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Miriam Strobach und Gregor Einetter, Wien

Collector Stories

»Kunst ist Ideengeberin und Aufforderung zur Diskussion.«

Im Dachgeschoss eines prächtigen Wiener Innenstadthauses, der ehemaligen Wohnung des Designers Helmut Lang, liegt das Studio von Miriam Strobach und Gregor Einetter. Die beiden Kreativen sind Gründer der Agentur „Le Foodink“, die Design mit Kulinarik verbindet, und umtriebige Beobachter sowie Förderer der Wiener Kunstszene. Wir haben mit ihnen bei einem Glas Kalê – einer eigenen Kreation – unter anderem über Genießen, über neue Impulse in Wiens Kreativ- und Kunstszene und über das Leben mit Kunst gesprochen.

Miriam und Gregor, ihr seid beide sehr aktiv in Wiens Kreativszene. Wie viele neue Wiener auch kommt ihr aber eigentlich vom Land. Könnt ihr diesen Weg beschreiben?

M: Ich erinnere mich daran, dass ich schon als Kind die Lust am Selber-Probieren verspürt habe. Als Kind habe ich tonnenweise Bilder gemalt. Später hat sich mein Interesse dann mehr in Richtung Design entwickelt. Und so habe ich im Joanneum in Graz Grafikdesign studiert. Ich konnte mich aber immer schon dafür begeistern, Dinge schöner zu gestalten.

G: Ich habe gemerkt, dass ich eigentlich immer kreativ arbeiten wollte, hatte auf dem Land aber keinen Zugang dazu. Zu Hause habe ich in diese Richtung wenig Impulse erhalten. Als ich zum Studieren nach Graz gegangen bin, habe ich bei einem Verein zur Förderung der Popkultur mitgearbeitet, wo vor allem Musikveranstaltungen organisiert wurden. Das war mein erster Schritt in den Kreativbereich. Dafür hat es die Stadt gebraucht!

Die Stadt hat euch also die Möglichkeit gegeben, euch kreativ zu entfalten.

G: Genau. Ganz abgesehen vom Kulturangebot, ist mir die Stadt als Ort wichtig, wo man sich leicht mit vielen Menschen austauschen kann und Ideen schnell heranwachsen. Das war für mich der eigentliche Grund, so rasch wie möglich vom Land in die Stadt zu kommen.

Großartige Städte gibt es ja viele auf der Welt. Hatte Wien für euch eine besondere Anziehungskraft?

G: Ursprünglich nicht unbedingt, aber inzwischen haben wir die Stadt lieben gelernt und finden es sehr spannend, was hier passiert.

M: Bevor wir nach Wien gekommen sind, haben wir beide in Paris gelebt. Durch Paris sind wir wohl in das Feld der Kulinarik gekommen. Aber Wien hat uns zur Kunst gebracht.

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Dann lasst uns doch kurz bei Paris und der Kulinarik bleiben. Wie kam es dazu?

M: Die kulinarische Szene in Paris war für uns beide eine echte Inspiration. Wir wussten immer schon, dass wir auch beruflich gut miteinander können und wollten schon länger ein gemeinsames Projekt umsetzen. Durch die gemeinsame Erfahrung in Paris wurde recht schnell klar, dass Essen für uns beide ein Thema ist, mit dem uns nicht so schnell langweilig werden würde.

G: Aufbauend darauf, ist in Wien dann ein Versand für regionale Bio-Fleisch-Raritäten namens „Porcella“ entstanden, den wir nach wie vor betreiben.

Ein anderes kulinarisches Thema, dem ihr euch widmet, ist das Schreiben und die Gestaltung von Kochbüchern. Inzwischen habt ihr an über dreißig Stück unter eurem Label „Le Foodink“ mitgearbeitet.

M: Ich wollte eigentlich schon immer Kochbücher machen. Das erste Buch, das ich umgesetzt habe, war noch digital. Inzwischen habe ich mich in den Printbereich vorgearbeitet. Ich mache das nach wie vor irrsinnig gerne, weil jedes Buch seine eigene Welt ist und man sich gestalterisch voll ausleben kann.

