Poesie schwingt in Edin Zenuns Werken mit, wenn er seine gedeckten Farben gestisch auf Leinwand bringt und so Werke schafft, die an Karstlandschaften erinnern. Die Verwendung von selbst angemischter Farbe und selbst gebauten Holzrahmen verleiht den Bildern des jungen mazedonischen Künstlers eine Aura, als gäbe es sie schon viel länger. Wir trafen den Künstler in seinem gemütlichen Kellerstudio, um mit ihm über seine Kunst, seine Erfahrungen als Ausstellungsmacher und über die Parallelen zwischen Musik und Malerei zu sprechen.
Edin, du hast an der Akademie der bildenden Künste Wien Malerei studiert. Erzähl uns deinen Werdegang: Wie bist du zur Malerei gekommen?
Ich kam als Flüchtling aus Ex-Jugoslawien – jetzt Nordmazedonien – 1992 nach Österreich, bin in der Steiermark aufgewachsen und übersiedelte 1999 nach Wien. Ich war ein recht ruhiges Kind und leicht zu beschäftigen. Am einfachsten gelang das mit Zeichnen und Malen. Mit Malen konnte ich schon als Kind viele Stunden zubringen. Für mich war das immer die schönste Beschäftigung. Du hast dieses kleine Rechteck vor dir und kannst damit einfach alles machen. Dadurch, dass es auf Dimensionen limitiert ist, kannst du dir alles selber bauen. Es ist deine eigene Welt.
Hast du schon als Kind bevorzugt auf einem annähernd quadratischen, kleinen Format gearbeitet?
Nein, mein Bildformat habe ich irgendwann standardisiert. Ich arbeite mit zwei Formaten 26 x 21 cm und 46 x 37 cm. Besonders das kleinere Format ist sehr praktisch, man findet es bei vielen Industrieprodukten. Ich male zeitgleich an vielen Arbeiten, meistens sind es 50 bis 60 Stück. Dazu existiert gewöhnlich eine Skizze, die ich 30- bis 40-mal variiere. Dabei spielt der Zufall eine große Rolle, indem ich unterschiedliche Farben anwende.
Ist die Ausgangsskizze gegenständlich?
Nein, sie geht immer von einer Geste aus.
Die Geste ist intuitiv und spontan, oder gibt es ein Konzept dazu?
Sie ist meistens intuitiv und spontan. Ich entwickle die Geste immer weiter, es sind nur zwei, drei Striche, die ich mehrmals wiederhole. Je öfter man etwas wiederholt, desto klarer wird es. Im Design kann es sein, dass ein Jahr lang an einem Logo gearbeitet wird. Es wird dabei immer genauer, je öfter man es wiederholt und anschaut. Zeichnungen und Skizzen benutze ich meist wie Musiker Noten. Zeichnen ist vergleichbar mit Noten schreiben und das Malen ist wie Musizieren.
„Partitur“ lautete ja auch das Thema deines Diploms.
Genau. Jedes einzelne Bild ist wie ein neuer Versuch, ein und dieselbe Partitur zu spielen. Das Ergebnis variiert auch in der klassischen Musik, abhängig davon, wer das Stück spielt. Wenn die beiden Pianistinnen Tatjana Nikolajewa oder Martha Argerich dieselbe Partitur spielen, nach denselben Noten, der gleichen Vorlage, dann fühlt sich das bei beiden jeweils anders an – eine andere Stimmung. Obwohl es ein und dasselbe Stück ist, spürst du wirklich die Person dahinter. Ist Vorlage ein gutes Wort dafür? Vielleicht ist es vielmehr eine Blaupause der unterschiedlichen Stimmungen der Musikerinnen.
Musizierst du auch selbst?
Nein. Musik ist aber ein guter Vergleich, weil Musik in meinen Augen die am tiefsten gehende und emotionalste Kunst ist. Oder die allgemeinste, wenn man so will. Es lässt sich genauso gut sagen: Malerei ist auch Lyrik. Formen reimen sich miteinander, Farben reimen sich miteinander. Und dann kann man noch einen Inhalt reingeben, der wäre die Einladung in das Gedicht.
