Esther Stocker I Clemens Wolf
22 Januar – 15 März 2025
Franz-Josefs-Kai 3/16, 3. Stock
1010 Wien
Öffnungszeiten
Mi – Fr 12 – 18 Uhr
Sa 12 – 16 Uhr
An Feiertagen geschlossen
Die Ausstellung setzt Arbeiten von Esther Stocker (*1974, Schlanders, Südtirol) mit Werken von Clemens Wolf (*1981, Wien) erstmals in Dialog zueinander.
Esther Stockers künstlerische Praxis gründet auf den Prinzipien geometrischer Ordnung und entfaltet dynamische Räume, die zugleich Orientierungsmöglichkeiten und das Potenzial des Sich-Verlierens in sich tragen. Das Raster, das als zentrales Strukturprinzip in ihrem Werk fungiert, eröffnet durch gezielte Abweichungen von der Norm die Möglichkeit, komplexe visuelle Systeme hervorzubringen. Stockers minimalistische Arbeiten bewegen sich zwischen Malerei, Installation und Skulptur, wobei die Künstlerin sich auf wenige Parameter – die Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen des Raumes –, und eine schlichte Farbpalette von schwarz, weiß und grau – beschränkt.
Clemens Wolf begann seine künstlerische Laufbahn im urbanen Raum als Sprayer und entwickelte daraus eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Verfalls. Seine Arbeiten bewegen sich ebenfalls zwischen Gemälde, Objekt und Installation, wobei sie den schmalen Grat zwischen unberührten Momenten und gezieltem Wahrnehmungsbetrug ausloten. Inspiriert von Zäunen, Stadtplänen und Ruinen erkundet Wolf die Verbindungen zwischen Subkultur und künstlerischem Anspruch. Dabei hinterfragt er etablierte Kunstregeln, indem er Materialien wie Stahl und Papier in ihrer Funktionalität vertauscht und so der betrachtenden Person eine immersive Erfahrung von Verfall und Bestand ermöglicht – eine Einladung, sich sowohl physisch als auch gedanklich auf diese Spannung einzulassen.
Die Werke von Esther Stocker und Clemens Wolf treten hier in einen Dialog, der die Spannung zwischen geometrischer Ordnung und ästhetisch erfahrbarem Zerfall erfahrbar macht. Während Stocker durch minimale Eingriffe das Raster als fragiles System reflektiert, erkundet Wolf mit Materialumkehrungen und Täuschungen die Grenzen von Kontrolle und Auflösung. Gemeinsam regen ihre Arbeiten dazu an, Mechanismen von Struktur und Transformation des Raumes neu zu betrachten.
Im Zentrum des Raumes fordert eine Knitterskulptur (2023) von Esther Stocker die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen. Kleinere Variationen nehmen die oberen Ecken des Raumes in Beschlag und lenken den Blick an für einen Ausstellungsraum ungewohnte Stellen. Stockers Knitterskulpturen basieren auf regulären Rasterstrukturen, die durch das bewusste Zerknittern „dekonstruiert“ werden. Der Eingriff verwandelt die scheinbare Ordnung in ein Geflecht komplexer Verzerrungen und eröffnet ein spannungsreiches Spiel zwischen Struktur und gewolltem Chaos.
An den Wänden befinden sich eine Reihe von unbetitelten Gemälden, in denen orthogonale Raster auf eine streng reduzierte Farbpalette aus Schwarz und Weiß treffen. Mit subtilen Störungen innerhalb dieser Systeme regt die Künstlerin eine kritische Reflexion über deren vermeintliche Starrheit an und fordert die Wahrnehmung der Betrachter:innen heraus. Die unregelmäßigen Gitterstrukturen wirken wie eine paradoxe „Tarnung“, die nicht verbirgt, sondern offenlegt und so das Spannungsfeld zwischen Ordnung und Abweichung thematisiert.
Daneben präsentiert Clemens Wolf seine neue Serie Expanded Metal Paintings (2025), für die rote Ölfarbe mit Streckmetall auf blaues Papier übertragen wird. Die Werke, deren Rahmung in Blau- oder Rottönen variieren, vereinen gestische Abstraktion mit gegenständlicher Formensprache.
Wolfs Verfahren ist zwar reproduktiv, zielt jedoch stets auf die Schaffung von Unikaten ab: Jedes Werk trägt durch die Spuren des Streckmetalls eine vibrierende Haptik, die den Moment der Entstehung greifbar macht. Diese Reflexion über Vergänglichkeit und die Dokumentation architektonischer Relikte durchzieht Wolfs gesamte künstlerische Praxis und verleiht der Serie eine konzeptuelle Tiefe. Ein aus zwei Metallplatten konzipiertes Diptychon, Expanded Metal Pigment Painting (2019), ergänzt die Serie im Raum. Hier wird die Rautenstruktur von Streckmetall als eines der wesentlichen Arbeitsmaterialien von Clemens Wolf klar erkennbar.
In der Mitte des Raumes, im Dialog mit Esther Stockers abgehängter Knitterskulptur, befindet sich eine Skulptur aus der Serie Parachute Sculptures – ein mit eingefärbtem Epoxidharz behandelter ausrangierter Fallschirm. Die Skulptur vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck von Nässe, Weichheit und Schwere, überrascht jedoch durch ihre tatsächliche Trockenheit, Leichtigkeit und Härte. Den Wahrnehmungsbetrug der Skulptur lässt sich erst durch Berührung aufdecken, ein Zugang, den der Künstler bewusst zulässt und in seine künstlerische Strategie einbindet.
Ergänzt wird die Präsentation durch Expanded Metal Pigment Corner Painting (2019). Es handelt sich hierbei um eine Anamorphose eines Kreises – ein geometrischer Körper, der scheinbar in den Raum drängt. Nur aus einem bestimmten Blickwinkel erscheint der Kreis in seiner vollständigen Form; aus anderen Perspektiven zeigen sich lediglich zwei elliptische Halbkreise, die aufeinander treffen. Das Werk fordert Betrachter:innen heraus, die eigene Position im Raum aktiv mitzudenken und ihre Wahrnehmung immer wieder zu justieren, während sich zweidimensionale Fläche und räumliche Illusion abwechseln.
Die Gegenüberstellung der beiden Künstler:innen eröffnet einen vielschichtigen Diskurs über die Bedingungen und Transformationen von Ordnungssystemen. Während Stocker die Stabilität des Rasters dekonstruiert, indem sie die Rhetorik der Geometrie durch minimale Eingriffe bricht, versetzt Wolf Materialität und Wahrnehmung in einen paradoxen Schwebezustand. Beide Werke thematisieren auf unterschiedliche Weise das Spannungsverhältnis zwischen Struktur und Disruption, Permanenz und Vergänglichkeit. Im Dialog verdichtet sich die kritische Reflexion über die Mechanismen von Kontrolle und deren latente Fragilität – ein Nachdenken über die Dynamiken, die Ordnungen zugleich ermöglichen und unterwandern.
Text: Livia Klein
Fotos: Florian Langhammer