Andy Boots Werk überbrückt die schwierige Grauzone zwischen dem Fassbaren und dem Digitalen. In seinen gleichermaßen konzeptuellen wie poetischen Objekten und Gemälden gelingt es dem Künstler, Ideen, Orte und Prozesse zu verwirklichen, die sonst in einer Welt, die sich zu oft blind auf Technologie verlässt, verborgen geblieben wären. Wir unterhielten uns mit Andy Boot über seinen Umzug von Australien nach Österreich, seine Faszination für Blockchain und natürlich über das konzeptuelle Fundament seiner Arbeit.
Obwohl wir gerade in deinem physischen Atelier sitzen und von deinen aktuellen Arbeiten umgeben sind, möchte ich damit beginnen, mit dir über den virtuellen Raum zu sprechen, genauer über deine Webseite, die den Eindruck erweckt, nicht nur das Portfolio deiner Arbeiten zu präsentieren, sondern selbst ein eigenes künstlerisches Statement darstellt.
Ja, mir ist die Wichtigkeit von Online-Präsenz sehr bewusst und ich habe dezidierte Meinungen zu diesem Thema entwickelt. So habe ich mich beispielsweise vor eineinhalb Jahren entschieden, Facebook zu kündigen. Auf meiner Webseite biete ich an zwei Stellen verschiedene Variable an. Im Hintergrund sieht man wechselnde Bilder von Installationsansichten oder Details und im Vordergrund zeige ich Bilder meiner Arbeiten. Mit diesen beiden Elementen versuche ich, die Räume zu navigieren und mit dem Inhalt zu interagieren. Ein weiteres Element ist das Gerät des Betrachters. Die Frage, was ein Bild ausmacht, beinhaltet einen großen Teil meiner Arbeit und hat mich beim Aufbau meiner Webseite geleitet.
Das Internet ist nicht nur ein Ort, an dem du deine Arbeiten präsentieren kannst, sondern auch ein Thema, das deinen Arbeitsprozess informiert.
Es ist ein wirklich interessanter Kreislauf, den man in meinem Werk beobachten kann. Wir laden ständig Dinge auf diesen Raum auf und von ihm herunter – das führt zu einer Datenüberlastung. Wir sind zeitlich begrenzt, haben sehr viele Informationen zur Verfügung und füllen ständig neue auf. Und dazu kommt die Umprogrammierung des Serotonins durch die sozialen Medien; sie ist meiner Ansicht nach gefährlicher als uns allen bewusst ist. Ich bin ich schon seit vielen Jahren stark in Forschungen über Blockchain involviert und nicht nur auf einer persönlichen Ebene, sondern auch konzeptuell total begeistert. Meine letzte Ausstellung in der Galerie Emanuel Layr zum Beispiel basierte auf den White Papers, der konzeptuellen Grundlage des Blockchain-Projekts.
Wie passt eigentlich deine Kunst in diese Situation? Versuchst du zu intervenieren?
Ich glaube nicht, dass meine Arbeit Menschen zu sagen versucht, was sie denken oder tun sollen. Das interessiert mich nicht. Stattdessen ist meine Arbeit, wie viele Kunstwerke, eher eine Zeitkapsel. Ich nehme Fragmente und Details unserer derzeitigen Situation auf und bringe sie aus der ephemeren Welt des Internets in einen physisch existierenden Raum. Die Verschmelzung dieser beiden Räume ist das, was mich interessiert.
Du behandelst all diese Aspekte in deiner Arbeit und trotzdem besteht der größte Teil deiner Arbeit aus materiellen Objekten. Wie verwandelst du Daten in etwas, was du in einer Galerie ausstellen kannst?
Die meiste Zeit vergeht mit dem Forschen und Verarbeiten der Informationen, die ich gesammelt habe. Erst in einem späteren Arbeitsvorgang konzentriere ich mich darauf, die Teile zusammenzusetzen und meine Arbeit wirken zu lassen. Dies war schon immer mein Arbeitsansatz.
Auf deinem Schreibtisch hast du ein paar Modelle für deine „Cosmic Latte“ - Skulpturen. Ich frage mich, hast du hier vielleicht das durchschnittlichste Kunstwerk der Welt geschaffen?
(Lacht) Ja, diese Skulpturen sind vielleicht die „beigesten“ Kunstwerke in diesem Universum! Aber nochmals, obwohl ich sehr viel Forschungsarbeit in diese Arbeiten gesteckt habe, konnte ich nicht wissen, wie sie sich später verhalten würden. Ich wollte etwas schaffen, zu dem jeder eine Beziehung haben konnte und habe die Durchschnittsfarbe, die wissenschaftlich aus 200,000 Galaxien extrapoliert wurde gewählt und Teile von Bildern, die ich in dieser Farbe finden konnte, aus dem Internet herausgeschnitten. Dann habe ich diese Palette von Formen zusammengesetzt und in Skulpturen verwandelt.
Die Farbe ist eine Art beige. Leitet sich daraus der Name „Cosmic Latte“ her?
Es ist merkwürdig, dass die Forscher der John Hopkins Universität, die die Studie unternommen haben, in ihren Datensatz die Schattierungen und Tiefe des Universums in ihre Kalkulationen aufgenommen haben. Es hätte die Durchschnittsfarbe Minzgrün ergeben müssen. Das hatte ich noch im Kopf als ich Skulpturen baute, die auf Daten ohne Tiefe basierten.
Welchen Effekt versuchst du mit einem Werk wie „Cosmic Latte“ zu erreichen? Was möchtest du, dass deine Betrachter denken oder fühlen sollen?
Ich möchte, dass mein Werk zugänglich ist, egal auf welcher Stufe Betrachter in das Werk einsteigen. Mir ist wichtig, dass die Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen. Ich möchte Angebote machen und es den Betrachtern überlassen, wie weit sie eindringen und wie viel sie fühlen wollen. Natürlich kann man ins Kaninchenloch fallen, weil sich so viel Forschung und Inhalt hinter den Arbeiten verbergen, aber das ist nicht die einzige Ebene, auf der man mit ihnen interagieren kann.
Welche Rolle spielen deine aktuellen Kunstwerke im Gesamtzusammenhang deiner Forschungen?
Meine Antwort kann sich morgen schon ändern, aber im Augenblick betrachte ich meine physischen Objekte als Aufforderung. Eine Aufforderung, die dir vielleicht nicht gleich bewusst, dich aber begleiten und irgendwann in dir nachhallen wird. Ich will auf keinen Fall einen Audioführer für die Erfahrungen des Betrachters anbieten.
Hast du eine ideale Umgebung für das jeweilige Objekt im Sinn während du es herstellst?
Mir ist wichtig, dass meine Objekte in verschiedenen Umgebungen und zusammen mit anderen Objekten unterschiedliche Unterhaltungen in Gang setzen können. Die Cosmic Latte- Arbeiten zum Beispiel sind im Außengelände am wirkungsvollsten. Sie sind ganz und gar autonome Objekte. In Ausstellungen gebe ich den Betrachtern gern die Möglichkeit, mit verschiedenen Standpunkten zu interagieren. Ich liebe Ausstellungen, die Möglichkeiten für neue Erfahrungen eröffnen und eine gewisse Euphorie auslösen. Auf eine solche Ausstellung stößt man relativ selten, aber wir alle erinnern uns an solche Augenblicke.
Du kommst ursprünglich aus Australien. Wie kam es, dass du an einem Ort auf der anderen Seite des Globus gelandet bist, um deine Kunst auszuüben?
Ich hatte eine Künstlerresidenz mit Kultur Steiermark in Graz und habe ein nettes österreichisches Mädchen gefunden. (Lacht) Die Art und Weise wie Kunst in Österreich gelehrt wird, hat mir sehr gefallen. Nach einer weiteren Künstlerresidenz in Norwegen kehrte ich nach Österreich zurück und ich studierte mit Heimo Zobernig. Und ab dann ergab sich alles wie von selbst. Australische Kunst fühlt sich wie britische Kunst vor dreißig Jahren an: viele Portraits, viele Landschaften. Die Situation unterscheidet sich sehr von Europa, ich habe sie als sehr einengend empfunden. Ich bin froh hier zu sein.
In Australien hast du zunächst Grafikdesign studiert. War es eine sehr große Veränderung als du in Heimo Zobernigs Klasse an der Akademie der Bildenden Künste eingetreten bist?
Ja und nein. Schließlich macht Heimo auch Publikationen wie den Katalog von Albert Oehlen. Er hat ein breiteres Verständnis von Kunst und Design. In Australien wurde sehr viel Wert auf Zeichnen und Atelierfähigkeiten gelegt, dies hat sich später als hilfreich herausgestellt. Das Kunststudium ist dem Studium der Betriebswirtschaft relativ vergleichbar, eben nur mit einem total anderen Inhalt. Man will die Studierenden so schnell wie möglich durch die Universität schleusen. In Österreich herrscht noch ein Bewusstsein dafür, dass die Entwicklung etwas mehr Zeit braucht, aber das ändert sich gerade auch...
Hat es Dinge gegeben, an die du dich schwerer gewöhnt hast?
Als ich zuerst in die Akademie kam, wurden die Klassentreffen in einem kleinen Raum abgehalten. Alle saßen im Winterlicht um einen großen runden Tisch herum und rauchten pausenlos. Das war alles ein bisschen abschreckend, besonders weil ich kaum deutsch sprach. Ich hatte ein kleines Wörterbuch bei mir und versuchte, den Diskussionen zu folgen. Der Anfang war ziemlich schwer, aber es dauerte nicht lange und ich fühlte mich in meiner neuen Umgebung wohler, und letztendlich waren diese informellen Treffen mit den Klassenkameraden genauso hilfreich wie die offiziellen Veranstaltungen.
Du betreibst einen online Kunstraum unter dem Namen Cointemporary. Kannst du uns mehr über dieses Projekt sagen?
Ich habe zusammen mit Valentin Ruhry die erste Bitcoin Galerie im Universum geschaffen. Ich mag an Cointemporary, dass sich dort zwei verschiedene Zielgruppen treffen: Wir erreichen sowohl die Nutzer, die sich für Kunst interessieren als auch die Nutzer, die sich für die Technologie hinter der Plattform interessieren. Bis jetzt haben wir eine Anzahl von Arbeiten an ein weitgefächertes Publikum für Bitcoin verkauft; wir haben auch den ersten Ankauf eines digitalen Kunstwerks an ein Museum auf Grundlage der Währungseinheit Bitcoin und seine Provenienz über die Blockchain abgewickelt. Und zwar hat das MAK (Museum für Angewandte Kunst in Wien) einen Screensaver gekauft. Wir haben auch an Meetings mit Risikokapitalvertretern teilgenommen.
Gibt es andere Anwendungen für die Blockchain-Technologie in deinem Betrieb oder in der erweiterten Kunstwelt?
An der Hochschule für Welthandel in Wien haben sie gerade ein neues Forschungsinstitut für Kryptoökonomie eröffnet und eine meiner mit Open Source 3D ausgedruckten Bronzeskulpturen permanent in der Hochschule installiert. Das Dokument, das du zum Ausdrucken der Skulptur brauchst, wird den Studenten über Blockchain zugänglich gemacht. Es ist wichtig, sich Blockchain nicht nur als ein Instrument für finanzielle Transaktionen vorzustellen. Wir werden sehr bald einige konkretisierte Anwendungen in anderen Bereichen sehen und eine von ihnen könnte der Kunstmarkt sein. Daten bezüglich Provenienz, Versicherung und Kunsttransport könnten in privaten Blockchains aufbewahrt und Informationspakete leicht auf Zulassungsbasis zur Verfügung gestellt werden. Dadurch kann man ganz genau so viel Information teilen wie erforderlich ist, um die Dinge am Laufen zu halten. Ein anderes Gebiet ist eine dezentralisierte Social News Plattform wie Sapien.network. Ich glaube, die Gesellschaft erkennt allmählich, welche realen Gefahren zentralisierte Unternehmen darstellen, wenn sie unsere Nutzerdaten besitzen und aufbewahren.
Kann es sein, dass du die Entwicklungen der Blockchain-Technologie sehr viel genauer verfolgst als die Kunstwelt?
Ja, mich langweilen die Kunstdiskussionen im Augenblick ein bisschen. Damit will ich nicht sagen, dass mich das, was auf dem Kunstmarkt passiert nicht interessiert; mich ermüdet nur die Nachrichtenseite der Dinge. In der Welt von Blockchain dagegen, bewegt sich alles sehr schnell und berührt mehr als nur eine Industrie. Tatsächlich hat diese Technologie das Potential, alle Bereiche der Gesellschaft zu beeinflussen. Es braucht Menschen mit verschiedenen Hintergründen, um so etwas aufzubauen und es ist wirklich interessant, die Entwicklungen zu beobachten.
Sprechen wir über die Zukunft: du hast einen Sohn im Kindergarten. Wie verhält er sich gegenüber deiner Arbeit?
Er sieht meine Arbeit natürlich in ihren verschiedenen Stadien und ich nehme ihn auch mit in die Galerie. Er nimmt verschiedene Dinge in sich auf. Nachdem er meine Ausstellung bei Emanuel Layr gesehen hatte, brachte er mir dies (zeigt das Buch We Go to the Gallery von Dung Beetle Learning). Er kann noch nicht richtig sprechen, aber manchmal zeigt er auf Arbeiten und lacht, wenn er sie mag. Ich möchte ihm nichts aufzwingen, aber ich liebe die stillen Momente und zeichne gern mit ihm.
Kannst du uns schon etwas über Ideen für neue Werke, die in deinen Gedanken entstehen, verraten?
Wie ich schon gesagt habe, ich bin tief in der Blockchain Community verankert und sie wird weiterhin ein wichtiges permanentes Forschungsgebiet bleiben. Auch die Überlagerung von physischen und digitalen Orten und Daten im Allgemeinen wird relevant für mich bleiben. Ich spüre, dass eine Verlagerung in den Verhaltensweisen der Menschen in Bezug auf Nutzerdaten stattfindet und ein wachsendes Bewusstsein dafür entsteht, dass es nicht in Ordnung ist, dass zentralisierte Organisationen unsere Daten besitzen und unsere Erfahrungen gamifizieren. Die Menschen werden sich immer klarer darüber und es wird eine undichte Stelle geben, die zu einem Schlüsselmoment werden wird, und die Leute werden fragen, welche Daten diese Unternehmen von uns sammeln. Das interessiert mich sehr und ist etwas, was sich vielleicht in meiner Arbeit manifestieren wird.
Interview: Gabriel Roland
Fotos: Florian Langhammer
Links:
Andy Boots Webseite
Galerie Emanuel Layr, Wien
Croy Nielsen, Berlin/Wien