EVA & ADELE haben als selbsternannte „Hermaphrodit-Zwillinge aus der Zukunft“ ihr Leben und ihre Partnerschaft in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Man trifft das Duo bei Ausstellungs- und Kunstmesse-Eröffnungen und anderen Kunstszene-Events an. Nicht selten stehlen sie dabei mit ihrem extravaganten Aussehen allen anderen die Show. „Wherever we are is museum“ lautet eines ihrer Schlagworte, was bedeutet, dass die beiden niemals aufhören, EVA & ADELE zu sein – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Wir verbrachten einen Nachmittag mit ihnen in ihrem Atelier in Berlin-Charlottenburg und lernten dabei zwei außergewöhnliche und liebenswerte Persönlichkeiten kennen. Unter anderem erfuhren wir, wie EVA & ADELE privat leben, wie sie sich wirklich kennengelernt haben, und erlebten die eine oder andere Überraschung, die Berlins wahrscheinlich ungewöhnlichstes Paar zu bieten hat.
Wie haben sich EVA & ADELE denn eigentlich gefunden?
E: Man muss sich das so vorstellen, wir haben auf unserer Findung eine Reise ins antike Griechenland gemacht, aus der Zukunft kommend. Wir sind uns eigentlich in der Zukunft begegnet, in der Zeitmaschine. Und wir haben eine Reise zu den Wurzeln der europäischen Kultur gemacht, auf der Suche nach Hermaphrodit.
A: Dort haben wir einen Film gedreht und waren eine ganze Zeit lang in sehr einsamen Landschaften Griechenlands unterwegs. So abgelegen, dass wir während unserer Reise gar nicht mitbekamen, dass inzwischen die Berliner Mauer gefallen war.
E: Es war eine ganz wunderbare Reise. Wir haben immer am Drehort übernachtet. Oft haben wir noch etwas mit den letzten Sonnenstrahlen gefilmt und dann mit der ersten Morgensonne weitergedreht. Wir waren mit unserem damaligen VW Campingbus unterwegs. Als der Film abgedreht war, haben wir dieses Leben fortgesetzt, also diese Erscheinung, diese geschorenen Köpfe, die Kostüme, all das haben wir im realen Leben fortgesetzt. Bis heute.
A: Die Arbeit aus dem Herbst 1989 heißt Hellas, und ich denke, man kann sie auch als die Werdung oder das echte „Kennenlernen“ von EVA & ADELE bezeichnen.
Zu dem Zeitpunkt wart ihr also noch gar nicht EVA & ADELE?
A: Nein, wir hatten dies noch nicht beschlossen. Wahrscheinlich waren wir es schon und wussten es nur nicht, die Kunst ist eben schneller oder vielleicht intelligenter als wir. Erst 1991 haben wir offiziell beschlossen, EVA & ADELE zu sein, mit einer Performance, in der wir als zwei Bräute auftraten.
Seit 1991 kennt man euch also als EVA & ADELE, die immer gemeinsam auftreten und häufig auf Vernissagen und Kulturveranstaltungen anzutreffen sind.
A: Ja, davor haben wir aber auch schon performt, jedoch noch in unterschiedlichen Kostümen. Wir hatten die Kostüme zwar immer im künstlerischen Sinne, Bezug nehmend auf Malerei und Skulptur, aufeinander abgestimmt, aber es waren doch unterschiedliche Kostüme. Ab 1991 haben wir dann immer absolut gleiche Kostüme getragen. Wir bezeichnen die Performance Wedding Metropolis (Hochzeit Metropolis) immer als unseren Geburtstag, der 11. April 1991.
Darf man die Geschichte erfahren, wie ihr beide euch eigentlich kennengelernt habt?
A: Wir befanden uns zur selben Zeit in einem kleinen Ort in Umbrien, wo ein Künstlersymposium stattfand. Ich habe dort gearbeitet. Eva war gekommen, um Freunde zu besuchen. Beim Abschlussfest war ich gar nicht so zufrieden mit dem Abend, alles war schon sehr klassisch, mit vielen Machoheroen besetzt, und ich dachte mir noch: „Oh Gott!“… Und gerade an diesem Abend, ich habe immer gerne getanzt, kam einer dieser Typen und meinte, dass er führt. Und ich dachte mir, das fehlt mir gerade noch zum Schluss. (lacht) Doch plötzlich tanzten wir beide miteinander. Ich denke mir heute, dass unser Tanz damals schon vieles vorweggenommen hat. Und von wegen: „Ich führe!“… Wir haben uns abgewechselt, es ging hin und her.
