Man sagt, dass wir in einem visuellen Zeitalter angekommen seien, in dem das geschriebene Wort gegenüber Bildern an Einfluss verliert. Betrachtet man die Arbeiten des tschechischen Künstlers Jan Šerých, scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Oder etwa doch nicht? Wir besuchten Jan in den Karlin Studios in Prag, einer alten Fabrikhalle, die als kollektive Fläche für Ateliers umfunktioniert und neuerdings zum Abriss freigegeben wurde, und sprachen mit ihm über die Relevanz von Farbe, seine Skepsis, sich nur auf die Kunst zu verlassen, und über die helle und dunkle Seite seiner Persönlichkeit.
Jan, wenn man sich bei dir im Atelier umsieht, fällt gleich auf, dass deine Arbeiten einen starken Bezug zu Typografie haben. Es ist schwer zu sagen, ob man deine Bilder betrachten oder eher „lesen“ sollte. Würdest du dich bei den klassischen künstlerischen Disziplinen eher als Maler, als Typograf, oder eventuell sogar als Dichter einordnen?
Ich male Bilder, das stimmt soweit. Aber ich bin auch Typograf. Eigentlich ist es mir nicht so wichtig was davon ich bin. Aber ich bin ganz sicher kein Dichter. Ich glaube, dass meine Arbeit für Poesie einfach zu visuell ist. Kennt ihr Boris Ondreička? Er lebt zeitweise auch in Wien. Das ist ein richtiger Poet für mich. Meine Arbeit basiert immer noch mehr auf visuellem Effekt, wie etwa die Formsprache der Schrift.
Wie würdest du jemanden, der dich und deine Arbeiten nicht kennt, beschreiben was du so jeden Tag machst.
Mein Job ist der eines Typografen, und manchmal auch der eines Künstlers. (lacht) Es fällt mir schwer das zu beschreiben, aber ja, ich bin ein Grafikdesigner. In der Oberschule studierte ich Grafikdesign, aber ich entschied mich dann abzubrechen, um Kunst zu studieren. Ich studierte dann Malerei und Neue Medien-Kunst und einige verwandte Felder. Nach meinem Abschluss fing ich dann aber aus irgendeinem Grund als Designer an. Ich arbeite normalerweise für Publishing-Agenturen, die Bücher und so weiter verlegen. Es ist nicht wirklich Grafikdesign im engeren Sinn, aber es ich mache ist eng genug an Typografie und ihren Grundsätzen.
Interessant. Du hast also nie deinen Job als Designer an den Nagel gehängt, um Künstler zu werden. Du machst einfach beides.
Ich habe mich nie auf meine künstlerische Arbeit als Vollzeittätigkeit verlassen. Nie. Es war einfach nicht möglich. Es ist, offen gesagt, auch eine Geldfrage. Ich glaube auch nicht, dass es gut ist, sich nur auf die Kunst zu verlassen. Ich bin ein sehr praktisch veranlagter Mensch. Und Kunst zu schaffen ist eine seltsame Tätigkeit. Wenn du als Designer arbeitest, setzt du viele verschiedene Fähigkeiten ein, und du stehst mit vielen verschiedenen Menschen im Kontakt. Ich arbeite bei Karolinum Press, dem Verlag der Charles University in Prag. Man findet dort viele Künstler und Leute, die in verschiedenen Bereichen arbeiten. Es ist bereichernd, mit all diesen Menschen zu kommunizieren. Auf eine gewisse Weise habe ich so das Beste aus beiden Welten.
Ist das nicht herausfordernd, beide Rollen einzunehmen? Sind künstlerisches Arbeiten und die Arbeit eines Designers nicht völlig verschiedene Dinge?
Ja, das ist schon manchmal schwierig, aber es gibt auch Ähnlichkeiten. Ich finde es umgekehrt auch schwierig, nur eine Tätigkeit in Vollzeit auszuüben. Die visuelle Qualität meiner grafischen Arbeit unterscheidet sich völlig von meiner künstlerischen Arbeit. Und die Art zu Denken ist eine andere. Aber der Hauptunterschied ist, dass ich bei meiner grafischen Arbeit positiv bleiben muss, während ich es mir erlauben kann, als Künstler negativ zu denken, was ich üblicherweise tue.
Also die helle und die dunkle Seite von Jan Šerých?
Darüber habe ich noch nie so nachgedacht, aber ja, das ist schon möglich. Ich glaube ja! (lacht)
Viele deiner Arbeiten sind schwarz-weiß. Würdest du sagen, dass in ihnen etwas Negatives mitschwingt?
Die schwarz-weiße Eigenschaft ist nur die visuelle Seite. Aber es stimmt schon. Meine aktuelle Ausstellung bei Hunt Kastner ist tatsächlich recht negativ. Es geht um die Unmöglichkeit, die Welt, in der wir leben, zu begreifen. Wir stoßen an Grenzen, wenn wir versuchen, die Welt um uns herum zu erforschen. Ich spiele auch gerne mit Zeichen, die wir aus Gewohnheit deuten. Zum Beispiel zeige ich bei „Limbo“, der aktuellen Schau bei Hunt Kastner, zwei Prints, die den Mond abbilden – einer ist negativ, und der andere hängt verkehrt herum. Beide Abbildungen lügen also gewissermaßen. Aber man verlässt sich auf sein approximative Wissen über etwas. Was ich damit meine ist, dass man sich automatisch auf bereits Gelerntes verlässt, um Dingen, mit denen man konfrontiert wird, Bedeutung abzuverlangen.
