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Nina Gscheider und Franz Ihm, Wien

Collector Stories

»Wir sind hier nicht in einem White Cube. Hier wohnt jemand!«

Es scheint, als hätten Nina Gscheider und Franz Ihm das perfekte Zusammenspiel aus Arbeit, Passion und Freizeit gefunden: Die beiden sammeln nicht nur mit Leidenschaft Kunst, sondern wollen auch die Kunstversicherung ins 21. Jahrhundert holen, indem sie mit ihrer Plattform Segurio Versicherungen für Kunstwerke und andere Lieblingsstücke online anbieten. Beim Gespräch in ihrer Wiener Wohnung geben die Beiden Einblick in ihr Leben zwischen Polizzen, internationalen Messen – und vor allem – Kunstwerken.

Wenn man in eure Wohnung kommt, merkt man sofort, dass hier Leute leben, die ihren Raum zum Wohnen und Arbeiten ganz bewusst gestalten.

NG: Ich glaube, unsere Gäste sind durchwegs positiv überrascht. (lacht) Natürlich spielt die Kunst da eine große Rolle, aber es geht mir auch stark um Stofflichkeit. Ich stehe total auf tolle Vorhänge, Kissen, Teppiche und solche Dinge. So versuche ich eine sehr farbenfrohe Atmosphäre zu schaffen. Ich glaube, das merkt man recht schnell, wenn man reinkommt. Wir wollen, dass unsere Wohnung ein Ort ist, an dem eine positive Stimmung herrscht. Wir fühlen uns sehr wohl hier.

FI: Wir haben gerne Gäste hier, laden aber auch mal gerne Geschäftspartner ein, oder machen Besprechungen in der Wohnung. Es soll eine schöne Kombination aus Leben und Arbeit sein. Wir wollen das nicht so strikt trennen.

Was soll denn der erste Eindruck sein, den ein Gast bekommt, wenn er bei euch hereinkommt?

NG: Dass man sich wohlfühlt, dass ein positives Gefühl geweckt wird, und dass man neugierig wird. Unsere Gäste sollen sich denken: Super, dass ich da bin! Jetzt schau ich mir erst mal alles an.

FI: Manchmal hat man ja ein bisschen Angst, wenn man wo reinkommt, dass man ja nichts runter schmeißt oder so. Das wollen wir bewusst vermeiden.

NG: Wir sind ja hier nicht in einem White Cube. Hier wohnt jemand!
Welche Aufgabe erfüllt für euch die Kunst in diesem Zusammenspiel von Leben und Arbeit? NG: Manchmal schauen wir, dass alles zusammenpasst, manchmal sorgt die Kunst aber auch für einen Überraschungseffekt.

FI: Bei uns soll die Kunst die Gedanken wieder nahe ans Leben bringen. Das ist ja das Schöne daran, wenn man Kunst am Arbeitsplatz hat: Sie erinnert einen immer wieder daran, dass es Wichtigeres gibt, als das, was uns jetzt gerade beschäftigt. Sie kombiniert Vergangenheit und Zukunft und lässt uns den Moment bewusster erleben.

03 Franz Ihm Nina Gscheider © Liebentritt Christoph 16  Dezember 2019
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Wie setzt ihr das in den einzelnen Räumen konkret um?

FI: Wenn wir eine Arbeit erwerben, haben wir erst einmal gar keine Ahnung, wo wir sie platzieren sollen. Das Werk soll im Vordergrund stehen. Manchmal kauft man etwas und das bringt dann den ganzen Raum durcheinander – das ist etwas Schönes.

NG: Eine Arbeit muss in erster Linie eine unglaubliche Ausstrahlung haben. Sie muss uns von Anfang an total überzeugt haben! Dabei ist mir auch ganz wichtig, wer die Künstlerin oder der Künstler ist, und nicht nur, wie die Arbeit aussieht. Über das Visuelle hinaus will ich wissen, wer da dahintersteht. Ich finde die Person dahinter zu kennen trägt unglaublich viel zur Wirkung einer Arbeit bei. Deswegen ist zeitgenössische Kunst ja auch so besonders spannend: Es ist möglich, die Künstlerinnen und Künstler persönlich kennenzulernen.