Mit Inhalt meinst du die Darstellung im Bild? Entsteht der Inhalt spontan, oder hast du eine Idee davon im Kopf, wenn du die Geste in der Skizze erprobst?
Tal R hat einmal gesagt, wenn er ein Interieur malt, dann ist das Interieur oder die Figur nur eine Einladung in das Bild. Im Grunde ist ja alles abstrakt, und unser Gehirn interpretiert die Formen, macht einen Apfel aus einem roten Kreis. Wenn du gegenständlich malst, ist das genauso.
Ich versuche, meine Gemälde auf ähnliche Weise nach der zeichnerischen Vorlage zu gestalten, wie Pianisten spielen: als hätte ich nur das eine Mal. Ich könnte zwar übermalen, aber die malerische Geste ist wie ein Seismograf, der aufnimmt, in welchem Zustand du bist, wie du dich gerade fühlst. Das ist ein einmaliger Moment, der lässt sich nicht wiederholen. Das gilt aber für die Zeichnung viel mehr als für Malerei.
Du verwendest zur Farbherstellung unter anderem Ton. Wie bist du dazu gekommen?
Ich war während des Studiums für eine Weile als Restauratoren-Gehilfe tätig und habe dabei an 600 Jahre alten Gemälden gearbeitet. Natürlich habe ich das Herstellen von Farben auch an der Akademie gelernt. Die historischen Farben sind meistens um eine Spur stumpfer, abgedämpfter. Im Gegensatz dazu sind die heute produzierten Farben perfekt. Jede Tube Farbe steht vorwiegend für sich, sodass – sobald man eine zweite Farbe dazugibt – man zwei ideale Entitäten hat, beinahe wie zwei für sich alleine stehende Türme. Da fällt es mir oft schwer, eine Brücke zu schlagen zwischen den beiden, weil Tubenfarben stark für sich stehen. Die Farben, die ich selber herstelle, sind nicht so perfekt. Und sie sind weicher. Um noch weichere, stumpfere Farben zu finden, habe ich angefangen, mit Ton zu arbeiten. Ich grundiere häufig meine Leinwände mit Ton, den ich mit Wasser und später, beim Malen, mit Pigment anrühre. Dabei wird viel dem Zufall überlassen, man weiß nicht, was rauskommen wird. Aber das Malen hat generell viel von einem Glücksspiel.
Für meine Präsentation im Belvedere 21 im Rahmen der Ausstellung Über das Neue. Junge Szene in Wien im Jahr 2019 habe ich eine Wand mit Ton bemalt. Ich wollte damit eine Stimmung kreieren, ähnlich wie Tau, der über allem liegt. Auf die gleiche Weise sollte dieser bestimmte Farbton über allem liegen.
Was verwendest du für die Malschicht auf der Tongrundierung?
Ich mische Ton mit Pigment, das schluckt die Farbe. Ich mag das Stumpfe so gerne. Auch in einem sehr kleinen Raum wirkt so eine Arbeit nicht überladen, sie schreit dich nicht an. Mir ist es sehr wichtig, dass die Bilder – jedes für sich – zurückhaltend sind.
Ist es für deine Arbeiten stimmig, für sich an der Wand zu hängen, wo sie doch gemeinsam entstehen?
Die gehören zwar zusammen, aber man kann sie auch trennen. Ich möchte es so vergleichen: Aus einem Musikalbum kann man jeden Song rausnehmen. Und aus jedem Lied lässt sich eine Sequenz entnehmen.
Eine jüngere Generation von Malern ist bereits mit den Neuen Medien aufgewachsen. Das hat ihre Arbeitsweise beeinflusst. Wie ist das bei dir?
Meine auch. Irgendwann – das war vor zehn Jahren – hatte ich keine Lust mehr, jedes Bild, im besonderen Gemälde, auf einem kleinen Screen anzusehen. Das ist doch nur eine Lampe, die dir ins Gesicht scheint. Jede Textur wird runtergebrochen. Das Schöne an Malerei ist, dass sie materiell existiert und so viele Texturen damit möglich sind. Das Gemälde auf dem Bildträger funktioniert wie ein dreidimensionales Objekt. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Oberflächenstrukturen war mit ein Grund, weshalb ich angefangen habe, meine Farben selbst zu mischen: Gips oder Ton benehmen sich einfach anders als eine gekaufte, auf Acryl basierende Grundierung.
