Der österreichische Künstler Boicut vereint impulsive Linien und abstrakte Flächen, die er, in Anlehnung an die schönen Dinge des Lebens, in seiner charakteristischen Farbpalette von Pastelltönen malt. Das passt zu seiner eigenen positiven und entspannten Einstellung zum Leben und zu seiner Karriere als Künstler. Man möchte ihn in der Street Art ansiedeln, aber das hört er nicht gerne. Denn er mag es nicht, Dinge in Schubladen zu stecken. Was er viel lieber mag sind Kaffee und Zigaretten. Boicut mag die Kultur der Zusammenarbeit, die er in der Wiener Künstlerszene vorfindet, und er würde nirgendwo woanders sein wollen - zumindest vorerst nicht. Wir trafen Boicut in seinem Atelier und sprachen mit ihm unter anderem über ein ereignisreiches letztes Jahr, den Ruf nach Miami, und wie er überhaupt zur Kunst kam.
Boicut, wenn man dir auf Facebook und Instagram folgt, sieht man, dass du sehr viel unterwegs bist.
Ja, das letzte Jahr war schon sehr voll. Für mich ist das aber super. Im Februar war ich einen Monat in Miami. Ich wurde zur Art Wynwood eingeladen. Eine Arbeit von mir wurde dann dort für Einladungen, VIP-Pässe und Booklets verwendet. Ich hatte ein eigenes Studio auf der Messe und habe eine Woche vor Ort gearbeitet. Anschließend, im Mai, war ich in NYC bei Freunden. Die Stadt mag ich einfach gerne. Danach hat mich dann ein Sammler von mir zum Arbeiten wieder nach Miami eingeladen. Das war alles schon anstrengend, aber, wie gesagt, super für mich.
Du bist im letzten Jahr auch eine künstlerische Zusammenarbeit eingegangen?
Im September war ich mit Peter Phobia zusammen in Belgrad. Wir kennen uns schon ein paar Jahre vom Weggehen her. Irgendwann sind wir ins Gespräch gekommen, da mir seine Arbeiten schon immer sehr getaugt haben. Es war schnell klar, dass wir irgendwann mal was zusammen machen werden. FürAbsolut haben wir dann eine Wandarbeit im Sneak-In in Wien gemacht. Unsere beiden Stile passen sehr gut zusammen. Peter ist eher illustrativer mit seinen für ihn typischen Sturmhauben mit Mickey-Mouse-Ohren und ich abstrakter mit meinen Flächen und Mustern.
Wie kamst du denn eigentlich überhaupt zur Kunst?
Das kam alles ziemlich spät. Ich habe zwar schon immer gerne gezeichnet. Doch irgendwann kamen eben dann andere, wichtigere Sachen. Die erste Freundin, skaten, und ich habe das Zeichnen aus den Augen verloren. Dann absolvierte ich eine Ausbildung zum Elektrotechniker. Das war meinen Eltern wichtig. Nach der Matura bin ich nach Wien und wollte was machen, was nichts mit Technik zu tun hat, und habe begonnen Psychologie zu studieren. Nebenbei habe ich dann vier Jahre in einem Call-Center gearbeitet. Für den Moment hat das gepasst.
Wie hast du dann zum Zeichnen und Malen zurückgefunden?
Eine Freundin, die auf der UdK in Berlin studierte, hat mich eigentlich wieder zum Malen gebracht. Sie hat mir damals mein erstes Skizzenbuch geschenkt. Das war so mit 20 Jahren. Ich hab dann versucht, auf der „Grafischen“ oder der „Angewandten“ zu studieren. Die Aufnahmeprüfung für Design habe ich nicht gleich geschafft und dann eben an der „Grafischen“ erst mal Drucktechnik studiert. Das war voll spannend. Ich hab da alle Drucktechniken gelernt. Nach einem Jahr begann ich dann aber, Grafikdesign zu studieren. Währenddessen habe ich immer weiter gezeichnet. Bei Projekten im Studium habe ich, wo andere Fotos verwendeten, selbst gezeichnet und merkte mehr und mehr, dass es das war, was ich machen wollte. Freies, künstlerisches Arbeiten taugte mir von Anfang an am meisten.
