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Antti Pussinen, Berlin

In the Studio

»Ich will die Bedeutungslosigkeit einfrieren!«

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Der finnische Künstler Antti Pussinen ist ein multidisziplinärer Bild- und Klangkünstler mit Sitz in Berlin. In seinen Kunstwerken verwendet er analoge und digitale Elektronik, um Eindrücke von Phänomenen aus der Natur und dem Universum zu erschaffen. In seiner neuesten Arbeit erforscht er die Grenze zwischen der Wellenphysik und der realen Welt mit Hilfe von Klang und Wellenformabbildungen.

Antti, wie kam es, dass du Berlin gewählt hast?
Ich kam für eine Ausstellung. Damals gab es ein dreijähriges Galerie-Projekt, das finnische Künstler in Berlin ausstellte, und ich kam für meine erste Ausstellung. Das war am 28. Februar 2010. Ich kam damals mit meiner Freundin, heute meine Frau. Und ich sagte: Hey, lass uns doch hierbleiben. Das ist alles so billig und schön hier. Erst hatten wir uns auf ein halbes Jahr festgelegt, dann auf ein Jahr, und schließlich sind es jetzt schon 14 Jahre.

Du kamst für die Kunst. Wie aber fing alles an?
Ich war sehr jung. Ich war sieben Jahre alt, als ich in meiner Heimatstadt Tampere, der drittgrößten Stadt Finnlands, das Museum für zeitgenössische Kunst entdeckte. Bei mir um die Ecke, wo ich damals aufwuchs, hatten die einen temporären Ausstellungsraum. Damals hatten die eine super coole Entscheidung getroffen: dass alle Kinder das Museum umsonst besuchen dürfen. Fortan war ich Dauergast.

Gab es einen Schlüsselmoment, der dich zur Kunst brachte?
Ungefähr 1990 habe ich als Erstes dort eine Ausstellung mit früher Video- und kinetischer Kunst gesehen. So richtig postmodern! Und das war beeindruckend. Damals bin ich mit meinen Freunden dort vorbeigelaufen, und wir sind spontan hineingegangen, um zu checken, was das ist.

Warst du denn bereits in deinem Elternhaus mit Kunst in Berührung gekommen?
Nicht so wirklich. Zwar hingen ein paar Grafikarbeiten von einem finnischen Künstler aus den Achtzigern bei uns an den Wänden und Kunstbücher über die Kunstgeschichte und die Moderne gab es auch. Aber zur zeitgenössischen Kunst war da nichts dabei.

01 Antti Pussinen c Katharina Poblotzki

Du sprachst von Videokunst. Was hat dich an dieser so beeindruckt?
In unserem Haushalt gab es keinen Fernsehapparat. Meine Oma hatte zwar einen, aber ich war nicht gewohnt, jeden Tag vor dem Fernseher zu sitzen. Deshalb schaue ich übrigens immer noch kein Fernsehen.

Und was hat dein Erlebnis im Museum ausgelöst?
Als ich auf die Museumsmonitore schaute, habe ich gedacht, das ist verrückt. Es gibt so ein schönes Haus für diese Sachen, die überhaupt keinen Sinn haben. Und im Film dort war eine Skulptureninstallation zu sehen mit einem Körper, in dem Mäuse und Ratten in Rohren lebten. Und ich nahm den Kopfhörer und dachte nur, das ergibt keinen Sinn. Das ist absurd. Und trotzdem merkt man sofort, das ist super gemacht! Einfach perfekt. Und es war ein so cooler Raum mit einem sakralen Gefühl. Wie in einem Museum eben.

Das ist absurd. Das ergibt keinen Sinn, sagtest du. Ist dies zu einer eigenen Referenz in deinem Werk geworden?
Ja. Früher noch mehr als heute. Ich fand es absurd, da ich nicht wusste, dass so etwas existiert. Das war völlig neu für mich und auch sehr beeindruckend. In etwa so, wie das damals aufkommende Internet.

