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Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, Wien

In the Studio

»Wir erschaffen Welten, um einen Dialog anzuregen.«

Als Duo realisieren Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl seit 2019 gemeinsam Projekte. In ihren multimedialen Installationen setzen sie sich auf mutige, innovative, aber auch humorvolle Weise mit zeitgenössischen Fragestellungen auseinander. Hierbei kreieren sie Räume, die eine spielerische Auseinandersetzung mit ihrer Kunst und den damit verbundenen gesellschaftspolitischen Themen auf Augenhöhe erlauben.

Ashley, Lena, ihr tretet mittlerweile als Duo auf und realisiert gemeinsam Projekte. Wie habt ihr euch privat und künstlerisch gefunden?

Lena: Ich habe in den neunziger Jahren Lehrveranstaltungen des legendären Professors Peter Gorsen an der Angewandten in Wien besucht, der uns damals schon künstlerische Gender- und Transgender-Positionen nahebrachte. Da war auch Ashley dabei, damals Hans Scheirl, die_den ich schon aus meinem erweiterten Freundeskreis kannte. Gorsen, der bei Adorno und Horkheimer studiert hatte, war der erste in Österreich, der auf der Angewandten über zeitgenössische Kunst referierte. Ich betrieb dann einige Jahre lang zusammen mit anderen Kunstschaffenden den Artist-run-Space „auto“ in Wien. Als ich hörte, dass Ashley 2005 von London wieder nach Wien gezogen war, luden wir sie_ihn zu einer Ausstellung ein. Das war dann auch ihre_seine erste Soloshow in Österreich.

Ashley: Und wir verliebten uns.

Wo ergänzt ihr euch, wo geht ihr eigene Wege?
A: In meiner Ausstellungspraxis geht es mir darum, die Malerei als zweidimensionales Medium in den Raum zu bringen. So ist der Hauptraum im Pavillion bei der Biennale Arte sehr schmal und hoch und wird betreten durch einen der drei auch sehr schmalen Rundbögen. Daher eignet er sich gut als theatraler Kulissenraum, als Proszenium. Somit ist die Malerei betretbar.

L: In meiner Praxis setze ich mich mit dem Körper im Raum und dessen Inszenierungen auseinander. Meine Installationen sind multimediale Begehrensräume, in denen Objekte miteinander in eine Dynamik versetzt werden und ich immer in einer fotografischen Inszenierung auch zum Teil des Geschehens werde. Mich interessieren Mensch-Ding-Beziehungen und wie das, was wir begehen, Teil unserer Identität wird. Die Verschränkung von privat und öffentlich, Kunst und Design, high and low. Also ergänzen wir uns durch die unterschiedliche Basis unserer installativen Zugänge; das ist die Malerei von Ashley und die Skulptur in meinem Fall. Dabei arbeiten wir mit unterschiedlichen narrativen Mustern und Strukturen.

A: Aber was in all den Jahren passiert ist, dass wir mittlerweile großen Einfluss auf die Arbeit der jeweils anderen haben …

11 Jakob Lena Knebl Ashley Hans Scheyrl c Christian Benesch

Es trennt sich ein wenig, wie ihr zur Kunst gekommen seid. So warst du, Lena, zunächst zehn Jahre in der Altenpflege tätig.

L: Ich habe die Schule abgebrochen und bin so zur Altenbetreuung gekommen, aber in meinem Umfeld war ich dort unterwegs, wo viele Künstler_innen waren, wie zum Beispiel die Künstler_innengruppe Geschwister Odradek. In meiner Arbeit erlebte ich um mein 30. Lebensjahr herum privat viele Todesfälle und empfand die Pflege physisch und psychisch sehr herausfordernd … Irgendwann habe ich dann mitbekommen, dass man Kunst mit einer Aufnahmeprüfung ohne Matura studieren kann. So studierte ich Design bei Raf Simons und textuelle Bildhauerei bei Heimo Zobernig. Dennoch bereue ich nicht, diese Erfahrung gemacht zu haben. Wäre ich auf die Butterseite des Lebens gefallen, wären meine Inhalte wohl anders.

A: Mein Vater war dagegen, dass ich Kunst studiere, so habe ich an der Kunstakademie in Wien Restaurierung belegt. Dort habe ich Kolleg_innen der Grafikklasse kennengelernt, mit denen ich dann Musik, Performances und Super-8-Filme gemacht habe. Ich habe erst mit 45 Jahren Kunst studiert, ein Teilzeit-Masterstudium in London gemacht.