Hat die Wahl eines kleinen, annähernd quadratischen Formats etwas mit dem Instagram-Format zu tun?
Nein. Ich habe das Format gewählt, weil es einfacher ist, an vielen kleinen Arbeiten gleicher Größe zu malen als an vielen unterschiedlich großen. Je standardisierter es ist, desto weniger Variablen hast du. Das bedeutet für mich eine Entscheidung weniger, die ich treffen muss. Wenn ich an so vielen Bildern gleichzeitig arbeite, hilft es einfach, nicht über das Format nachdenken zu müssen. Ein Kleinformat hat auch etwas viel Intimeres als ein Großformat, das schätze ich sehr.
Hast du Vorbilder in der Kunst?
Mir fallen sofort Leute ein, die nicht aus der Malerei sind, die ich aber schätze: Pina Bausch mag ich sehr gern, sie war Tänzerin und Choreografin. Eine Haltung, wie sie der japanische Modedesigner Yōji Yamamoto hat, die mag ich auch gerne. Björk ist, glaube ich, irre toll! In der zeitgenössischen Kunstszene habe ich einige Freunde, deren Arbeiten ich für gut halte, Kerstin von Gabain zum Beispiel, Angelika Loderer oder Rade Petrasevic.
Du hast mit Pina und Haus einen Kunstraum und ein temporäres Ausstellungsprojekt mitbegründet. Kannst du uns mehr darüber erzählen.
Mein Engagement für Pina und Haus geht mit meiner Entwicklung als Künstler einher. Im Jahr vor meinem Diplom habe ich mit Bruno Mokross Pina gegründet. Dann folgte das Diplom, die Ausstellung im Belvedere 21 und zuletzt die Schau bei Zeller van Almsick. Da hatten wir mit Pina nach drei Jahren bereits über 30 Ausstellungen und mehrere Auslandsreisen hinter uns. Das schlägt sich auch im Denken und in der eigenen Arbeit nieder. Man wird relaxter gegenüber vielem. Haus ist in dem Sinn eine Beschleunigung von dem, was Pina mir als Lernprozess gibt. Haus hat im September 2020 in einem ehemaligen Wohnhaus in Simmering, im 11. Wiener Gemeindebezirk, stattgefunden. Alle Räume des Gebäudes, von der Küche bis zur Garage, wurden als Ausstellungsräume genutzt. Der Open Call zur Teilnahme richtete sich an die Künstlerschaft und Kuratorinnen und Kuratoren ebenso wie an Institutionen oder jede Form von Veranstaltern von Kunstprojekten.
Wird es eine Wiederholung geben?
Haus wird sich jährlich wiederholen. Das Projekt versteht sich als Plattform, um neue Formen des Ausstellens zu erproben.
Auf der Webseite ist zu lesen, dass Haus eine Leerstelle zwischen Kunstmarkt, institutionellen akademischen Ansätzen und der unabhängigen Kulturproduktion füllen soll. Dabei wird ein gemeinschaftlicher Ansatz verfolgt. Wie hast du den Gemeinschaftsgedanken erlebt?
Wir sind ein Team, in dem alles basisdemokratisch abläuft. Das ist spannend für mich. Ähnlich wie während des Studiums kann man beobachten, wie sich die anderen entwickeln, und dabei letztlich mit ihnen mit lernen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Pina mitbegründet habe. Als Künstler bist du immer in deinen eigenen vier Wänden, aber dann kommen andere Künstler und Kuratoren, und du kannst plötzlich mitdenken und miterleben, wie sie jedes Mal etwas anderes aus dem Raum machen. Wegen gemeinschaftlicher Projekte wie Pina oder Haus hatte ich auch keine Krise nach dem Studium, wie sie so viele erleben. Für mich hat die Erfahrung des Student-Seins dadurch nie ausgesetzt, es ging einfach immer weiter.