G: Neben den Büchern beteiligen wir uns manchmal mit unseren Services auch an anderen kulinarischen Vorhaben. Am Anfang waren solche Projekte noch wichtiger für uns, seither sind unsere eigenen Aktivitäten so angewachsen, dass wir das eher selten tun. Aber wenn uns jemand fragt und das Produkt und die Herangehensweise zu uns passen, machen wir mit.

Inzwischen lebt und arbeitet ihr auch schon seit zehn Jahren in Wien. Wie habt ihr in die hiesige Kreativ- und Kunstszene hineingefunden?

M: Unsere Freundschaften und Bekanntschaften haben sich hier so entwickelt, dass wir großenteils mit Menschen aus dem kreativen und künstlerischen Bereich zu tun haben. Dieser Austausch ist eine wichtige Inspiration für uns. Man regt sich ständig gegenseitig mit Ideen an.

G: Gute Ideen hatten immer schon etwas Faszinierendes an sich. Ich persönlich finde ja, dass die interessantesten Ideen von Künstlern kommen. Dadurch, dass wir selbst kreativ arbeiten, immer auf der Suche nach neuen Ideen sind und oft auch ganz einfach das bewundern, was andere Leute machen, sind der Netzwerkgedanke und die Stadt als Spielfläche etwas, das ich sehr spannend finde.

M: So hat uns das Beziehungsgeflecht mit all den Menschen, denen wir in unserem Umfeld täglich begegnen, der Kunst immer nähergebracht.

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Wien ist eine Genießerstadt und eine Kulturmetropole. Aber ist Wien auch ein spannender Ort für zeitgenössische Kunst?

G: An der Kunst kommt man in Wien inzwischen genauso wenig vorbei wie am Essen. (lacht)

M: Mir kommt es vor, als ob sich gerade in den letzten Jahren in der Wiener Kunstszene viel Erneuerung abzeichnet und als ob etwas am „Brodeln“ ist. Generell habe ich das Gefühl, dass die Stadt im Gegensatz zu noch vor ein paar Jahren offener, mutiger und vielleicht auch radikaler geworden ist. Im Kunstbereich merkt man solche Entwicklungen immer am frühesten.

G: Es sind einige sehr spannende Galerien für zeitgenössische Kunst neu dazugekommen – das fällt auf. Und es sind viele Off-Spaces entstanden. Anhand solcher Kristallisationspunkte wird deutlich, dass wirklich Dynamik in die Szene kommt. Die Begeisterung, mit der vielerorts in Wien gearbeitet wird, ist ansteckend, und dadurch scheint es mir, als ob junge Kunst jetzt auch ein breiteres Publikum anspricht.

Könnt ihr Galerien nennen, in denen man mit junger Kunst besonders in Berührung kommt?

G: Ganz toll finden wir in dieser Beziehung Gianni Manhattan, Zeller van Almsick, Sophie Tappeiner und Vin Vin.

Von euren eigenen Aktivitäten wohl am engsten mit der Kunst verbunden ist euer Kräuterlikör Kalê. Könnt ihr erzählen, wie man dazu kommt, seinen eigenen Likör zu erfinden?

G: Kalê ist eigentlich aus der Ungeduld entstanden, nicht nichts machen zu können. Da gab es den Drang, einfach wieder an etwas zu basteln. Ich persönlich mag diese Art von Drinks, also Kräuterbitter und Liköre, einfach recht gerne, und ich fand, dass man in dem Bereich mal etwas anderes versuchen sollte – etwas, das vor allem hierzulande nicht aus Alpenkräutern erzeugt wird.

M: Am Anfang war es eher eine Spielerei. Wir haben hier bei uns mit riesigen Ansatzgläsern herumhantiert. Irgendwann sind wir darauf gekommen, dass Kräuter auch mit bestimmten Wirkungen verbunden sind. Kräuterbitter wurden früher ja oft als Heilmittel eingesetzt. Wir haben daraufhin mit Apothekern und auch mit einem Koch zusammengearbeitet und über eineinhalb Jahre die Rezeptur verfeinert.