Ihr unterrichtet, realisiert eigene künstlerische Projekte und arbeitet als Duo gemeinsam. Wie geht sich das aus?

L: Wir haben mittlerweile ein großartiges Team, das uns bei unseren Kunstprojekten hilft. Das macht einen bedeutenden Unterschied. Und natürlich hat man durch die Erfahrung eine Routine bekommen, da ist dann schon vieles möglich.

Wie ist es mit euch im Universitätskontext als Lehrende … Gibt es euch eine Energie für die eigene künstlerische Arbeit, mit Studierenden in Kontakt zu sein?

L: Ich empfand meine eigene Schulzeit als sehr schwierig. Dennoch gab es auch Lehrende, die mir in Erinnerung bleiben, weil sie anders agierten. Bildung ist politisch und hat einen extremen Einfluss auf das gesamte Leben. Mittlerweile habe ich eine Ausbildung zum Coach gemacht. Es ist eine der schönsten Erfahrungen, Menschen zu begleiten und ihre Entwicklung zu unterstützen.

Was würdet ihr den Studierenden als Erstes raten, wenn es ums Kunstschaffen geht?
A+L: Ausdauer und eine Frustrationstoleranz entwickeln. Darüber hinaus neugierig bleiben, sich weiterentwickeln und vernetzen sowie Erfahrungen sammeln, zum Beispiel indem man selbst mit Kolleg_innen einen Artist-run-Space gründet. Eine aktive Rolle einzunehmen und ein zuverlässiges Gegenüber zu sein ist wichtig und sich auch für die Arbeit von Kurator_innen interessieren … Kunst ist keine Einbahnstraße. Wer gesehen werden will, muss auch andere sehen.

09 Jakob Lena Knebl Ashley Hans Scheyrl c Christian Benesch

Ihr habt ein gemeinsames Studio. Wie können wir uns euren Arbeitsalltag vorstellen?

A: Es gibt verschiedene Phasen, die sich dadurch, dass viele Sachen parallel laufen, überlagern.

L: Recherche, Entwicklung und Produktion …

A: … und PR. Besonders bei einem großen Auftritt, wie bei der Venedig Biennale, müssen wir uns um Drucksorten kümmern, Pressefotos herstellen, Interviews geben. Nicht zuletzt heißt das mehrere Stunden Office am Tag. Aber an sich male ich auch zwischen den Projekten. Lena benötigt einen Anlass, denn wenn es einen Raum gibt, dann passiert etwas bei ihr, und sie beginnt mit und für den Raum zu denken.

Wie würdet ihr eure Kunst in ganz einfachen Worten beschreiben?
A+L: Mit der Formel TRANS. Das betrifft Genre, Medium, Identität, Materialität, Kontext, Ästhetik und Disziplin.

Gibt es etwas, was euch in Bezug auf eure Kunst aufregt?
L: Unsere Kunst auf den Begriff „queer“ zu reduzieren. Das ist nur einer der vielen Aspekte unserer Arbeit. Der Begriff bildet nicht die große Bandbreite unserer Interessen und Zugänge ab.

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Ihr inszeniert euch in eurer eigenen Erscheinung als Kunstschaffende. Was ist der Gedanke dahinter?
L: Das Gesamtkunstwerk, denn Werk und Person bilden eine Einheit.

A: Und wir beziehen uns durchaus sehr bewusst auf die Avantgarden und denken nach, was Kunst als Produkt in Bezug auf ihre Inszenierung ist.

Wurdet ihr wegen eures Auftritts schon einmal angegriffen?

L: Jeder und jede, der_die an die Öffentlichkeit geht, wird auch kritisiert. Man kann es nicht allen recht machen.

Was inspiriert euch, immer weiterzumachen?

A+L: Die andauernde Begeisterung an der Transformation der eigenen Arbeit.

Welche Vorbilder habt ihr?
L: Das verändert sich immer wieder, das ist phasenweise, manche tauchen auch immer wieder auf, wie beispielsweise die Beatles. Ich liebe den Humor und ihre Klugheit und was sie im Mainstream bewirkt haben. Momentan ist es Henri Laurens.

A: Bei mir sind es Georges Bataille, Philip Guston und Maria Lassnig.