05 Antti Pussinen c Katharina Poblotzki

Welchen Umgang hast du mit dem Internet erlernt?
Zu Hause hatten wir die erste Internetverbindung zwischen 1995 und 1997. Finnland war dabei sehr früh dran in dieser Technologie, und so hatten wir vorher bereits Berührung mit Computern und dem Internet in der Schule. Ende der Neunziger gab es Net-Art. Das habe ich dann auch gemacht. Und diese Webseiten, die durch virtuelle Installationen an sich ein Kunstwerk waren, fand ich schon früh in der Computerkunst super.

Wie ging es dann weiter?
Das Digitale und die Kunst sind für mich dann erst viel später zusammengekommen, das war so etwa 2004. Nach meinen kleinen Ausflügen in die Computerkunst wollte ich zunächst das Zeichnen lernen. Ich habe mich hingesetzt und alleine versucht, jeden Tag besser zu zeichnen.

Wie bist du da vorgegangen?
Ich bin ein großer Fan von Bibliotheken, also bin ich dort hingegangen. Ich habe mir zunächst Motive ausgewählt, die ich anfing zu kopieren. Dann hat mich ein Buch dazu animiert, alles aus dem Kopf zu malen. So wie du es selbst siehst. Alle meine Schulhefte wurden dadurch zu Zeichenbüchern (gemeinsames Lachen). Ich war damals nicht so gut in der Schule.

Wann hast du den Entschluss gefasst, dich weiter zu professionalisieren?
Ich war 18 Jahre alt und hatte die Idee, mich an einer Akademie für Kunst zu bewerben, und bin auch im ersten Versuch mit meiner Bewerbungsmappe angenommen worden. Freunde von Freunden waren Künstler und hatten mir dazu vorher Tipps gegeben.

Wie war dein erster Eindruck mit welchen Konsequenzen?
Ich fing dort an und dachte, dass ich jetzt malen werde. Aber dort gab es Leute, die besser waren als ich. Ich fing deshalb an, mich handwerklich auch in unterschiedlichen Medien weiterzubilden. Handwerk war dabei immer mein Ding. Zuerst lernte ich in den Fachklassen Installationskunst und Land-Art. Raum-Installationen waren dabei meine Sache. Am Ende kam ich zur Medienkunst.

Wie haben deine Eltern deine Entwicklung wahrgenommen?
Meine Mutter ist Ärztin und mein Vater Architekt. Als ich 18 Jahre alt war und diesen Weg einschlug, fanden sie, dass es keine so gute Idee sei. Die haben mir ganz klar gesagt: Das ist schwer. Und sie haben recht gehabt – es ist sehr schwer (gemeinsames Lachen)!

Aber hättest du dir auch vorstellen können, etwas anderes zu machen?
Ich war ganz gut im Snowboarden. Als Weg hatte ich zuvor in Betracht gezogen, etwas damit zu machen. Aber in einem Wettbewerb merkte ich, dass ich mehr Angst hatte als die anderen Leute dort (gemeinsames Lachen). Ich war an mein Limit gekommen, weil: Die hatten keine Angst.

12 Antti Pussinen c Katharina Poblotzki

Du kommst aus Finnland und sprichst über Grenzen. Wie ist dabei der Blick auf die Finnen?
(Lachen) Freunde sagen zu mir, du bist kein Finne! Weil ich so viel rede, kein Eishockey mag und nicht saufe … (gemeinsames Lachen).

Lassen sich Elemente in deiner Kunst finden, die betont finnisch sind?
Ja. Viel Weiß. Es ist ein wenig dieser Minimalismus. Ich merke jetzt, dass ich vom großen Horizont in der Natur beeinflusst bin. Das passiert vor allem dann, wenn andere zu meiner Kunst sagen, das sieht so skandinavisch aus. Ich bin gerne oft in der Natur. Es ist dort die Ordnung in einem Chaos, die mich anzieht. Eben so, wie man es in meinen Werken auch vorfindet.

Ist es nicht die Quadratur des Kreises, das Chaos ordnen zu wollen?
In der Natur wie auch in der Physik gibt es ein kompliziertes Regelwerk. Es sieht kompliziert aus, folgt aber doch immer einem System, beispielsweise, warum die Bäume so wachsen oder warum die Wellen im Wasser so gehen?

