Das vielfältige Werk von Haleh Redjaian erstreckt sich von Zeichnungen und Textilien bis zu Wand- und Rauminstallationen. Ihre abstrakten Werke und komplexen Ordnungssysteme ergeben sich aus Linien und Formen, mit denen sie kontinuierlich neue Strukturen, Geometrien und Kompositionen entwickelt. Halehs endlos seriellen, aber ersichtlich von Hand erstellten Wiederholungen hauchzarter Einzelelemente zeugen von einer geduldigen Demut des Machens und Produzierens, die eine ebenso große Konzentration des Sehens einfordert.
Haleh, deine Zeichnungen, Wandarbeiten und Installationen unterliegen einer ungeheuren Präzisionsarbeit. Kannst du uns einen Einblick in deine Arbeitsweise geben?
Zeichnen ist das wichtigste Medium für mich, es ist der direkteste Weg, eine Idee zu visualisieren, ohne zu viel Information zu verlieren. Auf dem Papier kann ich dann anfangen, die Idee in verschiedene Richtungen zu führen. Sowohl Muster als auch Ordnungssysteme sind dabei stark formbar und stehen immer in einem direkten Zusammenhang zu Objekten, architektonischen Fragmenten und der Natur meiner unmittelbaren Umgebung.
Dienen dafür auch Einflüsse aus deinem Herkunftsland, dem Iran, als Inspiration?
Meine Arbeiten können auch durch traditionelle Ordnungssysteme und Raster, wie sie etwa in der Lehre der Sufi-Kunst und -Architektur vorkommen, beeinflusst sein. Es gibt darin eine jahrhundertealte Tradition von Ornamenten, die der Geometrie und der Mathematik einen großen symbolischen Wert beimisst. Dieses Wissen benutze ich allerdings auf eine sehr abstrakte Weise, da sowohl meine Muster als auch Systeme stark formbar sind. So entsteht ein neuer visueller Raum, der nicht fix ist, sondern die Kapazität hat, sich auf unterschiedlichste Weise zu manifestieren. Indem ich zufällige Unregelmäßigkeiten in Muster und Ordnungssysteme meiner Arbeiten einbringe, wird ein erst auf den zweiten Blick erkennbares Bild von latentem Zerfall kreiert. Solche Brüche, die fortwährend unsere Wahrnehmung verschieben, spielen mit Ordnung und Chaos, Wiederholung und Fragmentierung.
Als Ausgangsmaterial für deine Arbeit verwendest du gerne bestimmte Teppiche, die du bei einem Familienbetrieb im Iran in Auftrag gibst. Was interessiert dich daran genau?
Die handgewebten Teppiche aus Sirjan (einer Stadt im Süden Irans) behandle ich wie eine blanke Fläche, Papier oder Leinwand. Die Teppiche haben meist kein Muster und sind aus reiner Naturwolle gewebt. Jedes dieser Gewebe hat eine eigene Form und Festigkeit. Auch wenn die Maße vorgegeben sind, weicht dadurch das Resultat oft etwas ab. Es entstehen kleine Fehler und kleine Ungereimtheiten, wie ein Raster, das nicht perfekt ist. Das Interessante daran ist, dass ich die Arbeitsweise jedes Mal komplett neu auf das Material und das Raster anpassen muss. Erst nachdem ich den Teppich in meinen Händen halte, kann ich mit einem neuen Entwurf beginnen.
Ähnlich wie bei einem handgewebten Teppich steckt in deinen Arbeiten auch repetitive Detailarbeit, die viel Hingabe und Geduld erfordert. Geht es dir auch um eine gewisse Demut vor der handwerklichen Tätigkeit?
Wenn ich anfange zu arbeiten, steht dieser Aspekt nicht im Vordergrund. Es ergibt sich mehr aus der Idee und dem Arbeitsvorgang, wie aufwendig und detailliert die Zeichnungen oder Textilarbeiten werden.