Gerade angehende Sammler wird sicher interessieren, wie ihr diese – manchmal engen – Kontakte zu Künstlern denn aufbaut.

NG: Wir sind wahnsinnig viel unterwegs. Wir sind auf fast jeder Kunstmesse, um Kunden und Freunde zu treffen. Wir sind spezialisiert auf Kunst und vermitteln da zwischen Kunden und Versicherungen. Da ist es entscheidend, mit Sammlern, Museumsleuten, Galeristen, Kunsthändlern und natürlich auch Künstlern in Kontakt zu bleiben. Als Sammler musst du auf alle Fälle raus gehen und dich unterhalten. Der eine stellt dir dann den anderen vor und so ergeben sich diese Netzwerke ganz natürlich.

FI: Ich finde nicht nur die Künstler selbst total spannend, sondern auch die Begeisterung der Galeristen, wenn sie über ihre Künstler sprechen. Die sehen von außen Dinge, die dir ein Künstler gar nicht erzählen würde. Eine Galerie die wir privat ganz besonders schätzen ist die Galerie Société in Berlin. Der Galerist Daniel Wichelhaus steckt uns immer richtig mit Begeisterung an, wenn er voller Leidenschaft von den Projekten und Arbeiten seiner Künstler erzählt. So verfolgen wir zum Beispiel schon lange die Künstlerin Bunny Rogers, die gerade mit einer fulminanten Show das Kunsthaus Bregenz bespielt.

Von dem Verhältnis Galerist und Künstler ausgehend, ist die Position des Sammlers ja nochmals eine ganz andere. Wie sehr fühlt ihr euch als Teil des Kunstbetriebs?

NG: Ich finde wir sind total Teil des Ganzen – auch wegen der Versicherung! Wenn ein Künstler irgendwas Superverrücktes realisieren will und die Arbeit wiegt jetzt auf einmal fünf Tonnen, muss aber trotzdem morgen in Miami sein, unterstützen wir natürlich, wie wir können.

FI: Durch die Versicherung haben wir vielleicht ein bisschen mehr Einblick hinter die Kulissen, als wenn wir nur Sammler wären.

NG: Und gleichzeitig hilft es uns bei der Versicherung, dass wir so nah an der Szene dran sind, weil wir als Sammler – im kleinen Stil – ein tatsächliches Interesse an der Kunst haben und gerne mit Künstlern unterwegs sind.

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Also würdet ihr sagen, dass ihr bessere Kunstversicherer seid, weil ihr auch sammelt, und bessere Sammler, weil ihr auch versichert?

FI: Versicherungen sind ein relativ altmodisches Thema, das niemand wirklich sexy findet. Aber dadurch, dass wir durch das Sammeln viel mit Kunst zu tun haben, verstehen wir die speziellen Problematiken. Bei einer Autoversicherung ist es klar, dass eine kleine Delle repariert wird und man das Auto dann einfach weiterverwendet. Warum sagt aber ein Künstler, dass das ganze Bild nichts mehr wert ist, nur weil eine kleine Ecke abgeknickt ist? Wir wollen solche Fälle nicht nur aus Sicht der Versicherung sehen, die möglichst wenig zahlen will, sondern versuchen mit den Erfahrungen eines Sammlers zu verstehen, wie man helfen kann und wie man es ermöglichen kann, dass die Leute wirklich mit ihrer Kunst leben.

Was sagen denn die Sammler in euch zu den Versicherern in euch? Was verleiht einem ja manchmal ganz banalen Gegenstand einen hohen emotionalen und auch materiellen Wert? Was hebt ihn in den Status eines Kunstwerks?

FI: Das Eine ist, dass das Kunstwerk, so wie es da hängt, nicht nur die Ausführung ist, sondern alles enthält, was den Künstler dazu gebracht hat, es so zu machen. Was ist die Vorgeschichte? Was ist seine Ausbildung? Wo hat sich sein Werk hin entwickelt? Dazu kommt dann die Materialität: Arbeitet der Künstler mit gefundenen Dingen oder vielleicht mit wertvollen Materialien? All das gemeinsam macht das Kunstwerk zu einem Einzelstück. Dann wird es klar, dass man viele Objekte nicht einfach so nachkaufen kann.

