Die bildende Künstlerin Bianca Phos erforscht medienübergreifend Verbindungen zwischen dem Körper, der Gesellschaft, von Technologie und unserer Umwelt. Insbesondere durch Skulptur erkundet sie somatische Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten mit einem Schwerpunkt auf Verletzlichkeit und Machtdynamik. Durch bewusstes Einbinden von Umweltfragen und technologischem Fortschritt in ihre Perspektive bietet sie eine besondere Reflexion über die Komplexität unseres Daseins an.
Bianca, gab es für dich diesen einen Moment, der dir sagte, ich will Künstlerin sein?
Kunst war immer schon die einzige Konstante in meinem Leben. Die schwierigere Frage ist, wann ich das tatsächlich entschieden habe, denn es ist nicht immer ein einfacher Weg; man muss auch bereit sein, Risiken einzugehen. Und das war dann wahrscheinlich erst viel später, als ich mich an der Akademie der bildenden Künste in Wien beworben habe.
Wenn Kunst diese eine Konstante war, hat dich dein Umfeld aktiv auf deinem Weg unterstützt?
Ja, schon. Ich habe von klein auf immer und überall gezeichnet, und es war irgendwie immer klar, sie wird Künstlerin. Dennoch musste ich erst Wege finden, mir ein Leben als Künstlerin auch zu ermöglichen und zu finanzieren. Ich denke, wenn man etwas wirklich will und gerne macht, findet man diese Wege irgendwie. Kunst zu machen, schenkt mir auf jeden Fall unglaublich viel Kraft und Energie und Perspektive. Aber dass man Menschen um sich hat, die an einen glauben und einen unterstützen, ist wichtig, und das hatte ich.
Schließlich hast du an verschiedenen Institutionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten studiert — von der Fotografie bis hin zur Bildhauerei. Wo siehst du dich jetzt?
Ich finde das total schwierig, dass Kunst immer so in Kategorien klassifiziert wird. Am liebsten sage ich einfach: Ich bin bildende Künstlerin! Ich finde es eigentlich viel spannender, sich zwischen den Medien zu bewegen und wenn sich verschiedene Medien im Prozess gegenseitig beeinflussen, also Zeichnung und Bildhauerei oder neue Medien in meinem Fall. Anfangs hat mich die Frage beschäftigt, was ein Bild ist in unserer Zeit, ich habe mit Wahrnehmung, Licht und dem digitalen Bildcode gearbeitet. Die Auseinandersetzung mit der Immaterialität hat ein starkes Bedürfnis ausgelöst, mit Materialität und Raumverhältnissen zu arbeiten.
Was reizte dich an Materialität?
Diese Materialitätsfragen waren immer schon da, auch beim Arbeiten im digitalen Raum. Ich habe nach Störfaktoren gesucht, um mein Material besser zu verstehen. Irgendwie ziehen mich oftmals Materialien in ihren Bann, deren Fragilität mich beeindruckt, die schon etwas erlebt haben oder die in irgendeiner Weise als fehlerhaft deklassifiziert werden, also eben auch Ausschuss und B-Ware.
Du hast an sehr vielen Orten gelebt und studiert, das scheint sehr prägend zu sein …
Ja genau, es war spannend, zu erleben, dass überall ein ganz eigener Diskurs stattfindet, und deswegen finde ich es auch total wichtig, nicht am gleichen Ort zu bleiben. In Wien habe ich an der Akademie der bildenden Künste bei Dorit Margreiter Video und Installation studiert und später bei Heimo Zobernig Textuelle Bildhauerei. In Hamburg war ich an der HFBK Hochschule für bildende Künste bei Simon Denny und in Jerusalem an der Bezalel Academy of Arts and Design. So gab es einige Personen, Perspektiven und Sichtweisen in meinen verschiedenen Studien, wie man über Kunst und Leben nachdenken kann.
Zieht es dich an sich weg für deine künstlerische Arbeit?
Immer. Es geht doch um Erfahrungen. Es ist ein bisschen so wie spazieren gehen. Man weiß ja vorher nicht, was man sehen und erfahren wird. Ich finde es jedes Mal spannend, wenn ich woanders bin. Ich denke, es ist auch eine Art, sich selbst besser kennenzulernen, weil man im Fremden einfach sehr viel über das Eigene verstehen lernt.
Wie fließen diese Eindrücke in deine Kunst ein?
Vieles ist unterbewusst … Die Wüstenregionen im Mittleren Osten haben mich extrem beeindruckt. Vielleicht arbeite ich deshalb gerade mit Sand und abrasiven Mineralpartikeln. Ich arbeite auch oft mit Fotos, die wie Notizen funktionieren. Oder Fotos, die ich in der Natur und auf Reisen gemacht habe, verwende ich tatsächlich gerne als Ausstellungs-Teaser.
