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Alexandre Diop, Wien

In the Studio

»Gesammelte Materialien sind meine Farbpalette.«

Alexandre Diop ist ein französisch-senegalesischer Multitasking-Künstler, dessen Schaffensprozess von Experimenten und historischen Beobachtungen unserer jeweiligen Gesellschaften geleitet wird. Er setzt viele verschiedene Medien ein, darunter Tanz, Musik, Film und Literatur. Am bekanntesten ist er für seine einzigartigen Arbeitsmethoden, die sich zwischen Malerei, Skulptur und Relief bewegen und Alltagsgegenstände wie Bücher, Fotografien, Metall und Holz, aber auch Feuer und elementare Verbindungen wie Rost und Tierhaare nutzen. Alexandre Diops permanente Radikalität drängt das Publikum zu einer neuen Erfahrung politischer und traumhafter Systeme durch das, was er seine „Objektbilder“ nennt.

Alexandre, wie bist du dazu gekommen, Kunst zu machen? Ist Kunst etwas, das dich schon immer interessiert hat?
Ja, ich denke schon. Da ich in Paris aufgewachsen bin, habe ich mich immer für Kultur interessiert, für die Fähigkeit, zu kommunizieren, in einer Position zu sein, in der man denken kann. Aber ich war kein Kind, das zu Hause gezeichnet hat. Alles begann mit dem Theaterunterricht. Einer meiner Freunde in der Nachbarschaft war bereits an der Theaterschule, und meine Eltern hielten es für eine gute Idee, meine Energie dorthin zu lenken; ich liebte es. Später kam der Sport dazu, ich habe viel Fußball gespielt. Wie jeder Teenager habe ich zwar auch ab und zu den Unterricht verpasst, aber ich habe auch gearbeitet, um gute Noten zu bekommen. Und dann kam die Musik, ich war immer von Musik umgeben, und so habe ich die Kunst wirklich entdeckt. Zuerst mit klassischer Musik. Meine Mutter schenkte mir Chopin-CDs, und ich bat sie immer wieder, sie mir vorzuspielen. Dann kam Cesária Évora und später Hip-Hop. Hip-Hop ist wirklich ein großer Teil meines Lebens, mein Bruder ist Rapper, ich habe früher selbst gerappt und möchte eines Tages ein eigenes Album aufnehmen.

Wann wurde dein Interesse für die bildende Kunst geweckt?
Nachdem ich Erfahrungen mit Theater, Sport und Musik gemacht hatte, war ich auf der Suche nach einem neuen Ausdrucksmittel. Immer wenn ich von einer Party zurückkam, begann ich zu zeichnen. Ich wollte auch Maler werden, aber das hat damals für mich nicht funktioniert. Das war zu viel. Aber was auch immer ich gemacht habe, in gewisser Weise habe ich mich immer als Künstler gesehen.

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Was muss man tun, um sich als Künstler zu bezeichnen? Kann sich jeder als Künstler bezeichnen?
Das ist mir ziemlich egal. Ich bin nicht hier, um zu beurteilen, ob andere Menschen Künstler sind oder nicht. Ich denke, jeder sollte das Wort und seine Bedeutung überdenken. Für mich ist ein Künstler jemand, der sich selbst ermächtigt hat, jemand, der frei von politischen Konformitäten ist oder sich dieser zumindest bewusst, jemand, der in der Lage ist, eine Form von Sprache zu schaffen, ein Werkzeug der Kommunikation. Ich bin nicht nur ein Künstler.

Wer bist du sonst noch?
Ich bin Alexandre Diop, das ist der Name, den mir meine Eltern gegeben haben, aber auch der Name, für den ich mich halte. Er beinhaltet eine Menge: Ich fühle mich als politischer Aktivist, als natürlicher Witzbold, als ungeschickter Akrobat, als glücklicher, trauriger Dichter, als langweiliger Schriftsteller und als noch nicht anerkannter Philosoph (lacht).

Was ist dir wichtig, wenn du Kunst machst?
Erstens, dass ich mich gut fühle, und zweitens, dass ich mehr stören als bezaubern will. Auch wenn das vielleicht meiner Persönlichkeit widerspricht.

