Mit Freeze präsentiert Collectors Agenda zwei Positionen der Wiener Kunstszene am Franz-Josefs-Kai, Angelika Loderer und Andreas Duscha, deren künstlerische Praxis sich auf den ersten Blick nicht ähneln mag. Die Ausstellung unternimmt dennoch den Versuch, auf eine subtile Beziehung hinzuweisen, die anhand zweier konkreten Werkserien, die für Collectors Agenda entstanden sind, erkennbar wird.
Denn, die Sinne zu schärfen und den Blick auf das Alltägliche und Unbeachtete zu lenken und ihm neuen Wert oder gar poetische Qualität zuzuschreiben, scheint sowohl in der Praxis von Angelika Loderer als auch der von Andreas Duscha vertreten zu sein. Beide gezeigten Werkreihen frieren einen Moment ein, einen kurzen Augenblick, in dem sich einzigartige Formen bilden, deren Entstehungsprozess nicht reproduzierbar ist. Wohl eher zufällig nehmen beide Serien ihren Ursprung in der Beobachtung eines physikalischen Phänomens.
Möglicherweise ist es ja gerade diese ephemere Zerbrechlichkeit der Sujets – ein Schneeball, der im Begriff ist zu schmelzen oder die Satellitenbilder vom Auge verschiedener Wirbelstürme –, von der ein besonderer Reiz ausgeht. Eine betrachtende Person entdeckt Schönheit in einem Objekt oder Naturphänomen, die sonst unbemerkt bliebe.
Die Praxis von Angelika Loderer kann als medienreflektiv bezeichnet werden, da ihre Produktion den Herstellungsprozess der von ihr gewählten Materialien berücksichtigt. Mit einer Kunstgießerei in der Familie nutzt Loderer schon früh das Gussverfahren, um ihrem künstlerischen Anliegen Gestalt zu verleihen.
Ihre zerbrechlichen, zum Teil temporären Objekte bestehen aus gegossenem Metall und Neben- oder Hilfsprodukten aus dem Gussverfahren wie etwa Gießsand. Durch die Wahl kostbarer und schwerer Materialien wie Messing schreibt sie profanen Objekten und Formen, wie Maulwurfsgängen oder Spechthöhlen, neuen Wert zu. In ihren Darstellungen reflektiert sie auf subtile Weise die Spannung zwischen der Dauerhaftigkeit des einen und der Zerbrechlichkeit oder Vergänglichkeit des anderen Materials.
Andreas Duschas Arbeitsweise ist von ästhetischer Subtilität und einer poetisch abstrakten Bildsprache geprägt. Seine Arbeiten bauen auf dem Potential, der Möglichkeit und der Phantasie auf.
Duscha interessiert sich für Ereignisse und Begebenheiten von mehr oder weniger großer Bedeutung, um daraus Erzählungen zu entwickeln, aus denen die betrachtende Person neue Bedeutungsebenen ableiten kann. Er versucht nie, zu beweisen, zu bewerten oder zu bezeugen. Darüber hinaus entziffert, modifiziert, kodiert und inszeniert er nach seinen eigenen Vorgaben und injiziert Subjektivität und Singularität in das scheinbar Bekannte, Offensichtliche und Banale.
Für die Werkreihe Snowball (Edition) hat Angelika Loderer Schnee gesammelt, um Schneebälle zu formen und diese in Messing gegossen, um ihre einzigartige Form zu erhalten. Dabei schmilzt das ephemere Material, verändert seinen Aggregat-zustand und wird so zur "verlorenen Form". Der Moment des bevorstehenden Verschwindens des Schneeballs wird in einen dauerhaften festen Zustand verwandelt, wobei sich der ursprüngliche Schneeball in subtiler Weise aus seiner heiß gegossenen Form zurückzieht. Da sich dieser Prozess nicht ein zweites Mal wiederholen lässt, entsteht eine Serie von insgesamt zehn Material-isierungen von Schneebällen, jeder mit einem eigenen Charakter, im Moment ihres Verschwin-dens. Snowball (Edition) wurde im Grazer Kunst-verein im Rahmen der Winterausstellung 2018/19 Poems to Gadets, kuratiert von Kate Strain, ausgestellt.
Für seine aus 15 Einzelstücken bestehende Serie Kerndruck verwendet Andreas Duscha Fotografien des Auges von Hurrikanen der letzten dreißig Jahre. Die Fotografien wurden in der fotografischen Technik der Cyanotypie, auch Eisenblaudruck genannt, auf eine zuvor mit einer chemischen Lösung photosensibilisierteLeinwand belichtet. Das Auge eines Sturms ist der Bereich eines tropischen Wirbelsturms, der fast windstill ist und somit einen Moment des Innehaltens in den wirbelnden Massen darstellt. Jeder Hurrikan hat ein sehr charakteristisches Aussehen, das ihn, ähnlich wie ein Fingerab-druck, einzigartig macht. Dieser einzigartige Charakter spiegelt sich auch darin wider, dass Stürme durch Namen personifiziert wurden. Seit 1953 führte der amerikanische Wetterdienst eine einheitliche Liste von 21 weiblichen Namen für tobende Stürme im Pazifik- und Atlantikraum ein, die darauf hindeuten, dass Frauen dazu neigen, unbeherrscht und furienhaft zu sein. Erst 1979 wurde diese idiosynkratische und sexistische Nomenklatur überwunden und auch männliche Namen hinzugefügt.
Angelika Loderer studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Klasse von Erwin Wurm, mit Aufenthalten am Wimbledon College
of Art in London und am Hendrix College in den USA. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenpräsentationen in Österreich, Deutschland, Italien, Spanien und Australien gezeigt, u.a. im Grazer Kunstverein, in der Secession (Wien), im Belvedere 21 (Wien), im Museum der Moderne Salzburg, im Dortmunder Kunstverein, und sind in wichtigen institutionellen Sammlungen wie dem Lentos Kunstmuseum in Linz, im Kunsthaus Bregenz, im Belvedere 21 (Wien) und im Museum der Moderne Salzburg vertreten. Sie wurde 2016 mit dem renommierten Dagmar-Chobot-Skulpturenpreis und 2019 mit dem Kardinal-König-Kunstpreis ausgezeichnet. Die Künstlerin wird von der Galerie Sophie Tappeiner (Wien) und Clemens Gunzer (Kitzbühel/Zürich) vertreten. Angelika Loderer lebt und arbeitet in Wien.
Andreas Duscha (*1976 in Heidenheim an der Brenz, Deutschland) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien. Seine Arbeiten wurden europaweit und darüber hinaus, unter anderem im Belevedere 21 (Vienna), Kunsthaus Zürich und dem ISCP in New York ausgestellt. Duscha wurde mit dem Birgit-JürgenssenPreis und dem Hans Helmut Baur Preis, sowie mit dem BC21 Kunstpreis ausgezeichnet. Der Künstler wird von der Galerie Christine König (Wien) vertreten. Andreas Duscha lebt und arbeitet in Wien.
Kuratiert von Florian Langhammer
Text: Florian Langhammer
Fotos: Florian Langhammer, Maximilian Pramatarov (Portrait Andreas Duscha)