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Eva Kotátková, Prag

In the Studio

»Kunst bietet mir einen intimen Raum, eine Umgebung, die meinen Charakter und meine Art zu Arbeiten widerspiegelt.«

Die tschechische Künstlerin Eva Kotátková setzt sich mit sozialen Strukturen auseinander. In ihren Collagen und Skulpturen verschmelzen Porträts von unbekannten Personen mit Abbildungen menschlicher Körperteile oder alltäglichen Gegenständen zu surrealen Hybriden, die häufig von Beklemmung, Kontrolle und Manipulation erzählen. Wir trafen Eva im verwunschenen Haus ihrer Eltern am Standrand von Prag und sprachen mit ihr darüber, was sie an den Abgründen der menschlichen Psyche fasziniert, den Einfluss von Kafka und Freud auf ihre Arbeit und welche Kraft sie der Kunst zurechnet.

Eva, danke, dass du uns in das Haus deiner Eltern eingeladen hast, Eva. Es ist ein sehr atmosphärischer Ort.
Meine Eltern sind erst kürzlich hierher gezogen und haben eigentlich erst jetzt begonnen, richtig in dem Haus zu leben. Wie ihr seht, befindet es sich noch mitten in der Renovierung. Ich bin viel auf Reisen; aber immer, wenn ich an etwas arbeite, was ich auch hier herstellen kann, dann komme ich an diesen Ort, um meine Eltern zu sehen. Es ist herrlich, der Stadt entkommen zu können, und mich manchmal hier im Garten oder in den umliegenden Wäldern zu verlieren. Das Haus hat übrigens eine interessante Geschichte. Ferenc Futurista, ein berühmter tschechischer Komödiant und Kabarettist der 1930er Jahre, und ein echter Charakter, hat mehrere Jahre hier gelebt. Damals muss das Haus viel Freude und Gelächter erfüllt gewesen sein. Ich finde, dass man das spüren kann.

Wo lebst und arbeitest du, wenn du nicht hier draußen bist?
Ich wohne in einem recht kleinen Haus im Stadtzentrum von Prag. Wenn ich dort bin, kann ich nur an einem kleinen Küchentisch und mit relativ vielen Einschränkungen arbeiten. Aber das ist absolut okay, denn ich brauche kein festes Atelier. Ich suche mir die Arbeitsplätze danach aus, woran ich gerade arbeite.

Wo produzierst du deine großen Installationen und Metallskulpturen?
Wenn notwendig, arbeite ich in den Werkstätten anderer Leute, da ich nur einige Arbeitsprozesse selbst herstellen kann. Trotzdem möchte ich am Produktionsprozess beteiligt sein und die Arbeit so weit wie möglich selbst beaufsichtigen. Meine Zeichnungen eignen sich nicht immer für die 3D Produktion, sodass ich meine Skizzen während der Produktion manchmal überarbeiten muss. Einige metallverarbeitende Herstellungsprozesse sind so delikat, dass ich professionelle Hilfe brauche. Seit 2008 arbeite ich mit einem Metallhandwerker zusammen. Wir sind sehr vertraut miteinander. Er versteht meine Skizzen und ist in der Lage, sie ohne viele Worte in 3d umzusetzen. Aus Platzgründen sehe ich meine großformatigen und strukturierteren Arbeiten oft erst in der Galerie. Ich muss also meine Ideen recht lange im Kopf behalten bevor ich sie realisieren und vor Ort installieren kann.

