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Christian Rothwangl, Wien

In the Studio

»Der Pinsel muss auch selbst denken.«

Bei Christian Rothwangl denkt nicht nur der Pinsel, sondern vor allem der Künstler selbst über Technik und den Rang von Bildern nach. Seine „ausgewaschenen“ Bilder sind zu seinem Markenzeichen geworden, in denen er Identität und teils mythologisch anmutende Szenen miteinander verbindet.

Wie bist du zur Kunst gekommen? 
Solange ich mich zurück erinnern kann, habe ich immer viel gezeichnet. Ich bin in der Nähe von Bruck an der Mur aufgewachsen, wenn ich an meine Kindheit denke, war ich eigentlich meistens irgendwie damit beschäftigt, etwas zu gestalten, zu bauen, oder mit meiner Schwester gemeinsam Theater zu spielen. Professionelles Interesse an Kunst kam dann langsam mit der Oberstufe, als ich nach Graz in die Schule gewechselt bin.

Gab es zu Hause bei dir Kunst? 
Wenig. Künstler als tatsächlichen Beruf gab es sowieso nicht. Deshalb wollte ich erst Priester werden, die katholischen Inszenierungen und Kirchenräume waren für mich unglaublich anziehend. So eine Messe hat ja durchaus etwas performatives, ich finde den Sprung vom ersten Berufswunsch Priester zum Bildenden Künstler gar nicht so weit. Aus keinem intellektuellen, künstlerisch versierten Umfeld zu kommen war später, als ich dann nach der Schule an der Akademie angenommen wurde, stets eine gewisse Verunsicherung, und ist es teilweise auch heute noch.

Dabei bist du doch sogar bei einer Galerie?
Das gibt natürlich eine Sicherheit, aber gerade als Maler ist man ja schnell unter Verdacht, mehr kommerziell als intellektuell zu arbeiten. Besonders die Beschränkungen, die dieses Medium mit sich bringt, bergen für mich jedoch eine große Freiheit. Eine Künstlerfreundin meinte vor kurzem, als ich über ein Bild gesprochen habe, was für ein komischer Geheimbund die Maler innerhalb der Kunstwelt doch seien. Ich mag diesen Mikrokosmos mit seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten, in dem so einfach auf einem Blatt Papier immer neue Bildwelten entstehen werden können. 

Apropos Blatt Papier – du hast mit Zeichnungen angefangen?
Ja. Ich mache immer noch viel auf Papier, mein roter Faden sind oft meine Papierarbeiten. 

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Sind es bloß Sketches oder stehen sie für sich allein? 
Beides. Papier liegt um mich, ich fange nebenbei schnell etwas auf. Gleichzeitig sehe ich es auch als etwas Eigenständiges. Es sind malerische Papierarbeiten mit Tusche. Malerei verlangt dann eine andere Herangehensweise. Es würde für mich keinen Sinn machen, auf der Leinwand dieselben schnellen Zeichnungen, nur größer, zu machen.

Wie bist du vom Zeichnen zur Malerei gekommen? 
Zuerst kam die Übersetzung von Papier auf Leinwand, das hat Zeit gebraucht: Das Material ist so anders! An der Leinwand kann man ewig weiterarbeiten, man muss sie hernehmen, bespannen, kaufen, sie ist teurer. Das hat mich anfangs gehemmt. Dann habe ich festgestellt: Wenn ich malen will, muss ich anders denken. Dass ich Bilder aus der Tiefe aufbauen kann, dass ich dafür Zeit brauche. Das war ein Problem für mich, weil ich sehr ungeduldig bin (lacht). Und jetzt ergänzt es sich für mich gut. 

Als du früher mehr abstrakt gemalt hast, hast du da auch Skizzen angefertigt? 
Ja. Ich war vielleicht sogar noch besser vorbereitet, wenn ich ein Bild begonnen habe. Narrationen mit Figuren werden schneller zum Raum, da kann ich mehr aufbauen. Beim Abstrakten muss es gleich stimmen. Heute beginne ich die Bilder immer noch abstrakt, habe aber einen anderen Zugang als früher. Durch das Figurative ist meine Malerei freier geworden; ich suche auf der Leinwand nach Formen, die entstehen. 