E: Sechs Stunden lang, ununterbrochen. Der Musiker lag irgendwann auf seinem Instrument und hat geschlafen. Und wir haben immer noch weiter getanzt.
A: Vielleicht haben wir mit diesem Tanz am meisten gelernt voneinander und über unsere spätere Zusammenarbeit. Wir haben riskante Schwünge gemacht, und haben uns gegenseitig aufgefangen.
E: Was ganz wichtig war, ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch ein neutrales Äußeres gehabt.
A: Naja … neutral ist anders. (lacht)
E: Ich war weiß gekleidet in Marlene-Dietrich-Hose mit Seidenstrümpfen drunter, es war eher bisexuell ausgelegt.
A: Du hast auch schön lackierte Nägel gehabt.
E: Ja, es war nicht ganz eindeutig in eine Richtung.
A: Das stimmt.
Wie ist denn dieser erste gemeinsame Abend ausgeklungen?
E: Als wir merkten, dass wir ganz alleine, alle weg waren, wir immer noch tanzend, sind wir los in eine Richtung, die offenbar Richtung Adeles Zuhause war. Wir sind an meinem Auto vorbeigekommen, in dem ich auch gewohnt habe, unser späterer VW Camper. Ich habe hinten aufgemacht, eine große Schachtel rausgeholt und Adele gesagt, sie solle sich die Schachtel anschauen. Sie war voller Polaroids, Selbstporträts von mir, aber als unterschiedlichste Damen und Frauentypen, mit verschiedenen Haarfarben und äußeren Wesensmerkmalen, die ich dargestellt habe. Und als Adele sehr positiv darauf reagiert hat, bin ich mit ihr weitergegangen.
A: Glück gehabt! Übrigens, dieser VW Campingbus, den haben wir in den frühen 1990er Jahren komplett umlackiert, ganz in Rosa mit der Aufschrift EVA & ADELE, Global Artwork, und unser Logo darauf platziert. Er ist 2000 in die Sammlung des Sprengel Museums in Hannover übergegangen, als Biografische Skulptur Nr. 2.
Gibt es für euch solche Reisen wie damals nach Griechenland noch?
E: Ja, die gibt es. Was dort entsteht, ist zuallererst einmal nach dem Prozess der Malerei im Gesicht und des Ankleidens und des performativen Hinausgehens, also des Öffentlich-Werdens, ein Polaroid. Wir haben von 1991 bis 2005 Polaroids gemacht, leider nicht jeden Tag, weil wir nicht so viel Geld hatten anfangs, daher also nur an speziellen Tagen.
A: Die Reisen sind inzwischen anders geworden. Wir ziehen uns öfter entweder auf kleine Inseln in Frankreich oder hier an die Ostsee zurück. Wir gehen dann sehr viel, sprechen miteinander und zeichnen. Viele Zeichnungen sind unterwegs entstanden, die unter anderem 2013 im Marta Museum in Herford gezeigt wurden. Außerdem entstehen auf Reisen viele Ideenskizzen. Wir unterhalten uns sehr viel, entweder auf der Fahrt im Camper oder auch in Flugzeugen. Wir sprechen sehr viel über das, was wir gerade im Atelier tun, und reflektieren darüber während der gesamten Reise.
Die meisten kennen euch von öffentlichen Auftritten bei Kunstausstellungen und Vernissagen, wo ihr viel beachtet und fotografiert werdet. Mit euren Performances erzeugt ihr eine ganz besondere Dynamik in der Öffentlichkeit, auch in dem Sinne, wie euer Bild weitergetragen wird. War das von vornherein immer so geplant?
A: Wir haben die Dokumentation der Performances an das Publikum delegiert, ohne dass wir dazu einen Auftrag gegeben haben. Das Publikum hat von sich aus fotografiert, wir haben dann um die Zusendung der Fotos gebeten. Das war noch vor der Zeit des Handys.