NG: Unsere Aufgabe ist es, das irgendwie auf „Real Talk“ herunter zu brechen, den Versicherer nachvollziehen können. Gleichzeitig soll jeder unser Produkt verstehen! Die Zeiten, in denen es 60 Seiten Versicherungsbedingungen gab, bei denen sich kein Mensch auskennt, sind wirklich vorbei. Die Branche ist irrsinnig old-school und es ist höchste Zeit für einen Neuanfang. Das wollen wir mit Segurio leisten – total schnell, digital, und ohne diese typischen Versicherungsideen wie Bindungsfristen zum Beispiel.

Kunst ist eines der komplexesten, vielschichtigsten und individuellsten Dinge, die es gibt. Ist so etwas nicht besonders schwer zu versichern?

FI: Ja, das stimmt vermutlich. Im Endeffekt läuft es aber trotzdem auf etwas hinaus, das wir gelernt haben: Es gibt zwei Seiten – den Kunden und die Versicherung. Und wie bei jedem anderen Vertrag auch muss ein gewisses Vertrauen da sein, damit es läuft. Jetzt ist es aber so, dass die Versicherungen die Einstellung haben, dass der Kunde im Schadensfall nur möglichst viel Geld bekommen will. Gleichzeitig denkt der Kunde, dass er immer nur einzahlt, und wenn mal was passiert, nichts bekommt. Im Vertrag sollte es eigentlich in erster Linie darum gehen, beiden Seiten diese Angst wegzunehmen.

NG: Unser Geheimnis ist, dass wir da relativ gut vermitteln können. Das Wichtigste dabei ist es, es jeder Seite möglichst einfach zu machen. Deswegen versuchen wir die Rahmenbedingungen ganz konkret festzulegen, indem wir sagen, das sind die zehn Dinge, wenn die passieren, ist es nicht versichert – alles andere ist versichert.

FI: Eigentlich ganz einfach, aber trotzdem müssen wir uns jeden Tag damit beschäftigen. (lacht)

NG: Etwas worauf ich in diesem Zusammenhang stolz bin: Wir haben ein Versicherungspaket für Kunstvereine, Artist-Run-Spaces und andere Non-Profit Veranstalter entwickelt. Das besteht aus ein bisschen Kunstversicherung, aber auch aus einer Veranstaltungshaftpflicht, damit man eine super Party machen kann, und einer Elektronikversicherung. Diese Lösung ist günstig und wir verdienen nicht viel daran, aber es ist wichtig, dass auch die Kleinen, die wenig Geld haben und normalerweise nicht an Versicherungen denken, abgedeckt sein können. Denn, wenn der Beamer gestohlen wird, kann das für einen Off-Space schnell zu einem unangenehmen Problem werden ...

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Kleine Kunstinitiativen sind ja sicher auch für euch als Sammler interessant.

FI: Junge Galerien und junge Künstler zu verfolgen ist eigentlich das Spannendste, was es gibt. Da kann man die ganze Entwicklung miterleben, in den Prozess hineinkommen und ist dort, wo neue Ideen entstehen.

NG: Ich glaube jedenfalls, dass es auf alle Fälle unserem Auge sehr guttut, in den unterschiedlichsten Kontexten viele unterschiedliche Dinge zu sehen. Dadurch wird einem aber auch ein bisschen die Illusion genommen, wenn man zum Beispiel auf der Art Basel in Hongkong das Gleiche sieht, was man vier Monate vorher schon in Miami gesehen hat. Das gibt einem dann einen sehr gesunden Blick auf den Kunstmarkt und wie verfahren der eigentlich teilweise ist. Uns persönlich zieht es als Reaktion ganz automatisch in die Künstlerstudios und in die jungen Galerien, wo es immer frische Sachen zu sehen gibt.

Ist diese Frische auch etwas, das ihr hier in Wien findet?