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Woher kommt diese Entwicklung? 
Mich hat immer Figurativ und Abstrakt gleichzeitig interessiert; heute versuche ich, beides zu verbinden. Es ist ein schmaler Grat: Es kann nämlich nach hinten losgehen, wenn ich einen abstrakten Hintergrund mache und dann einfach Figuren reinsetze. Wenn das zum Rezept wird, funktioniert es nicht. Stattdessen probiere ich, f figurative und abstrakte Bilder in einer Ausstellung nebeneinander zu stellen. Von Serie zu Serie versuche ich, einen neuen Weg zu finden. Beides reizt mich; es ist ein Gegensatz, und ich mag ich diese Reibung. 

Willst du so auch deine Entwicklung dokumentieren? 
Ja. Ich male in Serien, da habe ich mehrere Bilder nebeneinanderstehen, und es ist spannend, dass man für jedes eine andere Lösung findet, was Malerei sein kann, mal bestimmt durch erzählerische, klar lesbare Szenen, mal rein durch Flächen und Farbe.

Das klingt noch nach work in progress, nach Suche? 
Ja, total. Neue Möglichkeiten zu entwickeln, interessiert mich mehr als die Repetition von einmal gefunden Sicherheiten. Ich will mich ja auch selbst nicht langweilen. Ich mag es, etwas auszuprobieren, von dem ich zuerst denke, es geht nicht, das mir aber trotzdem nicht aus dem Kopf geht. 

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Wie fühlt es sich an, wenn ein Bild dann funktioniert? 
Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Sobald man in den flow kommt, malt es sich von selbst, das ist eine eigene Logik, die man schwer beschreiben kann, Gegensätze, die sich ausbalancieren. Oft fange ich mit Farbe an und die macht dann eine Form logisch… Es ist schwierig, das nachzuvollziehen. 

Wie genau überträgst du die Sketches, die du vorher erstellt hast, auf ein Bild? 
Sie liegen um mich herum, und dann erkenne ich während des Malens: Ah, es geht jetzt um das, was ich in dem Sketch schon mal bearbeitet habe. Man geht immer mit einer anderen Idee mit. 

Denkst du, dass deine Bilder Geschichten erzählen? 
Mal mehr, mal weniger. Über die Serien hinweg sind es zwei Geschichten. Die eine ist inhaltlich, die ist mir weniger wichtig. Die zweite handelt von verschiedenen Zugängen, wie eine eigene kleine Malereigeschichte. 

Welches Material verwendest du? 
Tusche: Das ist ein wässriges Material, das schnell trocknet. Und jetzt benutze ich auch Acryl. Die Oberfläche, das Auswaschen, das Verdichten, dass alles aus einem Guss ist, ist eine Technik geworden. 

Die deinen Bildern einen hohen Wiedererkennungswert gibt… 
Ja, ich wasche aus. Ich male am Boden, gehe dann mit nasser Tusche drüber, lasse sie halb trocknen. Was dann getrocknet ist, bleibt stehen, was nass ist, wird mit dem Untergrund mit ausgewaschen. So sieht man die Schichten dahinter. Das gefällt mir gut, weil man beim Arbeiten nach hinten und vorne gleichzeitig denken muss. Das ist ein Trick, wie man sich das Arbeiten schwerer macht (lacht). Weil man nie genau weiß, wie das Material reagiert - ich mag dieses bisschen Zufall, das da mitspielt. 

Das hängt mit dem nicht langweilen wollen zusammen? 
Genau. Meine Figuren wirken fast fleischig, die Malerei wird geformt - und trotzdem bleibt sie total flach durch das Abwaschen, denn alles Überschüssige kommt weg. Ich mag dicke Malerei nicht. Meine ist fast körperlos. 

Deine Bilder waren anfangs grau, schwarz-weiß… 
Der Zeitpunkt, an dem ich vom Papier auf die Leinwand übergesprungen bin, da hat es Sinn gemacht, mit Farbe zu arbeiten. Es ist eine andere Materialität; am Papier war Farbe nicht wichtig. Aber der Übergang auf die Leinwand… 

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Ist das ein großer Schritt? 
Ja! Zu Hause im Schlafzimmer habe ich ein Hochbett für Bilder eingebaut, um für mehr Lagerraum zu sorgen, die meisten dieser Arbeiten habe ich nie jemandem gezeigt, weil ich noch nicht zufrieden damit war. Ich musste einfach so viel malen! 30, 40, 50 Bilder, die ich nie hergezeigt habe, aber das muss wohl sein. Es war überraschend, wie anders es sich auf der Leinwand arbeitet. 

