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Franziska Reinbothe, Pretzsch

In the Studio

»Ich will unbedingt wissen, wie ein Bild aussehen kann, wenn ich ihm die Leisten zerbreche.«

Franziska Reinbothe definiert sich als Malerin, wenn auch nicht im klassischen Sinn: Sie faltet Leinwand, zerbricht Keilrahmen oder macht sie durch Chiffon sichtbar. Sie will das Unsichtbare sichtbar machen, das Hintere nach vorne holen. Aus einem Zufall geboren, sind ihre von ihr so genannten Umformungen Momentaufnahmen künstlerischen Ausdrucks. Reinbothe lebt und arbeitet in Deutschland.

Wie bist du zu Kunst gekommen? 
Über Umwege! Es dauerte, bis ich den Mut aufbrachte, mich an der Kunsthochschule einzuschreiben. Ich hatte ein recht verschrobenes Bild von Künstler:innen im Kopf; so à la armer Dichter, der in einer löchrigen Dachkammer sitzt und sich mit einem Regenschirm trocken hält…

Der arme Poet von Carl Spitzweg!
Genau! Allerdings wurde mir schon während des Studiums klar, dass diese Situation nicht zwingend der Fall sein muss. Eine gewisse Unwägbarkeit ist zwar nach wie vor Bestandteil des Jobs, ich bin jedoch selbstsicherer geworden. Zum Malen kam ich erst relativ spät und hatte lange das Gefühl, mir fehle es - des mangelnden Grundstudiums wegen - an Fachwissen. Heute aber weiß ich, wie sinnvoll es für mich war, mir meinen eigenen Weg in die Malerei suchen zu müssen.

Auf den ersten Blick wirkt dein Werk konzeptuell. Warum identifizierst du dich als Malerin?
Weil da mein Herz hängt. Es geht mir darum, zu gemalten Bildern zu kommen. Ich verfolge eben kein Konzept! Ab dem ersten Bild, das ich umformte – diesen Teil meiner künstlerischen Arbeit nenne ich Umformungen – wollte ich der Malerei sozusagen unter das Kleid sehen, deren Essenz herausfinden. Ich würde gar nicht auf die Idee kommen, mich anders als als Malerin zu bezeichnen - maximal noch als bildende Künstlerin! Aber definitiv nicht als Konzeptkünstlerin.

Deine Malerei nennst du mithin Umformungen
Sie folgen keinem Konzept, es ist ein Learning by doing, ein doing by wanting. Die Tagesform bestimmt, mit welchen Farben ich arbeite,  auf welche Weise ich die Umformung vornehme… Ich weiß immer erst am Ende, wie das Bild wird. Vor Jahren sagte mir jemand, in meinen zerbrochenen Bildern steckten Verletzung und Brutalität. Aber es geht mir nicht um den brutalen Eingriff per se, nicht um Dekonstruktion oder Destruktion. Ich werde in erster Linie von meiner Neugier geleitet. Ich will unbedingt wissen, wie ein Bild aussehen kann, wenn ich ihm die Leisten zerbreche oder beispielsweise das Gewebe auf links drehe.

Wie kamst du zu deiner Technik?
Die allererste Umformung war ein Akt des der Verzweiflung. Ich hatte ein schwieriges Gespräch mit meinem Professor und wusste nicht, wie es in meiner Malerei weitergehen sollte… Daraus ergab sich das Kaputtmachen der beiden Bilder, die ich ihm gezeigt hatte. Dass dies der Beginn von einem neuen künstlerischen Vorgehen sein könnte, wurde mir erst später klar. Insofern war dieser Frustrationsmoment wichtig.

Du bist ja mittlerweile selbst Lehrende - gibst du das auch an deine Studierenden weiter?
Ja, ich halte es für sehr wichtig, in künstlerischen Arbeitsprozessen diesen Moment der Ungewissheit auszuhalten. Ihn dazu zu nützen, die Perspektive zu ändern und zu überlegen, was sich aus einer Frustration für die eigene künstlerische Arbeit herausziehen lässt. Bei mir jedenfalls war es so! Ich musste diese zwei Bilder zerstören, um erkennen zu können: Das ist der Ausweg aus der künstlerischen Sackgasse, in der ich mich befand!