Und auf deine Kunst übertragen heißt das was?
Bei meinen Schallwellen-Fotogrammen, die ich jetzt mache, kann ich kontrollieren, was passiert. Aber es gibt immer auch ein ganz großes Element des Zufalls. Und es ist für mich stets auch eine Überraschung, was dabei rauskommt.

Sprichst du dabei über die Narration von Kunst?
Ja. Über die Ästhetik im Bild. Aber auch konkret, was dabei schließlich rauskommt.

Und was ist es, was dabei entsteht?
Analoge Kunst. In all meinen Werken gibt es nichts Digitales. Zwar nutze ich, wenn ich Aufnahmen mache, ein digitales Gerät, aber meine Werke entstehen dann aus Licht und Chemie.

Antti Pussinen Global Keystone2

Antti Pussinen, installation view of Global Keystone, Projio, Tampere (FI), 2023

17 of cities and private living room installation View

Understanding love in 9 languages, Ausstellungsansicht, Luisa Catucci Gallery

Wie genau ist der Ablauf in deiner Produktion?
Ich habe eine Maschine oder, besser gesagt, eine Technik entwickelt, bei der ich alte Röhrenfernseher nutze. Ich nehme diese auseinander und verwende den Bildschirm. Darin befindet sich der Elektronenstrahler. Ich erzeuge dort elektromagnetische Felder, die ich mit verstärkten Schallsignalen steuere. Wenn der Strahl des Schalls durch das elektromagnetische Feld geht, biegt er sich in eine Richtung, und in diesem Strahl ist so viel Energie drin, dass der Strahl, der das Fotopapier trifft, das darunterliegende Silberpapier sofort belichtet. Die Schallfrequenz ist ziemlich hoch, so dass er sich mehrere tausend Mal in der Sekunde bewegt. So entstehen dann die Fotogramme.

Und was nutzt du als Schall-Erzeuger?
Hier beispielsweise einen Synthesizer. Davon habe ich so einige aus den Siebzigern.

Spielt dabei Musik eine Rolle?
Nee. Mehr einfach nur der Schall. Für meine Berliner Ausstellung habe ich dazu menschliche Stimmen aufgenommen, die Wörter sprechen. Es ist eine Serie geworden mit neun verschiedenen Menschen in ihren Muttersprachen und dem Wort „Liebe“.

Warum Liebe?
Ich wollte ein Wort mit einer starken Bedeutung, um dies in meinen Fotogrammen sichtbar zu machen. Ich glaube, ich werde mit diesen Wörtern und vor allem mit Sprache sowie deren Bedeutung weiter arbeiten. Auch um in meiner konkreten Fotokunst jetzt weiterzukommen. Aber ebenso gerne mache ich Skulpturen und Rauminstallationen.

Wenn man dich einer Kunstgattung zuordnen sollte, wo siehst du dich?
Auch wenn ich Skulptur mache, bin ich kein Bildhauer. Ebenso wenig fühle ich mich mit meinen Installationen als Installationskünstler, und meine Fotogramme machen mich nicht zwangsläufig zum Fotografen. Gute Frage (Lachen)!

Was bist du dann?
Ich bin ganz einfach Künstler, weil ich meine Arbeit vom Resultat her denke. Zur Zeit sind es meine Fotogramme, die mich beschäftigen. Und ich weiß nicht, was als Nächstes kommt. In Finnland habe ich beispielsweise eine Einladung zu einer Licht-Biennale im November, bei der ich eine Installation in einer alten Fabrik zeigen werde. So etwas mache ich auch gerne. Aber deshalb bin ich kein Medien-Künstler. Ich bin eben Projekt-Künstler (gemeinsames Lachen)!

Was ist dabei die Herausforderung?
Als Projekt-Künstler bleibt für mich immer alles neu und interessant. Ich mag eben gerne lernen. Ich liebe es, neue Sachen zu erlernen.