»Das war im letzten Jahr an der Uni, in der Meisterklasse. Mein Thema war „Der Künstler als Marke“, so habe ich „Boicut“ geboren und mir einen Namen gesucht und ein Logo.«
Boicut ist dein Künstlername. Wie kam es denn dazu?
Das war im letzten Jahr an der Uni, in der Meisterklasse. Mein Thema war „Der Künstler als Marke“, so habe ich „Boicut“ geboren und mir einen Namen gesucht und ein Logo.
Wieso nicht deinen echten Namen?
Das kommt aus der Street Art. Ich habe zwar nicht mega viel gemacht, aber bin schon auch nachts unterwegs gewesen. Hab viel gekleistert und mir viel Inspiration geholt. Viele meiner Freunde haben das gemacht und jeder hatte seinen eigenen Namen. Mein normaler Name gefällt mir nicht so sehr. Der eigene Name ist immer schwierig, finde ich. So mit sechzehn habe ich mich „Tankboy“ genannt, weil ich in „Tankgirl“ verliebt war. Das hat dann irgendwann nicht mehr gepasst. Ich wollte aber einen Namen mit „Boy“ haben. Es war gerade ein Freund zu Besuch und wir haben gemeinsam über einen passenden Namen nachgedacht. Ein Stanley-Messer auf meinem Tisch, mit dem ich viele Schablonen geschnitten hatte, inspirierte uns dann zu Boicut. Boicut fühlte sich richtig an für mich.
Und dann ging es los mit Kunst?
Eigentlich wollte ich gleich loslegen. Nach ein paar Monaten war ich dann aber doch wieder beim Gestalten von Weinlabels gelandet. Da musste ich mich von irgendwelchen burgenländischen Weinbauern beschimpfen lassen, weil ihnen das Logo nicht gefiel. Das war nach dem Studium. Ich hatte noch kein Geld und musste alles annehmen, was ging. Glücklicherweise hat sich der Chef einer Agentur gemeldet, der mich als Grafiker haben wollte. Das mit „Boicut“ wusste er, und das war wirklich super. Ich konnte neben der Agentur meine Arbeiten machen. Das ging eine Weile ganz gut, bis beides irgendwann nicht mehr miteinander vereinbar war und ich mir vorgenommen hatte zu kündigen. Das hab ich dann auch durchgezogen. Von da an habe ich nur noch meine Sachen gemacht. Für meine Eltern war das nicht immer einfach. Ich wollte aber alles ausprobieren und mir später nicht mal Vorwürfe machen müssen, etwas nicht versucht zu haben.
Mit welcher Arbeit konntest du denn das erste Mal dein eigener Herr sein?
Meinen ersten großen eigenen Job hatte ich dann für Steffl, das große Kaufhaus im ersten Bezirk hier in Wien. Damals hatte ich noch kein Atelier und musste in meinem Wohnzimmer arbeiten. Das war nicht ganz einfach, denn ich habe vier Meter hohe Panelen für die Schaufenster gebraucht. Das war der Anfang meiner Selbstständigkeit und eines kam nach dem anderen. Seitdem mache ich nur noch, was ich will – ein Traum. Ich weiß das echt zu schätzen.
Wie ging es denn mit der Kunst weiter?
Ich hatte bald meine erste Solo-Show in der Inoperable Gallery. Kurz darauf bin ich auf die Ausstellung Cash, Cans & Candy der Galerie Hilger aufmerksam geworden. Daraufhin habe ich mich mit der Galerie in Verbindung gesetzt und sie gefragt, ob sie nicht was von mir in der Ausstellung zeigen möchten. Am Nachmittag haben sie schon die ersten Sachen bei mir abgeholt. Katrin Sophie Dworczak von Hilger Next habe ich dann in Miami näher kennengelernt. Damals, 2013, bin ich gemeinsam mit den Jungs von „Perfekt World“ zur Art Basel Miami geflogen – künstlerisch einer der bis jetzt inspirierendsten Aufenthalte. Kurz darauf habe ich dann in der Ankerbrot-Fabrik bei Hilger Next ausgestellt. Seitdem arbeiten wir super zusammen.
