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Carsten Fock, Bamberg

In the Studio

»Kunst ist die Konfrontation mit mir selbst.«

Carsten Fock, bekannt für seine expressiven Malereien, Installationen und Filzstiftzeichnungen, gehört zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Künstlern Deutschlands. In seinen Zeichnungen und Gemälden verbindet er die Medien Text und Bild und mischt Motive aus dem 19. Jahrhundert mit Bildwelten der heutigen Pop- und Populärkultur. Nachdem er 1988 aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen war, studierte er Kunst und wurde Meisterschüler von Per Kirkeby an der Städelschule in Frankfurt. Heute lebt und arbeitet Carsten Fock in Bamberg, Kopenhagen und Vejby. Im Gespräch mit Collectors Agenda spricht er über seine DDR-Sozialisierung, die Suche nach seinem künstlerischen Medium und die Bedeutung des Filzstifts für sein Werk.

Carsten, was bedeutet Kunst für dich?
Die Antwort ist sehr persönlich. Ich hatte Jahre, in denen ich immer wieder ans Aufhören dachte. Mich interessiert die Zeitzeugenschaft an der Kunst. Kunst ist die Konfrontation und die geistige Auseinandersetzung mit mir selbst. Den irren Kunstmarkt, der in den letzten zehn Jahren entstanden ist, finde ich befremdlich. Künstler sollten das Ideelle an der Kunst hochhalten.

Wie bist du in deiner Kindheit zur Kunst gekommen?
Ich bin in Thüringen aufgewachsen und 1988 geflohen, ein Jahr vor dem Mauerfall. Als Kind in der DDR habe ich einfach Dinge gemacht. Mit meinem Großvater, der Offizier war, zeichnete ich Panzer. Und es gab eine Katechetin im Ort, bei der ich Religionsunterricht hatte. Ich war der einzige Schüler in der Gemeinde, denn ich bin ja in der sonst so atheistischen DDR aufgewachsen. Die Nachmittagsbetreuung dort war ein geschützter Raum. Und da habe ich mir einige Dinge angeeignet. Die Typografie, die ich noch heute nutze, stammt in Ansätzen aus dieser Zeit. Weil es in der DDR viele Dinge nicht gab, hat meine Lehrerin sich immer wieder etwas Kreatives einfallen lassen. Sie hatte nur einen einzigen Edding-Stift gehabt. Und mit diesem Edding hat sie eine ganz bestimmte Typografie entwickelt, mit der sie alle Plakate handgeschrieben hat. Das fand ich ästhetisch sehr beeindruckend. Und dann gab es die Farbe Violett. Alles war immer violett in der Kirche. Das hat mich geprägt.

Deine Erfahrungen in der DDR haben dich also in deinem Schaffen beeinflusst?
Ganz sicher, besonders die verordnete, erzählerische Malerei, die es aus Systemgründen in der DDR gab. Kunst, die davon abwich, habe ich gar nicht mitbekommen. Ich kannte vor allem die ideologische Kunstwelt, die bei mir heute noch ein körperliches Entsetzen erzeugt. Das Arbeiten mit Worten und Parolen habe ich eine Zeit lang später auch selbst ausgeführt.

Was war das für eine Zeit für dich, als die Mauer fiel?
Wie viele andere auch damals fragte ich mich, was ich denn jetzt mache. Ich hatte immer den Wunsch Fußballreporter zu werden, weil ich reisen wollte. Dann habe ich eine Ausbildung als Außenhandelskaufmann begonnen und BWL studiert. „Mach was Gescheites“, sagte mein Großvater immer. Und ich war in einem Fotokurs, in dem der Leiter mich an die Hand genommen und mir das Buch „Goya“ von Lion Feuchtwanger gezeigt hat. Das hat mich so inspiriert. Ab dem Punkt zeichnete ich wieder. Kunst wurde für mich zu einem Faktor, in der Welt vorzukommen und mich auszudrücken. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, in Berlin zu studieren. Aber bei einem Besuch merkte ich, dass das nichts für mich war. Dann war ich an der Werkbundwerkstatt und habe viel zum Kunsthandwerk gelernt. Dort wurde mir gesagt, dass ich Kunst studieren müsse. Das war eine aufregende Zeit. Ich wollte nicht nach Düsseldorf oder Frankfurt. Die Kunsthochschulen waren mir eine Nummer zu groß und zu elitär. So habe ich mir Kassel angeguckt. Ich habe dort Alison Knowles kennengelernt, die Fluxus-Künstlerin. Sie hat meine Malerei infrage gestellt, und ich habe mich dadurch weiterentwickelt. Aber irgendwann war Kassel auch durch. Ich habe bei VW Nachtschichten geschoben und danach gemalt. Georg Bussmann hat mich ermutigt, weiterzuziehen. Dann war ich schließlich doch noch in Frankfurt an der Städelschule bei Kirkeby.

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Wer war für dich die inspirierendste Person im Studium?
Interessanterweise nicht Kirkeby. Die Münchner Kunstszene war inspirierend – Amelie von Wulffen, die ich sehr schätze, und Jochen Klein, der damalige Freund von Wolfgang Tillmans. An der Städelschule war Malen ja völlig verpönt. Bei Bayerle haben alle nur konstruiert. Und ich kam da an und fragte mich, was ich jetzt machen soll. Wichtig war für mich Christa Näher. Ich habe damals angefangen Konzeptarbeiten zu machen, zum Schrebergarten zum Beispiel. Sie fragte mich: „Was interessiert dich eigentlich?“ Da bin ich wieder zum Zeichnen gekommen und habe begonnen monochrome Arbeiten zu machen. Mit einer fiel ich auf. Ich habe einfach mit Edding eine Studio-Wand ausgefüllt. Ich war wirklich auf der Suche nach dem, was mich beschäftigt, und hatte interessante Begegnungen mit einem finnischen Austauschstudenten, der mir die Outsider-Kunst von Adolf Wölfli nahegebracht hat.