Du spielt also mit Dingen, die uns im ersten Moment als klar, vertraut und eindeutig erscheinen. Beim genaueren Hinsehen kommen sie uns plötzlich seltsam vor, oder sie fallen in sich zusammen.
Ja, ich glaube das drückt es ziemlich präzise aus. Zum Beispiel zeigt der Druck, der hier an der Wand hängt, den Mond. Tatsächlich ist es aber keine echte Abbildung des Mondes, sondern eine Komposition aus circa 200 Screenshots, die ich von Google Moon habe. Die Arbeit ist noch nicht fertig. Die eigentliche Herausforderung wird sein, die Arbeit in hochwertiger Druckqualität in ihrer finalen Größe herzustellen. Sie soll nämlich circa fünf auf dreieinhalb Meter werden.
Es gibt einige Bilder hier im Raum, die einem vertraut scheinen. Zum Beispiel Mickey Maus hier.
Ist es wirklich Mickey Maus?
Naja, sagen wir es ist ein Objekt – etwas, das man erkennt, das etwas auslöst. Man hat unweigerlich die Assoziation mit Kommerz, vielleicht sogar mit der Vorherrschaft amerikanischer Kultur. Mickey Maus erscheint mir jedenfalls ziemlich kommerziell.
Ja, das ist wahr.
Es scheint noch andere Metaphern für Kommerz zu geben. Einen Stapel mit Münzen... Aber das ist vielleicht nur ein persönlicher Eindruck. Woher kommen all diese Symbole, warum ausgerechnet Mickey Maus?
Als ich die Arbeit begann, habe ich nicht wirklich an Mickey Maus gedacht. Ich weiß es klingt komisch, aber die Form ist mir im Traum erschienen. Was du eben sagtest, war eine Interpretation dieser Form. Sie ist überhaupt nicht falsch, denn nachdem ich eine Zeit lang mit der Form gearbeitet hatte, kam sie mir selbst wie ein Stapel Münzen vor. Es könnte aber auch einfach Wachstum sein, eine Explosion, was auch immer! Es könnte auch etwas ganz Anderes, Seltsames sein... Ich glaube, dass man meine Bilder ziemlich leicht lesen kann.
Auf subtile Weise könnte deine Arbeit auch politische Kunst sein. Ist es deine Absicht politische Kunst zu schaffen, oder mit deiner Arbeit zumindest ein politisches Statement abzugeben?
Ist sie das? Das freut mich zu hören. (lacht) Na ja, sie könnte schon politisch sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Beschreibung verwenden möchte. Ich habe kein Problem damit, wenn andere es tun, das ist Okay, aber ich möchte sie nicht vor mein Werk spannen. Oder glaubst du, dass deprimierende Kunst immer politisch ist? Vielleicht ist sie das!
Du sagtest einmal, dass du kein Freund des Kunstmarkts bist. Aber als Künstler bist du doch zwangsläufig Teil des Spiels. Deine Galerie Hunt Kastner ist eine der größten Galerien des Landes und international hoch angesehen.
Das stimmt. Und natürlich bin ich zu einem gewissen Grad ein Teil davon. Obwohl ich nie aktiv in der großen Kunstszene mitgespielt habe, verstehe ich natürlich ihre Dynamiken. Ich bin auch nicht komplett negativ gegenüber dem Kunstmarkt eingestellt, denn meine Galerie schützt mich auch vor ihm. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, denn für mich ist Kunst der einzige Bereich, in dem ich es mir leisten kann, in fast allen Belangen „Nein“ zu sagen. Sie ist für mich eine Art Spielplatz. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich mich nicht alleine auf die Kunst verlassen will, denn ich will diesen Teil meiner Tätigkeit auch in Zukunft mit der maximalen Freiheit genießen. Es wird schwieriger wenn man sich von einer Sache alleine abhängig macht. Wenn ich mich voll und ganz auf die Kunstwelt verlasse, dann weniger finanziell, sondern ideologisch.
Deine früheren Gemälde sind meistens schwarz-weiß auf großer Leinwand.
Das stimmt nur teilweise. Ich habe auch weiß auf blau gemalt. Aber mir ist die Farbe wirklich nicht wichtig. Ich glaube die wichtigste Information ist nicht die Farbe, sondern die Form und die Signalkraft. Eine Arbeit könnte auch Pink oder Grün sein, es wäre mir gleich. Vielleicht sind meine Arbeiten keine richtigen Gemälde, weil sie sich nicht mit Farbe beschäftigen.
Sind das hier deine weiß-auf-blauen Gemälde?