Heute hast du jedoch deinen Stil gefunden? 
Wenn man das so nennen will. Da die Oberflächen meiner Bilder einen gewissen Wiedererkennungswert haben, bleibt auch bei Bildern mit methodisch und programmatisch ganz unterschiedlichem Aufbau die Verwandtschaft erkennbar. Meine Arbeiten vor einigen Jahren waren abstrakter, immer wieder habe ich Formationen von bunten „Steinen" gemalt. Es sind abstrakte Formen, die für mich das Figurative und das Abstrakte verbinden, weil sie beides sein können. Es ging mir auch darum, über Bildraum nachzudenken. In der Malerei kann man sich entscheiden, ob Steine im Raum herumfliegen können, oder ob es eine Schwerkraft gibt, die eine Formation im Bildraum zusammenhält. 

Was sind deine Inspirationen? 
Ich schaue mir viel an, viel Altes. Bonnard habe ich etwa wiederentdeckt. Generell interessieren mich Zugänge, die die Malerei als Medium reflektieren und spielerisch damit umgehen, und sich weniger auf die Inhalte konzentriert oder Geschichten erfindet. Im Kunsthistorischen Museum etwa saß ich lange vor einem Rubens, und wusste am Ende doch nicht, was auf dem Gemälde passiert. Denn ich sehe diese Körper nur als Gerüst für die Malerei. Dass sie Gefühle auslösen, ohne dass man den Inhalt kennen muss. Mich interessiert die Form. 

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Gilt das auch für dein Werk? Dass der Betrachter nicht unbedingt deine Geschichte kennen muss? 
Stimmt. Aber es ist lustig, was Leute dann manchmal in den Bildern lesen. Finde ich aber völlig in Ordnung. 

Hast du eigentlich eine persönliche Verbindung zu deinen Modellen? 
Ja, es kann passieren, dass ich hier in meinem ebenerdigen Studio eine Party mache und Leute am offenen Fenster vorbeikommen. Sie bleiben stehen, wir kommen ins Gespräch, ich lade sie ein und mache eine Zeichnung von ihnen. 

Verwendest du sie dann in Bildern? 
Ja. Es ist schon fast performativ hier! Die Leute hier machen Party, und ich zeichne. Das mache ich gern daneben. 

Geht es in deiner Kunst um Identität? 
Ja, auch. Es sind oft schwule Männer bei den Partys hier. Dann stellt sich die Frage, was erzählt man in der Arbeit, was lässt man weg, was ist wichtig? 

Kunst, die sich mit Identität beschäftigt, nimmt heute einen großen Raum ein… 
Ich weiß, und das ist auch gut, aber deshalb tue ich es nicht. Ich bin eher jemand, der sich lieber hinter seinen Bildern versteckt. Deshalb ist es für mich schwierig, viel darüber zu sprechen. Andererseits ist es eine Befreiung, im Hinblick auf meine ganze Jugend, die für mich als schwuler junger Mann am Land irgendwo Unterdrückung war. Ich habe mich mit 19 geoutet: Die Hälfte des Lebens, in der man immer was vorgespielt hat, schwingt in meiner Arbeit mit. 

Betrifft das auch manchmal die Leute, die auf deine Partys kommen? 
Einmal kam eine Person in Drag beim Fenster vorbei, ich sprach sie an - sie kam auch vom Land. Ich habe sie gefragt, ob ich sei zeichnen darf. Anfangs war sie ganz unsicher. Aber ich habe sie lange gezeichnet und angesehen, und dabei sie ist aufgeblüht und hat es genossen. 

Du hast ihr einen Blick geschenkt, den sie nicht gewöhnt war? 
Ja. 

Gilt auch für dich, dass du unbelasteten Blick suchst, den du selbst auf deine Modelle hast? 
Stimmt. 

Bist du manchmal selbst auf einem Bild? 
Wenn, dann eher zufällig! Selbstbildnis bedeutet für mich nicht automatisch Selbstreflexion, als es eine andere Figur sein kann. Meine Figuren sind neutral, wenn ich sie male, ich lache eher, wenn ich mich darin wiedererkenne. Aber es ist nicht wichtig, ob ich es bin oder jemand anderes. Jedes Bild ist ja ohnehin ein Selbst Hergeben von sich. Deshalb finde ich es ja pervers, wenn Sammler so viele meiner Geschichten hören, mit der Kunst so viel mitkaufen wollen. Und sich das dann in die Wohnung hängen. 