Ist es denn wichtig, eine Galerie zu haben?
Schon, denn ich wäre letztes Jahr nicht nach Miami gekommen, wenn ich nicht meine Galerie gehabt hätte. Es ist auch eine richtige Freundschaft daraus geworden. Mit meiner Galerie, und ganz besonders Kati, hatte ich wirklich Glück!
Welche Rolle spielt Wien in deiner Karriere als Künstler?
Wien taugt mir wahnsinnig und ist noch immer unterbewertet, finde ich. Früher wollten alle nach Berlin. Der Hype ist aber meiner Meinung nach lange vorbei. Wien hat genau die richtige Größe. Gerade im Kunst- und Kreativbereich gibt es viele Kooperationen untereinander. Zusammenarbeiten steht vor Konkurrenz. Aus anderen Städten kenne ich das nicht so. Lange dachte ich mir, dass ich eine Weile in die USA gehe. Im letzten Jahr war ich ja öfter mal in den Staaten. Im Tagtäglichen ist es dann doch etwas anders, als man es sich gemeinhin vorstellt. Wien bleibt erstmal meine Basis.
Wie würdest du jemandem, der dich nicht kennt, erklären, was dein Job ist?
Im Großen und Ganzen male ich, egal ob digital oder analog. Ich mache sowohl eigene Sachen als auch Kooperationen mit Marken. Auch wenn meine Arbeiten manchmal an der Grenze zur angewandten Kunst sind, bin ich kein Designer, sondern Künstler. Die Freiheit bei der Arbeit ist mir das Wichtigste! Ich mag keine Korrekturschleifen mehr!
Und dennoch nimmst du auch Auftragsarbeiten an?
Das stimmt, aber in so einer Zusammenarbeit kommt es mir sehr darauf an, dass mir freie Hand gelassen wird. Bei der Arbeit, die ich zusammen mit Peter Phobia für Absolut hier im Sneak-In gemacht habe, kam dann irgendwann die Idee auf, dass wir die markante Form der Wodkaflasche mit einbauen könnten. Aber uns wurde nicht in die Arbeit reingeredet. Da sagte niemand: „Mach das doch ein wenig größer oder kleiner“ oder so. Es ist mir wichtig, dass beide Seiten happy sind.
Street Art ist ja noch nicht so lange in den Galerien zu finden.
Ich hab mit dem Begriff „Street Art“ so meine Probleme. Da geht es, glaube ich, nicht nur mir so. Street Art sieht man auf der Straße, wie der Name auch sagt. Wenn ein Street Artist in einer Galerie zu finden ist, hat das meiner Meinung nach nichts mehr mit Street Art zu tun. Ich bin kein Freund von „in Schubladen denken“. Für mich ist das ganz einfach Kunst!
Du hast schon einige Sammler. Nuriel Molcho beispielsweise hat seine Sammlung mit einer kleinen Arbeit von dir begonnen. Weißt du, wer deine Arbeiten kauft?
Wenn du mich fragst, wie es ist, Leute zu haben, die meine Arbeiten sammeln, denke ich an die Zeiten zurück, die noch nicht so lange her sind, in der ich noch als Grafiker gearbeitet habe. Es ist schon ein Mega-Gefühl, wenn man von einem Sammler eingeflogen wird, um für ihn Arbeiten zu machen. Es ist schon super, dass ich diesen Job habe, den ich eigentlich gar nicht so sehr als klassische Arbeit ansehe.
Für die Art Miami hast du eine große Skulptur gemacht. Du gehst also schon auch ins Dreidimensionale?