E: Ganz egal, ob wir bei offiziellen Ereignissen auftraten oder auch reisten ohne Anlass, die Medien waren meistens hinter uns her, und dann reisten unsere Bilder oft schneller als wir selbst. Wir sind natürlich auch in große Zeitungen gekommen, was uns wirklich überrascht und erfreut hat. Sehr früh haben wir erkannt und manifestiert, dass dies bereits ein autonomes Werk ist, welches dadurch entsteht.
A: Die Verbreitung des Bildes als Werk!! Wir sind in verschiedenen Kategorien erschienen, von Kultur bis Vermischtes. Unser Bild selbst hat immer für die Gegenwartskunst gearbeitet. Mediaplastic, unsere Worterfindung hat für uns mit dem erweiterten Kunstbegriff, also der sozialen Plastik von Beuys zu tun, und wir denken da auch an die Idee einer ephemeren Skulptur.
Und das hat funktioniert, ihr habt auch wirklich Bilder zugeschickt bekommen?
A: Wir haben sehr viele Fotos zugeschickt bekommen, ein riesiges Archiv ist entstanden.
E: Natürlich haben wir uns den Mund fusselig geredet, besonders bei diesen großen Ereignissen. Bei den Biennalen haben wir einen Kurztext mitgegeben, damit die Leute uns das Foto auch wirklich zuschickten. Es war dann doch immer nur einer kleiner Prozentsatz, aber wir haben immer gesagt, es kommt nicht auf die Quantität an, die wir im Archiv haben, sondern dass die Bilder in der Welt sind. Es war schon interessant, als wir festgestellt haben, dass hinter jedem Foto auch der Fotograf sichtbar wird, der es gemacht hat. Die Fotografien gibt es alle noch, in Umschlägen aufbewahrt.
A: Diese CUM-Fotosammlung ist auch eine große zeitgeschichtliche Arbeit. Seit quasi 1991 haben wir Fotos von anderen Menschen mit Kommentaren, mit Briefen, bis zu den digitalen Fotos heute. Dieses Archiv kann in zweierlei Form gezeigt werden, einmal die originalen Briefe, Fotos, Umschläge aus der ganzen Welt bis hin zu den digitalen Zusendungen heute. Die Selfies kommen jetzt auch dazu, meist zu dritt und in Gruppen! (lacht)
Wenn man sich im Atelier bei euch umschaut, ist euer Werk ganz offensichtlich um einiges vielschichtiger als der performative Teil im öffentlichen Raum.
A: Ja, das ist auch das Verwirrende für sehr viele, aber für uns ist es klasse. Ich finde auch, dass du als Künstler ein Werk schaffst, du denkst nicht nach über ein Produkt und wie du es am Markt platzieren kannst. Du schafft einfach ein Werk, das voll durchdrungen ist mit deinem Denken, Fühlen und allem, was in der Zeit passiert, auch mit unserer Grenzüberschreitung der Geschlechter, was ganz viele überhaupt nicht eingetütet bekommen haben. Dafür gibt es keine Schublade.
E: Viele sind überrascht, wenn wir sagen, dass wir auch Malereien ausgestellt und zum Beispiel zur letzten Biennale in Venedig sechs Target Bilder gezeigt haben, und wenn wir dann Leute hingeschickt und ihnen den Weg erklärt haben, waren manche total irritiert und begeistert davon, dass wir Bilder malen.
EVA & ADELE ist als Gesamtkunstwerk eurer Meinung nach noch gar nicht vollständig ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen?
E: Ja, das könnte man so sagen. Dadurch, dass wir so viel performt haben auf den Kunstmessen, sind Angebote von Galeristen gekommen. Wir haben uns dieser Verlockung bewusst widersetzt. Wo andere sofort zugreifen und sich selbst verheizen, haben wir dagegengewirkt und verlangsamt.
A: Uns war und ist wirklich wichtig, dass wir zu der performativen öffentlichen Zeit auch den Rückzug ins Atelier haben. Denn wir beide sind gar nicht so extrovertiert, wie unsere Erscheinung vielleicht für andere im ersten Moment aussieht. Wir sind eigentlich sehr gern allein und zurückgezogen. Wir sind eher der Typ des klassischen Künstlers, der gerne seine Ruhe hat und im Atelier arbeitet. Das Performative ist für uns vielleicht sogar im ersten Moment eine kleine Überwindung. Wir wollten den Schritt aus dem Atelier heraus machen, und ich glaube, bis heute haben es viele noch nicht verstanden, dass es uns deswegen so wahnsinnig wichtig ist, dass wir auch an der Malerei drangeblieben sind.
