Anna-Sophie Berger spielt mit den Grenzen zwischen Disziplinen und setzt fließende Übergänge ein, um einen Blick hinter die Oberflächen des Alltags im 21. Jahrhundert zu werfen. Ihr Interesse gilt der täglichen Spannung zwischen materieller Realität, den sinnlichen Bedürfnissen eines sozialen Wesens und dem zunehmend digitalen Wahrnehmen des Lebens.
Anna-Sophie, momentan hört und liest man ziemlich viel über dich, nicht zuletzt wegen dem Kapsch Contemporary Art Prize, den du vor Kurzem erhalten hast. Aber wie bist du eigentlich zur Kunst gekommen? Denn zunächst hattest du ja Mode studiert, stimmts?
Das muss ich vielleicht immer irgendwie noch dazusagen: Es war nie so, dass ich mich für eine Modekarriere entschieden hätte und dann aber doch Kunst gemacht habe, ich habe eigentlich immer künstlerisch gearbeitet. Meine Eltern hatten eine Fabrik für Modeschmuck, daher war Kreativität immer ein Thema in der Familie. Es gab aber keinen vorgezeichneten Berufsweg für mich. Künstler gab es in meiner Familie gar keine. Ich konnte zwar nicht nähen, habe mich aber nach der Matura in der Klasse Rothemann und bei Veronique Branquinho, also für Fotografie und Mode, beworben und wurde bei beiden aufgenommen. Mir war damals die Trennung zwischen Design und bildender Kunst nicht wirklich klar. Gabriele Rothemann signalisierte, dass beide Klassen zusammen nicht gehen würden, sie meinte, das sei eine Entscheidung fürs Leben. Dem kann ich zwar heute nicht unbedingt zustimmen, da meine Praxis immer um beide Bereiche pendelt, ich würde ihr aber insofern recht geben, als dass ich den Arbeitsaufwand beider Handwerke nicht gleichzeitig hätte stemmen können.
Dennoch spielt Mode in deinen Arbeiten immer wieder eine Rolle, das kann man nicht verleugnen.
Es geht immer wieder um Kleidung, allerdings nicht nur um Mode, sondern auch ganz abstrakt um Körper, Berührung und Benutzung. Was mich immer beim Modedesign angekotzt hat, war die fast panische Suche nach neuen Formen: „Was machen wir jetzt? Valentino hat gerade das und das gemacht. Wie können wir da noch was Neues draufsetzen?“ Das passiert in der Kunst zwar auch – aber es ist nie mein Ausgangspunkt, zu sagen: „Wie kann ich an etwas kommen, was in der Form technisch, materialmäßig noch nie da war.“ Eine neue Form ersteht im besten Fall organisch als Resultat eines guten Gedankens.
Wie haben denn deine Eltern auf deine Entscheidung reagiert, deine Kunst zu verfolgen?
Nachdem ich mein Modestudium abgeschlossen und klar definiert hatte, dass ich erst mal keine Anstellung suchen würde, haben sie sich, glaube ich, noch mal kurzzeitig Sorgen gemacht. Sie waren sich vielleicht nicht so sicher, ob ich das schaffen würde, diesen erneuten Einstieg in eine mir doch zumindest damals strukturell noch unbekannte Welt. Es war ja auch am Anfang in der Mode schwer für mich, da ich einfach loslegen wollte, mir dazu aber zunächst die Technik fehlte. Meine Eltern waren, glaube ich, schon stolz darauf, wie ich mich da durchgebissen habe. Langsam wird auch die Angst weniger, dass man als Künstlerin nicht überleben kann und zwangsläufig ins Prekariat abrutscht. Sicherlich hat auch der Job als Dozentin an der Uni dazu beigetragen. Auch mein Partner unterstützte mich von Anfang an bedingungslos.
Kannst du denn Parallelen in den Strategien erkennen, die jeweils im Modebusiness und in der Kunst zur Anwendung kommen?
Ja und nein. Die Fragestellungen sind manchmal ganz andere, manchmal aber auch ganz eng zusammen. In der Mode ist das Thema „Trend und Sales“ essenziell.
Was mir dabei wesentlich erscheint, ist, dass es in der Mode keinen „Middle Ground“ gibt und der Materialaufwand grundsätzlich riesig ist. Selbst wenn man einen Mantel machen wollte, der ausschaut wie hingerotzt – das könnte ja auch Teil eines Kunstkonzepts sein –, stünde man immer noch vor dem Problem, wie der Mantel produziert wird, was ihn zusammenhält – ganz zu schweigen von moralisch-ethischen Fragen, die sich in der Produktion stellen. Wenn man dies dann erfolgreich in einem kapitalistischen Umfeld machen möchte, hat man auch noch den Druck, zu wachsen, Angestellte zu bezahlen etc.