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Hast du dich ganz bewusst für eine künstlerische Karriere entschieden?
Die Entscheidung viel mir leicht und fühlte sich ganz natürlich für mich an. Ich habe kaum über Alternativen nachgedacht. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich wahrscheinlich gar nicht so viele andere Sachen machen könnte. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten. In meiner Familie gab es viele Lehrer und ich habe eine große Hochachtung für diesen Beruf. Gleichzeitig versuche ich, in meiner Arbeit zu zeigen was passiert, wenn Lehrer ihre Autorität missbrauchen oder wenn Erziehungsmethoden angewendet werden, um Menschen zu kontrollieren und zu manipulieren. Mein Vater, ein Philosoph und Schriftsteller, machte mich mit vielen Werken der Literatur vertraut. Das hat meinen Ausblick auf die Welt geformt. Für einige Arbeiten habe ich mit meiner Mutter zusammen gearbeitet, das letzte Mal an einer Reihe von Puppen. Meine beiden Eltern haben mich immer sehr unterstützt und mir erlaubt, einen großen Teil meiner Kindheit mit Skizzenblöcken zu verbringen. Ich bin schon seit früher Kindheit Vegetarierin; dies kommt in meiner Arbeit oft in der Darstellung von Menschen- oder Tiermaschinen zum Ausdruck, in Figuren, deren Augen verbunden sind, damit sie das Leiden anderer nicht sehen müssen.

Du erwähntest gerade, dass es für dich eigentlich nie eine Alternative zur Kunst gab. Was bedeutet es für dich, Kunst machen zu dürfen?
Kunst bietet mir einen intimen Raum, eine Umgebung, die meinen Charakter und meine Art zu Arbeiten widerspiegelt. Sie ist für mich gleichermaßen Instrument und Kommunikationsmittel, durch das ich mich andern mitteilen und mit dem ich Themen teilen kann, die ich für besonders wichtig oder problematisch halte. Ich bin mir darüber klar geworden, dass Kunst meine Sprache ist. Die Arbeit mit Bildern – auf Papier aber auch im Raum – erlaubt mir effektiver zu kommunizieren. Ich habe immer gern gezeichnet, schon bevor ich in die Schule kam, habe jedoch schon sehr bald begonnen, Text und körperliche Erfahrungen in meine Arbeit zu integrieren. Jetzt schaffe ich eine ganze Reihe inszenierter Situationen, Strukturen oder räumlicher Collagen, die in irgendeiner Form auch immer den Körper einbeziehen.

Fließen in deine Arbeiten mehr Fiktionen oder mehr Beobachtungen der Realität ein?
Ich betreibe viel Forschung, so dass mein Ausgangspunkt immer etwas ist, was ich der Realität entnehme – eine echte Fallstudie, eine Geschichte, die ich gehört oder über die ich gelesen habe, meine persönliche Erfahrung oder etwas, was ich beobachtet habe. Später, während des Entstehungsprozesses, findet dann aber eine Transformation statt. Ich entwickle meine spezifische Sicht von etwas; das ist dann oft wie ein Puzzle, eine Collage aus Realität und Fiktion. Manchmal lasse ich Teile weg oder füge neue Elemente hinzu, oder ich verwandle die Situation oder die Geschichte in einen Zustand der Abstraktion. Ich finde es dabei nicht wichtig, einen Schlüssel zu meinen Arbeiten anzubieten. Ich halte es auch nicht für wesentlich, dass ein Betrachter herausfindet, was daran real, was hinzugefügt oder was erfunden ist. Wichtig ist mir, dass der Grundgedanke herüberkommt, dass die Arbeit Gefühle auslöst, besonders auch solche Gefühle, die schwer in Worte zu fassen sind.

