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Paul Hutchinson »Word Pieces«

Ausstellungen

Paul Hutchinson
»Word Pieces«
9 März – 2 April, 2022

Paul Hutchinson (*1987, Berlin) betrachtet in seiner fotografischen Arbeit und in seinen Texten gesellschaftliche Phänomene des urbanen Lebens wie zeitgenössische Stadtkultur und die Umstände sozialer Mobilität. Schwankend zwischen Momenten der Intimität, einem rauen, urbanen Lebensgefühl und politischer Aussage, sind seine Werke stets der Versuch, ein akkurates und dabei individuelles Abbild unserer Zeit zu kreieren.

10 Word Pieces Paul Hutchinson

Neben seinem fotografischen Werk präsentiert Paul Hutchinson seit 2021 auch Textarbeiten im Kontext seiner Ausstellungsbeteiligungen. Seine sogenannten Word Pieces entstanden aus dem Verlangen Hutchinsons, sein Schreiben aktiv in die visuelle Praxis zu integrieren. Die daraus entstandenen Siebdrucke hinterfragen die gesellschaftlichen Zuschreibungen an Zeichen, die Stereotypisierungen von Form, und bilden inhaltlich sowie formell die Verschränkung von Text und Bild ab mit der sich Hutchinson seit 2017 auch in seinen Publikationen beschäftigt.

05 Word Pieces Paul Hutchinson

Ich fang an zu Laufen. Werd immer schneller. Lauf zur Straße, schau mich um, lauf weiter und merk, wie ich die Anderen schon abgehangen hab. Weiß nicht, was das in mir ist, aber irgendwas treibt meine Füße, lässt mich über die Steine springen. Regen inzwischen überall. Meine Schuhe nass. Aber ich renn weiter, die ganze Straße runter. Vorbei an den Läden, den Menschen, den Gesichtern, die ich alle kenn. Vorbei an den Tickern, den Schreiern, den Leuten, auf die ich scheiß. Dreh mich um und seh die Anderen weiter hinten, seh die reden, aber ist mir egal und renn weiter. Kein Bock mehr. Verlass die Landkarte zu mir selbst und verlier mich. Der Regen hält an und ich spür dicke Tropfen auf meiner Stirn und meinen Brauen, meine Haare komplett nass. Mein ganzer Oberkörper spannt, ich mach Fäuste. Die Straße führt nach oben, es wird immer anstrengender, bergauf. Hör die Rufe von denen da unten schon fast nicht mehr, seh die kaum, renn weiter. Von den Häusern tropft es runter, Pfützen überall. Die Gesichter von den Leuten links und rechts verschwimmen immer mehr und sehen aus wie Fratzen mit dunklen Mündern, die irgendwas reden, irgendwas reden. Ich schau nicht hin und lauf weiter nach oben, meine Beine brennen und ich rutsch aus auf dem nassen Asphalt. Fang mich grade so auf, Hände aufgeschürft. Überall die grauen Steine. Bitter. Ich spuck und steh auf. Der Regen wird immer stärker. Denk ich bin nicht mehr weit weg von oben, als ich plötzlich merke wie eine riesige Ladung Wasser auf mich zukommt. Eine Welle, gigantisch, die sich aus dem ganzen Regen geformt hat und jetzt bergabwärts strömt. Die wird immer schneller und größer je näher sie mir kommt. Denk, ich krieg das hin. Ich spring einfach drüber. Auf dem Weg runter nimmt die Welle alles mit, was ihr im Weg steht. Die Läden, die Stühle, die Hocker, die draußen stehen. Die Leute. Alles schwemmt sie weg und kommt auf mich zu. Ich spring hoch und beug mich nach vorne, tauch unter, mach mich dünn und falt meine Hände vor meinem Kopf zusammen um die Strömung abzufedern. Aber ich kann nichts machen. Das Wasser reißt mich mit und ich versuch nur nicht unterzugehen. Schwimme so gut es geht um Luft zu kriegen und lande irgendwann ausgespuckt wieder unten auf dem Boden. Straße in meinem Gesicht. Das meiste Wasser fließt langsam ab, nur der grobe, dicke Regen bleibt. Ich hör ihn, bevor ich ihn fühle. Tropfen überall auf meiner Haut.

Paul Hutchinson, „Die alte Sonne und der neue Regen“ (Ausschnitt), publiziert in wach mal auf junge wach mal auf [Ausst. Kat.], Sies + Höke, 2021

Für die Ausstellung bei Collectors Agenda hat Hutchinson, neben anderen gezeigten Werken, eine eigene Edition entwickelt. Sie basiert auf dem Satz two mindsthinking two thoughts three words making you soft, der einem längerem Text Hutchinsons entstammt. Jedes Blatt der zehnteiligen Edition bildet jedoch nur einen Teil dieses Verses ab. Durch das gezielte Weglassen bestimmter Wörter, ergeben sich so auf jedem Blatt neue Wortkombinationen und neue inhaltliche Zusammenhänge. Jedes Blatt bildet ein eigenes Gedicht.

Word Pieces ist Teil des Festivalprogramms der diesjährigen Ausgabe der FOTO WIEN.

08 Word Pieces Paul Hutchinson

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