G: Es gibt bestimmte Getränke, die verbindet man ganz eng mit einer bestimmten Stadt oder einer bestimmten Zeit. Wir wollten so etwas für Wien schaffen.

Gerade wenn man ein Produkt ikonisch für eine Stadt machen will, spielt doch die Gestaltung eine große Rolle, oder?

M: Ja, das war bei uns auch eine lange Entwicklungsgeschichte. Wir haben mit einer jungen Künstlerin zusammengearbeitet, und Gregor hat sich eine Geschichte zu ihren Zeichnungen ausgedacht. Ich habe das Ganze dann in Form gebracht. Unsere Überlegungen fingen bei den Farben an, die wir verwendet haben. Dieses Resedagrün haben wir zum Beispiel den Wiener Dächern entlehnt, und es erinnert auch an das „Otto-Wagner-Grün“, für das Wien so bekannt ist.

Welches Gefühl sollen Geschmack und Gestaltung von Kalê gemeinsam vermitteln?

G: Das kommt schon mit dem Namen zum Ausdruck: Kalê ist eine der drei Grazien und steht für die Anmut, also Schönheit, mit der man nicht geboren wird, sondern die man sich im Laufe des Lebens aneignet. Ich finde das stimmig bei einem Drink, der als Genussmittel in angenehmen Momenten gedacht ist.

Wenn man sich bei euch umschaut, wirkt euer Atelier ebenfalls sehr stimmig. Man gewinnt den Eindruck, als ob ihr euch in ästhetischen Fragen sehr einig wärt.

M: Das liegt wohl auch daran, dass uns schon eine so lange gemeinsame Geschichte verbindet, wir gemeinsam Orte erlebt haben, über Sachen gesprochen und unseren Geschmack so zusammen gebildet haben. Ich glaube, dass wir beide es ganz wichtig finden, dass man sich mit den Gegenständen, mit denen man sich umgibt, wohlfühlt und dass einem diese Dinge auch etwas sagen und Ideen geben.

Reden wir nun auch mal über Kunst! Wie seid ihr an euer erstes Kunstwerk gelangt?

M: Gregor hat irgendwann einmal das erste Kunstwerk angeschleppt, auf den Tisch gestellt und gesagt: „Schau, ich hab’ was!“ Ich wusste nicht so genau, was das eigentlich war. Das Teil auf dem Tisch wirkte eher unausgepackt, nicht das klassische Wandbild. Ich konnte zunächst nicht so viel damit anfangen und habe nicht verstanden, was Gregor genau daran findet. Inzwischen liebe ich das Bild, und es hat einen sehr prominenten Platz bei uns gefunden.

G: Ich mag das Bild und schaue es gerne an, aber es hat auch eine persönliche Geschichte. Der Künstler Oliver Haidutschek ist ein alter Freund von mir und dadurch stellt die Arbeit für mich auch einen Bezug zu ihm her.

Ist es seitdem immer so, dass einer von euch die Entscheidung über ein neues Kunstwerk in die Hand nimmt?

G: Das ist immer total unterschiedlich! Da gibt es keinen strukturierten Prozess. Das reicht von über etwas stolpern, das einem ins Auge springt, bis hin zu der Arbeit von Freunden, die man schon lange bewundert und der man gerne nahe sein möchte. Und dann gibt es Kunst, die uns interessiert, weil das Thema mit Kalê zu tun hat, so wie zum Beispiel die Lebens- und Liebeselixiere von Marina Sula.

M: Oder auch diese drei gezeichneten Grazien hier, die natürlich auch etwas mit Kalê zu tun haben. Das Bild hat mich total in seinen Bann gezogen.

Was man an den Wänden bei euch sieht, wirkt sehr ausgewählt und bedacht. Nichts deutet darauf hin, dass ihr Kunst hortet, wie es ja manche Sammler tun.