Du sagtest bereits, dass deine Arbeit Themen wie Missbrauch von Autorität, Kontrolle und Manipulation enthält. Welche anderen Themen interessieren dich?
Ich interessiere mich für den Konflikt zwischen dem, was natürlich und dem, was erlernt ist oder gemeinhin als „normal“ angesehen wird. Ich betrachte die inneren und äußeren Kräfte, die Menschen veranlassen, sich auf bestimmte Art und Weise zu verhalten, wenn sie gehen, sprechen oder in verschiedenen Situationen reagieren; welchen Einfluss institutionelle Regeln auf sie haben, und ich versuche die intensiven persönlichen Welten und inneren Visionen offenzulegen, die als parallele Welten fungieren und in denen sie leben. Ich halte es für wichtig, die Welt durch den Blickwinkel und die Erfahrung derjenigen zu betrachten, die aus welchem Grunde auch immer isoliert, unterdrückt oder auf eine Weise benachteiligt wurden, dass sie davon in ihrem alltäglichen Leben beeinträchtigt sind, was sie davon abhält von anderen integriert zu werden. Das ist das Konzept einiger meiner Arbeiten, beispielsweise des Theatre of Speaking Objects (Theaters der sprechenden Objekte), das Objekte als Mediatoren für Menschen mit unterschiedlichen Kommunikationsproblemen einsetzt.

Zu deinen sehr bekannten Arbeiten zählt ein Film über ein imaginäres Tribunal.
Das ist eine recht neue Arbeit, die bisher eigentlich noch gar nicht so häufig gezeigt wurde. Sie basiert tatsächlich auf der Geschichte von Jakob Mohr, einem Patienten einer psychiatrischen Anstalt, der durch ein halluzinatorisches Gerichtsverfahren ging, das lediglich in seinem Kopf stattfand. Jakob Mohr hörte nicht auf, über eine „beeinflussende Maschine“ zu sprechen; sie repräsentierte für ihn alles Institutionelle und Restriktive. Die Zeichnungen, die er anfertigte, waren für ihn weniger ein Versuch, sich künstlerisch auszudrücken, als der Versuch, eine große Verschwörung und die Existenz dieser unheimlichen Maschine nachzuweisen, mit deren Existenz er all seine Handlungen erklärte und entschuldigte. Er glaubte, dass in der Klinik alle, Ärzte und Patienten gleichermaßen, gegen ihn seien und dass die Maschine alle seine Handlungen beeinflusse und kontrolliere. Meine Arbeit ist eine dreidimensionale begehbare Papiercollage, in der Schauspieler unter gewissen Zwängen agieren mussten, weil die Logik der Collage ihre Bewegungen und Gesten gewissermaßen vorgab und sie in merkwürdige marionettenhafte Kreaturen verwandelte. In der Performance waren einige der Schauspieler Patienten und Personal der Psychiatrie Bohnice in Prag, einige waren echte Schauspieler.

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Viele deiner Arbeiten evozieren ein unterschwelliges Gefühl, das schwer auszudrücken ist. Man meint, unter der Oberfläche eine morbide Wahrheit entdecken zu können, über die niemand gerne spricht.
Ich glaube, dass die meisten Künstler versuchen aufzudecken, was verborgen und unsichtbar ist. Zu meinen wichtigsten Motiven gehören der Käfig und der zerstückelte Körper. Das Motiv des Käfigs repräsentiert für mich verborgenen Freiheitsentzug, Restriktionen und Regeln, die man nicht sehen kann, denen man aber gehorcht, wohingegen das Motiv des zerstückelten Körpers eine Situation symbolisiert, in der ein Mensch seine Fähigkeit dem Druck, den Anforderungen und dem Grauen seiner Umgebung nicht mehr Stand zu halten vermag, also aufhört zu funktionieren und kohärent zu handeln. Mich interessieren auch Konzepte von Angst und Angstzuständen, die sich sowohl im Körper als auch durch Instrumente oder Mittel manifestieren, die eigentlich unter Kontrolle gehalten werden sollten. Es ist eigentlich weniger Morbidität, sondern eher die Vorstellung von der unterdrückten oder zurückgehaltenen Angst, die sich subtil in Gesten oder Aktionen ausdrückt bis sie endlich zum Ausbruch kommen, um die es mir geht.