Und du bist in einem ständigen Ausstellungsbetrieb …
Ich möchte es auch so sagen: Meine Arbeiten würden anders aussehen, wenn ich nicht den Kunstraum hätte. Durch die fortlaufende Auseinandersetzung mit Präsentation und Rezeption von Kunst führt meine eigene Kunstproduktion zu einer Essenz im Sinne von Konzentration dessen, was ich ausdrücken will. Zehn Ausstellungen machen wir für Pina pro Jahr. Letztes Jahr konnten auf Grund der Pandemie viele Künstlerinnen und Künstler nicht kommen. Das war sehr schade, das Persönliche fehlte mir.
Wie wichtig sind die Besucher für dich?
Natürlich freut man sich, wenn Leute sehen, an was man selbst und die Beteiligten gearbeitet haben. Bilder im Web sind ganz gut, aber man erfährt eine Ausstellung erst wirklich, wenn man sie in echt sieht.
Ich stelle mir vor, dass es auch Aufregung mit sich bringt, wenn man seine Arbeiten der Öffentlichkeit präsentiert und damit zur Interpretation frei gibt. Da können doch auch Missverständnisse entstehen?
Diese Auseinandersetzung mit den Besuchern geschieht ständig, irgendwann wird man dadurch ruhiger. Es ist okay, wenn Leute meine Kunst nicht so interpretieren, wie ich sie verstehe.
Welche Auswirkungen hatte das Corona-Jahr auf deine Arbeit und auf die Kunst im Allgemeinen?
Für mich persönlich war es ein gutes Jahr. Eine Veränderung ist, dass man gleichzeitig internationaler und regionaler wird. Der Austausch mit den Künstlern aus dem Ausland fehlt doch sehr. Das vermisst einfach die Stadt, die Szene so sehr. Ich hoffe sehr, dass sozialer Abstand nicht zur Gewohnheiten wird. Ich weiß nicht, ob wir nicht gerade eine Art Biedermeier-Revival erleben. Viele bleiben zu Hause, man reist nicht, es bleibt Geld übrig, und man kauft sich Dinge für daheim. Das kann auch Kunst sein. Und dann kauft man eben auch etwas, das sich privater anfühlt als etwas Repräsentatives. Ich glaube, viele Leute, die meine Arbeiten erworben haben, haben sie gekauft, um mit ihnen zu leben. Eigentlich phantastisch, obwohl es sich immer noch eigenartig anfühlt.
Die gedämpften Farbtöne deiner Gemälde haben einen naturnahen Charakter. Hat die Natur für deine Arbeiten eine besondere Bedeutung
Sehr, zum Beispiel in der Ausstellung bei Zeller van Almsick. Formen des Jugendstils sind stark von der Pflanzenwelt beeinflusst. Es ist eine vom Menschen abgewandelte Interpretation von Naturformen. Das ist mir wichtiger, als von der Natur abzumalen. Von Ernst Heckel gibt es ein Buch von um 1900 mit dem Titel Kunstformen der Natur, darin sind sehr schöne Drucke von Meereswesen. In den Grafiken wird deutlich, was ich meine: Eigentlich ist alles abstrakt, alles ist Form und Farbe. Es ist ja von Menschen geordnet nach ästhetischen Vorbildern.
In deiner Ausstellung Amygdala bei Zeller van Almsick wurden botanische Modelle deinen Arbeiten gegenübergestellt.
Kerstin von Gabain, die selbst Bildhauerin ist und die Ausstellung kuratierte, hatte die Idee, dass wir eine Brücke schlagen zwischen den botanischen Modellen als skulpturalen Pendants meiner Arbeit und meinen Bildern. Also habe ich die Podeste gefertigt und damit das erste Mal Skulpturen gemacht. Sie sollten genauso einfach geschustert sein wie meine Bilderrahmen. Diese Modelle haben so abstrakte Qualitäten, und die Podeste sollten als Einleitung in die Bilder fungieren. Die gezeigten Bilder waren dann eine Art Mischung zwischen Malerei und Graffiti. In Wien sieht man viel Jugendstilarchitektur und Metallgittertore, die florale Elemente aufgreifen. Die Pflanzenformen sind ziemlich nahe den Schriftformen. Schrift kopierte ja ursprünglich auch das Gegenständliche. Die Eisenelemente haben oft einen schöneren Schwung als die Graffitizeichnungen.
Interview: Barbara Libert
Fotos: Maximilian Pramatarov