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Jonny Niesche, Sydney

In the Studio

»Ich kann es kaum erwarten bis wieder Montag ist.«

Eine verführerische Anziehungskraft geht von den abstrakten Gemälden des in Sydney lebenden und arbeitenden Künstlers Jonny Niesche. Trotz ihres minimalistischen Anspruchs scheinen sie ein glamouröses Statement machen zu wollen. Ähnlich der Situation, in der man beim Blick durch ein Fenster plötzlich seine eigene Reflektion erfasst, wird man beim Betrachten von Niesches Arbeiten unweigerlich in ein interaktives, performatives Erlebnis hineingezogen. Wir sprachen mit Jonny darüber, wie sein Aufenthalt in Wien und sein Kontakt zu Heimo Zobernig ihm den entscheidenden Anstoß gab, seinen Platz als Künstler zu finden, über seine vielen „Helden“, und darüber, wie die Glam Rock-Ära seinen Sinn für Farbe und Oberflächen geprägt hat.

Jonny, für einen australischen Künstler hast du ziemlich viel Zeit in Wien verbracht. Und du hast hier bald deine zweite Einzelausstellung. Woher kommt deine Beziehung zu dieser Stadt?
Die Sydney University, an der ich meinen Abschluss gemacht habe, pflegt eine Partnerschaft mit der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ein paar ehemalige Studenten, die Projekte in Wien gemacht hatten, unter ihnen Alex Lawler und Marita Fraser, die nun beide in London arbeiten, lieferten den Anstoß. Als ich ihnen so zuhörte, wie sie über Wien sprachen, dachte ich mir „Hey, das klingt eigentlich wirklich gut.“ Damals war ich in Sydney gerade etwas frustriert und ich hatte den Eindruck, dass es mir guttun könnte, einmal raus zu kommen. Ich machte mit meiner Arbeit gerade eine massive Veränderungsphase, von figurativem hin zu abstraktem Arbeiten, durch und alles hing irgendwie in der Luft. Sich weit weg zu begeben, schien mir in diesem Augenblick genau das Richtige zu sein. Also bewarb ich mich 2012 für ein Semester in Wien.

Wie hat man deine Bewerbung an der Akademie der bildenden Künste aufgenommen?
Ich wollte mich damals mehr in Richtung Skulptur entwickeln. Mich interessierte außerdem, wie die Idee von Raum erweitern werden konnte. Um mich an der Akademie vorzustellen, stellte ich also einen Glitzerstab aus Holz her, der an zwei Spiegelflächen lehnte und, in dem durch die Reflektion am Boden und an der Wand geschaffenen Raum, einen Diamanten bildete. Es war eine Arbeit, wie sie auch von Richard Serra stammen könnte, nur eben in „Glitzer“ ausgeführt. Vielleicht hielt Heimo Zobernig meine Arbeit für witzig oder interessant, als er meine Bewerbung in den Händen hielt. Jedenfalls nahm er mich in seine Klasse auf.

Was glaubst du hat Heimo Zobernig damals in deiner Praxis gesehen?
Ich weiß es nicht genau. Meine Arbeiten waren damals definitiv nicht besonders reif oder selbstbewusst. Vielleicht hat er mich ganz bewusst als unberechenbare Position in die Klasse aufgenommen, um zu sehen zu was ich noch fähig sein würde. Heimo war sehr freundlich, aber gleichzeitig auch ein Mentor von geradezu brutaler Ehrlichkeit. Aber er gab mir den besten Rat, den ich jemals von jemandem erhalten habe.

Welchen Rat gab er dir?
Ich erwähnte ja bereits, dass er sehr hart und unerbittlich offen in seiner Kritik sein konnte. Als ich das erste Mal in die Klasse trat, bat er mich, eine kurze Präsentation vor der Klasse zu halten. Ich holte also einige Bilder von mir heraus, um eine kurze Präsentation von ein paar Minuten zu halten, wie er sagte. Am Ende stand ich da für eineinhalb Stunden vor der Klasse und wurde regelrecht auseinandergenommen. Heimo verglich meine Arbeit mit einem Tumblr Blog. Damit meinte er, dass ich mir selbst nicht darüber im Klaren war, an welchen Parametern sich meine Arbeit eigentlich ausrichten sollte, und was sie eigentlich konkret mir zu eigen macht. Er sagte mir „Du kannst eigentlich machen was du willst, solange es mit deinen selbst auferlegten Prinzipien vereinbar ist, und du begründen kannst warum. Aber zuerst musst du das für dich herausfinden.“ Das warf mich zunächst einmal total aus der Bahn. Aber es war eines der besten Dinge, die mir jemals jemand sagte, weil es mich wirklich zum Nachdenken brachte. Dieser Denkprozess hielt noch an, als ich schon längst nach Australien zurückgekehrt war.