In einem Porträt auf Deutschlandradio Kultur wird das Poetische in deinen Arbeiten hervorgehoben. Kannst du selbst etwas mit Poesie in Bezug auf dein Werk anfangen?
Eigentlich fand ich mich selbst nie besonders poetisch, allerdings war ich zu Hause sehr viel mit den Werken iranischer Poeten und einer poetischen Sprache umgeben. Auch wenn mir das lange nicht bewusst war, hat sich das oft als eine Inspirationsquelle durchgesetzt.
In deinen Installationen beziehst du immer auch den Raum ein, in dem du arbeitest.
Genau, meine Installationen entstehen fast immer durch raumspezifische Entwürfe. Der Raum ist in diesem Fall Protagonist und ihm wird durch die Installation eine neue Rolle zu gewiesen. Raum und Architektur werden durch den Eingriff aktiviert, und dadurch wird auch eine neue Fläche definiert. Der Entwurf kann minimal sein. Da in einem Raum immer besondere Lichtverhältnisse und eine bestimmte Atmosphäre vorhanden sind, beeinflusst ein Raum die Installation auf seine eigene Weise. Umgekehrt werden durch die Installation Zwischenräume und Licht neu wahrgenommen. Bei Wandarbeiten oder Installationen muss ich immer flexibel im Bezug zur existierenden Fläche sein. Außerdem benötige ich meist Hilfe von Assistenten. Die Arbeit trägt somit auch die Handschrift einer anderen Person. Das verlangt mir ab, flexibel zu sein.
Viele raumspezifische Arbeiten finden ihren Weg nach einer gewissen Zeit an andere Orte, wodurch dieser ursprüngliche Bezug zum Raum verloren geht. Ist das für dich in Ordnung?
Die Vergänglichkeit dieser Arbeiten ist verbunden mit dem Konzept der Subjektivität und Flexibilität. Mich fasziniert die intensive Energie, die man in eine Wandarbeit steckt, und gleichzeitig deren Vergänglichkeit. Was am Ende bleibt, sind nur Spuren, die Erinnerung und vielleicht eine gute Dokumentation. Der einzige Moment, in dem der Raum zusammen mit der Arbeit wahrgenommen wird, ist also während der Dauer der Ausstellung.
Wie du eben erwähnt hast, haben viele deiner Arbeiten mit Architektur zu tun, weil sie im Wechselspiel mit dem Raum entstehen. Für die Galerie Isabelle van den Eynde in Dubai hast du den Azadi Tower, eine Architektur-Ikone in Teheran, sogar ins Zentrum deiner Arbeit gerückt. Warum?
Der Azadi Tower (Freiheitsturm) ist das Gebäude, das sich in meiner Erinnerung an unsere Reisen in den Iran als Kind am tiefsten eingeprägt hat. Es war immer das erste Monument, das vom Flughafen Teheran auf dem Weg zum Haus meiner Großmutter sichtbar war. Das Gebäude ist aus weißem Marmor, und die Form jedes einzelnen Steines wurde schon damals in den 1960er-Jahren mit dem Computer berechnet. Die Innenseiten sind mit aufwendigen traditionellen Ornamenten verkleidet.
Das Gebäude ist eine Kombination aus islamischer Architektur und dem Stil der Sassaniden-Kunst. Beschäftigt haben mich vor allem die Kurven und Drehungen des Azadi Towers und wie sich meine Interpretation davon in meine Arbeit übersetzt. Mich interessiert der Einfluss, den die Architektur auf uns hat, wie bestimmte Monumente und Gebäude uns verankern, uns ein Gefühl von Zu-Hause-Sein geben, uns auf spezifische Weise mit einem Ort verbinden und diesen auch prägen. Ein Gebäude wie dieses ist voller Emotionen und Erfahrungen für Menschen, die eine Verbundenheit dazu empfinden.
