Für ihre „Scribbles“ sammelt Charlotte Klobassa kleine Probierzettel aus Schreibwarengeschäften, auf denen Kunden Stifte und andere Schreibgeräte ausprobiert haben. Die Arbeiten mit Testkritzeln von unbekannter Urheberschaft zeigen eine impulsive und unbewusste Komposition. Durch die Übertragung der Kritzeleien auf großformatige Leinwände gibt sie dem Affekthaften einen Raum und porträtiert zugleich das Seelenleben der Kunden.
Du warst auf der Kunsthochschule in Wien. Wie bist du zur Kunst gekommen? Hat dich Kunst schon in deiner Jugend bewegt?
Auf jeden Fall. Ich muss sagen, dass ich aus einer Familie komme, wo die Auseinandersetzung mit Kunst ganz normal war. Mein Opa war Maler, meine Oma Bildhauerin. Mein Vater hat auch Bildhauerei studiert. Alle haben immer was Kreatives gemacht. Wir sind eine kunstbegeisterte Familie. Mein Opa hatte sein Atelier bei sich zu Hause, und wenn wir sonntags als Kinder zum Mittagessen dort waren, konnten wir das Künstlerdasein erleben. Er heißt Erwin Klobassa. Er war nicht wahnsinnig berühmt und auch als Restaurator tätig. Als ich Kind war, hat er aber nur noch gemalt. Wenn meine Großeltern Mittagsschlaf hielten, dann habe ich mich mit meiner Schwester und meiner Cousine in sein Atelier geschlichen und gezeichnet. Meine Eltern haben in ihren Berufen ebenfalls zu Hause gearbeitet. Meine Mutter ist Kostümbildnerin und Stylistin und mein Vater Restaurator. Auch im Elternhaus war ich immer mit der Kunst konfrontiert. Meine Mutter hat fürs Theater und für Filmproduktionen gearbeitet. Die Schauspieler sind bei uns ein und aus gegangen und die Näherinnen auch. Deshalb wollte ich zunächst etwas mit Mode machen. Mit vierzehn war ich auf einer Modeschule und habe danach an der Angewandten in Wien Modedesign studiert. Drei Jahre, bis ich darauf keine Lust mehr hatte, weil ich aus unterschiedlichsten Gründen lieber Malerei studieren wollte.
Kannst du Gründe nennen? Du hast ja auch einige Sachen im Modebereich gemacht?
Meine große Materialliebe und die Leidenschaft für Textilien sind davon übrig geblieben. Ich mag es, mit Materialien kreativ zu arbeiten, das Haptische in meine Kunst zu übertragen. Ich mache auch heute noch ab und zu textile Objekte. Und auch in der Malerei ist das eine Sache, die mir gefällt: das Spiel mit den Oberflächen. Im Grunde ist es ja wie Bildhauerei.
Und was magst du an der Malerei mehr?
Ich mag an der Malerei, dass sie etwas ist, was bleibt. Sie hat Beständigkeit und Nachhaltigkeit im Vergleich zur Mode. Während ich noch daran arbeite, will ich meine Modedesigns oft gar nicht mehr sehen. Es ist ein saisonabhängiges Geschäft, und das missfiel mir immer mehr. Alles ist sehr getaktet. Man muss zweimal im Jahr eine Kollektion herausbringen. Und alles muss enthalten sein, Hosen, Oberteile und vielleicht auch noch ein Mantel. Die Modewelt ist ein sehr festgefahrenes, fast konservatives Business. Der kreative Prozess ist beim Malen viel allgegenwärtiger. In der Mode designt man ganz kurz am Anfang, danach geht es hauptsächlich nur noch um das Treffen von Marktentscheidungen. Das ist dann das Handwerk. Malerei ist auch ein Handwerk, aber es hat einen viel direkteren Zugang – mit jeder Farbe, die man anrührt, mit jedem Pinselstrich hat man eine ganz andere Ausdrucksmöglichkeit. In der Mode sind viele Prozesse zwischengeschaltet, die man nicht beeinflussen kann.
Wer sind deine künstlerischen Vorbilder? Auch von der Kunsthochschule?
Meistens sind Vorbilder, die mich nachhaltig geprägt haben, solche Künstler, die ich auch in meinen Arbeiten entdecke. Das merke ich in Schlüsselmomenten, wo ich bereit bin, die Eindrücke aufzunehmen und zu verarbeiten. Nach wie vor ist Francis Bacon so ein Künstler für mich. Er arbeitet wahnsinnig viel mit dem Zufall, der Chance, wie er es nennt. Er malte so lange, bis dieser künstlerische Zufall da war. Das bedeutet, dass man erst mal viel arbeiten und auch fokussiert sein muss. Man muss total konzentriert sein, um zwar ungehemmt zu malen, dann aber im richtigen Moment Abstand nehmen zu können, um zu sehen, was man gerade geschaffen hat, was auf der Leinwand passiert ist. Der nächste Schritt ist dann, darauf einzugehen, was man vor sich hat, und sich nicht in der Freude über den eigenen Gestus zu verlaufen.