Wie hast du die Regeln und Parameter für deine Kunst später definiert, wie Zobernig es dir angeraten hatte?
Ich war lange Zeit damit beschäftigt, in Worte zu fassen, was es eigentlich ist, das ich mache. Ich dachte eigentlich nur noch nach. Bis ich vor einem Glitzerbild, an dem ich mich versucht hatte, stand und registrierte, dass der Glitzer mit jeder Bewegung, die ich machte „kommunizierte“. Abhängig vom Lichteinfall im Raum und wo ich stand, verhielt sich der Glitzer ganz anders. Es war dieses Kommunikationsdreieck von Licht, Glitzer und meiner eigenen Position im Raum, das mein Interesse weckte. Es hatte eine performative Qualität. Dieses Erlebnis gab mir den Anstoß, darüber nachzudenken „Wie kann ich die Fläche eines Gemäldes überwinden und es zu etwas transformieren, das performativ ist und ständiger Veränderung unterworfen ist, so dass das Erlebnis des Betrachtens immer ein anderes ist?“ Ich entschied also, dass, wenn ein Bild das nicht leisten kann, dass es dann nicht von mir ist.

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Du hast also die Entscheidung getroffen, dass deine Arbeit sich darüber definiert, dass sie immer in irgendeiner Form erlebbar oder performativ ist?
Genau. Es geht mir darum, zu untersuchen, wie man eine ästhetische Auseinandersetzung mit einem Gemälde derart manipulieren oder kultivieren kann, dass sich daraus eine performative Qualität entwickelt. Diese Frage beschäftigt mich seitdem ununterbrochen.

Dein Aufenthalt in Wien und die Begegnung mit Heimo Zobernig stellten offenbar einen ganz entscheidenden Moment in deiner Entwicklung dar.
Auf jeden Fall. Ich weiß nicht, wo ich ohne diese Erfahrung heute stehen würde. Es war damals ein echter Wendepunkt. Man kann sagen, dass Wien mir die Augen geöffnet hat. Der Kontakt zu Heimo und anderen Studierenden waren unglaublich hilfreich für mich. Dazu kam noch das Erlebnis, mit unserem Sohn, der damals 10 Monate als war, im Ausland zu leben. Ein Kind zu haben, verändert deinen Blick auf die Dinge komplett. Du beginnst ganz anders zu denken, und überlegst dir genauer, wie du die wenige Zeit nutzt, die dir bleibt, nachdem du den ganzen Tag Windeln gewechselt hast. (lacht) Aber ganz im Ernst, ich glaube, dass ab diesem Zeitpunkt meine Arbeit deutlich an Qualität gewonnen hat. Die Situation hat anscheinend damals meinen Sinn für das Wesentliche geschärft.

Kanntest du Heimo Zobernig eigentlich vor deiner Ankunft in Wien?
Es ist mir etwas peinlich es zuzugeben, aber nein, ich kannte ihn tatsächlich nicht. Als ich aber erst einmal in Wien war, und je mehr ich über ihn und seine Praxis erfuhr, umso spannender wurde der Austausch mit ihm. Seine Arbeit ist ein unerschöpflicher Brunnen von Ideen. Seine Art zu arbeiten ist unglaublich stark, und es war unglaublich spannend, zu sehen, auf wie vielseitige und spielerische Weise er seine Ideen verfolgt, er aber zu jedem Zeitpunkt einer stringenten Linie folgt.

Was motiviert einen Kunststudenten eigentlich dazu, sich für eine Klasse, die von einem bestimmten Künstler angeleitet wird, zu bewerben? Eifert man insgeheim der Praxis dieser Person nach?
Ich würde niemals bei jemandem studieren wollen, mit der Absicht deren oder dessen Arbeit nachzuahmen. Vielmehr suche ich den Kontakt zu jemanden, der sehr starke Motive in seinem Schaffen verfolgt, und der in der Lage ist, Erfahrungen, systematisches Arbeitsweisen und Ideen weiterzugeben. Aus meiner Sicht, leistet Heimo genau das für seine Studenten. Ich glaube nicht, dass Heimo daran gelegen ist, lauter neue „Heimos“ hervorzubringen.