Du bist als deutsch-iranische Künstlerin in Frankfurt geboren, scheinst aber lebendige Kindheitserinnerungen an den Iran zu haben. Was verbindet dich heute mit deiner zweiten Heimat?
Als erstes natürlich der Teil meiner Familie, der noch im Iran lebt. Und die Erinnerungen aus meiner Kindheit. Auch wenn ich nicht im Iran geboren und aufgewachsen bin, habe ich bis zu meinem 9. Lebensjahr sehr viel Zeit dort verbracht. Die Erinnerung an die Landschaft, die Aussicht auf die Berge, die Teheran umgeben, die Gebäude, und mehr und mehr auch die Sprache, und vor allem der Humor ... Es wurde immer so viel gelacht.
Beeinflusst die politische Öffnung des Irans deine Arbeit als deutsch-iranische Künstlerin beziehungsweise erfährst du eine veränderte Aufmerksamkeit?
Im Augenblick nicht spezifisch die politische Öffnung im Iran, jedoch der generelle Fokus auf den mittleren Osten macht sich ab und zu bemerkbar.
Meinst du, dass du dich als Künstlerin im Iran hättest entwickeln können?
Das ist schwer einzuschätzen, es wäre sicher anders gewesen, aber schon möglich.
Bist du vertraut mit der iranischen Kunstszene?
Ich habe in letzter Zeit mehr und mehr darüber gelesen und auch über die Social Networks kriegt man einiges mit. Mehr durch Zufall habe ich in den letzten zwei Jahren auch einige iranische Künstlerinnen und Künstler kennengelernt. Als ich in Dubai war, habe ich ein paar iranische Künstler getroffen, die da leben. Manche arbeiten dort auch mit Galerien zusammen. Es schien mir, als hätte Dubai sich als eine Art Treffpunkt für die Kunstszene etabliert. Auch in Berlin stehe ich mit ein paar iranischen Künstlern in Kontakt.
Wie bist du eigentlich zur Kunst gekommen?
Ich habe zunächst Kunstgeschichte studiert, und während des Studiums ist die Idee, Kunst zu studieren, gewachsen, und da fing ich an, mich an Kunsthochschulen im Ausland zu bewerben. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich Abstand zu meiner Umgebung gewinnen musste, um alleine herauszufinden, ob das der richtige Schritt ist. So bin ich in Antwerpen gelandet. Es hat sich sehr schnell als der richtige Schritt herauskristallisiert und die Zeit dort war toll!
Hat deine Familie dich in deiner Entscheidung, Kunst zu studieren, unterstützt?
Naja, meine Familie war schon etwas erstaunt und hätte sich wahrscheinlich gewünscht, dass ich mir was „Sichereres“ aussuche. Sie hat es aber schon akzeptiert und auch immer hinter mir gestanden. Natürlich wurde es manchmal eng und schwierig, wenn nebenbei noch drei Jobs zu bewältigen waren, wie es viele Künstler kennen. Ich habe allerdings bei den Jobs auch tolle Leute kennengelernt, die jetzt zu meinen guten Freunden gehören.
Wie hast du deinen Stil gefunden, dich also entwickelt hin zu dem, was du heute machst?
In der Kunstakademie in Antwerpen hatten wir eine sehr klassische Ausbildung. Es wurde viel gezeichnet, jeden Tag stundenlang, was für mich, die ich handwerklich noch viel lernen musste, perfekt war. Nach dem Studium wurden meine Arbeiten dann immer reduzierter und abstrakter, es war ein langsamer Prozess, den man natürlich auch zulassen muss.
Gibt es Personen, die du bewunderst oder die dich inspirieren?
Es gibt viele Menschen, die mich im Leben inspirieren und mir auch geholfen haben, da habe ich wohl Glück.
Was steht für dich in diesem Jahr alles Spannendes auf dem Programm?
Im Moment arbeite ich an den nächsten Einzelausstellungen für 2018 bei Arratia Beer in Berlin und Isabelle van den Eynde in Dubai.