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Esther Stocker, Wien

In the Studio

»Ich glaube nicht so richtig an den Zufall.«

Esther Stocker schafft unendliche Räume, in denen sich der Betrachter verlieren kann. In einer reduzierten Formensprache aus Linien und Rastern in Schwarz und Weiß lotet sie formale Grenzen und räumliche Strukturen aus. Bei unserem Atelierbesuch sprachen wir mit Esther darüber, wie ihre Arbeiten entstehen, welche Rolle Zufall und Logik darin spielen und warum Ästhetik am Ende immer gewinnt.

Esther, mit deinen Rauminstallationen bist du international bekannt geworden. Eigentlich kommst du aber aus der Malerei. Werden deine Räume vorher am Computer entwickelt oder entstehen sie in deinem Kopf?
Es stimmt, dass ich aus der Malerei komme und mich auch als Malerin sehe. Viele kennen meine Malerei, glaube ich, gar nicht, obwohl ich, bevor ich meine Installationen und Skulpturen gemacht habe, über zehn Jahre gemalt habe. Die Ideen für die Rauminstallationen kommen irgendwie auch aus meinen Bildern. Sie entstehen im Kopf. Manchmal mache ich ein Modell dazu, aber nicht immer. Am Anfang steht aber immer eine Zeichnung.

Diese Skizze entsteht dann, nachdem du den Raum schon gesehen hast?
Nein. Ich möchte mich vom Raum nicht so sehr beeinflussen lassen. Ich ignoriere ihn sogar ein wenig. Ich wünsche mir, dass man, wenn man in meinen Rauminstallationen steht, nicht weiß, wo der Boden aufhört und wo die Wand anfängt. Im Idealfall ist es eine unendliche Fläche, ein unendlicher Raum. Der Kontrast ist dann sehr stark und alles ist schwarz oder weiß.

Du sagst gerade selbst, dass Schwarz und Weiß in deiner Arbeit sehr wichtig sind. Verwendest du sonst gar keine Farben?
Ich beschäftige mich schon seit dem Studium mit Schwarz und Weiß. Früher habe ich noch mehr mit einer Grauskala gearbeitet. Inzwischen aber nicht mehr. Vor Kurzem habe ich ein paar kleine Versuche mit Farbe gemacht, das aber sofort wieder gelassen. Ich finde Farbe ja toll. Es fasziniert mich auch, wenn jemand damit umgehen kann. Ich weiß aber zu wenig darüber.

Was fasziniert dich gerade an Schwarz und Weiß?
Das Erlebnis mit Schwarz und Weiß ist für mich ein sehr physisches. Ich werde oft gefragt, ob ich nicht Probleme mit diesem Schwarz-Weiß habe, ob mir nicht schwindlig wird, während ich arbeite. Ich glaube, dass Farbe vor allem für große Flächen sehr viel anstrengender ist. Man sagt ja, dass die sogenannten Koloristen, wie man sie früher nannte, in Farben denken. Ich habe nie Farbe im Kopf. Die ist einfach nicht drinnen, ich sehe nur die Linien und Striche und Raster. Ich kann mir, wenn ich ein Bild betrachte, ganz viel vorstellen, aber Farbe spielt da keine Rolle.

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Viele deiner Skulpturen sind aus Papier, richtig?
Ja, ich mochte Papier schon immer sehr gerne. Ich habe eine Leidenschaft für Notizbücher. Es ist schier unbegreiflich, was man mit Papier alles machen kann. Die Eigenschaften von Papier sind hochkultiviert. Es war für mich eine sehr spannende Erkenntnis, dass man Papier überhaupt nicht imitieren kann – ganz schwer jedenfalls und nur mit enormem Aufwand. Nicht alle meine Skulpturen sind aus Papier. Wenn sie für den Außenraum gedacht sind, stelle ich sie meistens aus LKW-Plane her.

Wie genau entstehen eigentlich deine geknüllten Skulpturen?
Bevor das Papier geknüllt wird, tauche ich es in Harz. Das kann ich aber nicht hier im Atelier machen, denn es ist sehr giftig. Je nach Größe brauche ich da auch Hilfe. Durch das Harz wird die Form fixiert. Sie soll sich nicht jedes Mal, wenn die Skulptur angefasst wird, verändern.

Wie bist du eigentlich zur Kunst gekommen?
Ich werde das so oft gefragt. Und jedes Mal denke ich aufs Neue darüber nach. Mir haben Ateliers schon immer sehr gut gefallen. Bereits als Kind habe ich mir gedacht, dass es in einem Atelier eine ganz besondere Freiheit gibt. Vieles, was in Werkstätten passiert, der Prozess des Kontrollierten und gleichzeitig Unkontrollierten, strahlt für mich eine große Freiheit aus. Es gibt so viel zu entdecken und zu tun in Ateliers – zumindest in denen ohne Computer. Manche Dinge sind dort halbfertig. Es duftet nach dem Arbeitsmaterial. Für mich ist es ein wahres visuelles Vergnügen. Und ich glaube, dass ich auch Handwerkerin bin und in diese Umgebung gut reinpasse. Noch heute ist für mich der Aufbau einer Ausstellung spannender als die Eröffnung oder die Ausstellung selbst.