Vor kurzem hattest du eine große Soloausstellung in der Maccarone Gallery in New York, wo derartige Angstzustände ein zentrales Motiv der ausgestellten Arbeiten waren.
Das stimmt. Als Ausgangspunkt für die Arbeiten dieser Ausstellung dienten Zeichnungen und schriftliche Zeugnisse eines Workshops mit Kindern mit geistiger Behinderung. Die Zeichnungen repräsentieren unterschiedliche Angstzustände der Kinder oder reflektieren Situationen, welche die Kinder in der Klinik durchlebt haben. Eine Zeichnung beispielsweise zeigt zwei Menschen beim Telefonieren, von denen einer den Hörer auflegt und dem anderen damit das Gefühl gibt, isoliert zu sein und mit sich selbst zu sprechen. Ein weiteres immer wiederkehrendes Element der Zeichnungen sind Schlangen; einige erscheinen freundlich, aber viele der Kinderzeichnungen zeigen Schlangen, die Kinder, Gebäude oder andere Tiere fressen oder verdauen. In der Ausstellung wurde auch eine Metallskulptur mit dem Titel a mouse’s home is the snake’s body  (Das Haus einer Maus ist der Körper der Schlange) gezeigt, die von einigen dieser Zeichnungen inspiriert wurde. Ich wollte die Beziehung zwischen dem Opfer und  dem Raubtier, das die Situation beherrscht, untersuchen, gleichzeitig aber auch die Ambivalenz der Situation aufzeigen, weil die Maus auch die Kontrolle über die Situation übernehmen oder den Körper der Schlange wie einen rettenden Unterschlupf bewohnen könnte, als ob sie sich vor noch größeren Schrecken der Welt verstecken wollte.

Eine Maus im Körper einer Schlange … Irgendwie muss man dabei an Kafka denken. Ist die Vermutung richtig, dass Kafka deine Arbeit stark beeinflusst hat?
Ja, Kafka hat ganz eindeutig einen großen Einfluss auf meine Arbeit. Mein Vater ist ein großer Bewunderer von Kafka und ich teile seine Bewunderung voll und ganz. Über die Jahre habe ich Kafkas Novellen immer wieder gelesen. Trotzdem würde ich Kafka nicht in eine direkte Beziehung zu meiner Arbeit setzen. Ich glaube es handelt sich eher um einen unterbewussten Einfluss. Aber eine Kurzgeschichte von Kafka mit dem Titel Der Bau hat mich besonders fasziniert; sie handelt von einer maulwurfsähnlichen Kreatur, die sich durch ein System von Tunneln gräbt und Fallen für andere Tiere baut. Diese Geschichte handelt von Gefangennahme und Überleben, wobei die Kreatur gleichzeitig Schlange und Maus ist. So funktioniert die Natur. In diesem entsetzlichen System kann man sich seiner Rolle nie sicher sein.

Könnte man sagen, dass es in deinem Werk darum geht, dem „System“ zu entkommen?
Nein, das wäre vermessen von mir, so etwas zu behaupten. Ich gebe keine Instruktionen. Ich spreche über das System, auch darüber wie limitierend es sein kann, wenn es den wirklichen Bedürfnissen der Menschen nicht angepasst wird, und wie hart es ist ihm zu entrinnen, wenn man selbst Teil des Systems ist. Ich demonstriere alternative Szenarien, die gleichermaßen surreal und unmöglich zu realisieren sind, aber eine Möglichkeit aufzeigen, die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Welche Reaktionen beobachtest du bei Menschen, die deine Arbeiten betrachten?   
Wisst ihr, Kafka wurde von seinen zeitgenössischen Schriftstellerkollegen in der tschechischen Republik als humorvoller Schriftsteller angesehen. Das Tragische und die Verzweiflung, die sein Werk durchziehen, wurden lange nicht wahrgenommen. Ich sehe in ihm ganz und gar keinen humoristischen Autor. Ich sage das, weil ich manchmal selbst damit zu kämpfen habe, wie Menschen meine Arbeit interpretieren. Meine Serie Home Detention (Hausarrest) zum Beispiel handelt von einem Jungen, der mit dem Kopf nach unten in einer Metallkonstruktion gefangen ist. Für mich symbolisiert dieses Bild Isolation in einem limitierenden Raum und repräsentiert den unsichtbaren Käfig, der uns alle umgibt und den wir mit uns tragen. Einige Menschen sahen darin ein eher witziges akrobatisches Bild. Aber solche Reaktionen sind mir natürlich auch wichtig, denn sie geben mir Anlass, darüber nachzudenken, wie ich meine Ideen anders und effektiver kommunizieren kann.