Welche Ideen bringst du da ein?
Das hängt wirklich vom jeweiligen Tag ab! Aber ich habe ein tiefes Interesse an den Parametern, den Ursprüngen und der Zukunft der Menschheit. Die Ideen, die ich in meine Werke einfließen lasse, sind das Ergebnis meines Lebens. Meine Arbeit ist eine Reaktion auf das Leben, und die Ideen sind die Reaktivität des Lebens. Ich würde auch sagen, dass ich mich sehr für den Tod und alle Ideen, die ihn umgeben, interessiere.

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Du bist in Frankreich aufgewachsen, deine Mutter ist in Frankreich geboren und dein Vater im Senegal. Nachdem du in Berlin warst, lebst du jetzt in Wien. Wo fühlst du dich zugehörig?
Wenn ich in den Senegal gehe, denken die Leute, ich sei weiß, aber in Frankreich nennen sie mich schwarz. Wenn ich nach Österreich gehe, nennen sie mich Franzose. Wenn ich irgendwo anders hingehe, nennen sie mich Senegalese. Das fühlt sich gut an, aber nicht immer. Letztlich bin ich ein Teil der Welt.

Bevor du nach Wien kamst, hast du in Berlin gelebt. Erzähl uns von deiner Reise.
Nachdem ich mein Abitur gemacht hatte, zog ich nach Berlin. Ich war damals 18 Jahre alt. Ich wollte nach Berlin gehen, weil ich das Gefühl hatte, dass es eine perfekte Stadt ist, um elektronische Musik zu produzieren und unabhängig zu werden. Irgendwann, ich war damals 23, fand ich mich in einem ungesunden Umfeld wieder und wusste, dass es Zeit war, es zu verlassen. Ich studierte Tanz, Szenografie und Kontext an der UDK (Universität der Künste Berlin) und besuchte auch Kunstkurse. Eine meiner Freundinnen, die wie eine Schwester für mich ist (Jessica Comis), war bereits in Wien und hat mich ermutigt, mich für die Aufnahme in die Malereiklasse an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu bewerben, ein Atelier in der Stadt zu finden und meine Kunst in Galerien zu präsentieren. Ich wurde für die Klasse von Daniel Richter ausgewählt. Aber mein Ziel war nicht, zu studieren, denn ich wusste bereits, was ich tat. Ich brauchte eine Plattform, um jemanden kennenzulernen, jemanden, der an mich glaubt und mich unterstützt. Nachdem noch nicht einmal zwei Monate vergangen waren, gab es den Akademie-Rundgang (Tag des offenen Ateliers an der Akademie). Dort lernte ich Amir, meinen Manager, kennen. Das war der Beginn von etwas Wichtigem.

Was ist die Absicht hinter deiner Kunst?
Für mich ist Kunst ein Werkzeug; ich möchte, dass meine Werkzeuge so effizient wie möglich sind …

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Woher beziehst du die Materialien für deine Arbeiten?
Ich besorge sie immer in der Gegend, in der ich gerade lebe. Ich ziehe durch die Stadt. Wenn ich früher mit meiner Tasche unterwegs war, hielten mich die Leute für einen jungen Obdachlosen. Ihre Reaktion war dann: „Dieser Typ ist verrückt, er sammelt nicht einmal Dinge, die er weiterverkaufen kann.“ Sogar manche Roma, von denen einige schließlich meine Freunde wurden, sagten: „Was machst du da eigentlich?“ (lacht).