Als Künstler hat man diesen Druck vielleicht ebenso, jedoch kann ich als Künstlerin auch sagen, dass ich mal wieder eine Arbeit aus Papiermaché machen und damit die Produktionskosten stark eingrenzen will. Es ist leichter, flexibel zu sein.
Gibt es bestimmte Themen, die du in deine Arbeit aufnimmst?
Mich interessieren die Motivationen von Menschen: Wieso will man etwas und das andere nicht? Ich beschäftige mich mit universellen Themen, die mich auch selbst ständig betreffen. Bei mir ist dann alles etwas „rhapsodisch-schmutzig“, und alles fließt ineinander, das heißt, ich trenne meine Person nicht von meiner Kunst. Ob ich jetzt hier einen Kaffee mit euch trinke oder dusche – das gehört alles irgendwie zusammen. In den fertigen Arbeiten wird das dann auf verschiedene Arten reduziert und gleichzeitig verdichtet.
Während des Studiums befindet man sich ja noch in einer Art geschütztem Raum. Das hat mit dem Leben danach oft wenig zu tun. Wie war es bei dir nach dem Studium?
Schon während des Studiums habe ich Arbeiten über meine Galerie in New York verkauft. Daher haben sich auch die ersten beiden Jahre nach dem Studium fast ausschließlich in den oder im Dialog mit den USA abgespielt. Das war für mich ein kultureller Bruch. Man denkt ja immer, dass man Amerika als Westeuropäer einfach mal so mitnimmt, aber als ich anfangs zum Beispiel bei einem gemeinsamen Abendessen saß, habe ich keinen einzigen Witz über Popkultur verstanden. Ich musste vieles wieder neu lernen.
In New York warst du also ein unbeschriebenes Blatt. Die Schubladen, die es in Wien über dich gab – ob du nun Mode machst oder Skulptur –, die gab es dort nicht.
Genau, das war einerseits wegen der örtlichen Distanz, aber schon auch, weil New York das eben kann. Wenn New York irgendwas hat – es ist ja schon ein teures Drecksloch –, dann diesen ungestillten Durst, das Interesse für Neues. Die Stadt gibt einem speziell am Anfang alle Chancen. Das hält dann dafür aber auch nicht so lange an.
Du gehörst einer Generation an, die oft als „digital natives“, also „mit den digitalen Medien aufgewachsen“, bezeichnet wird. Nutzt du eigentlich soziale Netzwerke für dich selbst und für deine Kunst?
Klar bin ich sehr digital geprägt. Ehrlich gesagt, bin ich ein richtiges Instagram-Kind. Alles, was mir wichtig ist, habe ich auf meinem Handy. Ich stehe morgens damit auf und gehe abends damit ins Bett. Bücher lese ich auch fast nur noch auf dem Kindle oder dem Handy. Da ich in den letzten Jahren viel gereist bin und viele schnelle Ortswechsel damit einhergehen, hilft es mir, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben, die nicht bei mir sind, aber auch, Material einfach kompakt und griffbereit zu haben.
Social Media habe ich schon während des Studiums sehr intensiv genutzt als ein Medium, mit dem ich meine Kunst an die Welt bringen konnte. Damals gab es noch MySpace und natürlich Tumblr, die ich beide viel genutzt habe. Viele meiner Freunde, mit denen ich damals unterwegs war, kamen aus Serbien, deren Communities aufgrund der politischen Situation geografisch eingeschlossen waren. Sie nutzten die sozialen Netzwerke schon sehr früh, und es hat mich beeindruckt, wie alle Teilnehmer einer Gruppe die Erfolge von anderen mitgetragen haben, zum Beispiel durch Reposts. Das war eine vollkommen andere Energie als in meinem Wiener Umfeld. Diese „Self-Promotion“ war damals noch weniger üblich als heute.
Du sprichst an, was heute in der Ausbildung an den Kunstakademien schon fast üblich ist: Self-Marketing. War das während deines Studiums auch Thema?
Nicht wirklich. Anfänglich wurde ich auch schief angeschaut. Ich nehme diese Dinge jedoch gerne selbst in die Hand.
Es wird deiner Generation auch nachgesagt, dass sie neben der digitalen Affinität auch sehr kritisch ihr gegenüber ist.