Identitäten sind ein zentrales Thema bei euch als Personen, aber auch als Kunstschaffende. Auch wenn eure Auseinandersetzung nun als sehr zeitgemäß bezeichnet werden kann, beschäftigt ihr euch schon viel länger damit …
A+L: Ja, wir setzen uns unter anderem schon lange mit Identitäten auseinander, und zwar nicht nur in Bezug auf die menschliche, sondern auch auf jene von Medien, Genres, Materialien, Kontexten usw. Dabei interessieren uns deren Transformationsmöglichkeiten. Auch das Begehren spielt eine zentrale Rolle … An sich ist Identitätspolitik derzeit ein großes Thema, sowohl in politisch rechten als auch in linken Kontexten.

Ihr habt einmal gesagt, dass ihr das Bild des klassischen Künstlers aufbrechen wollt, raus aus dem Elfenbeinturm sozusagen.

L: Als Künstler hat man immer die Rolle der Vermittlung, es ist die Frage, welchen Adressaten man sucht. Wählt man jetzt nur kunstinterne Personen oder ist das Ziel, den Radius zu erweitern, auch was Sprache betrifft und wie man seine Arbeiten beschreibt. Ich fände wichtig, dass Museen von öffentlicher Hand finanziert werden, dass der Eintritt kostenfrei ist. Beispielsweise im MuseumsQuartier in Wien, wo im Sommer ganz viele Jugendliche sind. Wenn der Eintritt kostenlos wäre, würden sie vielleicht auch in die Ausstellungen hineinfinden …

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Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl, Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts, Österreichischer Pavillon, La Biennale di Venezia 2022, Foto: Georg Petermichl

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Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl, Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts, Österreichischer Pavillon, La Biennale di Venezia 2022, Foto: Georg Petermichl

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl, Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts, Österreichischer Pavillon, La Biennale di Venezia 2022, Foto: Georg Petermichl

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl, Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts, Österreichischer Pavillon, La Biennale di Venezia 2022, Foto: Georg Petermichl

Ihr habt einen multimedialen Zugang, der humorvolle Auseinandersetzungen mit gesellschaftspolitischen Themen erlaubt, so gibt es unter anderem den Begriff „Begehrensräume“ von euch. Was ist damit gemeint?

L: Mit diesem Begriff definiere ich meine Installationen, um damit einen fetischistischen Moment zu markieren. Mich interessiert, wie Fetischismus entsteht. Mich faszinieren der Fokus auf ein Material oder ein Körperteil und diese unwiderstehliche Anziehung. Es geht darum, was man begehrt und was es über einen aussagt oder mit einem macht. Daher ist es ganz wichtig, mit verschiedenen Materialitäten, Medien und Kontexten zu arbeiten. Das schönste Kompliment war von Leuten, die gesagt haben, sie wollen in meinen Ausstellungen wohnen. Das höre ich sehr gern.

Tatsächlich möchte man eintauchen, anfassen und mitmachen, als würdet ihr das innere Kind ansprechen, wie bei eurer gemeinsamen Installation Die gescheiterte Hoffnung (2020), eine Anlehnung an das Bild Das Eismeer von Caspar David Friedrich, die im Kunsthaus Bregenz (2020) gezeigt wurde. Ist das die Intention, und darf man das?

L: Es geht uns schon darum, dass man zurück zu einem Moment kommt, einer Aufgeregtheit, eines Dabei-sein-Wollens und Interagierens. Wir erschaffen Welten, um einen Dialog anzuregen.

Wie fühlt es sich an, den Österreichischen Pavillon bei der Biennale Arte 2022 zu bespielen? Was erwartet uns?

L+A: Es fühlt sich großartig an und ist uns eine große Ehre. Wir kreieren zwei Universen, die aufeinandertreffen und sich miteinander verschränken. Jede bespielt eine Seite des Pavillons und dabei treten wir miteinander in Dialog. Wir nehmen stark Bezug auf das fantastische Buch von Philipp Sarasin mit dem Titel 1977, einem Schlüsseljahr, und zeigen auf, welche Auswirkungen dieses Jahr oder Jahrzehnt auf unser Jetzt hat. Was wir spannend finden, ist die Mischung zwischen Utopie und Dystopie, also wo ist noch etwas annehmbar, was gehört gebessert und wo wird es dystopisch.

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Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Christian Benesch

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