Hast du keine Kunst bei dir hängen? 
Nein, das wäre mir total unangenehm, weil ich genau weiß, wieviel Persönliches in so einem Bild enthalten ist. Das ist eben Kunst, und nichts, was ich als Dekoration an die Wand hänge. Aber es gibt Menschen, die so viel von einem wollen, es ankaufen, und sich hinhängen wie eine Trophäe, wie ein totes Tier. 

Allerdings bist du seit zwei Jahren bei der Galerie Krinzinger, die ja deine Werke verkauft… Wie war dieser erste Schritt über die Schwelle zum Erfolg? 
Ich bin eher nervös und denke, ich muss gut bleiben, sonst ist es vorbei. Ich kann es schwer genießen. Aber es gibt doch ein bisschen Sicherheit. 

Du beschäftigst dich auch immer wieder mit Mythologie in deinen Werken… 
Ich setze manchmal Figuren ein, die mythologisch anmuten. Für mich sind das Motive, die etwas Allgemeingültiges suggerieren. Es sind keine realen mythologische Geschichten, sondern eher ein Habitus von mythologischer Darstellung. 

Für den Betrachter sind das gewissermaßen abrufbare Geschichten? 
Genau. Damit wird die Arbeit automatisch zu einer Art von Bild, das es aus der persönlichen Erzählung heraushebt, und damit allgemeingültig macht. Auch hier suche ich den Kontrast: Mal stelle ich bei einer Ausstellung ein Bild, das sehr persönlich ist, neben das Bild von etwas Allgemeinerem. 

Kommt das Ikonografische auch daher, dass du früher viel mit der Kirche zu tun hattest?
Ja, schon. Ich habe diese Bilder abgespeichert. Und die Idee von Bildern über Bildern. In Kirchen kann das Hauptaltarbild von Bildfindungen umrandet sein, die es umspielen und hervorheben. Das ist eine Idee von Victor I. Stoichitã: das selbstbewusste Bild. Das war für mich als Überlegung sehr wichtig: Der Rang, den Bilder haben können, wie sie sich als Bild outen. Ums Outing geht es da wohl auch ein bisschen. 

Haben die Bilder in deinen Werkgruppen also Ränge? 
Eher denselben Rang. Aber sie spielen mit der Idee, dass sie ein Bild von einem Bild darstellen. 

Auf einer Metaebene thematisierst du das Bild also selbst? 
Ja, absolut. In meinen Zeichnungsgruppen sieht man vielleicht die unterschiedlichen Ränge deutlicher, in der Malerei weniger. Man könnte die Büchse der Pandora noch öffnen, Installationen bauen… Das wäre erster Schritt, wenn man Bildern andere Ränge gibt, da müsste man noch weitergehen. Aber da limitiere ich mich derzeit noch. 

Du denkst deine Arbeit konsequent durch - ist das auch die Aufgabe eines jungen Künstlers? 
Ja. Eigentlich entsteht alles nur im Machen. Das darüber Nachdenken passiert gesondert vom Schaffensprozess. Ich reflektiere eher im Nachhinein. Oft ist es schwierig, wenn man eine Idee hat und sie illustriert… Der Pinsel muss auch selbst denken (lacht). 

Wie erlebst du das Leben und Arbeiten in Wien? 
Ich bin seit 2013 in Wien und mag es sehr. Generell brauche ich zum Arbeiten Ruhe, und ich muss allein sein. Auf Residencies konnte ich teilweise nicht arbeiten, wenn im Haus daneben jemand zugange war.

 Weil du das Gefühl hast, es denkt im Nebenraum jemand anderer? 
Ja (lacht). Auch wenn ich weiß, meine Mutter denkt viel an mich, ist es, als würde sie auf meiner Schulter sitzen. Ich halte es schwer aus, wenn jemand daran denken könnte, was ich gerade tue. Ich brauche psychisch eine totale Freiheit, wenn ich arbeite. 

Welche Projekte stehen an? 
Ich bin bei einer Ausstellung in der Galerie Krinzinger dabei, und bei der Stage Bregenz werden sie meine Arbeiten auch zeigen. Die letzte Ausstellung war groß, ich habe fast alles neu gemalt. Ich brauche jetzt eine Pause, um wieder etwas auszuprobieren.

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Christoph Liebentritt

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