Ja, das finde ich ja auch gut so. Der Schriftsteller Bret Easton Ellis sagt über die sogenannten Digital Natives, dass sie „whiny“ sind, dass sie nur rumplärren, traurig und nostalgisch sind und alle denken, dass die Welt zugrunde geht. Das ist natürlich überspitzt. Aber klar spüre ich in meiner Generation eine gewisse Schwere und auch die Notwendigkeit, Ernsthaftigkeit zu zeigen und neue Strategien zu entwickeln, mit den Medien als ständige, beinahe hysterische Grundstimmung des Alltags umzugehen. Es reicht vielleicht nicht mehr aus, ironisch zu kommentieren. Von anderen, die ein paar Jahre älter sind, höre ich manchmal, dass man zu allem doch etwas mehr Distanz entwickeln müsse und das alles cooler sehen solle. Ich frage mich, ob wir uns das leisten können? Den Vorwurf der Behäbigkeit, des politisch Inaktiv-Seins muss sich meine Generation, denke ich, schon zu Herzen nehmen: Ukraine, Brexit, Syrien, Populismus im eigenen Land.
Wir werden gerade sehr politisch. Ist es deine Intention, politische Kunst zu machen?„Politische Kunst“ ist eine Kategorie, die mich für meine Arbeit nicht interessiert, da ich denke, dass Kunst, so sie ein klares Ziel enthüllt, aufhört, Kunst zu sein, und zu Aktivismus wird. Ich glaube – und ich kann das auch immer mehr formulieren –, dass in meinen Arbeiten immer ein politischer Aspekt dabei ist, sei es auch nur eine ethische Fragestellung. Allerdings kann und will ich keine Antworten vorgeben, und diese Fragen werden auch nie analog zu Kunstwerken.
Dir geht es aber dabei nicht darum, Antworten auf das zu finden, was dich, was uns, umtreibt. Du willst diese Fragen eher aufzeigen.
Ja, genau das. Ich glaube überhaupt nicht an einfache Botschaften, sondern eher an die Dialektik von immer wiederkehrendem Diskurs. In meiner Arbeit interessiert mich eher, das Kartenhaus einmal wöchentlich ordentlich durchzumischen, mit dem Risiko des „messing up in public“.
Du hast vor Kurzem den Kapsch Contemporary Art Prize gewonnen. Dieser wurde zum ersten Mal in Kooperation mit dem Mumok vergeben. Damit verbunden ist auch eine Ausstellung im Mumok. Wie fühlt sich das an, die erste zu sein, die den Preis verliehen bekommt?
Das hat mich sehr überrascht, denn es waren so viele sehr gute Leute nominiert. Ich habe mich total gefreut, der Kapsch-Preis ist ein super Projekt. Man stellt sich natürlich die Frage, wie man dem gerecht werden kann, aber während ich arbeite, sind alle Projekte gleich relevant, und ich habe immer dieselben schlaflosen Nächte!
Bei einer Ausstellung setzt man sich auch der Kritik der Betrachter aus. Wie gehst du damit um?
Meine Mutter sagt mir immer wieder mal, dass es anstrengend ist, anderen zu erklären, was ich mache. Deshalb habe ich das Buch zur Ausstellung auch für sie gemacht und „Manual“ (Handbuch) genannt. Ich hege aber gar nicht den Anspruch, dass ich und meine Arbeit universal verstanden werden. Ich glaube, das ist wie mit Freunden: Es gibt vielleicht fünf Leute im Leben, die verstehen dich ganz gut. Dann gibt es Institutionen, die auch daran teilhaben, und dann verstehen dich ein paar mehr. Um meine Kunst wahrzunehmen, braucht es, denke ich, Zeit und Intimität.
In wenigen Wochen wirst du nach New York ziehen. Wird dir Wien zu klein? Was ist der Grund dafür?
Meine immer noch einzige Galerie ist in New York. Das ist ein sehr enges, familiäres Verhältnis, und ich habe dort einen großen Freundeskreis. Es gab daher immer eine Affinität zu New York. Nach meinem achten Jahr in Wien spüre ich nun, dass ich ein wenig Veränderung brauche. Ich liebe Wien, so wie ein Wiener eben seine Stadt liebt – und hasst. Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, würde ich mich als Wienerin bezeichnen. Ich bin trotzdem kein Stadtkind – ich habe keine Angst vor Bienen und klettere auch auf Bäume. (lacht) New York an sich kann man gar nicht fassen, aber ich freue mich auf die Herausforderung.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer