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Henrik Vibskov, Kopenhagen

In the Studio

»Wir brauchen Obst, eine Ananas, irgendwas!«

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Der Name Henrik Vibskov steht zunächst für ein avantgardistisches Modelabel, weckt allerdings auch Assoziationen mit einer Vielzahl an schrillen Universen, die Henrik Vibskov um seine Kollektionen aufbaut. Sein Schaffensdrang findet in keinen geordneten Bahnen statt, was es auch so schwer macht, seine Arbeit zu beschreiben oder zu verorten. Wir trafen Henrik in seinem Atelier bei den Kanälen von Christianshavn, Kopenhagens trendigem Viertel, wo er mit uns über die Grenzen zwischen Kunst und Mode spricht, warum er es liebt, zwischen kreativen Feldern hin und her zu springen, und was ihn an Salami so sehr fasziniert.

Henrik, du bist jemand, der seine kreative Energie auf eine ganze Reihe von Disziplinen verteilt. Was würdest du jemandem erzählen, der auf einem Flug neben dir sitzt und dich fragt, was du für deinen Lebensunterhalt machst?
Das hängt von der Dauer des Fluges ab. (lacht) Manchmal entscheide ich mich für den einfachsten Weg, d.h. ich höre Musik, dann muss ich mich nicht auf Erklärungen einlassen oder ins Detail gehen. Wenn ich über Mode spreche, schalten die Leute oft einfach ab, das ist auch okay. Es hängt wirklich von der Person ab, die neben mir sitzt und mich fragt. Aber es kann natürlich auch zu einer langen vielschichtigen Geschichte kommen. In solch einem Fall würde ich antworten, ich arbeite in verschiedenen kreativen Gebieten und mache viele unterschiedliche Sachen – Theater, Mode, Musik, Kostüme, Kunstprojekte und kleine Performances, und ich lehre.

Es scheint, dass diese unterschiedlichen Gebiete in keiner Weise miteinander konkurrieren oder miteinander in Konflikt geraten. Darüber hinaus scheinst du mühelos zwischen ihnen hin- und herzuschalten.
Das stimmt. Ich mache mir keinen Stress. Meistens versuche ich, mit wachen Sinnen nur im Augenblick zu sein. So können Ideen in welcher Form immer sich selbst manifestieren. Ich könnte mich natürlich auch nur auf eine Sache konzentrieren. Als Experiment habe ich das auch versucht, habe all meine anderen Projekte beiseite geschoben und mich drei bis vier Monate nur auf Mode konzentriert. Doch die produktive Kraft entwickelte sich nicht wie ich erwartet hatte. Ich bin sehr viel produktiver, wenn ich an verschiedenen Dingen gleichzeitig arbeite und Ideen aufeinander treffen lasse, sie in neue Kontexte setze. Daraus haben sich oft bessere Ideen und neue Konzepte ergeben.

Passierte das, als die Salami plötzlich in einer deiner Pariser Modeschauen auftauchte?
Ja, ganz genau. Die Idee mit der Salami stammt aus einem Projekt, was wir für die Art Cologne gemacht hatten, wo wir eine Tapisserie mit einem Nahrungsmittelmuster zeigten. Eines Nachts wachte ich plötzlich auf und dachte: „Hey, wieso mache ich nicht auch für die Modeschau etwas mit Salami.“ Ich hatte plötzlich diese Idee einer Salamifabrik. Es sollte etwas Futuristisches und Surrealistisches sein, mit Neonlichtern und Elementen wie aus alten Science-Fiction-Filmen, wo du mit deinem Jet-Wagen unten auf der Straße zwischen futuristischen Wolkenkratzern landest wie in Blade Runner, und dann in eine Welt voller Dunkelheit eintaucht. Es ist ziemlich düster und surreal, meistens regnet es auch. Und dann sind da immer so ein paar asiatische Foodtrucks. Die Pariser Show hatte einen sehr asiatischen Touch, aber statt asiatischer Foodtrucks gab es bei uns europäische Delikatessen.

06 Hvibskov

Du hast schon immer leidenschaftlich gern Nahrungsmittel in deinen Arbeiten gezeigt, nicht nur Salami, sondern auch Passionsfrüchte und alle möglichen anderen Esssachen. Woher kommt diese Faszination?
Ja, ich habe viel mit Nahrungsmitteln gemacht. Es ist immer gut, sie in unsere Kollektionen einzubeziehen. Wir haben jede Saison kleine Proben und ich sage meinem Team immer: „Wir brauchen Obst, eine Ananas, irgendwas!“ Aus ästhetischer Sicht gibt es so flippige Lebensmittel, von deren Existenz ich nicht einmal hätte träumen können und die durch ihre Form, ihre Farbe oder ihre Silhouette einem Projekt einen ganz anderen Spinn geben können. Es ist nicht einmal sehr weit hergeholt, wenn du mal drüber nachdenkst! Weintrauben und andere Obstsorten haben schon immer eine große Rolle in der Kunstgeschichte gespielt. Sie stehen auch für die Vielfalt unserer globalen Gesellschaft, wenn es um den Zugang und unsere Einstellung zu Nahrungsmitteln geht. In der reichen Welt können wir uns leisten, manchmal fast etwas über penibel mit Nahrungsmitteln umzugehen, während die Menschen in anderen Teilen der Welt hungern.

Aber warum Salami?
Was die Salami angeht, habe ich quasi in meine eigene Geschichte und Kultur zurückgeschaut, denn dänische Salami war einmal etwas ganz Tolles. In den '80er und '90er Jahren gab es in Dänemark diese dicke Wurst mit künstlicher, extrem roter und weißer Farbe. Es ist schon fast etwas zynisch, denn sie wurde dem Label Dänische Drei Sterne Salami verkauft. Sie war wirklich von schlechtester Qualität. Aber damals war sie für alle “woah”. Als mein Vater 80 Jahre alt wurde, kauften meine Eltern etwas zu Essen ein, darunter diese Drei Sterne Salami und meine Freundin sagte nur: „Hey, die Kinder können das nicht essen, es ist voller E-Zahlen und Zeugs.“ (lacht) Für Paris ließen wir von dem besten dänischen Schlachter organische Salami herstellen. Anfänglich hatte ich daran gedacht, sie unter dem Label Vibskov zu verkaufen. Aber, und das hätte ich voraussehen müssen, der Versand der Salami stellte sich als super kompliziert heraus. Und bei der ersten Bestellung hatten wir viel zu viel geordert. Jetzt haben wir den ganzen Kühlschrank voll davon und es wird noch mehr eintreffen. Momentan haben wir ein kleines Salami-Problem!

Schweine sind noch so ein Motiv, das oft in deinen Arbeiten auftaucht. Woher kommt das?
Unsere Familie hatte einen Schweinemastbetrieb. Ich bin dort nicht aufgewachsen, aber mein Vater und mein Großvater. Meine Großeltern waren Schweinchen, mein Vater ist ganz Schweinchen – und vielleicht bin ich 50% Schweinchen. Weißt du, Bacon hat eine lange Geschichte. Bacon ist in vielen Kulturen sehr beliebt und spielt auch im religiösen Glauben eine Rolle. Als ich Examen machte, wusste ich, dass ich mich unter den 400 Mitstudenten profilieren musste. Damals war die Maul- und Klauenseuche bei Schweinen und Kühen in Großbritannien das große Thema. Statt ein Portfolio einzureichen, entschied ich mich für eine Modekollektion auf der Grundlage von Schweinen. Ich brachte sogar ein Schwein für die Präsentation mit. Inzwischen haben wir die P.I.G Foundation als Dachorganisation für eine Reihe von Non-Profit- Kulturevents, Konzerten, Workshops und Gesprächsrunden gegründet. Wir vergeben auch einen jährlichen Preis, der herausragenden kreativen Talenten aus allen kreativen Bereichen finanzielle Unterstützung gewährt. Wir nennen sie (P)raktische (I)ntelligente (G)enies.

Du hast über deine Faszination mit Science-Fiction-Filmen gesprochen. Verbringst du gern Zeit mit Gedanken über die Zukunft?
Ich würde typischerweise sagen, dass die Zukunft für meine Arbeit wichtiger ist als die Geschichte, aber wenn ich etwas mehr darüber nachdenke, muss ich sagen, es ist eine Kombination aus beidem. Ich habe Science-Fiction-Filme und solche Sachen schon immer gemocht – aber nur, wenn sie nicht zu gewalttätig oder nicht mit zu vielen Robotern und Ähnlichem arbeiteten. Ich mag Science-Fiction-Filme, die noch ein bisschen real sind, aber schon etwas seltsam Futuristisches und Surreales aus unterschiedlichen Kulturen vermischt haben.

In den Projekten, die wir über die Jahre machten, haben wir immer wieder die verschiedensten Gesellschaften von Männern und Frauen geschaffen, die in besonderen Welten leben. Zum Beispiel unsere Show The Last Pier of Pandemonium (Der letzte Pier der Hölle), die ziemlich post-apokalyptisch war, so ein bisschen wie Mad Max Beyond Thunderdome, wo Jugendliche in einem Wüstenloch strandeten und dort andere Jugendliche trafen, die schon seit Jahren dort lebten und sich ihre eigene Gesellschaft geschaffen hatten, eine verlorene Gesellschaft.

Hast du irgendwelche Helden? Jemanden, den du bewunderst oder der dich inspiriert?
Klar, es gibt viele Menschen in allen Bereichen, die ich bewundere, die wunderbare und intelligente Dinge schaffen. Ich könnte jetzt so spontan speziell Niemanden nennen. Ich war nie jemand, der sich als Jugendlicher große Poster an die Wand gehängt hat. Das habe ich nur für eine ganz kurze Zeit gemacht, weil es etwas war, was alle Jugendlichen in diesem Alter zu machen schienen. Aber es war nicht mit dem vergleichbar, was meine Freunde machten, die total darauf abfuhren.