G: Es ist schon so, dass wir finden, dass weiße Wände eben mit irgendetwas gefüllt werden müssen! (lacht)

M: Wir sind aber definitiv nicht die Sorte Sammler, die Kunst einfach nur anhäuft und nicht weiß, wohin sie eigentlich nachher gehängt werden soll. Jedes Kunstwerk bedeutet uns etwas und erhält seinen Platz.

Wie würdet ihr euer Zusammenleben mit Kunst beschreiben?

M: Es ist einfach schön, wenn die Kunstwerke immer um einen herum sind. Sie werden irgendwann so etwas wie Freunde.

G: Ja, im Idealfall würde ich mir wünschen, dass Kunst in allen Bereichen meines Lebens präsent ist. Sie ist Ideengeberin und Aufforderung zur Diskussion. Künstler setzen sich mit dem Menschsein an sich auseinander und haben gleichzeitig Mittel, ihre Ideen so zu transportieren, dass sie die Zeit überdauern. Diese Ausdrucksfähigkeit aus dem eigenen Können heraus bewundere ich sehr.

Auch wenn ihr euch in vielen Dingen einig seid, scheint euer Zugang zu Kunst doch sehr individuell zu sein.

M: Das stimmt. Gregor ist sicher eher inhalts- und personenbezogen. Mich spricht eher das Visuelle zuerst an. In dieser Hinsicht sind wir sehr gegensätzlich. Und wenn dann beides zusammenkommt, ist das eine gute Entscheidungsgrundlage.

Nochmals zurück zu Kalê. Es ist schon eine besondere Marke insofern, als dass sie eng mit der hiesigen Kunstszene verwoben ist und euch selbst dadurch noch intensiver mit der Szene verbindet.

G: Durch unser persönliches Interesse an Kunst haben wir für Kalê von Anfang an beschlossen, dass wir einen Teil unseres Umsatzes für künstlerische Aktivitäten nutzen, sowohl indem wir damit Kunst ankaufen als auch indem wir Veranstaltungen unterstützen. Manchmal stellen wir einfach nur Kalê als Getränk zu Verfügung, und manchmal gehen wir engere Kooperationen ein, wo Kalê Teil des Konzepts wird.

M: Beispielsweise haben wir gemeinsam mit Benjamin Kaufmann und Marino Formenti anlässlich eines Konzerts zusammengearbeitet, bei dem wir Kalê fast wie bei einer Teezeremonie ausgeschenkt haben und das Getränk zu einem Teil des Gesamterlebnisses wurde. Bei baden von Anna Paul konnten die Leute Kalê in Sake-ähnlicher Form genießen. Wir durften auch schon mehrmals mit Julian Turner zusammenarbeiten. Er hat eine Bar für uns gebaut und auch in unserem Lager eine Installation gemacht.

G: So ergibt sich dann auch für uns immer ein interessanter Austausch, der uns auf neue Ideen bringt.

Habt ihr einen ganz persönlichen Ratschlag an Leute, die sich für das Sammeln von Kunst interessieren oder auch ganz einfach mehr Kunst ins eigene Leben bringen wollen?

M: Jeder bringt einen anderen Hintergrund mit und daher auch einen anderen Blickwinkel. Wenn man diesen eigenen Blick auf die Dinge konsequent verfolgt, kommt man zum besten Ergebnis.

G: Ich finde, es ist wichtig, einfach mal dorthin zu gehen, wo Dinge passieren. Wenn man mal bei Wien bleibt, so gibt es vom Kunsthistorischen Museum bis zu den Off-Spaces eine so große Bandbreite an Möglichkeiten, sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Da kann sich jeder das heraussuchen, was ihn interessiert – vielerorts kostenlos! Allein indem man rausgeht in die Szene, holt man sich ja die Kunst und den Austausch mit der Kunst schon ins Leben. Ich muss eine Arbeit nicht unbedingt gleich kaufen, um sie bewundern zu können.

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Interview: Gabriel Roland
Fotos: Florian Langhammer

Links:

Le Foodink Kalê

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