E: Bis heute ist es so, dass wir größere Werkblöcke entwickelt haben, die noch nicht veröffentlicht wurden. Es sind über die Jahre sehr unterschiedliche Gruppen zeitgleich im Atelier entstanden. Und wir haben manchmal dann etwas ganz anderes ausgestellt, um langsam darauf hinzuführen, was so zeitaufwendig im Atelier weitergeht. Deshalb können wir jetzt auch größere Ausstellungen machen, die, so hoffen wir, auch überraschend wirken für das Publikum.
Es gibt Künstler, gerade wenn sie schon etabliert sind, die ein- oder zweimal die Woche ins Atelier kommen. Den Rest machen die Assistenten. Aber bei euch ist das ja nicht so, oder?
E: Wir sind gegenseitig unsere Assistentinnen. (lacht) Seit es uns gibt, haben wir eigentlich nie Freizeit gemacht. Wenn wir reisen, dann sind es oft sehr intensive Arbeitsphasen, und es wünschen uns alle Leute immer schöne Ferien. (lacht)
Gibt es das denn überhaupt, EVA & ADELE im Urlaub?
A: Naja, das gibt es schon. Ich finde immer das Wort Urlaub wunderbar, weil in unserem Fall es zwar keiner ist, aber das Wort finde ich gut. Wenn wir zum Beispiel auf diese kleine Insel im Atlantik gehen, wünschen uns auch immer alle schöne Ferien. Und etwas ist da ja dran. Ferienorte strahlen immer so eine Art Ferienstimmung aus. Das ist schon mal prima. Auf der Insel gibt es einen riesigen Sandstrand, ganz weit, und wir gehen jeden Tag zwanzig Kilometer bestimmt.
E: Eine Verbindung von Natur und Atelier. Wir sehen unseren Camper als fahrbares Atelier und sind dann so intensiv in der Natur, und natürlich sind wir auch am Strand. Das macht uns Freude, egal ob uns jemand sieht oder nicht. Für uns ist es auch so ein Ritual, an dem Ort, so nahe am Meer, unsere Erscheinung zu schaffen, dann rauszugehen und uns manchmal so gegen den Wind zu stemmen.
A: Ich muss mal sagen, es ist nicht so präzise wie dieses Close-up Make-up jetzt, alles ist etwas dünner aufgetragen, wir tragen Sonnenbrillen und oft auch eine Kopfbedeckung.
E: Für den Betrachter ist das kein Unterschied. Wenn wir in einen Großeinsatz gehen, schminken wir vorsichtig, weil es passieren kann, dass wir sehr lange geschminkt sind. Zum Beispiel ist es uns schon einmal passiert, dass wir bei einer Rückkehr von Miami Beach über Paris nach Berlin in Paris hängen geblieben sind, weil der Flughafen geschlossen hatte wegen starken Schneegestöbers, und so waren es am Ende 36 Stunden von unserem Aufbruch in Miami bis zur Landung in Berlin. 36 Stunden geschminkt, wir haben dann kritisch in den Spiegel geguckt und gesagt, dass wir so noch zu einer Eröffnung gehen könnten. Wir verlangen diesem Bild ab, dass es im Ernstfall so lange hält. Das bedarf natürlich eines Aufbaus, einer Schichtenmalerei wie in Renaissancebildern.
A: Während des letzten Aufenthalts auf dieser Insel haben wir gesagt, dass wir nichts mitnehmen, nur Literatur, wir lesen nur, wir zeichnen nicht. Wir haben es uns wirklich fest vorgenommen, wir wollten einfach die Zeit nutzen, um an der Luft zu sein.
E: Wir hatten das Bedürfnis nach Ferien gehabt, ein bisschen lesen, wandern … Je näher wir der Insel gekommen sind, desto schneller wurden wir. Sicherheitshalber haben wir die Idee gehabt, dann doch Zeichenutensilien zu kaufen, weil wir keine mithatten.
Man kann sich vorstellen, dass euer heutiger Erfolg nicht vom Himmel gefallen ist und ihr dafür immer hart gearbeitet habt.