Und warum gerade Francis Bacon?
Bacon hat sich stark zwischen figurativer und abstrakter Malerei bewegt. Auch in meinen Arbeiten, die jetzt abstrakt aussehen, spielen das Gegenständliche und das Figurative eine ganz grundlegende Rolle. Ich liebe das Gefühl, wenn man nicht mehr weiß, ob man die Komposition selbst geschaffen hat oder ob sie einfach zu einem kam. Also, ob man die Malerei selbst kontrolliert oder die Malerei einen kontrolliert. Manchmal führt dieser Schaffensprozess zu einem Punkt, von dem ich nicht wusste, dass er möglich sein könnte. Natürlich hofft man, dass ein Bild aufgeht, aber überrascht zu werden ist noch besser.
Was waren deine prägendsten Ausstellungen für deine Karriere? Welche Schau hat dich am meisten vorangebracht und dir die interessantesten Impulse geliefert?
Nach dem Diplom hatte ich meine erste Einzelausstellung bei Zeller van Almsick. Das war auf jeden Fall super speziell, weil ich davor noch nie so isoliert und konzentriert für eine Ausstellung gearbeitet hatte. Auch sehr besonders war die Vienna Contemporary 2018. Für mich war es total absurd, dass ich ein Jahr nach dem Diplom mit einem Solostand partizipieren durfte. Dass er dann auch noch solche Aufmerksamkeit produziert hat, war ein Riesenglück.
Welche Werke hast du dort ausgestellt?
Eine Bildserie, zu der mir Zettel als Vorlage dienen, auf denen Leute in Schreibwarengeschäften Stifte ausprobieren. Ich habe unterschiedliche Bilder aus diesem Kontext in einer Installation gezeigt. Alle Wände und der Boden hatten einen blauen Grid im Hintergrund. Das erinnerte zum einen an die karierten Blätter meiner Vorlagen, zum anderen wirkte die Messebox dadurch ein bisschen wie ein Schwimmbad von innen, kachelartig und fliesenhaft. Als Bild-Display habe ich eine Art Infostand gebaut, wie man sie auf Wanderwegen findet. Ich habe versucht einen Ort zu schaffen, an dem es möglichst einfach ist, meine Bilder so zu rezipieren, wie ich sie meine.
Kannst du das Konzept der „Scribbles“ erklären, die ziehen sich ja durch dein ganzes Werk?
Ja. Ich habe früher ziemlich realistisch gemalt, meistens figurativ, was mich in meiner Malweise sehr eingeschränkt hat. Ich wollte, dass der porträtierte Mensch am Ende auch aussieht wie ein Mensch, denn es wird ganz schnell brutal, wenn da irgendwas nicht stimmt. Da ich normalerweise ziemlich genau bin und dazu neige, mich lange in eine Arbeit zu vertiefen, war das kein Gegensatz für mich und hat sich in der Porträtmalerei eher noch verstärkt. Ich war also auf der Suche nach einem Bruch, hatte aber keinen guten Grund, einfach ins Abstrakte überzugehen, das kam mir zu „random“ vor. Ich musste mir meinen Weg dahin erst bauen. Daraufhin habe ich angefangen, Menschen im Wasser zu malen, in dem die Körper sich durch Spiegelungen und Verzerrungen auflösen. Das wurde dann nach und nach unerkennbarer und irgendwann bin ich auf die Idee mit den Scribbles gekommen. Ich sammle die Zettel in Schreibwarenläden. Diese Zeichnungen sind so ehrlich und zugänglich, die Leute da wollen sich nicht selbst verwirklichen und denken nicht darüber nach, was sie kritzeln. Das finde ich erstrebenswert, aber ziemlich schwer in der Malerei zu erreichen, denn sobald man etwas will, ist der Moment des Unbefangenen schon überschritten. Also extrahiere ich Teile dieser gefundenen Kompositionen, die einen bestimmten Schwung haben oder einen Gestus, den ich sympathisch finde. Diese Linien und Formen transformiere ich dann relativ penibel in Ölmalerei. Der abstrakte Gestus bildet die Grundlage, für mich sind die Formen aber Projektionsflächen meiner Begierden: das Fremde, nach dem ich strebe, das ich mir durch die Kopie aneigne. Wenn ich das mache, diese Striche nachmale, werden sie zu Meinem. Zuerst durch die intensive Auseinandersetzung im Malprozess und später durch die Spiegelung des Betrachters, der die Arbeiten mit mir identifiziert. So kann ich mich durch mein Werk formen und aktiv Sehnsüchte verwirklichen.
Wie arrangierst du die „Scribbles“?