Du hast in Wien studiert. Die Frage hast du wahrscheinlich schon oft gehört, aber kann es sein, dass außer Kafka auch die psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud deine Arbeit beeinflusst haben?
Das glaube ich eher nicht. Ich finde Freud interessant zu lesen, aber als Frau kann ich mich nicht mit seinen Gedanken identifizieren, da er weibliche Fälle kategorisch in seinen Untersuchungen ausgeschlossen hat, weil er davon ausging, dass Frauen Männern untergeordnet sind. Mich faszinieren da Psychoanalytikerinnen wie Melanie Klein und Anna Freud mehr, denn mich interessiert vor allem die Psychoanalyse von Kindern. Es gibt natürlich viele andere Texte und Theorien, die mich beeinflusst haben, zum Beispiel Paulo Freire und seine Pedagogy of the Oppressed (Die Pädagigik der Unterdrückten), Augosto Boal und sein Theatre of the Oppressed (Das Theater der Unterdrückten) oder [Jacob L.] Morenos psychodramatische Techniken und Franco Bassaglias berühmtes und revolutionäres Gesetz, das letztendlich dazu führte, dass bestimmte Anstalten endlich geschlossen wurden.

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Neben der Küche befindet sich ein Schreibtisch mit vielen Papieren und Papierausschnitten. Um was geht es hier?
Das ist eine Serie von Arbeiten, in der ich Ausschnitte verwende, die in einem neuen Kontext wieder zusammengesetzt werden. Sie sind noch nicht fertig. Ich muss noch auf ihnen zeichnen. Ich habe die gesammelten Bilder nach bestimmten Kategorien in verschiedenen Kartons abgelegt. Dies hier beispielweise sind Bilder von Kindern beziehungsweise von Körperteilen von Kindern. Hier haben wir nur Köpfe. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, welchen Eindruck jemand gewinnt, wenn er sich meine Inventare ohne jede Erklärung anschaut (lacht). Hier sind noch mehr Kästen mit Ausschnitten von Tieren wie Schlangen, Affen oder Vögeln und ihre Käfige. Einige von ihnen sind ziemlich bizarr. Meine Mutter hilft mir manchmal, diese Motive auszuschneiden oder wir machen es zusammen. Es ist wirklich wunderschön, etwas zusammen zu machen und Zeit miteinander zu verbringen. Diese Handarbeit kann ebenso therapeutisch wie gesellig sein, wenn man es gemeinsam mit jemandem macht.    

Das ist eine wirklich große Sammlung von sorgfältig kategorisierten Ausschnitten. Woher bekommst du das Material für deine Kollagen?
Ich finde es überwiegend in alten Büchern, insbesondere psychologischen und psychotherapeutischen Veröffentlichungen aus den 1930er bis 1980er Jahren, aber auch in alten Schulbüchern. Viele Besitzer der Prager Buchantiquariate kennen mich ganz gut. In der Altstadt gibt es eine alte Dame, die einen wunderschönen kleinen Buchladen besitzt. Sie sitzt in der Mitte ihres Ladens umgeben von Bergen von alten Büchern. Viele der Bücher, nach denen ich suche, können nicht mehr verkauft werden, aber sie weiß, dass ich für sie Verwendung habe und bewahrt sie für mich auf; manchmal überlässt sie mir die Bücher sogar umsonst. Aber es wird zunehmend schwerer, ältere Bücher aus diesem Gebiet zu finden, die ich noch nicht besitze. Das bedeutet, ich muss entweder den Inhalt und Stil der Kollagen verändern oder sie eine Weile ganz sein lassen.