Und Kirkeby?
Kirkeby hat anfangs kaum das Gespräch mit mir gesucht. Später fand ich heraus, warum das so war. Sein Schweigen hat mich auch geprägt. Wir waren ganz wenige Studenten, aber kaum jemand hat kommuniziert. Das war echt suspekt. Ich bin viel rausgegangen. Ich musste immer auf die Straße. Es gab diesen irren Fortschrittsglauben in der Malerei. Und es gab einen so unglaublich belastenden Innovationsdruck an der Kunsthochschule. Die Straße half mir, das zu verarbeiten.

Welche Ausstellungen haben dein Werk geprägt oder verändert?
Eine wichtige Ausstellung war eine Schau mit Oliver Körner von Gustorf in der September-Galerie in Berlin. Das war eine Doppelausstellung mit dem Titel The devil and the white kings. Wenn ich zurückschaue, hatte die eine enorme Spannbreite an Dingen, die mich beschäftigt haben. Kosmos der Angst im MMK Frankfurt war auch wichtig. Ausstellungen, die gerade erste liefen, waren in Leipzig bei Jochen Hempel und hießen Die Würde und der Mut und Vejby. Da gab es meine Installation BRD 88 zu sehen mit sehr schönen, grafischen Arbeiten.

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Hast du auch einmal andere Medien als Filzstift und Pinsel eingesetzt?
Ja. Ich habe Skulpturen gemacht, vor allem Porträts im Werkbund. Und die Reaktion meiner Werkstattleitung war, das sei zu zweidimensional, ich solle es doch einmal mit der Malerei versuchen. Ich arbeite aber auch gerne im Raum. In der Schau Vertrautes Terrain im ZKM in Karlsruhe habe ich beispielsweise einen Raum ganz schwarz gestaltet. Skulptur ist hingegen nicht so mein Metier.

Wo findest du die größte Inspiration?
Am Meer. Da zeichne ich meistens schon vor dem ersten Kaffee. Dann gehe ich meditieren und joggen. Das Zeichnen ist für mich wirklich so wie Joggen. Das klingt total blöd, aber es löst bei mir dieses völlig Mutwillige aus. „Du musst zeichnen“, sagt mir mein Körper dann. Es gibt so Momente, wo sich das genau richtig anfühlt. In Vejby in Dänemark, wo ich auch lebe, da kommt das immer von selbst.

Wie sieht der typische Prozess aus, wenn du Bilder malst?
Das ist immer anders. Es gibt einen sicheren Pfad. Der beinhaltet, dass ich über die Zeichnung in die Malerei gehe. Also, dass ich nicht etwas vorskizziere, sondern das Zeichnen an sich als energetischen Prozess erlebe. Am besten ist es aber, wenn ich diese pure Freiheit spüre, den gewohnten Pfad verlasse und einfach loslege. Manchmal entstehen dann auch Werke, die ich schrecklich finde. Aber auch das ist ein interessanter Prozess. Jetzt gerade bin ich an einem Punkt, wo ich mir alte Dinge anschaue und denke, dass mal wieder etwas Neues passieren könnte. Den Filzstift habe ich mir an der Kunsthochschule angewöhnt. Ich hab in Kassel auch viel mit Öl gemalt. Das war mir aber zu mühselig. Und in Frankfurt habe ich angefangen mit japanischen Filzstiften zu malen. Irgendwann kam der Edding. Anfangs war es der normale Standard-Edding, später kamen die Lackstifte. Gerade arbeite ich aber wenig mit Edding.

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Wie wird die Bonner Ausstellung aussehen und welche anderen Projekte hast du im Moment?
In der Bundeskunsthalle in Bonn wird es einen kubusartigen Raum geben in dem Blau-Violett, das ich seit zwanzig Jahren benutze und bei meinem Farbenhändler in Berlin-Kreuzberg kaufe. Eigentlich wollte ich zunächst meine neuesten Arbeiten vom dänischen Meer zeigen. Zeitgleich habe ich eine Ausstellung mit Arbeiten aus Vejby in der Galerie Jahn in Landshut. Die Ausstellung heißt Zum Meer. Und außerdem ist eine Ausstellung in München mit Arbeiten von Kirkeby und mir geplant. Und schließlich hätte ich es gern, dass in Dänemark wieder einmal etwas passiert.

Warum gerade in Dänemark?
Das Licht am Meer ist schön. Zwanzig Jahre lang habe ich nur in der Nacht gearbeitet. Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass das Licht für mich nicht nur körperlich wichtig ist, sondern auch in der Malerei.

Installation Bundeskunsthalle, Farbe als Programm, 2022

Ausstellungsansicht, Vejby, 2021, Jochen Hempel, Leipzig

Zum Meer, Galerie Wolfgang Jahn, Landshut, 2022, Credits: Galerie Wolfgang Jahn und Carsten Fock, Fotos: Harry Zdera

Monochromes, Die Wuerde und der Mut, 2012

Interview: Kevin Hanscke
Fotos: Maria Bayer

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