Ich probiere, mit meinen Kompositionen zu einer Pointe zu kommen. Damit meine ich, dass ich etwas Neues erschaffen will und dabei auf die Wechselwirkungen der einzelnen Elemente eingehe, zum Beispiel wie bei einem schönen Abend mit Freunden, den man sorgsam plant und genau darauf achtet, wer wo platziert wird, und dementsprechend ein soziales Gefüge entsteht. Man überlegt sich, wer mit wem kann, welche Personen in der Interaktion interessant wären, wo gute Dialoge entstehen könnten, um eine Stimmung zu schaffen, die allen Anwesenden speziell in Erinnerung bleibt. So ist es auch bei meinen Kompositionen. Ich stelle bestimmte Charakteristika gegenüber, die zu einer Pointe kommen sollen, die nur in dieser Konstellation zum Ausdruck kommen kann. Ich finde es spannend, die Linien zu übernehmen und neu zusammenzusetzen. Es ist doch so, dass Nachahmen und Kopieren eher verpönt sind, obwohl alle wissen, dass jeder Künstler darauf angewiesen ist. Niemand kann nur aus sich selbst schöpfen.
Wie sieht der typische Schaffensprozess für eins dieser Werke aus? Legst du dir intellektuell ein Konzept zurecht oder arbeitest du eher intuitiv?
Meistens gibt es etwas, das mich beschäftigt, wozu ich mir dann einen passenden Strich suche, der das möglichst gut repräsentiert. Dann fange ich an, ihn auf die Leinwand zu übertragen. Dabei habe anfangs meist eine ziemlich genaue Vorstellung vom fertigen Bild, am Ende sieht es aber immer völlig anders aus. Beim Malen muss ich ab und zu zurücktreten und auf das eingehen, was ich tatsächlich vor mir sehe. Ich verändere, male um, verändere wieder. Ein Konzept starr durchzuziehen endet leider meistens in einem Desaster, der Prozess gibt mir oft neue Impulse.
Was würdest du für dich selbst als wichtigste Arbeit deines Werkes definieren, die heraussticht, die emblematisch für dein Schaffen ist?
Meistens sind es die neuesten Arbeiten, mit denen man sich am besten identifiziert. In der Malerei verändert man sich laufend und entwickelt sich weiter. Mein Interesse ist es, durch das Aneignen fremder Formen weiterzukommen, Veränderung zu beschleunigen. Ich will nicht an meinem eigenen Gestus hängen bleiben, denn dieser Pool erschöpft sich schnell. Die Gesten von anderen Menschen, von Leuten, die ich nicht kenne, sind endlos und geben mir viel Platz.
Wie hast du den Umzug von Wien nach Berlin empfunden? Wie kam es, dass du als österreichische Künstlerin nach Berlin gegangen bist?
Ehrlich gesagt, bin ich immer noch nicht richtig umgezogen, denke aber, es wird bald passieren. Ich habe neulich mit einem Freund darüber gesprochen. Rückblickend fast befremdlich, wie spontan ich das gemacht habe, denn eigentlich gab es keinen rationalen Grund dafür, nach Berlin zu gehen. Ich kannte hier fast niemanden, hatte einfach Lust, ein bisschen rauszukommen. Nach der Uni musste ich ohnehin ein neues Atelier suchen und dachte, ich gehe ein paar Monate nach Berlin, um dort meine Ausstellung vorzubereiten. Ich hatte viel Glück, habe tolle Leute getroffen, aber auch sehr viel gearbeitet, deshalb wollte ich wiederkommen. Ich bin ständig in Wien und Berlin. Ich hatte nicht das Gefühl, mich für eine Stadt entscheiden zu müssen.
Woran arbeitest du im Moment, was sind deine aktuellen Projekte?
Ich habe Lust auf was Großes. Im letzten Jahr gab es dieses merkwürdige Biedermeier-Revival, das wir alle praktiziert haben. So eine leise Häuslichkeit, wo große Gesten wenig Platz hatten. Das fühlte sich so an, wie wenn man im Schlaf schreien möchte und es funktioniert nicht. Jetzt möchte ich natürlich das Gegenteil, irgendwas Großes, was knallt und Spaß macht.
Wie würdest du deinen Stil selbst beschreiben?
Die meisten meiner Bilder sind genau genommen figurative Malerei. Dadurch, dass diese Striche Platzhalter für etwas sehr Menschliches sind, behandele ich sie wie Porträts, wie Ansammlungen von Porträts. Das Sammeln fremder Kritzeleien hat für mich fast etwas Fetischhaftes. Die Definition eines Fetisches ist, einem Objekt mehr Bedeutung zuzuschreiben, als es tatsächlich hat. Das Höschen vom Objekt der Begierde ist nicht nur das Höschen, sondern auch das Objekt der Begierde selbst. So ist es auch ein bisschen mit meinen Bildern. Dieser Gestus von jemandem in Form des Strichs ist dieser Jemand, Ausdruck eines Seelenlebens und eben nicht nur der Gestus selbst. Dadurch, dass ich mir das aneigne, mache ich diesen Jemand zu mir oder umgekehrt. Diese unbekannte Person wird Teil von meinem Werk. Deshalb ist mein Werk ein bisschen Porträt, ein bisschen Selbstporträt, ein bisschen Stillleben.
Interview: Kevin Hanscke
Photos: Nora Heinisch