Als in Wien lebende Künstlerin, was ermöglicht dir diese Stadt im Vergleich zu anderen Orten?
Ich bin in Wien, Kärnten und Niederösterreich groß geworden; diese Stadt-Land-Mischung empfinde ich als sehr bereichernd. Jeder Ort ermöglicht etwas anderes, Eigenes. Wien ist der Ort, an dem ich mir meine Basis aufgebaut habe, hier ist mein Studio, hier sind meine Workflows eingerichtet, meine Materiallieferanten sind hier, und hier ist mein Netzwerk.
In deinen Arbeiten beschäftigst du dich medienübergreifend mit Körper, Gesellschaft, Technologie und unserer Umwelt. Wie konkretisierst du dieses Themengeflecht in deinen Werken, worum geht es dir?
Diese Frage kann man sich als Künstlerin jeden Tag aufs Neue stellen, und die Antworten verändern sich mit einem. Es ist so ein dynamisches Feld, aber es gibt ein paar Konstanten, die ich disziplinübergreifend zu fassen versuche … Ich interessiere mich seit Längerem für verkörperte Erfahrungen. Nach einem schwereren Unfall habe ich begonnen, mich intensiv mit biologisch-medizinischen Zusammenhängen, aber auch mit psychophysischen Themen zu beschäftigen; also Diskurse aus Bereichen wie dem Kritischen Posthumanismus, aber auch Trauma und Disability Studies oder Science-Fiction-Literatur haben mich sehr beeinflusst. Ich finde es oft verstörend, wie Körper in unserer Gesellschaft bewertet werden, also einerseits auf ihre Funktionalität hin oder auch auf ein Altern hin entwertet werden. Das ist eine Dimension, die seitdem wichtig ist in meinen Arbeiten. Einen anderen Komplex bilden die Organisation von Wissen, also auch verkörpertes Wissen, und relationale Denkmodelle, also ein Nachdenken über Relationen und Beziehungsweisen. Mir geht es darum, herauszuarbeiten, wie der eigene Organismus, also das eigene System, mit allem anderen in Verbindung steht. Und wie die Vorstellung eines autonomen Selbst zerfällt, sobald man die Vielzahl von miteinander kommunizierenden Einheiten mitdenkt, die einen Organismus eben ausmachen.
Kannst du das anhand einer Arbeit erklären?
Davon steckt etwas in allen Arbeiten. Meine Soundarbeit Relational Breathing (2020) zum Beispiel, die gerade in der Ausstellung GRIT bei Zeller van Almsick zu sehen ist, war ursprünglich für den Außenraum konzipiert und in sechs Metern Höhe zwischen vier verschiedenen Nadelbäumen verspannt. Im Soundfile habe ich verschiedene Arten zu atmen zusammengeschnitten — es treffen sich Atemrhythmen von extremer Verausgabung und wiedererlangter Kontrolle, beispielsweise von einem Soldaten, bis hin zu dem sogenannten Ujjayi Breath aus dem Yoga, welcher wiederum sehr ähnlich ist zum künstlichen Atem von Darth Vader, der vom Sounddesign an COPD orientiert ist. Durch den Ultraschallsound ergab sich ein sehr intimer Moment, da du dieses Atmen plötzlich ganz nah erfährst, als wäre es in deinem eigenen Kopf. Alles steht über die Luft und die Atmung miteinander in Verbindung. Meine Oma hatte lange mit der Lungenkrankheit COPD zu kämpfen, daher war ich schon sensibilisiert auf das Thema Atemnot und was es bedeutet, mit dieser Krankheit zu leben. Mit Corona wurden dann medizinische Datenbanken zur Open-Source-Nutzung geöffnet in der Hoffnung, dass man eine App schreiben kann, die diese kranken Atemmuster über einen Algorithmus identifiziert. D.h., während alle anderen Klopapierrollen im Supermarkt geplündert haben, habe ich mir Soundprofile von Atemstörungen angehört und begonnen, einen Loop zu schneiden. (lacht) Luft oder das Nervensystem, diese Verbindungen sind ja so nicht sichtbar, und mir ging es auch um eine Politisierung von Atmung oder wie sie verkörpert wird und wie Körper sich über die Atmung auch gegenseitig beeinflussen können.
Das klingt nach tiefgehenden Recherchen. Wie ordnest du deine Gedanken bis hin zum Kunstwerk?