Das ergab sich, wenn man so will, aus einem Zufall. Du sagtest einmal, er spiele für dich eine sehr wichtige RolleWarum? 
Nun, es gibt vorgegebene Parameter wie mein Atelier, den Keilrahmen, das Gewebe, die Farbe. Aber ich gestehe dem Material gerne ein wenig Autonomie zu. Und so passiert dank Zufall meist etwas, das ich nicht vorhersehen konnte. Diejenigen Bilder, die mich überraschen, sind die allerbesten! Aber das ist ein flüchtiger und fragiler Moment in meinem Vorgehen. Denn je mehr Erfahrung ich habe, umso seltener tritt diese Form der Überraschung ein!

Die ist dir jedoch wichtig?
Ja, denn es sind genau die Momente, die ich schätze: Wenn zu meiner Arbeit etwas Neues hinzukommt oder ich etwas zum ersten Mal weglasse und ich dadurch zu einem ungewohnten Bildergebnis komme. Ich bin mir der Endlichkeit meines Vorgehens wohl bewusst. Denn irgendwann kann ich meine Bilder umklappen und weiß halt, wie die dann aussehen.

So kamst du auf die Verwendung von Chiffon, stimmt das?
Ja. Nach einer Zeit begriff ich eben, dass auch in den Umformungen das Risiko der Wiederholung und der Langeweile steckt, ich mithin Gefahr lief, in eine zweite künstlerische Sackgasse zu geraten. Ich wollte aber auf keinen Fall die Künstlerin sein, die bekannt dafür ist, ihre Bilder ausschließlich kaputtzumachen! So überlegte ich: Wie kann ich denn Dinge, die an einer Malerei normalerweise verborgen sind, sichtbar machen, und zwar ohne dass ich gezielt ins Bildformat eingreife?

Und die Antwort war: mit einem semitransparenten Stoff?
Genau. Der Keilrahmen ist sichtbar, ich kann den Raum zwischen Gewebe und Wand betonen. Ich kann diesen Chiffonstoff wie flüssige Farbe verwenden, indem ich Schichten davon übereinanderlege und dadurch mische. Oder Keilrahmen verschiedener Größe mit unterschiedlichen Chiffonstoffen bespanne, verschraube und dadurch wiederum einen unterschiedlichen Farbton erziele. Chiffon ist im Prinzip eine Acrylfaser, und bei meinen Umformungen arbeite ich mittlerweile auch nur noch mit Acrylfarbe. Und so fühlte es sich logisch an, Acryl auch in einem anderen Aggregatzustand zu verwenden.

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Wie wichtig ist Farbe für dich?
Sehr wichtig. Bei den Umformungen ist es nach wie vor noch so, dass es mir wahnsinnig viel Freude macht, den für mich passenden Farbton zu finden und anschließend ganz salopp gesprochen, einfach Farbmasse auf der Leinwand zu bewegen.

Damit sind wir wieder bei der Malerin! Die Freude, Farbe aufzutragen…
Richtig. Acrylfarbe ist genau das Richtige für meine Vorgehensweise. Sie trocknet wahnsinnig schnell und dunkelt ein kleines Stückchen nach - da ist wieder die Autonomie des Materials, die ich so schätze. Farbe fordert mich; je nach Tagesform bewege ich mich und den Pinsel anders. Es gab Zeiten, da wollte ich eine sehr glatte Oberfläche - aber merkte dann: Irgendwie ist mir da zu wenig Franziska drin! Danach verwendete ich im Gegenteil so viele Verdicker, dass kleine Krater auf der Leinwand entstanden. Mittlerweile arbeite ich mit Transparenzverstärkern, die ich der Acrylfarbe beimische. Dadurch kann ich sie wie Lasuren auftragen.

Was ist dein Trägermaterial?
Mittlerweile ein Baumwollgewebe. Ich kann es von der Oberflächenspannung her gut bearbeiten.

Wie kann man sich deinen Prozess vorstellen? Du suchst die Farbe aus, trägst sie auf dein Baumwollgewebe auf, hüllst den Rahmen damit ein und brichst ihn dann?
Der Prozess des Malens ist langwierig. Ich trage mehrere Schichten von Farbe übereinander auf das aufgespannte Gewebe auf. Wie mit der Umformung ist es ein Bauchgefühl, ab wann genau der Prozess des Malens abgeschlossen, ab wann die Leinwand für mich gefüllt ist. Selten, aber doch, passiert es, dass Bilder überhaupt nicht umgeformt werden, weil ich das Gefühl habe, das wäre jetzt zu delikat. Das passiert in letzter Zeit öfter: Die klassische Malerei holt mich wohl doch ein bisschen ein! 