Ja, das war eine echte Herausforderung, da es ziemlich kurzfristig war. Das war mein bis jetzt größtes Projekt. Die Planung und Organisation war schon enorm. Der Schriftzug „Stay Gold“ wurde in Miami produziert. Während der Messezeit in Miami steigen in der ganzen Stadt die Preise – für alles. Letztendlich konnten wir aber einen Produzenten finden, der uns die Skulptur gebaut hat. In einer fremden Stadt ist das nicht so einfach, die richtigen Ansprechpartner und Locations zu finden. In Wien weiß ich genau, wo ich mein Material bekomme. In Miami war das anders. Die Skulptur wurde aus einer Art Styropor gebaut. Das wurde dann mit mehreren Schichten Epoxidharz überzogen.
Du hattest mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen, um die Skulptur fertigzustellen.
Peter und ich kamen Freitagabend an und mussten am Montag die fertig bemalte Arbeit zur Messe liefern. Zu dem engen Timing kam noch, dass es die ganze Zeit regnete. So mussten wir eine kurze Regenpause abwarten, um die Arbeit mit einem Pick-Up zur Messe bringen zu können. Es gab tausende Stolpersteine, die wir bewältigen mussten. Alles in allem hat aber alles wieder einmal super geklappt. Ohne die Hilfe von Peter Phobia hätte ich es letztendlich nicht geschafft, die Skulptur in der kurzen Zeit fertigzustellen.
Haben dreidimensionale Arbeiten in deiner Praxis einen festen Platz?
Prinzipiell mache ich schon viele Objekte. Leider dokumentiere ich sie nicht so gut, weil unterwegs oft das Equipment und die Zeit fehlen. In meiner ersten Solo-Ausstellung in der Inoperable Gallery habe ich sogar nur Objekte ausgestellt: vom Wasserkocher über Tischtennisschläger bis hin zu Sprühdose und Skateboard.
Die Pastelltöne in Rosa, Hellblau und Türkis sind zu deinem Markenzeichen geworden. Welche Art von Farben verwendest du?
Das sind hochpigmentierte Farben auf Acrylbasis, die sehr schnell trocknen. Ich verwende sie für alles, sowohl Leinwände als auch für Skulpturen und Objekte. Da die Farben lichtbeständig sind, bleiben meine Arbeiten auch so brillant farbig, wie sie sind. Ich mag die Farben wegen ihrer sehr hohen Deckkraft sehr gerne.
Was ist der erste Schritt, wenn du mit einer neuen Arbeit beginnst?
Bei Leinwänden erstelle ich oft zunächst digitale Skizzen, die ich dann auf die Leinwand übertrage, und male los. Je nach Lust und Laune. Das ergibt sich manchmal aber auch ganz von alleine. Dann fange ich an, und eine Fläche ergibt die nächste, bis die Arbeit fertig ist. Ich glaube nicht, dass ich einem typischen fest vorgegebenen Workflow folge.
Woran arbeitest du gerade?
Ich fange gerade eine Auftragsarbeit an. Eine 2,30 x 1,20 m große Leinwand, mit deren digitalen Skizzen ich heute noch anfangen werde.
Bist du täglich hier im Atelier und arbeitest?
Zur Zeit haben wir so einen Rhythmus, dass wir die ganze Nacht durcharbeiten. Oft bis in den Morgen hinein. Ich habe immer den Drang, was zu machen. Wenn ich in Wien bin, bin ich täglich hier und arbeite.
Was würdest du tun, wenn du keine Kunst machen würdest?
Du meinst, was mein Plan B gewesen wäre? Wenn ich die Aufnahmeprüfungen nicht geschafft hätte, wäre ich Tätowierer geworden. Das hab ich immer noch im Hinterkopf. Wenn ich dafür Zeit fände, würde ich auch gerne tätowieren lernen.
Was kommt als nächstes für Boicut?
Jetzt im Februar ist in Miami wieder die Art Wynwood, an der ich teilnehmen werde. Nach und nach werden auch internationale Ausstellungen dazukommen. Ich lasse mich eigentlich treiben und schaue, was auf mich zukommt. Klar habe ich meine Ziele im Kopf, ich möchte es aber lieber locker angehen. Wenn man nicht zu verbissen an das Ganze rangeht und geduldig ist, wird sich eins nach dem anderen ergeben. Prinzipiell glaube ich daran, dass alles möglich ist.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Maximilian Pramatarov