Kunstsammlung erzählen?
Meine Sammlung besteht vor allem oder, wenn ich es mir recht überlege, ausschließlich aus Werken von tschechischen Künstlern. Obwohl ich immer großes Interesse an internationaler, vor allem der amerikanischen Kunst hatte, stellte ich fest, dass es mir doch am leichtesten fiel, mich mit Künstlern meines eigenen Landes zu identifizieren.
Können Sie sich erinnern, mit welchem Werk Ihre Sammlung begonnen hat?
Das ist eine recht lustige Geschichte (lacht). Als meine Frau und ich heirateten, wollten meine Kollegen uns ein Hochzeitsgeschenk machen, wie das eben so Brauch ist. Damals war es in Mode, dass man eines dieser scheußlichen geschliffenen Gläser schenkte. Das wollte ich um alles in der Welt vermeiden. Also fragte ich meine Kollegen, ob sie damit einverstanden wären, mir stattdessen lieber eine Grafik zu schenken. Nicht, dass ich für diesen Kunststil damals besonders viel übrig gehabt hätte. Es war mehr der pragmatische Gedanke, dass ich ein Kunstblatt viel leichter hinterm Schrank verschwinden lassen könnte, sollte es mir nicht gefallen (lacht). Aber meine Kollegen drehten den Spieß um und ließen mich selbst aussuchen. Ich entdeckte zwei Grafiken von Emilie Tomanová – sie war damals schon eine etablierte Künstlerin. Es waren Zeichnungen der Sternzeichen von meiner Frau Helenka und mir. Sie gefielen mir. Und es mag etwas albern klingen, aber alleine das Wissen, dass es ja noch zehn weitere Zeichnungen in dieser Serie von Sternzeichen geben musste, ließ mir keine Ruhe, und ich kaufte auch die anderen.
Haben Sie daraufhin weiter nur die großen Namen unter tschechischen Künstlern gesucht, oder was war Ihnen später beim Aufbau Ihrer Sammlung wichtig?
Ja, zuerst habe ich mich schon eher an den großen Namen orientiert. Ich kaufte erst einmal Zeichnungen und Drucke von etablierten Künstlern wie Zrzavý oder Tichý. Aber nach einiger Zeit fand ich die Idee, immer nur der Meinung von anderen zu folgen und Arbeiten von Künstlern zu kaufen, die viele schon vor mir entdeckt und dadurch bekannt gemacht hatten, nicht mehr besonders reizvoll. Ich begann, mich immer mehr für Künstler meiner eigenen Generation zu interessieren und entdeckte dabei die zeitgenössische Malerei. Als mein Roman Zdi tvé herauskam, entschloss ich mich, mein Honorar vollständig für zeitgenössische Kunst auszugeben. Nach einiger Zeit fragten mich meine Verleger, ob ich nicht ein Buch über diese junge Generation aufstrebender Künstler schreiben wollte. Ich sagte zu, und während des Schreibprozesses vertiefte ich mich noch mehr in die zeitgenössische tschechische Kunstszene. Und je mehr ich recherchierte und darüber schrieb, desto mehr wuchs auch meine Wertschätzung zeitgenössischer Kunst.
Als wir Sie vor Kurzem wegen eines Interviewtermins kontaktierten, warnten Sie uns gleich vor, dass es kaum noch Kunst an Ihren Wänden gäbe, denn Sie hätten eigentlich schon alles Interessante weggegeben.
Ja, das stimmt auch. Ich habe tatsächlich viele der wirklich wichtigen Werke meiner Sammlung in letzter Zeit weggegeben. Meine besten Jahre sind vorbei, darüber mache ich mir keine Illusionen. Und ich war immer der Ansicht, dass Sammeln die Angelegenheit nur einer Generation sein sollte. Was sollen meine Kinder denn mit all diesen Gemälden machen? Ich möchte nicht, dass sie sich in irgendeiner Form verpflichtet fühlen, nur weil sie ihrem alten Herrn einmal etwas bedeutet haben. Mir war es immer wichtig, meinen Kindern die Möglichkeit offen zu lassen, für sich selbst zu bestimmen, ob und welche Art von Kunst sie interessiert. Meine Tochter hat sich allerdings in ein paar der Gemälde meiner Sammlung verliebt. Die werde ich natürlich nie weggeben.