Ja. Die beiden Arbeiten stellen die Transkription der von der Blackbox aufgezeichneten Gespräche des abgestürzten Flugzeugs dar, in dem Polens Präsident Lech Kaczynski und seine Frau und einige andere Regierungsvertreter ums Leben kamen. Die Zahlen stellen die Höhe des Flugzeugs über Grund dar. Die Funksprüche des Towers sind kursiv geschrieben. Es kommt mir vor wie ein Text für ein Theaterstück. Es hat etwas Schicksalhaftes und Unausweichliches. Die beiden Arbeiten sollen übereinander aufgehängt werden, wie ein Turm, um diese Gefühl von Höhe zu erzeugen. Für mich war es irgendwie klar, dass diese Arbeit einfach blau sein musste. Der Werktitel lautet „The Office Blue“. Es ist für mich ein ganz spezifisches Blau, daher wollte ich ihm einen Namen geben. Wie man zum Beispiel auch Yves Klein Blau sagen würde.
Es fühlt sich sehr kryptisch an, wie du an das Thema Farbe herangehst.
Ja, das stimmt bisweilen. Diese Arbeit hier zeigt eine Zahlenreihe. Die Zahlen wurden von Telefonnummern in RGB-Codes transponiert. Es ist etwas kompliziert zu erklären, aber man kann vielleicht noch ein paar tschechische Nachnamen heraus lesen. Jeder Name stellt über seine Telefonnummer eine bestimmte Farbe dar. Wenn man zum Beispiel eine bestimmte Prager Telefonnummer in RGB-Code übersetzt, es sind immer neun Ziffern, dann erhält man zum Beispiel dieses Grün.
Das ist sehr konzeptionell. Aber ziemlich lässig.
Das finde ich auch. Aber es ist eigentlich mehr Spaß als wirkliches Konzept dahinter. Mir ging es mehr um die Namen. Sogar für einen Tschechen klingen manche der Nachnamen wirklich merkwürdig. Hinter den Namen stecken aber echte Menschen, obwohl ich sie selbst nie getroffen habe. Mein Interesse galt es eher, Telefonnummern zu finden, die ins RGB-Farbsystem passten.
Die Karlin Studios, in denen wir uns gerade befinden, beherbergen Künstlerateliers und einen Ausstellungsraum.
Es ist ein fantastischer Ort. Fünfzehn Künstler und Künstlerinnen haben hier ihre Ateliers. Ich selbst bin hier seit 8 Jahren. Obwohl ich hier nicht jeden kenne – es gab in den letzten Jahren viel Wechsel – sind wir doch eine Gemeinschaft. Leider werden die Hallen bald der Abrissbirne zum Opfer fallen. Sie werden neuen kommerziellen Büroflächen weichen.
Über dem Eingang kann man „Karlin Adios“ lesen. Worum geht’s da?
Es gibt momentan im Erdgeschoss eine Ausstellung, mit dem Titel “THIS BUILDING DOESN’T BELONG HERE”. Es wird wohl eine der letzten Ausstellungen sein, die wir hier veranstalten werden. Ivars Gravlejs hat diese Intervention auf dem Dach des Fabrikgebäudes errichtet und hat „Karlin Studios“ in „Karlin Adios“ umgeschrieben.
Wann werden die Studios endgültig abgerissen?
Nächstes Jahr. Ich glaube, dass ich hier noch bis Januar oder Februar sein kann. Momentan verschließe ich einfach die Augen vor diesem Problem.
Gibt es denn viele Möglichkeiten für Künstler, Atelierflächen in Prag anzumieten?
Es gibt nur wenige vergleichbare Orte in der Stadt, an denen Künstler so nah beieinander sind. Vielleicht noch drei oder vier. Das war’s auch schon. Aber ich glaube das ändert sich so langsam.
Wäre es auch eine Möglichkeit für dich, Zuhause zu arbeiten?
Überhaupt nicht. Ich brauche ein Atelier, in dem ich arbeiten kann. Ich muss das von der Wohnung, in der ich lebe, trennen.
Hängst du deine eigene Kunst Zuhause auf?
Nein, ich finde es eher schwierig, wenn mir meine Arbeiten bis nach Hause folgen. Ich verbringe schon genug Zeit mit Ihnen im Atelier.
Aber du hast schon Bilder zu Hause?
Nur wenige. An die meisten davon bin ich glaube ich eher durch Zufall geraten. Ich habe einige Arbeiten mit Künstler-Kollegen und -Kolleginnen, die ich sehr schätze, getauscht. Zum Beispiel Eva Koťátková and Jiří Thýn. Sie sind übrigens beide auch bei Hunt Kastner vertreten. Aber die meisten Gemälde in unserer Wohnung stammen von unserem 4-jährigen Sohn. Her liebt es, die Flächen unserer Wohnung zu bemalen, wann immer er die Gelegenheit dazu bekommt. Er hat auch die Zeichnung an der Tür zu meinem Atelier gemacht. Ich habe das Gefühl, dass er momentan viel kreativer ist als ich selbst. Er liebt aus irgendeinem Grund Schwarz. Ich weiß auch nicht warum.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Florian Langhammer; Ondrej Polák, mit freundlicher Genehmigung von Hunt Kastner, Prag