staring at the sky (munich), 2024
Jonny Niesche lässt sich in seiner Arbeit schon seit längerem von Mode, Kosmetik und Musik inspirieren. Anlässlich der Münchner Opernfestspiele 2024 geht Niesche eine Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper, dem Veranstalter der Festspiele. Im Nationaltheater, dem Spielort der Oper, werden einige seiner Werke fulminant in Szene gesetzt. Die Präsentation dehnt sich auch auf den öffentlichen Raum aus, wo die Säulen des klassizistischen Gebäudes mit einem seiner „Portale“ eingekleidet wurden.
Anlässlich dessen ist mit Jonny Niesche und in Kooperation mit der Wiener Editionsgalerie Collectors Agenda die Editionstaring at the sky (munich) entstanden. Sie greift auf drei der jüngsten und visuell stärksten Werke von Jonny Niesche zurück, die ausgewählt wurden, um die Münchner Opernfestspiele 2024 visuell zu begleiten. Der Titel der Edition leitet sich aus dem Leitmotiv der Bayerischen Staatsoper für die Opernsaison 2023/24 ab, das wiederum auf ein Zitat des portugiesischen Dichters und Schriftstellers Fernando Pessoa zurückgeht, der über die Dichotomie der menschlichen Seele sinnierte, als er schrieb: „Wir sind zwei Abgründe. Ein Brunnen, der in den Himmel schaut.“ Dementsprechend greift jedes einzelne Motiv der Edition ein Schlüsselwort aus dem Zitat auf: abyss (munich), well (munich) und sky (munich).
Für seine Herstellung experimentierte Jonny Niesche zum ersten Mal mit einer Drucktechnik auf Glas, die mit der Tradition der Hinterglasmalerei vergleichbar ist, wie sie seit dem Mittelalter für sakrale Gemälde oder für die Ikonenmalerei des Byzantinischen Reiches verwendet wurde. Eine der größten Herausforderungen der Hinterglasmalerei ist das Auftragen von Farbschichten, um einen bestimmten visuellen Effekt zu erzielen, was sie zu einer sehr anspruchsvollen Technik macht.
Bei der Produktion der Edition wurden Keramikpigmente im Siebdruckverfahren aufgetragen, wobei jede Farbe zuvor aus einer sehr begrenzten Palette verfügbarer Farben von Hand gemischt werden musste, um die visuelle Wirkung des jeweiligen Referenzwerks zu erreichen. Jede Pigmentfarbe reagiert bei verschiedenen Brenntemperaturen unterschiedlich, so dass zahlreiche Brennvorgänge erforderlich waren, um die optimale Ofentemperatur zu bestimmen. Ebenso reagieren die Farben während des Brennvorgangs auf unvorhersehbare Weise, wenn sie gemischt oder übereinander geschichtet werden. All dies erfordert nicht nur äußerst seltenes handwerkliches Können, sondern auch ein gewisses Maß an Offenheit was das Endergebnis betrifft.
Es war jedoch diese beinahe alchemistische Qualität des Prozesses, die Jonny Niesche dazu veranlasste, seinen sonst sehr präzisen und kontrollierten Produktionsprozess aufzugeben, um seine Arbeit in eine neue ästhetische Erfahrung zu verwandeln. Die Aspekte, die normalerweise den verführerischen Reiz von Jonny Niesches Arbeiten ausmachen, wie der Moiré-Effekt, der durch den bedruckten Voile-Stoff entsteht, oder die Selbstreflexion des Betrachters in den glänzenden Oberflächen, werden durch neue ästhetische Qualitäten ersetzt.
Dort, wo der Siebdruck Pigmente durchlässt, bleiben Farbpunkte auf der Glasoberfläche haften, als ob sie eine Gegenform zu dem von Niesche üblicherweise verwendeten gitterförmigen Gewebe bilden würden. Auf der Rückseite des Glases ist Silberfarbe aufgetragen, die wie bei vielen Arbeiten von Niesche das Bild des Betrachters reflektiert. Doch zum ersten Mal spiegelt sich der oder die Betrachter:in nicht in poliertem Stahl oder Acryl, sondern in einem echten Glasspiegel.
Die durchweg handgefertigte Natur jedes Stücks der Edition verleiht jedem einzelnen Werk eine einzigartige Qualität. Die minimalistische und geradlinige Anmutung des Motivs steht in dramatischem Kontrast zu der händischen Kunstfertigkeit und Imperfektion, die mit dem seltenen und komplexen Herstellungsprozess einher gehen.