E: Ja, man kann schon sagen, dass wir für uns einen eigenen Weg entwickelt haben, der sich nicht so an den eingefahrenen Systemen des Kunstmarkts orientiert und in den wir entsprechend viel investieren mussten.
A: Es ist für uns natürlich auch wichtig, eingetretene Pfade zu nutzen, es bleibt ja gar nicht aus, wir wollen, dass unsere Werke in wichtige Museen und gute Sammlungen kommen. Und natürlich ist diese unendliche Investition unsererseits passiert. Aus der Gruppe Transformer-Performer sind 8 große Leinwände schon in Museen, das ist insgesamt ein ganz gutes Ergebnis. Das Schöne ist, dass wir seit 1991 ausschließlich vom Verkauf von Kunst leben oder von Performancehonoraren, aber fast nur von Kunst, von Zeichnungen. Sehr viele Zeichnungen haben wir zu Beginn unseres Werkes verkauft, an Freunde, Bekannte, uns damit quasi finanziert, und wir haben natürlich auch immer wieder mit Galerien gearbeitet, die uns immer gut vermittelt und verkauft haben.
E: Wir wollten von Anfang an finanziell nicht unter Druck geraten. Das nimmt dir als Künstler die komplette Freiheit. Natürlich ist das jetzt leicht gesagt, denn es war eine riesige Arbeit, dass wir das so hingekriegt haben.
A: Vor zwei Jahren konnten wir einen wirklich großen Verkauf machen. Wir haben 20 große Bilder an einen Sammler auf einen Schlag verkauft für eine Million Euro.
E: Die zweite Gruppe Mediaplastic.
A: Die erste Gruppe, die ganz frühen Arbeiten, werden erstmalig ab 29.9.2016 im Musee d’Art moderne de la Ville de Paris gezeigt.
Was macht eine Million Euro mit EVA & ADELE?
A: Es war klasse. Wir haben sofort ein „grobes Fangnetz“ davon geknüpft, damit wir, wenn wir hoffentlich sehr alt werden dürfen, nicht unter Druck stehen.
E: Das hat uns wirklich befreit. Jetzt haben wir das Gefühl, wir können noch ein bisschen mehr rangehen. Zwei Kuratorinnen aus der Schweiz haben gefragt, ob wir uns jetzt zur Ruhe setzen, da waren wir echt geschockt darüber, wie man so denken kann.
A: Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte, dass es danach so anders wäre, ich wäre energisch dagegen gewesen. Ich war immer der Auffassung, das ist eine Form der Natur, wer sät, der erntet, und wir als Künstler bringen eine ganz besondere Leistung performativ und auch mit den Zeichnungen und Malereien, auch wenn die noch nicht so viele Leute genau angeguckt haben, aber wir wissen es. Aber seit wir diese Sicherheit, dieses grobe Fangnetz haben, glaube ich, dass ich doppelt so viele Scherze mache wie sonst. Ich habe nie geglaubt, dass es wirklich so eine andere Sache sein kann, nach der ersten Million. Aber es ist wirklich eine neue Leichtigkeit dazugekommen.
Ihr seid beide keine gebürtigen Berlinerinnen. Würdet ihr Berlin mittlerweile als eure Heimat bezeichnen?
A: Ja, Berlin ist unser Zuhause, es gibt auch ein sehr großes soziales Umfeld mit vielen Künstlern, die wir kennen, denen wir begegnen und mit denen wir uns bei Ausstellungseröffnungen austauschen. Wir wohnen und haben das Atelier direkt an der Deutschen Oper, sind befreundet mit dem Intendanten, schauen uns viele Premieren an und treffen Opern- und Musikfreunde … 1989 hat uns Berlin natürlich vollkommen angezogen, weil es selbst mit der Mauer die freiste Stadt im deutschsprachigen Raum war. Wir sind bei der erstbesten Gelegenheit nach unserer Begegnung ab nach Berlin. Wir wussten, wir wollen hierher, nur haben wir Probleme mit der Mauer gehabt, die hat uns total gestört.
Ihr sagt ja von euch selbst: „Where we are is Museum“. Das bedeutet, dass ihr die Inszenierung von EVA & ADELE ständig aufrechterhaltet.
E: Genau. Wir hören nie auf, EVA & ADELE zu sein: 24 Stunden, 365 Tage, Jahr für Jahr, seit über 25 Jahren.