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Dann hältst du also in der Bewegung inne?
Ja, und dann habe ich etwas Neues! Manchmal ist es aber so, dass diese Überraschung ein paar Momente braucht; bei manchen Bildern denke ich erst einmal: Ach je, das werde ich nie ausstellen. Dann lasse ich es aber eine Zeit lang im Atelier stehen. Und das Bild verändert sich! Beziehungsweise meine Wahrnehmung dazu.

Wann weißt du also, dass ein Bild fertig ist?
Ich kann es nicht besser beschreiben als so: es ist ein ganz arges Bauchgefühl. Es fühlt sich einfach richtig an. Das Bild hat seine Form gefunden - wie lange auch immer das gedauert hat.

Stehen unfertige Bilder in deinem Atelier so, dass du sie jederzeit sehen kannst? 
Nein, ich stelle sie nach hinten. Manche hatte ich vielleicht sogar schon ausgestellt, aber dann trotzdem wieder zurückgezogen. Ich will diese Bilder nicht so heilig sein lassen, als dass ich da nicht doch noch mal eingreifen könnte.

Damit sich dein Werk mit dir weiterentwickeln kann?
Genau. Auch wenn ein Bild schon mal in der Öffentlichkeit war, kann es passieren, dass es später kein starkes, kein valides Bild mehr für mich ist. Dann möchte ich es ändern. Ich will in der Hinsicht frei bleiben. Und auch die Bilder sollen frei sein. Wortwörtlich, denn ich mag zum Beispiel keine Bilderrahmen, weil sie oft das Interessante abdecken. Mich interessieren Bildränder. Wo Spuren zu sehen sind, Farbnasen runterlaufen, man die Grundierung erahnen kann. Für mich liegt in diesen Spuren genauso viel Informationen wie auf der Oberfläche einer Malerei.

Daher rahmst du auch deine Bilder nicht?
Genau. Eine Einrahmung hat für mich immer was damit zu tun, etwas einzuhegen und schön zu machen und damit eine Begrenzung aufzutun. Das ist nicht mein Malereiverständnis. Diese zusätzliche Abtrennung zwischen Umraum und Bild begreife ich nicht.

Wie formst du die Bilder um? Mit den Händen?
Ja. Auch. Manchmal benutze ich auch eine Holzsäge. Je größer die Keilrahmen sind, umso einfacher ist das natürlich, weil ich mit Spannung arbeite. Aber ich sehe mir die Bilder vorher lange an und überlege, welchen Eingriff dieses Bild erfordert. Manchmal kommt mir die passende Idee sehr schnell und manchmal braucht es einen Tag – oder noch viel länger. Dann sitze ich nur im Atelier, gucke mir das Bild an, und entscheide gegebenenfalls: heute besser nicht. Es ist mir wichtig, nichts übereilt anzugehen.

Hast du ein Lieblingsformat?
Die Formate stehen in Relation zu dem Raum, in dem ich arbeite. Als ich mit den Umformungen anfing, hatte ich ein ziemlich großes Atelier in Leipzig. Da war mein Leibformat zwei Meter auf ein Meter fünfzig, weil ich das in der Breite gut allein greifen kann. Danach musste ich in einen sehr kleinen Raum umziehen, und die Bilder wurden sofort signifikant kleiner. Das nervte (lacht)! Vor anderthalb Jahren bin ich aufs Land gezogen, mein aktuelles Atelier befindet sich in einer alten geräumigen Schmiedewerkstatt - und meine Bilder sind wieder größer geworden.

Du lässt die Formate sich entwickeln. Kontrolle ist dir nicht so wichtig?
Kontrollsucht würde mich fertig machen. Holz ist ein Material, das permanent arbeitet; und zwar auch dann, wenn die Bilder umgeformt und das Gewebe nicht mehr gespannt sind. Insofern steckt in meiner Arbeit auch eine  subversive Kritik am Kunstmarkt. Meine Bilder verändern sich und werden in hundert Jahren ganz sicher anders aussehen als jetzt! Man kauft insofern keine Investition bei mir, vielleicht kann ich das so sagen (lacht).