FI: Ich finde es großartig, wie sich die Wiener Szene in den letzten Jahren entwickelt hat. Damit meine ich Galerien wie Croy Nielsen, Gianni Manhattan, Sophie Tappeiner, Emanuel Layr oder Zeller Van Almsick. Da tut sich was! Da spürst du so richtig, wie die Galeristen neue Ideen haben und mit den Künstlern spannende Sachen umsetzen. Und sie suchen die Zusammenarbeit. Das ist ganz wichtig.

NG: Darüber hinaus gibt es Unterstützung für die Galerien sich international auf Messen zu positionieren. Das ist etwas ganz Tolles. In Deutschland funktioniert das zum Beispiel gar nicht. In Wien hat man einfach noch das Gefühl, dass man mitgestalten kann.

Wie ist das bei den Sammlern? Gibt es da auch Zusammenarbeit und Austausch? Oder behält man die eigenen Entdeckungen lieber für sich?

NG: Da gibt es sehr gute Netzwerke. Wir bekommen so viele WhatsApp-Nachrichten, wo befreundete Sammler und auch Kunden um Rat fragen. Soll ich das kaufen? Oder soll ich nicht? Es gibt auch von den Galerien gute Initiativen. Bei dem „Side Program“ abseits der Messen kann man oft die besten Leute kennenlernen, wenn Besuche bei Sammlern organisiert werden oder man gemeinsam zu Mittag isst.

FI: Man erzählt sich von Künstlern und ruft an, wenn eine neue Ausstellung kommt. Was ich schön finde, ist, dass die Kunstwelt so international ist. Die Künstler sind ja genauso international unterwegs!

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Wie ist das mit Instagram? Spielt das tatsächlich eine so große Rolle, wie es manchmal heißt?

FI: Es ist für uns noch immer total wichtig, dass man sich trifft, und dass wir Arbeiten real sehen. Interessanterweise haben wir vor kurzem aber unsere erste Arbeit über Instagram gekauft. Ehrlicherweise freuen wir uns aber schon, die Galeristen bald persönlich kennen zu lernen. Auch bei der Versicherung ist es wichtig, dass man die Zeit, die man durch die Digitalisierung in der Administration gewinnt, in persönliche Kontakte investiert.

NG: Gleichzeitig ist Instagram sehr praktisch, weil man sieht, wer gerade wo ist und man sich treffen kann.

Gibt es für euch einen Leitfaden in eurer Sammlung oder ein Thema, das ihr verfolgt?

NG: Post-Internet und Digitalisierung sind Themen, die uns interessieren. Ein Beispiel dafür wäre Timur Si-Qins Lightbox mit dieser komplett digitalen Landschaft. Außerdem finde ich Materialität interessant und auch Alltagsobjekte wie diese Arbeit aus Kaffeebechern und Winkekatzen-Armen von Nina Beier.

Habt ihr abschließend Tipps für werdende Sammler? Wie fängt man am besten an?

FI: Zu Ausstellungen gehen, in Galerien gehen und den Galeristen einfach fragen, was man wissen will. Viele Leute haben Angst, eine dumme Frage zu stellen. Man sieht etwas und kennt sich ohne Vorwissen erst mal gar nicht aus. Aber wenn man offen darauf zugeht, hat man die Chance zu lernen und zu verstehen.

NG: Ein guter Tipp sind auch Kunstvereine, die Jahresgaben und Editionen herausgeben. In Österreich ist das vielleicht nicht so üblich wie in Deutschland, etwa in München oder in Düsseldorf, aber auch die Editionen, die Museen oft anbieten, sind ein guter Einstieg ins Sammeln.

FI: Ansonsten bin ich ein großer Fan davon, nicht zu viel planen und einfach loszulegen. Man muss ein bisschen locker sein und Freiraum für Zufälle lassen. Wenn man alles durchplant, kann man sich nicht von einem schönen Zufall überraschen lassen.

NG: Um Super-GAUs zu vermeiden, sollte man sich aber vielleicht vorher ein Budget überlegen.

25 Franz Ihm Nina Gscheider © Liebentritt Christoph 16  Dezember 2019

Interview: Gabriel Roland
Fotos: Christoph Liebentritt

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