Was suchst du in den Objekten, die du sammelst?
Ich mag Dinge, die Zeit und eine bestimmte Realität zum Ausdruck bringen, die von Verwesung sprechen. Ich interessiere mich für das, was den Tod hervorbringt, was Zeit schafft. Ich suche also nach Objekten, die eine gewisse Ästhetik haben, Dinge, die ziemlich rostig und hässlich, aber auch reizvoll sind, die in meinen Augen eine gewisse Eleganz besitzen. In Berlin bin ich durch die Stadt gelaufen und habe Sachen gefunden, die die Leute weggeworfen hatten. Ich habe immer eine Schere oder einen Kartonschneider in meiner Tasche dabei. Wenn ich zum Beispiel auf ein Sofa stieß, schnitt ich ein paar Stoffstücke heraus. Manchmal dachte ich: „Soll ich das wirklich in mein Atelier mitnehmen? Nein, das ist doch furchtbar.“ In unserer konsumorientierten, materialistischen Gesellschaft werfen die Menschen Dinge weg, ohne ein Gefühl für Verschwendung zu haben. Ich sehe immer die Schönheit in weggeworfenen Dingen. In meinem Atelier habe ich ein Lagerchaos. Ich lasse alles auf dem Boden liegen und fange genau dort auf dem Boden an zu arbeiten. Diese gesammelten Materialien sind sozusagen meine Farbpalette.

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Deine Arbeit wird oft mit der Arte-Povera-Bewegung in Verbindung gebracht, die in den späten 1960er und frühen 70er Jahren in Rom und Norditalien entstand.
Für mich ist es eher die African Arte Povera (lacht). Die Künstler der Arte Povera haben diesen Begriff verwendet, weil sie ein Konzept zum Ausdruck bringen wollten, und das weiß ich zu schätzen. Aber für mich geht es mehr um eine afrikanische Denkweise, es geht um mich selbst, um mich als Mensch. Selbst ein Europäer, der während des Krieges nichts zu essen hatte, fand eine Lösung, wie er seine Kinder beschenken konnte. Die Arte Povera kommt von dieser Generation von Menschen, die ihre Mitmenschen lieben, die das Leben lieben, obwohl sie nicht viele Ressourcen haben und trotzdem sehr kreativ sind; zu viel Komfort kann Kreativität töten.

Wo wir gerade dabei sind … Man könnte sagen, dass Wien ein ziemlich angenehmer Ort zum Leben und Arbeiten ist. Wie wirkt sich das auf deine eigene Kreativität aus?
Zu Hause hatte ich immer alles, und ich werde meinen Eltern ewig dankbar sein. Sie waren nicht reich, sondern gehörten zur Mittelschicht, und im Vergleich zu manchen Verwandten ging es ihnen ziemlich gut … Aber als ich nach Berlin kam, musste ich mir selbst einige Einschränkungen auferlegen, weil ich wusste, dass ich nur so das Qualitätsniveau erreichen konnte, das ich mir vorgestellt hatte. Es gab also eine Zeit, in der ich zahlreiche Abstriche machte und mich voll und ganz meiner Kunst widmete, so wie ich es auch heute noch tue … Diese Arbeit zum Beispiel habe ich in Berlin in einem Atelier ohne Strom, Heizung und sogar ohne richtige Lichtverhältnisse gemacht. Es war eine alte, völlig verlassene Brauerei, die mir jemand kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Ich habe dort im Winter mit zwei Schlafsäcken geschlafen, bei minus zwölf Grad und ohne Dusche.

War es ein Selbsttest, um herauszufinden, ob du das Zeug dazu hast, Künstler zu werden?
Aber nein. Es war die einzige Möglichkeit. Damals hatte ich kein Geld, also gab es keine andere Lösung. Meine Eltern haben mir beigebracht: Entweder du machst etwas ganz, oder du lässt die Finger davon. Also habe ich es gemacht! Jetzt ist Wien eine sehr komfortable Stadt, aber ich arbeite fast jeden Tag und bin sehr diszipliniert, also denke ich, dass ich gelegentlich etwas Komfort verdient habe; ich habe jetzt eine Dusche (lacht). Außerdem kann ich von meiner Kunst leben. Es ist „au mieux“ (das Beste), andere Dimensionen von mir zu erforschen, wie zum Beispiel eine Führungspersönlichkeit zu sein oder ein Vorbild für andere und gesund zu sein. Aber wenn ich arbeite, muss ich in einem Zustand der Auseinandersetzung sein. Ich vergleiche es mit dem Hochleistungssport, wo ein gewisses Maß an Entschlossenheit und Hingabe erforderlich ist, um seine Ziele zu erreichen.