Eine Freundin, sie ist Kunsthistorikerin, scherzte einmal, dass sich jede meiner Arbeiten wie ein wissenschaftliches Paper lesen lässt. (lacht) Ich weiß nicht, ob das der Fall ist; aber jedenfalls kommen viele Dinge zusammen, und dann verdichten sich die Gedanken und Gefühle, und so kommen auch die Entscheidungen ganz natürlich, auch wie man mit einem Thema oder Material umgeht. In meiner Arbeit Deep Thrills geht es auch sehr stark um relationales Denken und wie, ausgehend vom Nervensystem, alles miteinander in einer dialogischen Beziehung steht. Diesen Zugang verfolge ich in meiner Arbeitsweise generell. Ich verwende eine eigene Software, um meine Gedanken und Notizen zu sammeln, ähnlich einer Methode aus der Kunstgeschichte, eine Art Zettelkastensystem. Ich versuche, jeden Gedanken auf seine Essenz zu reduzieren, um dann Relationen zu anderen Gedanken herzustellen. Das ist sehr assoziativ, und über einen Visualisierungsgrafen lassen sich die Relationen bildlich fassen, sie verändern sich dynamisch mit jeder neuen Arbeit. Es ist irgendwie auch ein Festhalten von Gedanken und Ideen, bevor sie verschwinden.
Wann sind deine Arbeiten abgeschlossen?
Ich kann überhaupt nichts mit dem Begriff der Abgeschlossenheit anfangen, und ich hoffe, dass keine einzige meiner Arbeiten jemals abgeschlossen ist. Ich glaube, dass ich es jetzt gerade zur Spitze treibe mit jenen Arbeiten, in denen Cutting Instrument auftaucht, dazu zählen auch die Arbeiten aus der Deep Thrills Serie, weil es als System gedacht ist, das sich permanent verändert und sich entgegen einer Abgeschlossenheit dynamisch weiterentwickelt, wächst und ständig reorganisiert.
Wie können wir uns deinen Arbeitsalltag vorstellen, lagerst du bestimmte Prozesse aus?
Tatsächlich habe ich mehrere Arbeitsorte, denn es gibt noch zwei weitere Produktionsorte, wo ich schweißen oder Laserarbeiten umsetzen kann. In meinem Studio in der Seestadt kommt alles zusammen, hier sammle ich, montiere und collagiere neu zusammen. Manches lagere ich auch aus, mittlerweile habe ich mir ein Netzwerk an Industrie- und Gewerbepartnern aufgebaut. Aber so gesehen sind meine Tage sehr unterschiedlich … Manchmal bin ich den ganzen Tag damit beschäftigt, einfach nur Material zu recherchieren. Ich fahre gerne zu Industriebetrieben und spreche mit Leuten über Materialien und deren Eigenschaften und lerne neue Bearbeitungstechniken oder auch altes Handwerk. Erst letztens war ich zu Besuch in der Sandstrahltechnik. Da habe ich verschiedene Samples bekommen mit unterschiedlichen Sandarten, Körnungen und Mineralienzusammensetzungen. Aber an sich beginnt mein Arbeitsprozess am besten bereits nach dem Aufstehen; die erste halbe Stunde ist dem Zeichnen vorbehalten und dann – keine Ahnung ... die besten Ideen kommen beim Duschen oder beim Spazieren. (lacht)
Einige deiner Arbeiten, wie die Serie Deep Thrills, wirken einerseits stark und robust, andererseits organisch und fragil …
Ja genau, ich finde es spannend, wenn verschiedene Kräfte im Dialog zueinander stehen; auch wenn Verletzungsoffenheit und Verletzungsmacht aufeinandertreffen. Es ist ja auch so, dass ich im Dialog mit dem Material bin, wenn ich damit arbeite. Jedes Material bringt seine Eigenschaften mit, ich meine, das Material an sich sagt schon viel, da schwingen Assoziationen mit, eine Geschichtlichkeit, aber auch Zeitebenen. Auch die Zeitlichkeit in der Bearbeitung ist eine andere: Stein zum Beispiel ist sehr langsam und Holz ist furchtbar schnell und Metall hat so meinen Speed; es ist sehr vielseitig und veränderlich, kann hart sein, weich sein, schwer, aber auch unglaublich leicht, man kann es biegen oder hämmern. Metall ist widerständig, es macht sehr viel mit und hält sehr viel aus, man kann die innere Struktur verändern, das finde ich interessant. Ich mag daran, dass es so wandelbar ist und doch sehr präzise. Oft müssen die Dinge ineinander passen, und hier ist Präzision dann wichtig, auch mit engen Toleranzen.
Was erlaubt dir diese Präzision?