Man beschreibt dich oft als einen der Macher und Visionäre der „neuen nordischen“ Bewegung. Fühlst du dich dieser nordischen kreativen Szene verbunden?
Ich hasse den Begriff „Nordic Cool“ oder wie auch immer man dazu sagtt. Ebenso hasse ich es, wenn man mich einen modernen Renaissance-Mann nennt, was oft passiert. Ich bin nicht einmal sicher, was die Leute damit meinen. Natürlich kann ich auf Grund meiner Kultur und Herkunft aus Dänemark nicht verleugnen, dass ich ein Skandi bin. Aber ich bin ging mit vierzig verschiedenen Nationalitäten und Kulturen in die Schule und wenn ich überhaupt einen typisch dänischen Charakterzug habe, dann ist er inzwischen ausgewaschen. Im Büro sprechen wir Englisch und nur wenige Mitarbeiter im „Team Vibs“ sind echte Dänen.

Wenn du dich nicht als Teil der nordischen Szene verstehst, warum arbeitest du dann nicht in London, Paris, oder Berlin? Warum in Kopenhagen?
Ich bin tatsächlich in London gewesen und habe verschiedene Dinge ausprobiert. Aber ganz im Ernst, ich war mir nicht hundert Prozent sicher, was ich dort sollte. Ich hatte kein Geld, war hungrig und dachte, vielleicht ist es Zeit, mich aus London zurückzuziehen. Meine Basis ist Kopenhagen, daher komme ich, das ist meine Heimat. Und wir sind hier eine großartige Gemeinschaft am Hafen von Christianshavn.

Deine Ausstellung “Tempo” im Kulturhuset Stadsteatern in Stockholm, in der viele deiner ursprünglich für Modeschauen hergestellten Arbeiten gezeigt wurden, ist gerade zu Ende gegangen. Hältst du Mode für eine eigene Kunstrichtung?
Nein, ich glaube nicht, dass Mode eine eigene Kunstrichtung ist. Aber ich finde, dass alle kreativen und interdisziplinären Bereiche voneinander profitieren und einander brauchen. Matthew Barney z hat in seinen Filmen Identitäten geschaffen, die auf Kostümen, man könnte auch sagen, auf Mode aufgebaut sind. Und man findet Modedesigner, die mit Farbe und Tusche experimentieren, woraus vielleicht etwas Einzigartiges entstehen wird. Schau dir doch die Musikindustrie an. Konzerte ohne spannendes Bühnendesign und visuelle Szenografie wären doch ziemlich fade. Das Publikum muss auch eine Rolle spielen. Darum halte ich es für wichtig, Vielfalt in meine Arbeiten einzubeziehen. Man will doch nicht, dass die Arbeit nur von einer Handvoll Journalisten gesehen wird. Man braucht vielleicht auch ein paar betrunkene Studenten und Familien in der Show.

Gibt es etwas, von dem du denkst, es wäre wirklich cool, wenn du die Chance bekämst, eines Tages daran zu arbeiten?
Ich denke es wäre fantastisch mehr mit Gebäuden und Innenräumen zu arbeiten. Architektur wäre ein interessantes Gebiet, das hoffentlich länger existieren wird als ich.

Was sollten Menschen deiner Ansicht von dem verstehen, was du machst?
Meine Arbeiten sind vielleicht sehr surreal, aber ich versuche, sie verständlich zu machen. Ich hoffe, dass die Leute zumindest das Handwerkliche, hoffentlich aber auch etwas von der konzeptuellen Imagination erkennen. Grundsätzlich ist die Vielfalt meiner Arbeit für die Leute schwer zu begreifen. Ich weiß, sie lässt sich nur schwer nach konventionellen Kategorien klassifizieren. Es muss hart für Galerien sein, dies zu erklären. Ich nenne mich auch nicht wirklich Künstler. Das ist so ein fluffiger Begriff und ich habe so viele Leute getroffen, besonders in den großen Metropolen, die sich Künstler nennen um zu kompensieren, dass sie einfach ein bisschen verloren sind. Sie verstecken sich hinter dem Wort. Wenn ich Leute treffe, die mit diesem „Hey, ich bin Künstler“ ankommen, ziehe ich mich meistens zurück. Ich versuche nicht, endgültig zu entscheiden, was ich bin oder sein sollte. Ich mag das schöne deutsche Wort Gesamtkunstwerk, ich versuche nicht darüber nachzudenken, sondern konzentriere mich lieber darauf, es zu machen und fühle mich ziemlich produktiv dabei.

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Interview: Florian Langhammer
Fotos: Florian Langhammer

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