Apropos Kunstmarkt: Wie schwer ist es als erfolgreich werdender Kunstschaffender, der Versuchung zu widerstehen, einfach immer mehr ähnliche, „sichere“ Werke zu produzieren?
Wenn ich als Künstlerin weiterarbeiten möchte, wäre es doch absurd, immer more of the same zu machen! Natürlich bauchmiezelt es mich, wenn ich merke, das es für ein bestimmtes Bildformat eine wiederholte Anfrage gibt. Aber es interessiert mich rein künstlerisch gar nicht, das immer weiter herzustellen.

Worum geht es dir?
Mich interessieren die Fragen, die ich an ein Bild formulieren, die ich der Malerei allgemein stellen kann. Sie haben mit Zufall zu tun, mit „letting go“, mit beobachten und wahrnehmen; es geht mir darum, mich künstlerisch selbst zu überraschen. Das funktioniert aber nicht, wenn ich das zehnte umgeklappte Bild herstelle. Das Schöne ist, dass ich mit Galeristinnen zusammenarbeite, die diesen Gedanken mittragen und nicht sagen: „Kannst du mal bitte davon noch sieben Stück machen?“

Das kommt aber am Kunstmarkt durchaus vor!
Natürlich, von irgendwas müssen wir Kunstschaffende auch leben! Und wer sagt schon nein, wenn ein Bild verkauft wird. Aber ich finde, man darf das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Ich bin hier nicht angetreten, um den dicken Reibach zu machen, sondern um zu malen und mein Verständnis von Malerei immer weiter zu hinterfragen und zu erweitern. Mir ist allerdings klar, dass ich aus einer privilegierten Situation heraus argumentiere, denn durch meine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig muss ich nicht vom Verkauf allein leben. Ich hatte allerdings schon während meines Studiums immer einen Job. Eines muss ich betonen: Für mich inkludiert der Beruf des Kunstschaffenden, einen Day Job zu haben!

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Empfinden viele Künstler*innen den Day Job nicht als arge Ablenkung? 
Ich habe viele Gespräche mit meinen Studierenden darüber. Ich sehe es so: Der Day Job enthebt mich von dem Druck, Bilder verkaufen zu müssen. Damit wiederum erkaufe ich mir die Freiheit, in meiner Kunst zu machen, was ich will zum Beispiel auch Bilder zu malen, die niemals Interessent:innen finden werden. In jedem Job, vor allem in der Kunst, geht es meiner Ansicht nach darum, nicht die Nerven zu verlieren. Und wie gelingt mir das? Indem ich Druck rausnehme und frei bleibe.

Mir ist aufgefallen, dass deine älteren Bilder Titel haben, deine neueren aber nicht. Warum? 
Als ich mit den Umformungen anfing, waren Titel ganz essenziell für mich. Später empfand ich sie als ein wenig künstlich. Mittlerweile nummeriere ich die Bilder einfach durch, um eine Chronologie erkennbar zu machen. Titel sind eine zweischneidige Angelegenheit. Sie holen einerseits die Leute gut ab und könne sogar eine poetische Lesrichtung vorgeben, die aber andererseits einschränkend ist. Ich ziehe es mittlerweile vor, mit der Intelligenz der Betrachtenden zu arbeiten. Ich möchte, dass sie sich frei machen, um wahrzunehmen, was auf meinen Bildern zu sehen ist. Sie sollen meine Position einnehmen können: beobachten, umsetzen, weiter beobachten, einschätzen. Und im besten Falle für gut befinden!

Was sind deine nächsten Projekte?
 Anfang Februar eröffnet meine Soloshow „Bestform“ bei meinem Galeristen Mathias Güntner in Hamburg und danach werde ich ab Mitte Februar 2025 im Centro Cultural Andratx auf Mallorca zusammen mit meinem Schweizer Kollegen David Berwerger ausstellen, hauptsächlich die Bilder, die ich während meines Stipendiums im Oktober 2024 dort erarbeitet habe.

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Interview: Alexandra Markl
Photos: Enrico Meyer

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