Wie stehst du der Kunstgeschichte mit referenziellen Bezügen gegenüber? Fotogramme bringe ich mit dem Bauhaus und dem Künstler Christian Schad zusammen …
Ja, aber ich schaue mir die Bezüge zu meiner Arbeit in der Kunstgeschichte erst später an. Ich muss die Arbeit erst machen und will mich nicht beeinflussen lassen, denn ich will meine eigene Sprache finden. Es ist einfacher, wenn du einfach nichts weißt! Und dann später kannst du sehen, in der großen Geschichte bin ich irgendwo DA (markiert mit dem Zeigefinger in die Luft). Und auch wenn ich neue Ausstellungen mache, schaue ich nicht, womit gerade die anderen Künstler so beschäftigt sind. Ich möchte meinen Kopf freihalten für meine Gedanken und mich in keine Vergleiche ziehen lassen.

Und die Erkenntnis bei diesem Vorgehen?
Es passiert in der Rückblende betrachtet natürlich schon mal, da man in derselben Zeit lebt, dass komischerweise Ähnliches auch bei anderen Künstlern entstanden ist, aber ohne es zunächst zu wissen. Jetzt habe ich aber Zeit, mir für mein Projekt in Köln Neues zu überlegen. Das vergangene Jahr habe ich mit Fotogrammen gearbeitet. Ich denke, es wird hier auch wieder in diese Richtung gehen. Ich denke, es geht weiter …

Bekommen deine Arbeiten auch Titel, und wie kommen diese zustande?
Die Festlegung erfolgt immer erst sehr spät. Meistens am Tag, bevor die Pressemitteilung raus muss. Auch wenn ich vorher schon die gesamte Zeit des Schaffensprozesses darüber nachgedacht habe, entscheide ich in der letzten Minute. Ohne Titel – das ist für mich keine Option. Aber vielleicht muss ich da noch ein System finden (Lachen).

19 Antti Pussinen c Katharina Poblotzki

Es gibt die Kunst und es gibt den Markt. Wie denkst über das System im Kunstmarkt?
Ich versuche, mich immer fernzuhalten von diesem Markt. Ihn gibt es und er ist wichtig. Er ist nicht immer schön (Lachen), aber er ermöglicht den Lebensunterhalt. Tatsächlich will ich aber so frei wie möglich meine Kunst machen.

Was macht deine Kunst aus?
Meine Kunst hat mit der Kraft von Natur und Physik zutun. Aber auch mit dem Gefühl von Bedeutungslosigkeit. Ich, alles ist sehr klein, und in dem ganz großen Bild ergibt nichts Sinn, und alles ist bedeutungslos. Und genau das finde ich sehr schön – sehr befreiend und beruhigend. Und das ist auch die Hauptidee und ist zugleich auch der Anfangspunkt meiner Kunst.

Das Fenster hier ist geöffnet, und wir haben für einen kurzen Moment ein Maschinengeräusch gehört. Dieses Geräusch wird nie wiederkommen. Geht es also auch um Vergänglichkeit?
Gerade in diesem Moment ist dieses Geräusch Bestandteil unserer Realität gewesen. Es ist vergangen. Ich versuche Phänomene dieser vermeintlichen Bedeutungslosigkeit einzufangen und durch meine Fotogramme sichtbar zu machen. Und durch einen chemischen Prozess bleiben sie eben in der Realität. Das verändert etwas. Die Photone und anderen Partikel des Strahls meiner Technik bewirken eben, dass sie auf dem Silbergelatine-Papier eine Emulsion eingehen. Sie verändern das Silberoxid und es wird schwarz. Ich will diese Momente einfangen.

Auf den Punkt gebracht …
Ich will die Bedeutungslosigkeit einfrieren!

Understanding love in 9 languages, Ausstellungsansicht, Luisa Catucci Gallery

Understanding love in 9 languages, Ausstellungsansicht, Luisa Catucci Gallery

5 Refusing To Meet Your Eyes Installation View

Understanding love in 9 languages, Ausstellungsansicht, Luisa Catucci Gallery

Interview: Sebastian C. Strenger
Fotos: Katharina Poblotzki

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