Wem vermachen Sie Ihre Sammlung?
Ich habe mich entschieden, meine Sammlung verschiedenen Kunsteinrichtungen zu stiften, so dass sie möglicherweise weiterleben kann, zumindest teilweise. Man sollte sich nie zu viel erhoffen und das Interesse von Kunstinstitutionen überschätzen. Museen und Galerien wählen sehr sorgfältig aus, was sie in ihre Bestände aufnehmen, denn natürlich sind auch ihr eigener Ausstellungsraum und ihre Lagermöglichkeiten begrenzt. Wenn man also nicht gerade eine erstklassige Kunstsammlung hat, die es wert ist, in eine permanente Ausstellung aufgenommen zu werden, die häufig gezeigt wird, ist es gut möglich, dass sie einfach in den Archiven einer Einrichtung verschwindet.
Stimmt es, dass Sie nicht nur Kunst, sondern auch Keramik sammeln?
Das ist richtig. In diesem Fall habe ich mich entschlossen, meine Sammlung kubistischer Keramik vollständig dem Kubismus Museum in Prag zu vermachen. So wird sie in Gänze fortbestehen. Ich habe auch eine Sammlung von Keramik aus der Gegend von Kostelec. Die wird bald an das Museum dorthin nach Kostelec gehen.
Fällt es nicht schwer, sich von einer Sammlung zu trennen, in die man all die Jahre so viel Herzblut gesteckt hat?
Überhaupt nicht! Ich habe die Sammlung 18 Jahre lang aufgebaut und eine Publikation darüber verfasst. Sie wurde auch ausgestellt. Damit kann ich das Kapitel für mich abschließen. Die Keramik-Sammlung ist zeitlich klar eingegrenzt, von 1942 bis 1948. Ich glaube, dass sie sich als Forschungsgegenstand, und das ist es ja, was mich eigentlich interessiert, erschöpft hat. Meine Frau und ich können den dazugewonnenen Platz außerdem gut gebrauchen. Wir beide haben viele Dinge zu archivieren: Sie hat viel Filmmaterial von ihren Dokumentationen, und ich habe meine Zeichnungen und Pläne und natürlich meine Bibliothek. Um ehrlich zu sein, freuen wir uns richtig, endlich wieder mehr Platz zu haben (lacht).
Sie halten also gar nicht so viel davon, Kunst zu besitzen, zumindest nicht für zu lange?
Kunst zu besitzen ist etwas ganz anderes als zum Beispiel ein teures Auto mit Prestige-Charakter. Die Werke, die du auswählst und welche nicht, bestimmen zu einem gewissen Grad, wer du bist. Jeder Sammler ist von dem Gedanken beseelt, Kunst zu besitzen, ganz klar. Etwas in Besitz nehmen ist ein ganz normaler Aspekt des Sammelns. Es fühlt sich anders an, ein Kunstwerk in einer Galerie zu betrachten oder es jeden Tag im eigenen Zuhause an einem selbst gewählten Ort zu erleben. Nicht jeder mag sich aber über einen längeren Zeitraum mit denselben Werken zu umgeben, ich jedenfalls nicht. Manche Werke verlieren über die Jahre hinweg für mich ihre Anziehungskraft, und ich verspüre den Drang, sie durch andere Werke zu ersetzen.
Gibt es eigentlich ein Konzept, nach dem Sie Kunst hängen?
