Die Gemälde von Dejan Dukic nehmen eine abstrakte, wechselnde und unerkennbare Form an. Die Oberfläche des Gemäldes ist zunächst mit der Härtung einer Faser, einer Muschel, einer Flechte, eines Gitters, einer Stadtlandschaft oder einer organischen Form, die in sich eine Komposition bilden zu verwechseln. Diese Pluralität und Reichweite ergibt sich aus Dukics ständigem Experimentieren mit Material, welche auf lange Untersuchungen taktiler Visualisierungen folgt. Die Formen sind Ausdruck der Hingabe an das Material; der Fähigkeit die künstlerische Kontrolle zugunsten der Zusammenarbeit mit den Werkzeugen des Künstlers abzuschütteln - in diesem Fall das ablegen von Staffelei, Pinsel und Palette zugunsten der symbolischen und historisch belasteten Basismaterialien der Malerei (d.h. Farbe und Leinwand).
Dukic arbeitet auf unerwartete Weise mit der Malerei - anstatt ein virtuelles Bild zu erzeugen, kehrt er um und zielt darauf ab, die Taktilität in die Produktion zurückzuholen. Die Theorie der Malerei betrachtet die Leinwand seit langem als eine Schwelle und das Bild als eine Virtualität. 1 Ein Bild zielt in der Regel darauf ab, ein Fenster zum "anderswo" zu schaffen. Dukics’ Gemälde hingegen gründen auf der Materialität des Bildes selbst, sie untersuchen die Art der Reaktion zwischen Farbe und Leinwand, die immer bewusst verschleiert wurde. Die Hand des Künstlers wird buchstäblich eingesetzt, durch langen Kontakt und gestische Spuren auf der Oberfläche der Leinwand. Anni Albers' Fokus auf den historischen Aspekt des Textils war eine philosophische Ablehnung der visuellen Überlegenheit gegenüber taktilen Wissen, wie sie es in "Tactile Sensibility" beschrieb:
"Aber wir sind in unserer Wahrnehmung durch Berührung, den Tastsinn, immer unempfindlicher geworden. Kein Wunder, dass ein Bereich degeneriert, der in unseren täglichen Treiben so weitgehend unbenutzt ist. Unsere Materialien kommen bereits gemahlen und zerkleinert und pulverisiert und gemischt und geschnitten zu uns, so dass uns nur das Finale in der langen Abfolge der Vorgänge von der Materie zum Produkt bleibt: Wir toasten nur das Brot." 2
Um den Malprozess zu initiieren, beginnt Dukic mit der händischen Herstellung von Farbe. Durch die Zerkleinerung von Pigmenten und das Mischen mit der richtigen Menge Öl, werden die gewünschte Dichte und Farben erzielt. Die Auswahl der Leinwand erfolgt mit der gleichen Sorgfalt, in Bezug auf die Dicke der Fäden, die Qualität des Materials, die Haltbarkeit und die Porosität. Die klassische Kombination von Farbe und Leinwand steht vor dem Eintritt in eine neue materielle Beziehung, einer Umkehrung des Kontakts und einer Zerstörung der virtuellen Schwelle. Die Farbe wird nicht auf die Vorderseite oder "sichtbare" Seite der Leinwand aufgetragen, sondern von hinten bearbeitet, mit Druck und Kraft durch die Fasern des Bildkörpers gepresst.
Da die Leinwand in der traditionellen Malerei nur eine Stütze für das Bild ist, widmet er der Rückseite besondere Aufmerksamkeit. Diese unsichtbaren Elemente, die sich nur als notwendigen Strukturkomponenten reduzieren lassen, beschreibt Derrida in seinem berühmten 1979 Aufsatz als “Parerga“.3 Dukics’ Fokus auf die Rückseite der Leinwand erinnert an Rodolphe Gaschés’ Enthüllung der Reflexivität in Derridas’ Werk The Tain of the Mirror 4 - das „Tain“ ist eine körnige Rückseite des Spiegels, ungeschliffen und nicht reflektierend, während die Vorderseite des Spiegels eine virtuelle und unrealistische Welt darstellt.
Von einem kunsthistorischen Standpunkt aus lehnt sich Dejan Dukics’ Prozess an Lucio Fontanas Aufschlitzen der Oberfläche aus der Serie Concetto Spaziale und dem damit einhergehenden Zugang zum metaphorischen „Tain“ der Leinwand. Die Oberfläche von Dukic wird aber nicht mit einem Messer gewaltsam zerschlitzt, sondern von dem Öl selbst durchdrungen, es drückt, sticht und sickert in die metaphysisch getrennte Vorderseite der Leinwand. Dabei geht es nicht nur um die entmaterialisierte Beziehung zwischen Malern und ihren Materialien, sondern auch um das Zusammenleben mit der Farbe als sensibles Wesen. Denn Dukic sieht nie die Vorder- oder "sichtbare" Seite der Leinwand während seiner Arbeit; stattdessen massiert er die Farbe durch die Rückseite, und lässt die Farbe selbst in zufälliger Formation und ihrer eigenen gestischen Form auftauchen.