Es hat etwas mit System und auch Systemfragen zu tun. Wenn die Einzelteile ineinanderpassen, wie bei Deep Thrills, geht es mir darum, dieses regulierte, kontrollierte System mit all seinen Einteilungen und Unterteilungen, also seine gegliederte Struktur zu brechen, indem diese organischen Geflechte hervorwuchern; also auch Vorstellungen vom Klinischen mit dem Organischen zu konfrontieren. Interessanterweise erscheint dann das Material im ersten Moment oft als etwas anderes. Bei den lasergeschnittenen Ledergeflechten dachten viele, es sei rostiges Metall.
Es handelt sich also um einen bewussten Umgang mit Wahrnehmung?
Ja, wenn das passiert, finde ich das spannend. Oft erscheinen Dinge als etwas anderes, und man nimmt diese Veränderlichkeit wahr. Es ist die Frage, was ist Wahrheit, und wie konstruieren wir Realität. Ich arbeite gerne mit diesen inneren Vorstellungen von etwas und wie man diese verändern kann. Ich glaube, dass man über die Veränderung von inneren Vorstellungen oder Bildern generell auch viel verändern und bewegen kann, und gerade jetzt ist es so eine Zeit, wo das wichtig ist. Wie kann man das Mindset verändern und wie kann man neue Perspektiven schaffen? Ich glaube, dass Kunst diese Kraft und dieses Potenzial hat, das zu machen.
Du arbeitest mit großen Themen, die gesellschaftspolitisch gelesen werden können … Werden deine Werke auch missverstanden?
Nicht, dass ich davon wüsste, aber ich finde es gut, wenn alles möglich bleibt. Auch, wenn jemand über meine Kunst schreibt, gibt es eigene Sichtweisen auf meine Arbeit. Und dann ist es nicht unbedingt wichtig, was meine war. Ich finde es interessant, zu schauen, was jemand anderer damit macht. Deswegen würde ich nicht von einem Missverständnis sprechen, sondern eher von einem anderen Verständnis. Ich habe auch das Gefühl, ich selbst lerne noch über meine Arbeiten, d.h. auch mein Verständnis verändert sich.
Gibt es Reaktionen, die du dir wünschst?
Nein, es kann jeder so reagieren, wie er will. (lacht) Wenn sich Leute mit meinen Arbeiten beschäftigen, dann macht mir das Freude. Manchmal gibt es so einen Feedbackloop, und ich finde, dass die Kommunikation ein wichtiger Moment ist und dass darüber viel passiert. Aber ich hoffe doch sehr, dass meine Arbeiten auch für sich allein stehen können, ohne dass man etwas dazu sagt. Vielleicht sogar diesen Moment zu erwischen, wenn die Sprache an ihre Grenzen stößt.
Manche Arbeiten, wie Relational Breathing, sind für den öffentlichen Raum geschaffen. Was erlauben dir unterschiedliche Raumverhältnisse?
Es kann eigentlich alles überall sein; es verschieben sich nur die Verhältnisse. Ich arbeite ja installativ, mit der Wahrnehmung meiner Arbeiten in Relation zum Raum, und es geht mir auch darum, eine gewisse Atmosphäre zu schaffen. Interessanterweise beeinflusst der öffentliche Raum nicht nur die Arbeiten an sich, sondern auch mein Denken über Skulptur. Es verschiebt sich, weg von einer Relation zum Raum hin zu einer Relation zur Welt. Das ist ein sehr spannender Prozess.
Du bist immer wieder in Duo-Ausstellungen vertreten, so auch mit Yorgos Stamkopoulos in Touch Me, Don’t Touch Me (2023) bei Zeller van Almsick. Wie ist es, mit anderen Kunstschaffenden zu arbeiten oder in Beziehung gesetzt zu werden?
Ich finde das super, weil dann so ein spielerisches Pingpong beginnt; es öffnet die eigene Arbeit, und es ist schön, wenn eine Annäherung passiert. Ich finde es bereichernd, mit anderen in einen Dialog zu treten. Zurzeit kuratiert Livia Klein gerade eine Duo-Ausstellung mit Titania Seidl und mir, wo es genau um diese Begegnung und den Dialog geht.
An welchen Projekten arbeitest du sonst noch?
Neben dem Duo mit Titania arbeite ich gerade an meiner nächsten Einzelausstellung in der zweiten Jahreshälfte und an einer Gruppenausstellung im Tresor des Bank Austria Kunstforum, kuratiert von Bettina Busse und Contemporary Matters, zum Thema Storage und Memory. Und besonders freue ich mich auch schon auf meine Residency in Nida Art Colony in Litauen, wo ich den Sommer über sein werde.
Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Christoph Liebentritt