Ich hänge Kunstwerke manchmal mit anderen Arbeiten derselben Epoche zusammen. Zum Beispiel habe ich verschiedene Landschaften gesammelt, die zwischen 1968 und 1989, also in der Zeit des kommunistischen Regimes, entstanden sind. Viele Künstler haben das damals vorherrschende kollektive Gefühl der Unterdrückung in ihr Werk einfließen lassen. Erst indem man die Gemälde aneinanderrückt merkt man, dass alle sehr ähnliche Metaphern verwenden, um die Stimmung der Zeit auszudrücken. So sind zum Beispiel alle Gemälde aus dem Blickwinkel eines gebückten Menschen gemalt. Sie lassen keinen Horizont erkennen und vermitteln keine echte Perspektive. Diese Art, zu malen, drückt tatsächlich ganz gut aus, was wir damals alle empfunden haben – dass es keinen Horizont gab, auf den sich das Auge richten konnte.
Wie haben Sie als intellektueller, kritisch denkender Mensch die Zeit des Kommunismus erlebt?
Es war eine Zeit, in der man permanent dem Risiko ausgesetzt war, aufzufallen. Mein soziales Umfeld und selbst Kollegen am Arbeitsplatz wussten sehr genau, dass ich nicht mit dem Regime einverstanden war. Ich ging damit recht offen um, aber ich habe niemals Anlass zu Ärger geboten, und so ließ man mich in Ruhe. Einmal allerdings haben wir als Jungspunde die russische Flagge zerrissen. Wir wurden unter Arrest gestellt und von der Polizei verhört, und man dachte sogar darüber nach, uns von der Schule zu werfen. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, wie wir uns da herausgeredet haben, aber wir kamen mit dem Schrecken davon. Es gab auch den Moment, als meine Frau und ich darüber nachdachten, das Land zu verlassen. Mir hätten dann natürlich so viel mehr Möglichkeiten offengestanden: Ich hätte in meinem Leben mehr reisen können, hätte vermutlich Zugang zu besserer Literatur gehabt, wüsste vielleicht mehr, auch was mein Fachwissen als Architekt betrifft, aber wir entschieden uns zu bleiben und uns trotz der Umstände hier ein Leben aufzubauen.
Das mag nun ein ziemlicher Zeitsprung sein: Uns ist aufgefallen, dass Sie für jemanden Ihrer Generation ziemlich aktiv in den sozialen Netzwerken unterwegs sind. Ihr Facebook-Profil hat fast fünftausend Fans.
Offen gestanden überrascht mich das selbst auch ein bisschen. Am Anfang hatte ich keine Ahnung, wie Facebook überhaupt funktioniert. Meine jüngeren Kollegen bei eAntik.cz ermunterten mich dazu, mich mit Facebook zu beschäftigen und darüber meinen Online-Shop zu bewerben. Ich begann also damit, in meinem Profil wöchentlich Neues über eAntik zu posten, aber schon nach einiger Zeit merkte ich, dass ich eigentlich viel lieber über andere Dinge schrieb. Was ich übrigens an Facebook sehr interessant finde, ist, dass es Maßstäbe für eine neue literarische Form setzt. Es gibt eine ganz eigentümliche Syntax und bestimmte ungeschriebene Regeln, denen die Leute folgen, wenn sie auf Facebook posten. Ich brauchte einige Zeit, bis ich selbst verstand, was man so auf Facebook schreibt und was nicht. Dieses Phänomen faszinierte mich so sehr, dass ich einfach nicht anders konnte und ein Buch darüber schreiben musste.
Sie sind sehr vielseitig talentiert. Wofür schlägt Ihr Herz vor allem?
Ich glaube gar nicht, dass ich es an einer bestimmten Aufgabe festmachen kann. Was ich eigentlich immer suche, ist dieser Zustand, den man allgemein als Flow bezeichnet – dieses Gefühl, vollständig in eine Tätigkeit versunken zu sein und alles um sich herum zu vergessen. Ich habe in sechs Jahren sechs Bücher geschrieben und diese Zeit sehr genossen. Ich habe auch viel Zeit investiert, dieses Haus hier auszubauen und neu zu gestalten. Inzwischen ist es übrigens auch das Zuhause meiner Kinder und deren Familien. Es war kein leichtes Projekt, das kann ich Ihnen sagen. Es gab viel Streit mit den Behörden, denn das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Aber es lag mir sehr am Herzen. Momentan suche ich dieses Flow-Gefühl beim Malen.