Was macht deiner Meinung nach einen guten Mentor aus für jemanden, der Kunst studieren möchte?
Es sollte eine Person sein, die einen Blick auf jemandes Kunst werfen und darin eine künstlerische Qualität erkennen kann, um denjenigen dann sanft in die richtige Richtung zu stoßen und darin zu befähigen, seine eigene künstlerische Stimme zu finden. Sowohl Heimo Zobernig als auch meine Betreuerin an der Sydney University, Mikala Dwyer, waren in dieser Hinsicht hervorragende Mentoren. Beide sind nicht bestrebt, Imitationen ihrer selbst zu produzieren.

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Lass uns darüber sprechen, wie du heute arbeitest. Wie sollen Betrachter deine Arbeit erleben?
Ich hoffe, dass sich das Betrachten meiner Arbeit als eine Art Ereignis anfühlt, an dem der Betrachter selbst aktiv beteiligt ist, es überhaupt erst möglich macht. Durch die reflektierenden Oberflächen und den Glitzer wird der Betrachter in meinen Arbeiten zwangsläufig präsent. Dadurch entsteht eine Sehnsucht-artige Situation, ähnlich wie wenn man durch ein Fenster in die Auslage eines Geschäfts schaut und sich in der Spiegelung plötzlich selbst erkennt und beim Blick durchs Fenster ertappt. Ich finde diesen Moment sehr faszinierend und spiele deswegen gern damit.

Wenn man deine Arbeiten betrachtet, kann man nicht so genau sagen, ob sie eigentlich durchscheinend oder solide sind.
Ich habe mich lange mit Dan Graham beschäftigt, der für seine Installationen viel mit Transluzenz arbeitet. Das ließ mich irgendwann selbst mit Optik und Freilegungsprozessen in der Wahrnehmung experimentieren. Mich interessierte dabei, wie kann der Prozess des Hindurchsehens, der wahrgenommene reflektierte Raum und das Spiegelbild anderer betrachtender Personen, zum zentralen Funktionsprinzip eines Kunstwerks werden? Irgendwann nahm ich einmal einen alten Siebdruckfilm und schaute durch ihn hindurch auf verschiedene Abbildungen, Menschen und meine Umgebung. So kam ich auf die Idee, mit dem „Voile“ zu arbeiten, einem transparenten Schleierstoff, den ich bedrucke und als zusätzliche Schicht über die Oberfläche meiner Arbeiten aus Acrylspiegel spanne.

Du hast einmal erwähnt, dass es dich interessiert, Verbindungen zur Kunstgeschichte zu ziehen. Natürlich fällt einem dazu gleich die Minimalismus-Bewegung ein.
Ich gehe gerne in der Entwicklung zurück und schaue mir bestimmte Epochen und bestimmte Künstler darin an, um denke dann darüber nach, wie ich die künstlerische Sprache und Ideen einer Zeit durch meine eigene subjektive Wahrnehmung im performativen Sinn neu interpretieren kann. Außer natürlich durch meine eigene Subjektivität wird meine Arbeit durch die persönliche situative Interaktion des Betrachters und durch eventuelle, subjektiv wahrgenommene, Zitate und Referenzen bestimmt.

Licht und Farbe scheinen eine extrem wichtige Rolle für dich zu spielen. Manchmal möchte man fast an einen Sonnenuntergang an einem Stand in Kalifornien denken.
Damit liegst du ziemlich richtig. Kalifornien hatte tatsächlich einmal eine Bewegung, die sich sehr stark mit Licht und Raum auseinandersetzte. Zu ihren prominentesten Vertretern zählten Larry Bell, Robert Irwin und James Turrell. Ich bin verrückt nach diesen Typen. Die australische Ostküste hat ein ganz ähnliches Klima wie Kalifornien. Und interessanterweise haben wir dieselben Sonnenuntergänge. Viele meiner Arbeiten gehen tatsächlich auf das Gefühl zurück, das entsteht, wenn man einen Sonnenuntergang im Osten betrachtet. Diese Sonnenuntergänge stellen etwas ganz Besonderes dar, weil sie, im Gegenteil zu den grellen Sonnenuntergängen im Westen, weichere und sanftere Farbtöne hervorbringen. Australien hat eine unglaublich weite Landschaft, und man kann diese Erhabenheit hier auf unglaubliche Weise spüren.