Tschechien ist kein großes Land. Trotzdem weisen einige Künstler deiner Generation international den Weg für die zeitgenössische Kunst. Kannst du etwas zur Kunstszene in der Tschechien sagen?
Die tschechische Republik ist eines der ehemaligen Ostblockländer. Leider gibt es dort besonders in der älteren Generation immer noch Künstler, die noch keine internationale öffentliche Anerkennung gefunden haben. Es ist eine verborgene Generation, deren Arbeiten noch darauf warten, entdeckt zu werden. Ich empfinde das als nicht fair, glaube aber, und das mag naiv sein, dass gute Arbeiten nicht in Vergessenheit geraten, selbst wenn sie erst mit großer Verzögerung entdeckt werden. Obwohl die tschechische Kunstszene klein ist, ist sie doch sehr vielfältig und lebendig. In der jüngeren Generation gibt es sehr interessante Künstler. Da wir nicht zu den großen Kunstzentren der Welt gehören und international arbeitende Kuratoren immer nur eine begrenzte Zeit hier verbringen, fokussieren sie ihre Aufmerksamkeit eher auf Kunst, die sie schon auf internationalen Ausstellungen gesehen haben. Nicht viele von ihnen planen nicht die Zeit ein, die notwendig wäre, um mehr über die nationale Kunstszene zu erfahren und Künstler zu entdecken, deren Arbeiten noch nicht häufig gezeigt wurden. Aber durch verbesserte institutionelle Unterstützung erhalten Künstler zunehmend die Chance, an Ausstellungen teilzunehmen oder von einer Galerie vertreten zu werden.

Siehst du persönlich eine gesellschaftliche Rolle für Künstler?
Ich glaube, Künstler sollten als integraler Bestandteil der Gesellschaft gesehen werden. Wie stark Künstler die Gesellschaft beeinflussen können, hängt von ihrem jeweiligen Umfeld ab und von den Bedingungen, unter denen sie arbeiten sowie von ihren Fähigkeiten, ihrer Originalität und der Unmittelbarkeit, mit der sie Menschen erreichen. Ganz allgemein finde ich, dass der Künstlerberuf in keiner Weise als einzigartig angesehen oder ein Kunstschaffender in irgendeiner Form höher gestellt werden sollte. Eigentlich ist der Beruf des Künstlers wie jeder andere Beruf, obwohl es auch wieder wahr ist, dass ein Künstler eine Person ist, die spezifische Fähigkeiten und Sensibilitäten hat. Aber jeder Mensch ist mit gewissen Fähigkeiten geboren und, wenn er Glück hat und ausgebildet wird, kann er diese verfeinern und so gut wie möglich einsetzen. Dies vorausgeschickt glaube ich, dass es zu den Fähigkeiten von Künstlern gehört, die Aufmerksamkeit auf bestimmte, eher verborgene und problematische Aspekte der Welt zu lenken und sie anders zu betrachten; Dinge nicht als rigide, unveränderliche Konzepte und Strukturen, die nicht aufgebrochen werden können, zu akzeptieren. Wenn dies Künstlern gelingt, dann tragen sie etwas wahrhaft Wertvolles bei, welches das Denken der Menschen verändern kann. Ich bin in einigen Ausstellungen gewesen, in denen ich diese profunde Erfahrung gemacht habe, völlig wachgerüttelt zu werden. Ich glaube wirklich an die Kraft der Kunst. Aber ich finde auch, dass sie für gute Zwecke eingesetzt werden sollte.

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Interview: Michael Wuerges, Florian Langhammer
Fotos: Maximilian Pramatarov

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