Du erwähntest bereits, dass du auf deinem Weg zum bildenden Künstler auch andere kulturelle Ausdrucksformen wie Theater, Tanz und Musik kennengelernt hast. Welche Menschen haben dich geprägt und dich zu dem Künstler gemacht, der du heute bist?
Ich wurde natürlich von Cheikh Anta Diop beeinflusst, einem der Schriftsteller, die mich politisch geprägt haben. Außerdem wurde ich immer von meinen Eltern unterstützt, von meinem Vater Ibrahima Diop und meiner Mutter Mireille Bille. Auch mein kleiner Bruder Anta Diop, so heißt er als Rapper, hat mich inspiriert zu sein und zu glauben. Ich bin in Paris mit großartigen Menschen aufgewachsen und hatte Zugang zu so vielen Kulturen. Ich bin gereist und habe in vielen Ländern gelebt, von Asien bis Südamerika, von Nordamerika bis Europa. Künstler von Basquiat bis Giacometti, von Miles Davis bis Notorious B.I.G., von Dostojewski bis Muhammad Ali: All diese Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Ich habe auch Mentoren, zu denen Robin Rhode, Mara Niang und AA Rashid gehören. Und natürlich meine Freunde ... Michal Andrysiak, Phillip Gintz, Elies Douair, Conan Lorendot, Alessio Cannizzo, Marcelo Alcaide, Kennedy Yanko, Leon Krzysztof … und all diejenigen, die ich vergessen habe. Das Leben inspiriert mich. Ich würde es so formulieren.

Kannst du dich in der zeitgenössischen Kunst irgendwo verorten?
Hmm, ich betrachte mich nicht wirklich als Künstler der zeitgenössischen Kunst. Aber ich will mich immer an erster Stelle sehen (lacht); ich möchte das aktive und nicht das passive Element sein! Das, was wir als zeitgenössische Kunst kennen, ist nach den 1960er-Jahren entstanden, es gibt sie also schon seit 60 Jahren! Ich tue, was ich tue. Wenn man meine Arbeiten Indigenen in Südamerika oder auf einer einsamen Insel zeigt, bin ich sicher, dass sie einige der Geister wiedererkennen, die sie umgeben (lacht). Ich denke, was ich tue, ist das, was wir Expression nennen, und das ist nicht zeitgebunden. Es ist schon immer da gewesen.

Seit relativ kurzer Zeit hat die westliche Kunstszene die Werke afrikanischer Künstler oder von Künstlern mit afrikanischen Wurzeln in den Fokus gerückt. Wie siehst du das?
Ich sehe das als Geschichte, Modernität, aber auch als Heuchelei … Viele afrikanische Künstler eifern dem nach, was ihrer Meinung nach ihre Karriere sein sollte. Einige versuchen, ihr eigenes Leben zu leben, andere versuchen, eine bestimmte Identität anzunehmen, die sie sein sollten … Ich stelle das immer infrage. Wer will schon als statischer Begriff definiert werden? Ich persönlich möchte immer in Bewegung sein. Ich möchte frei von Kategorisierungen sein, oder wie James Baldwin sagte: „Ich möchte mich selbst überraschen.“

Fühlst du dich mit deiner Kunst verstanden?
Es ist mir egal, ob meine Kunst verstanden wird oder nicht. Wichtig ist für mich, dass ich weiß, was ich tue.

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Alexandre Diop, 2021, Autoportrait of the young black diable at the age of 25, 215 x 160 cm, Collection Amir Shariat, Foto Credit: Jorit Aust

Alexandre Diop, 2021, Portrait de Mara Niang, 185 x 126 cm, Collection Amir Shariat, Foto Credit: Jorit Aust


Alexandre Diop, 2021, Nelson Mandela, 252,5 x 185,5 x 4,8 cm, Private Collection, USA, Foto Credit: Jorit Aust

Alexandre Diop, 2021, Autoportrait of the young black diable at the age of 25, 215 x 160 cm, Collection Amir Shariat, Foto Credit: Jorit Aust

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Amir Shariat

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