Die Farbschattierungen, die für viele deiner Arbeiten charakteristisch sind, sind also in Wirklichkeit Sonnenuntergänge?
Naja, nicht ganz. Ich würde sagen, dass sie von dem Gefühl des Betrachtens der untergehenden Sonne inspiriert sind, und den Farben, die ich selbst dabei empfinde, gepaart mit persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen. Ich spiele mit den Farben solange in Photoshop, bis sie in mir etwas auslösen, das mit diesem Erlebnis korrespondiert. Aber es handelt sich nicht direkt um Sonnenuntergänge. Es sind nur Farbverläufe. Aber Farbverläufe, die hoffentlich eine ganz bestimmte Qualität vermitteln. Wie eine große kontemplative Leere, in der man sich verlieren kann.

Wenn du von persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen sprichst, kannst du ein Beispiel machen, wie sich diese in deiner künstlerischen Arbeitsweise wiederfinden?
Als kleiner Junge war ich weniger geprägt von den maskulinen Farbpaletten aus dem Baumarkt, von denen sich viele Künstler schon haben inspirieren lassen. Meine Mutter nahm mich immer in die Kosmetikabteilung mit, wo ich mich heimlich in die Farben, die ich dort vorfand, in all die Spiegel und reflektierenden Oberflächen, verliebte. Es war unglaublich beeindruckend. Es war vor allem die Glam-Ära, die Zeit des Glitzers, die meinen Sinn für Farbe und Oberflächen beeinflusst hat. Es war eine Faszination, für die ich mich insgeheim schämte, denn ich wusste, dass es nicht gerade das war, was man als australischer Junge mögen durfte. Die australische Gesellschaft der 70er und 80er Jahre war sehr machohaft.

Es gibt also einen klaren Bezug zwischen der Zeit des „Glam“ und vielen deiner Arbeiten?
Definitiv. Der Glam war immer schon etwas, wofür ich mich begeistern konnte. Dabei ging es nicht nur um die visuelle Ausdrucksform dieser Zeit. Mit dem „Glam Rock“ hat sich in dieser Periode auch ein unglaublich starker musikalischer Stil herausgebildet, mit David Bowie und Ziggy Stardust an der Spitze. Meine Ausstellung Picture This, die in der Station Gallery in Melbourne stattfand, war von einem Song von Blondie inspiriert. Debbie Harry, die Sängerin von Blondie, war eine Frau, die mich als junger Mann, sowohl musikalisch als auch optisch, sehr faszinierte. Anhand von Fotografien aus den späten 70er Jahren entnahm ich digitale Farbproben ihres Lidschattens, ihres Make-ups, und ihrer Outfits und stellte so die Farbpalette für die Arbeiten der Ausstellung zusammen.

Um Kunst besser zu verstehen und darüber sprechen zu können, ziehen manche Leute gerne Vergleiche zu anderen, ihnen bekannten Künstlern. „Oh, das könnte auch von … sein.“ Möchte man als Künstler seine Arbeit mit der von anderen Künstlern verglichen wissen?
Ich weiß, dass nicht jeder Künstler mir zustimmen wird, aber ich persönlich finde solche Vergleiche überhaupt nicht schlimm. Das war übrigens etwas, was ich in Heimos Klasse sehr mochte. Jede Woche präsentierten wir Studenten unsere Arbeit. Jeder in der Klasse durfte sich an der Diskussion beteiligen, und Vergleiche zu anderen Künstlerinnen und Künstlern, oder auch zu bestimmten Kunstwerken ziehen. Es ging oft nur um solche Referenzen und Überschneidungen. Meine eigene Arbeit ist voller Referenzen, auch wenn viele nur sehr lose sind, oder sich für Außenstehende nicht gleich erschließen mögen.