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Du bist nach Wien gekommen, um Kunst zu studieren. Gab es irgendwann einen Punkt, an dem für dich klar war, dass du mit Kunst deinen Lebensunterhalt verdienen möchtest?
Ich wusste, dass ich in der Kunst bleiben muss, weil es für mich eine Notwendigkeit war. Während des Studiums habe ich beispielsweise im Sozialbereich gearbeitet. Es gab dann aber den Moment, in dem ich gedacht habe, dass ich es nicht mehr schaffe, nebenbei noch etwas anderes zu machen. Ich habe mich dafür entschieden, das Risiko einzugehen, nur noch Kunst zu machen. Am Anfang gab es die Möglichkeit, Stipendien zu bekommen. Das hat mir sehr geholfen. Trotzdem habe ich anfangs manchmal noch nebenbei gearbeitet.

Wie fühlt es sich heute an, siebzehn Jahre nach deinem Studium, wenn man in den Kunst-Rankings ganz oben vertreten ist? 
An das erste Ranking, in dem ich aufgetaucht bin, kann ich mich noch sehr gut erinnern. Damals habe ich mich sehr gewundert, denn ich konnte kaum von der Kunst leben, war aber schon in einem Ranking vertreten. Im Moment bekomme ich das gar nicht mehr so richtig mit. Diese Rankings sind für manche Menschen eine Orientierungshilfe. Man darf sie aber auch nicht zu ernst nehmen.

Deine Arbeiten befinden sich an der Schnittstelle von bildender Kunst und angewandter Kunst. Bist du denn schon von Modemarken für Kooperationen angefragt worden?
Von Modefirmen noch nicht so sehr, aber von Designmagazinen werde ich oft angefragt, darunter viele aus Asien. Ich wurde gerade erst nach Japan eingeladen. Mode und Kunst werden dort immer weniger streng getrennt. Ich schließe eine Kooperation im Modebereich für die Zukunft nicht aus, weiß aber auch nicht, ob ich wirklich dafür geeignet bin. Diese Schnittstelle auszutesten, würde mich schon interessieren.

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Wie würdest du jemandem, der dich nicht kennt, beschreiben, was du machst? 
In England höre ich häufig: „You are the one with the black and white stuff.“ (lacht) oder „Du bist doch die mit den Kästchen und den Linien.“ Und es stimmt ja auch so. Es ist sogar eine ziemlich auf den Punkt gebrachte Beschreibung davon, was ich mache. Denn ich arbeite ja auch viel mit Rastern, Linien und Schwarz und Weiß in meinen Bildern und Installationen.

Es ist für dich also okay, wenn manche dich als „die mit den schwarz-weißen Rastern“ beschreiben? 
Natürlich, ich sage das ja selber! (lacht) Viele denken, dass meine Arbeit schwer zu erklären ist. Ich finde das gar nicht. Klar ist natürlich, dass meine Arbeit für mich eine größere künstlerische Bedeutung hat. Ich möchte sie aber gar nicht verkomplizieren, und es gibt für mich auch keinen Grund, sie anders zu beschreiben, als sie sich darstellt. Ich traue dem Banalen vielleicht sogar mehr zu. Für mich steckt da sehr viel drin – die ganze Imagination, die Fiktion, die große Ideenwelt.

Durch die Raster und auch durch Schwarz und Weiß können deine Arbeiten sehr streng und geplant wirken. Welche Rolle spielt dabei eigentlich der Zufall?
Ich glaube nicht so richtig an den Zufall. Der Zufall ist für mich schwer festzumachen. Ich könnte zwar sagen, dass er keine große Rolle spielt, aber vielleicht ist er schon vorhanden, ich kann es nicht ganz kontrollieren. 

Dann ist es eher die Ästhetik als der Zufall, die eine Rolle spielt?
Beim Aufbau meiner Installationen denke ich oft über Logik und Ästhetik nach. In der Konzeptkunst ist es vielleicht einfacher, denn es geht da um ein logisches System – nicht um die Schönheit. Logik interessiert mich schon auch, aber am Schluss hat immer die Ästhetik das letzte Wort.

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18 Estocker Rudolf Strobl

Interview: Florian Langhammer
Fotos: Maximilian Pramatarov

Ausstellungsansichten: Geometrien im Palais Metternich, Wien, 2016, kuratiert von Marcello Farabegoli, (c) Rudolf Strobl, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Links:
Esther Stockers Webseite
Galerie Krobath, Wien

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