Sie versuchen sich also als Künstler?
Ich muss dazu sagen, dass es nicht mein erklärtes Ziel ist, Kunstgeschichte zu schreiben oder irgendwelche Kuratoren zu beeindrucken (lacht). Mich motiviert, herauszufinden, wie es sich anfühlt, Kunst zu schaffen, und sich während dieses Prozesses selbst zu beobachten. Anfangs wollte ich mich gleich an eine übergroße Leinwand heranwagen. Ich merkte aber schnell, dass man keine große Malfläche braucht, um sich seiner Selbstzweifel, seines Zögerns und der eigenen Unzulänglichkeiten bewusst zu werden. Schon ein kleines Stück Papier lehrt einen Demut. Ich verwende übrigens Pastell-Farben. Sie sind praktisch, leicht und schnell anzuwenden. Ich brauche nicht mehr als das.
Wie hat es sich für Sie angefühlt, einen Laden für Künstlerbedarf zu betreten und einfach zu sagen: Ich bin jetzt Künstler, was brauche ich dazu?
(lacht) Mir kam der Gedanke zum Jahresende und ich wollte ihn gleich in die Tat umsetzen. Ich rief also in einem Geschäft an, und natürlich war es geschlossen wegen der Inventur. Es nahm aber nach einer Weile doch jemand ab. Sie waren sehr nett und haben mir ein kleines Paket mit dem Notwendigsten zusammengestellt, das ich am nächsten Tag abholen konnte.
Wie geht es denn voran mit Ihrer eigenen Kunst?
Ich muss sagen, ich komme gerade nicht so recht voran. Aber ich werde erst einmal dranbleiben und muss dann sehen, wie es sich entwickelt. Mein eigentliches Ziel ist es ja, ein Buch über meine Erfahrung damit zu schreiben. Ich glaube, es könnte einen interessanten Beitrag zur Kunstliteratur leisten. Es wird viel über Künstler und Kunst im Allgemeinen publiziert, mir fiel aber auf, dass es kaum Literatur über den eigentlichen Schaffensprozess gibt. Kunsthistoriker und Kuratoren können normalerweise nicht aus eigener Erfahrung sprechen, und Künstler ahnen nicht, was uns Laien daran interessiert.
Hängen Sie Ihre eigenen Bilder auch auf?
Ja, aber dazu muss ich gleich sagen, dass ich sie nicht wirklich zur Schau stelle. Sie haben einen eigenen Platz. Hier zum Beispiel habe ich eine Vitrine zwischen eines meiner eigenen Gemälde und die anderen Künstlerarbeiten platziert, so dass es ganz klar ist, dass ich mich nicht auf dieselbe Ebene mit den echten Künstlern heben möchte.
Möchten Sie einem angehenden Kunstsammler einen Rat geben?
Warte nicht zu lange. Leg einfach los. Und vor allem bereue nicht das Geld, das du im Laufe der Zeit investieren wirst. Denn im Gegensatz zu einem Auto oder einem Paar Schuhe, das altert und an Wert verliert, ist ein Kunstwerk von bleibendem Wert. Auch wenn sich vielleicht herausstellt, dass es nicht an Wert gewinnt, so hängt es doch bei dir an der Wand und macht dich jedes Mal, wenn du es siehst, glücklich. So betrachtet, ist das Risiko, das man eingeht, eigentlich sehr gering.
Interview: Sebastiána Hájková, Florian Langhammer
Fotos: Maximilian Pramatarov
Um die Lesbarkeit zu verbessern wurden einige Wörter gegenüber ihrer regulären Schreibweise im Tschechischen angepasst.