Jahrzehnte vor Fontana, hatte Marcel Duchamp bereits die "Ästhetik des Zufalls" 5 formuliert. Für die Dadaisten, war der Zufall eine “Methode” mit der sie die Kontrolle des Autor in Kunst abschaffen konnten, ganz im Geiste des Experimentierens. Im heutigen Lexikon steht das Experimentieren mit dem Zufall im Zusammenhang mit Konzepten nicht menschlicher Handlungen. In dieser Hinsicht können wir sagen, dass sich Dukics’ Experimente mit dem Zufall auf den Verzicht auf autoritäre und künstlerische Kontrolle zugunsten der freien Meinungsäußerung von Materialität beziehen.
Was auf der Vorderseite der Leinwand erscheint, ist das Ergebnis der Farbe die wie durch ein Sieb (d.h. das Leinwandmaterial) geleitet wird. Die resultierenden Filamente kräuseln oder baumeln sich wie Fäden oder nasses Haar, manchmal sogar auch wie ein Konglomerat aus Würfeln. Sobald die Farbe trocknet und aushärtet nimmt sie in einer robusten und langlebigen Form Gestalt an, welche sich der visuellen Qualität dessen widersetzt, was sonst wie eine Spur von zerbrechlichen Strähnchen erscheint. In seiner endgültigen Form behält das Material seine Liquidität, sein nasses, kondensiertes Gewicht, von Menschenhand "unberührt" sobald es die sichtbare Schwelle überschreitet; das Ergebnis ist ein nichtmenschliches Ereignis. Und eines, das sein nasses, kondensiertes Gewicht beibehält.
Das Gewicht der Leinwand soll erwartungsgemäß leicht sein kann, da virtuelle figurative Gemälde wenig Farbe verwenden, um eine Fläche zu bedecken. Aber dicke Impasto-Gemälde und Dukics reiche Farbkörper lassen die Leinwand mehr als eine visuelle und konzeptionelle Prämisse erlangen. Die Rückkehr zu haptischem Wissen ist vor allem in der Malerei, in der Bilder zunehmend entmaterialisiert werden, von Bedeutung. Die Wichtigkeit des Kontakts, des Experimentierens, und der Ästhetik des Spiels in der künstlerischen Arbeit beschreibt Amy Sillman in ihrem Aufsatz "On Color":
"Vor kurzem haben ein Kunsthistoriker ich und uns gegenseitig überrascht. Ich sagte ihm, dass selbst mit verbundenen Augen wissen würde, ob ich eine Tube Cadmiumrot oder eine Tube Kobaltviolett in der Hand halten würde und zwar aufgrund ihres unterschiedlichen Gewichts. Das wusste er nicht. Er hatte noch nie Pigment in den Händen gehalten und wusste nicht, dass Cadmiumrot schwer und Kobaltviolett leicht ist." 6
Das Gewicht der Leinwand ist typischerweise nur den Malern bekannt, da die Kuratoren zunehmend Kunstwerke digital betrachten und auch in dem Prozess der Installation von Kunst selbst weniger anwesend sind. Der Widerspruch unserer Zeit besteht darin, dass wir in einer Welt leben, in der die Verbindung zur materiellen Realität, zur Natur und zu Produktionsprozessen theoretisch wichtig für die ökologische Ethik ist, während wir zunehmend durch virtuelle und entmaterialisierte Bereiche wahrnehmen und arbeiten.
In den Gemälden von Dejan Dukic können wir leicht über Symbolismus, Gestik und Bewegung sprechen, aber immer in Bezug auf Materie und nicht auf menschliche Kontrolle. Dukic schafft einen Rahmen, der die Farbe auf eine bestimmte Weise leitet und sie gleichzeitig fließen, rebellieren und atmen lässt. Am Ende des Tages markieren diese Gemälde eine Philosophie des Zusammenlebens mit der Welt, welche Vorstellungen von der Bedeutung des Loslassens und des Spiels mit der Ästhetik beinhaltet. Eine Ethik, in Bezug auf post-anthropozäne Weltsicht der Zivilisation bezieht, die sich von den Vorstellungen von Eigentum und absoluter Kontrolle entfernt. All dies drückt sich in einer minimalen und einfachen Geste aus - einer subtilen Umkehrung der Prinzipien der Malerei in der Kunstgeschichte.
Text: Àngels Miralda
Fotos: Simon Veres
1 Anne Friedberg, The Virtual Window, The MIT Press, Cambridge MA, 2006. “The frame becomes the threshold... But the frame also separates the materiality of spectatorial space from the virtual immateriality of spaces seen within its boundaries.”
2 Anni Albers, On Weaving, Studio Vista Publishers, London, 1965
3 In his essay, he claims that parerga are the components that are inextricably part of the art object without being art itself - neither inside nor outside. . Jacques Derrida, “The Parergon,” October, Vol. 9 (Summer, 1979)
4 Rodolphe Gasché, The Tain of the Mirror: Derrida and the Philosophy of Reflection, Harvard University Press, Cambridge MA, 1986
5 Herbert Molderings, Duchamp and the Aesthetics of Chance: Art as Experiment, Columbia University Press, New York, 2010
6 Amy Sillman, „On Colour“, https://www.amysillman.com/pages/writing_1. php
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