A: Unser Werk versammelt so viele verschiedene Medien, nicht zuletzt das Performative, die direkte Kommunikation, damit ist auch ein Risiko verbunden. Wir wissen nie, wer uns gegenübersteht, es ist absolut ungesichertes Terrain. Es kann kippen, es kann jederzeit kippen, es ist das Maximum an Risiko drin, weil wir uns im öffentlichen Raum bewegen, ohne jeglichen Schutz. Ob wir mit der S-Bahn fahren, um unseren Camper zu besuchen oder zu holen am Stadtrand von Berlin, oder ob wir ihn in die Werkstatt bringen oder ob wir irgendwo mit der U-Bahn hinfahren, du weißt nie, was passiert. Was passiert mit den Menschen? Was lösen wir aus?
Wurdet ihr wegen eures besonderen Auftretens schon mal angegriffen? Die Welt ist ja leider doch nicht immer so tolerant.
A: Ja, wir haben schon auch Konfrontationen gehabt, die wir Gott sei Dank steuern konnten, da sehr viele Menschen, die Aggressionen loswerden wollen, nicht mit der Kraft rechnen, die wir haben und auch haben müssen. Wir sind offensiv und schauen ihnen direkt in die Augen und zeigen ganz genau, mit uns ist nicht zu spaßen. Gleichzeitig lächeln wir, also wir schauen die Leute sehr scharf an und lächeln gleichzeitig. Das Lächeln ist eine Waffe und auch der direkte Blick ist eine Waffe. Dem direkten Blick können so wenige Menschen standhalten. Wir hatten einmal eine Begegnung, als wir noch in Schöneberg lebten: Hinter uns gingen vier echt wüste Gestalten, und wir dachten: „Oh, Mist!“ Wir haben nicht versucht, schnell zu flüchten, sondern sind an unserer Haustüre stehen geblieben und haben die vier angelächelt. Sie haben zurückgelächelt, und einer hat gesagt: „Die beeden kommen hammermäßig rüber.“ (lacht)
E: Wir hätten auch verprügelt werden können. Das bedeutet, dass wir ein gewisses performatives Leben führen, du musst darüber nachdenken, wie du dich schützen kannst, wie du mit Situationen umgehst, du musst immer hellwach, voll da sein.
A: Vor allem darfst du nie auf die Straße gehen im Streit. Alle anderen werden es merken, auch das haben wir gelernt im Laufe der Jahre. Andere Menschen tun das vielleicht auch, aber sind sich nicht so bewusst darüber. Unser Bewusstsein ist enorm gewachsen über Kunst, Leben, Liebe, Streiten, Versöhnen …, über alles. Dadurch, dass wir das performative Werk auf der Höhe halten wollen, mussten wir sehr viel reflektieren.
Abgesehen von dem Risiko, dem ihr euch immer wieder aussetzt, muss es auch sehr fordernd sein, ständig EVA & ADELE zu sein.
E: Ja, es kostet Anstrengung, du musst immer sehr gut mit der Zeit umgehen, du musst sehr gut schauen, wie du dich pflegst, du musst auch schauen, wie du deine Erholungszeit einsetzt, wenn du alles mit so viel Einsatz machst.
Gibt es denn auch unöffentliche Tage für euch?
A: Ja, die gibt es ganz oft. Manchmal sind wir eine ganze Woche drinnen im Atelier. Dann bunkern wir uns Obst und Gemüse und Blumen und alles, was wir brauchen, und gehen manchmal vier oder fünf Tage gar nicht aus dem Haus.
E: Manchmal nehmen wir uns Phasen vor, wo wir uns total auf das malerische Werk konzentrieren, uns nicht ablenken lassen wollen, da sind wir einfach nicht da. Da sind wir in der Zeitmaschine.
Das hätten wir uns jetzt nicht gedacht. Aber wie du vorhin schon gesagt hast, ihr seid eigentlich nicht die Rampensäue, wie man so schön sagt.
A: Nein. (lacht)
E: Ich glaube, es denken viele, dass wir das wären, weil wir ja sehr oft so eine Poolposition einnehmen.
Wer entwirft eigentlich eure Kleider?
E: Wir selbst.
Gibt es denn wirklich so einen Plan, was ihr morgen anzieht und so?