Wo wir gerade von Einflüssen und Zitaten sprechen. Hast du eigentlich persönliche „Helden“, mal abgesehen von den Künstlerinnen und Künstlern, die du bereits erwähnt hast?
Ich hatte 2014 eine Ausstellung, die Too Many Heroes hieß, weil ich tatsächlich zu viele Helden habe. (lacht) Ich bewundere beispielsweise Isa Genzken sehr. Und, obwohl es keinen klar erkennbaren ästhetischen Bezug zwischen seiner und meiner Arbeit gibt, habe ich mich sehr intensiv mit Martin Kippenberger beschäftigt. Man gewinnt sehr viel daraus, Künstlerinnen und Künstler zu studieren, die auf ästhetischer Ebene nicht notwendigerweise mit deiner eigenen Arbeit zu tun haben müssen, weil es einen über den Schaffensprozess neu nachdenken lässt. John Armleder ist zum Beispiel super wichtig für mich als ein Künstler, der sehr spielerisch mit Zitaten umgeht. Und natürlich die großen Minimalisten wie Donald Judd oder McCracken, vor allem im Hinblick darauf, wie zwischen Malerei und Skulptur ein neuer Raum erschlossen werden kann, etwa indem man einen Lichtstab einfach gegen eine Wand lehnt. Das war ein entscheidender Schritt, durch den Malerei und Skulptur verknüpft wurden. Auch der „Fetisch von Oberflächen“ vieler kalifornischer Künstler, allen voran Doug Aitken, interessiert mich sehr. Zu Zitieren bedeutet für mich, etwas mit neuem Leben zu füllen.

Siehst du für dich als Künstler eigentlich eine besondere Rolle in der Gesellschaft?
Ich glaube, dass die Rolle jeder Künstlerin oder jedes Künstlers eine unterschiedliche ist. Ich war immer sehr darauf bedacht, in meiner Praxis auf Abstand zu politischen Aussagen zu gehen. Ich halte mich auf Gebieten auf, auf denen ich hoffe, etwas beitragen zu können. Wenn ich ein ästhetisches Erlebnis schaffen kann, das eine transformierende Wirkung haben kann und einen kurzfristig aus der Alltagsroutine entführt, habe ich aus meiner Sicht meine Aufgabe als Künstler erfüllt.

Was hält eigentlich Monte, dein 5-jähriger Sohn, von deiner Arbeit?
Ich habe den Eindruck, dass er sich nicht sonderlich dafür interessiert. Er hat nicht wirklich eine Meinung über das, was ich mache. Aber ich sehe ihm gern dabei zu, wie er selbst Dinge schafft. Ich erkenne bei ihm dieselben obsessive Momente, in denen er sich beim Bauen von etwas Neuem völlig verliert und du von ihm stundenlang nichts hörst. Er kommt übrigens gerne zu mir ins Atelier und sammelt die Materialien, mit denen ich arbeite, wie zum Beispiel kleine Stücke von Spiegeln. Er nimmt seine Fundstücke mit nach Hause, spielt mit ihnen, und macht sie dann zu etwas Eigenem. Es ist wirklich schön, ihn dabei zu beobachten.

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Du lebst und arbeitest in Sydney, und wirst dort und in Melbourne jeweils von einer Galerie vertreten. Welche der beiden Städte hat die spannendere Kunstszene?
Melbourne und Sydney sind auf ihre eigene Weise beides wichtige Kunstzentren. Beide bringen sehr gute Künstlerinnen und Künstler hervor, wobei sie sehr unterschiedlich sind. Es sind zwei sehr verschiedene Städte. Melbourne zeigt mehr Interesse an seiner Tradition. Über die Jahre hat sich die Stadt seine herrlichen historischen Gebäude bewahrt und scheint auch mehr in sein kulturelles Schaffen investiert zu haben. Es gibt dort einige sehr gute Universitäten, um Kunst zu studieren. Sydney ist eigentlich das Gegenteil davon. Es ist eine Umgebung, in der Menschen sich häufig verändern. Es ist eine sehr zyklische und schnelllebige Stadt. Die Immobilienpreise in Sydney sind absurd. Die meisten Künstler können sich Atelierflächen innerhalb der Stadtgrenzen nicht mehr leisten. Viele Künstlerinnen und Künstler aus Sydney gehen erstmal ins Ausland, bevor sie sich dann später hierher zurückkehren. Melbournes Kunstszene verhält sich dagegen viel geschlossener und organischer in der Art, wie sie ihre Künstler hervorbringt. Es findet viel Wettbewerb zwischen den beiden Städten statt und es werden alle möglichen Vergleiche gezogen.