A: Ja, wir machen Kostümpläne für jede Reise, und bevor wir Reisen machen, steht ganz genau fest, was wir an welchem Tag anziehen, Kleider, Strümpfe, Schuhe, Unterwäsche, Schirme … – es steht alles auf dem Plan.
E: Es ist quasi wie so ein Schülerstundenplan.
A: Ganz genau, sieht aus wie ein Stundenplan, aber es stehen halt Kostüme drauf und Termine, Anlässe, Performances. 10 Kostümpläne werden im Musee d’Art moderne de la Ville de Paris gezeigt. Die Kostümpläne sind Zeichnungen und zeigen den unsichtbaren performativen Teil des Werkes.
Und den macht ihr selbst?
A: Ja, wir haben immer das gleiche Format und versuchen immer die gleiche Aufteilung, es gibt immer die Vorderseite und dann die Rückseite mit dem Kofferinhalt. Das ist die meiste Arbeit vor einer Reise, sich klar zu werden, was man wirklich mitnimmt. Ein wirklicher Act, es braucht Stunden und ist schließlich Arbeit an einem Kunstwerk.
Ist es dann so, dass ihr jede Inszenierung genau einmal habt?
A: Nein. Inszenierungen wiederholen sich schon, wir komponieren aber unterschiedlich.
E: Wir müssen ja auch immer wirtschaftlich arbeiten.
A: Entscheidend ist, dass wir für die entsprechenden Anlässe uns auch in ein Taxi begeben können, wir müssen ja auch damit leben, es ist ja kein Bühnenkostüm. Die Bühnenkostüme sind manchmal so geschneidert, dass sie wahnsinnig gut aussehen, aber nicht praktisch sind. Wir leben ja in diesen Kostümen, das ist der große Unterschied.
Das ist ja Wahnsinn. Wenn ihr wirklich jetzt eine Woche unterwegs seid mit so einem Plan, dann habt ihr doch zig Koffer?
A: Wir haben schon ganz gut Gepäck, versuchen aber, es immer ökonomisch zu halten, wir wollen uns ja auch nicht abschleppen.
E: Es ist manchmal schon sehr hart, weil die Koffer sehr schwer sind.
A: Manchmal bräuchte man jemanden, der einen am Flughafen direkt am Gate abholt und die Koffer schiebt. Andere Künstler reißen sich vielleicht darum, herumzureisen, aber für uns bedeutet das ja immer wieder einen ganz perfekten performativen Act, auf den wir uns komplett vorbereiten. In Hotelzimmern dauert die Vorbereitung länger. Zu Hause, in zwei Badezimmern, können wir synchron rasieren und können, was ganz wichtig ist, unabhängig voneinander schminken.
Wovon träumt ihr beide noch?
A: Wovon wir träumen …? Ich weiß schon etwas, nachdem wir im MOCAK Museum in Krakau eine große Ausstellung mit dem Focus auf den performativen Diskurs hatten, die letzte Ausstellung im Marta Museum in Herford mit der Konzentration auf Bleistiftzeichnungen und frühe Kostüme stattfand, und jetzt im Musee d’Art moderne de la Ville de Paris zeigen wir vorwiegend frühe Arbeiten und Werke aus der Sammlung des Museums, wünschen wir uns eine große Malerei-Ausstellung, wo das Malerische komplett in den Vordergrund gestellt wird. Das wäre toll.
E: Begonnen hat das Ganze ja mit einer anderen Art von Dokumentation: dadurch, dass die Medien so toll mitgearbeitet haben und auch die Knipser, jeder einzelne hat das Werk weitergetragen. Und dann, dass wir die Zeichnungen gemacht haben nach zugesendeten Fotos oder auch Zeichnungen nach Medienbildern, hat es sich von dieser künstlerischen oder traditionellen Form der Dokumentation immer weiter weg entwickelt, auch zu einem Wunsch nach Abstraktion und möglichst viel malerischer Freiheit. Aber gleichzeitig eben auch die Performance, die mit dabei sein muss, da wir einen anderen Hintergrund haben als klassische Maler. Und das ist das Ziel, dass sich das darstellt in unserer Malerei, dass unsere Erscheinung da ist, dass die Malerei selbst zur Performance wird.
A: Ja, jedes Gemälde, jede Malerei ist gleichzeitig auch eine Performance.