Du hast erwähnt, dass es in Sydney immer schwieriger wird, leistbare Atelierfläche zu finden. Wie schaffst du das selbst?
Ich konnte mich mit einigen Künstlerfreunden zusammentun. Zusammen mieten wir 400 qm Fläche. Wir haben Trennwände eingezogen, die acht Ateliereinheiten bilden und noch ein paar weitere Künstler eingeladen. Wir teilen uns die Kosten, ohne das jemand von uns aus der Aufteilung finanzielle Vorteile zieht. Die Preise in Sydney sind irrsinnig genug, als dass wir auch noch an dieser Entwicklung beteiligt sein möchten. Es ist übrigens alles andere als sicher, dass wir hier noch für sehr lange bleiben können. Aber so lange wir hier noch arbeiten können schätzen wir uns glücklich.

Wie hast du denn die Wiener Kunstszene, im Vergleich zu Sydney, erlebt?
Ich muss sagen, dass ich die Kunstgemeinschaft in Wien wirklich sehr schätze. Sie hat einen schon fast dorfähnlichen Charakter, ist sehr in sich geschlossen und eigenständig. Wien hat eine gewisse Gemütlichkeit, trotz seiner fast 2 Millionen Einwohner und der Tatsache, dass es eine sehr kosmopolitische Stadt ist. Und die Szene ist voller bemerkenswerter Künstlerinnen und Künstler.

Wien hat dich jedenfalls genug fasziniert, um 2015 für einen zweiten längeren Aufenthalt zurückzukommen.
Die Sydney University hat mir über das Fauvette Loureiro-Stipendium die großartige Möglichkeit geboten, dort ein Residency-Projekt zu absolvieren und dort eine Ausstellung im Projektraum von New Jörg zu machen. Während meiner Residency meinten viele Leute, die meine Arbeit sahen, dass sie sich stilistisch „für Los Angeles eignen“ würde, was mich ärgerte, da ich gerade für eine 7-monatigen Aufenthalt in Wien angekommen war. Heimo meinte, ich solle das einfach ignorieren, und sagte „Mach weiter, und tu einfach, was du tust.“ Ich dachte mir, dass ich irgendwie mit der Wahrnehmung der Leute spielen sollte und Amerika doch einfach nach Wien bringen könnte. Die Show hieß deswegen auch New Jörg, New Jörg und auf meinen Textgemälden war „NY“ für New York und „LA“ für Los Angeles zu lesen. Es gab auch ein rechteckiges Gemälde, das ich Coast-to-Coast nannte, und das so im Raum angebracht war, dass es genau dann Licht erhielt, wenn die Sonne unterging.

Wer sammelt deine Kunst?
Bisher sind es überwiegend australische Sammler, aber das Interesse im Ausland wächst, was mich natürlich sehr freut. Momentan erhalte ich vermehrt Anfragen von französischen Sammlern und aus dem deutschsprachigen Raum. Was mich aber vor allem glücklich macht, ist die Tatsache, dass ich nun in der glücklichen Situation bin, Kunst vor allem für mich selbst machen zu können, ohne mich mit finanziellen Gedanken umzutreiben, denn ich kann meiner Familie ein Leben durch meine Kunst, ohne Nebenjobs, ermöglichen.

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„Splitting Image“, deine zweite Einzelausstellung in Österreich, steht vor der Tür und wird im Juni bei Zeller van Almsick eröffnen. Kannst du erzählen, worum es dort gehen wird?
Die Ausstellung bei Zeller van Almsick wird meine allererste Solo-Schau in einer Galerie außerhalb Australiens sein. Ich habe mich damit beschäftigt, welche Farben ich während meinen Aufenthalte in Wien damals wahrgenommen habe. Außerdem wird es um Kitsch gehen. Man kann Wien als extrem opulente und kitschige Stadt erleben, wenn man will, mit all ihren bombastischen goldenen und weißen Statuen, die viele Plätze oder Parks beherrschen. Als ich damals in Wien lebte, wohnte ich in der Nähe des Stadtparks. Wenn man durch den Park geht, drängt sich einem zwangsläufig die goldene Johann Strauss-Statue auf, die sich mir damals ins Gedächtnis eingebrannt hat. In der Ausstellung bei Zeller van Almsick wird ein in Gold gerahmtes Spiegel-Bild zu sehen sein, das sich, vage an die Walzer von Strauss erinnernd, im Raum dreht. Mich beindruckten damals auch die touristischen kaiserlichen Zierteller mit Portraits von Sissy und Goldrand. Die goldgerahmten Gemälde, die wir zeigen werden, sind eine verspielte Abwandlung dieser Teller und setzen sich darüber hinaus mit dem Akt des Portraitierens in einem performativen Sinn auseinander. Man erlebt also sozusagen sein eigenes Spiegelbild als Portrait in einem „Zierteller“, allerdings in einem extrem minimalistischen Kontext.

Gab es für dich eigentlich jemals einen Plan B zur Kunst?
Ich war tatsächlich zuerst Musiker und habe in New York in verschiedenen Hardcore-Bands gespielt. Erst mit 28 bin ich, nach einem Jahrzehnt musikalischer Besessenheit, 2001 nach Australien zurückgekehrt. Als Musiker kam ich nie wirklich über die Runden, und ich arbeitete eigentlich die ganze Zeit über in Restaurants. Erst als sich endlich die Möglichkeit von Erfolg auftat, erkannte ich, dass sich mein Leben nur noch unterwegs abspielen würde. Und mir war klar, dass die Szene für die Abhängigkeit von allen möglichen Substanzen sehr empfänglich war. Ich bin ein eher häuslicher Typ, und als mir immer mehr bewusst wurde, dass sich mein Leben für längere Zeit sehr verändern würde, wusste ich plötzlich, dass ich das gar nicht wollte. Das und die Tatsache, dass meine Ex-Frau und ich wahrscheinlich die schlechteste Kombination der Welt abgaben. (lacht)

Als ich nach Hause kam, überlegte ich zunächst, was ich mit mir eigentlich anfangen sollte. Ich fing damit an, das Haus meiner Eltern zu renovieren und ihnen dabei zu helfen, es zu verkaufen. Au seiner Laune heraus nahm ich das „Zu verkaufen“-Schild und bemalte es. Ich kaufte mehr Farben und Leinwände und begann ab 2003 zu malen. Darüber entwickelte ich ein immer ernster werdendes Interesse an Kunst. Mir war klar, dass mir wichtige Grundlagen und die entsprechende Ausbildung fehlte. Um Kunst wirklich ernsthaft zu betreiben, musste ich studieren, mehr über Kunstgeschichte erfahren, und vor allem herausfinden, ob es für mich überhaupt Platz als Künstler gab. Wegen unseres Sohnes brauchte ich damit länger als die durchschnittliche Studiendauer. Ich war 7 Jahre am Stück an der Universität eingeschrieben, meine Zeit in Wien eingerechnet.

Eigentlich war also Kunst der „Plan B“, der sich für dich aber offenbar als die weitaus bessere Option erwiesen hat.
Ich glaube ich bin ein viel besserer Maler als ich je als Musiker war. (lacht) Musik zu machen hätte mich auf Dauer zu sehr erschöpft. Es war für mich damals ein beinahe schmerzhaftes Erlebnis. Ich nahm Musik zu persönlich und mir ging es immer so, als ob ich zu viel von mir selbst hergeben würde. Bei meiner Kunst scheint mir, dass ich einen gewissen Abstand halte. Obwohl ich natürlich sehr subjektiv arbeite, glaube ich, dass ich dabei doch mehr über den Dingen stehe. Und mir geht es sehr gut dabei. Ich liebe es, Dinge zu schaffen. Es ist aufregend und es gibt mir Kraft.

Es braucht viel Mut, etwas aufzugeben, das man, trotz aller Widrigkeiten, eigentlich gerne getan hat, und einfach den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Genau das hast du aber gemacht, als du New York damals den Rücken zugewandt hast …
Ja, das war definitiv nicht leicht und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich damit klarkam. Aber ich bin sehr froh darüber, wo ich jetzt stehe. Ich liebe meinen Job. Gegen Ende des Wochenendes kann ich es kaum erwarten, wieder in mein Atelier zu stürmen. Meine Freunde und Nachbarn stöhnen schon bei dem Gedanken an den nächsten Montagmorgen. Mir geht es genau umgekehrt. Ich kann es kaum erwarten, bis wieder Montag ist.

Interview: Florian Langhammer
Photos: Hugh Stewart

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