E: Wir wollen versuchen, das jetzt und auch in Zukunft so rüberzubringen. Weil die Malerei so sehr ein Medium ist für Dauer, für Nachhaltigkeit.
A: The most reflective media.
E: Ja, dass der Entstehungsprozess nicht nur bei unserer Malerei, sondern auch bei vielen anderen Künstlern ein sehr langwieriger ist, sehr viel Lebenszeit, sehr viel Denkarbeit drinnen ist, und für uns eben genau so. Und auf der anderen Seite die Performance, die ephemer ist. Auch wenn wir schon so lange performen und unser Leben zum Kunstwerk gemacht haben, so ist alles doch an unser Leben, an unser pochendes Herz gebunden.
A: Das stimmt.
E: Und der Wunsch, wie Picasso mal gesagt hat, malen, um den Tod zu bekämpfen, ist präsent. Die Malerei ist ein Medium, das auch diese Magie in sich hat, vielleicht sogar deswegen, weil viele die Malerei immer wieder totgesagt haben, die Malerei beseitigen wollten und durch andere Medien ersetzen. Jedoch die Malerei ist immer wieder in solchen Wellen zurückgekommen und hat neue Formen angenommen. Wir befruchten die Malerei heute von der Performance aus.
Gibt es das denn, dass EVA & ADELE so richtig abschalten, so wirklich runterkommen, die Tür zumachen …?
A: Wir hören beide wahnsinnig gerne Musik, wir sind große Musikliebhaber, ich finde Musik ist für mich sogar das Beste im Vergleich zu Malerei. Ich weiß gar nicht, ob wir jemals runterkommen. (lacht) Ich glaube, deswegen ist für uns der Rückzug ins Atelier so wichtig, auch das Licht hier, wir haben wahnsinnig helle Fenster, und wir können auch ganz gut wandeln in den Räumen, wir können von oben nach unten, vor und zurück und so. Natürlich, für einen Maler, je größer das Atelier, desto besser. Wir stehen manchmal recht neidisch in großen Hallen von Kollegen. Aber dann denken wir, der Ort hier, den wir haben, funktioniert ganz gut und ist so schön still und sexy.
E: Der Ort ermöglicht die Vielschichtigkeit unseres künstlerischen Seins. Für uns sind die Kostüme genauso wichtig wie die Malereien oder die Zeichnungen oder das Make-up. Für uns ist das ja auch nicht schminken, sondern malen auf dem eigenen Gesicht.
Wohin geht es denn als nächstes? Habt ihr dieses Jahr bereits eine Reise geplant?
A: Ja, wir werden an die Ostsee fahren zum Zeichnen, danach zur Art Cologne, anschließend Frieze in New York. Gerade haben wir eine Einladung von der Royal Academy of Arts für die Summer Exhibition bekommen. Der Kurator Richard Wilson hat die bedeutendsten Künstlerpaare eingeladen, die den Kern bilden. Wir werden sicher auch nach London zum Varnishing Day und Blessing for the Artists in St. James fliegen.
Und Paris natürlich, im September …
A: Genau, am 29. September wird in Paris eine große Soloshow im Musee d’Art moderne de la Ville de Paris stattfinden. You Are My Biggest Inspiration wird bis Ende Februar 2017 zu sehen sein. Später, 2017, geht’s dann weiter mit der Soloshow The Beauty Of Madness bei Thomas Olbricht im me Collectors Room in Berlin. Aber vorher im zeigen wir auf der viennacontemporary bei Artelier Contemporary zwei unserer großen Paintingsculptures.
Werden EVA & ADELE eigentlich jemals in Rente gehen?
A: Nein, das hier machen wir bis zum bitteren Ende. (lacht) Nein, um genau zu sagen, bis wir zurück in die Zukunft gehen.
E: Dann muss unsere künstlerische Hinterlassenschaft weiterarbeiten.
A: Ja, wir haben ein Testament gemacht, darin steht, dass eine Stiftung gegründet werden soll, und das Stiftungsformat ist schon erarbeitet. Die Stiftung erbt alles und ist dann weiter EVA & ADELE.
Das ist schön. Dann verreist ihr also sozusagen temporär in die Zukunft.
A: Genau, wir reisen in die Zukunft, und die Stiftung bleibt währenddessen hier und arbeitet. Ja, das sind Dinge, die zum Schutz und zur Bewahrung des Werkes wichtig sind.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer