Malerei ist keineswegs Julia Bornefelds einzige Stärke. Das Werk der Künstlerin, die ihre Zeit zwischen Bruneck und Berlin aufteilt, bewegt sich zwischen Leinwand und Raum, Gegenständlichkeit und Abstraktion sowie zwischen poetischer Introspektion und konkreter Objekthaftigkeit hin und her. Und so berichtet Bornefeld im Interview auch nicht nur vom Malen, sondern auch vom Schweißen, Schreiben und Nähen.
Julia, kannst du dich erinnern, was dein erster Kontakt zu Kunst war?
An ein ganz einschneidendes Erlebnis kann ich mich noch erinnern: Ich bin zum Teil in Innsbruck, aber größtenteils in Kiel in Norddeutschland aufgewachsen. Und dort gab es im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf in Schleswig eine Dauerausstellung, die zeigte die Leiche eines Kindes, das im Moor versunken war – die Moorleiche von Windeby. Diese Leiche hat mich auf beeindruckende Weise erstmalig im Alter von zehn Jahren unmittelbar mit dem Tod konfrontiert und mich mit der Kultur der Wikinger in Verbindung gebracht. Ich war nächtelang zwischen Angst und Faszination hin- und hergerissen. In Tirol haben mich die vielen Kreuze und Darstellungen der Jesusfigur ebenso beeindruckt. Ich kann mich auch erinnern, dass ich mit 19 Jahren in der Hamburger Kunsthalle erstmals Werke von Beuys gesehen habe, die mich intensiv beschäftigt haben. Der Tod, die Darstellung des Todes in der Kunst, sakrale, heidnische und christliche Bildwelten, die sich mit dem Tod, der Begrenztheit des Lebens auseinandersetzen, prägen mich und mein Werk seit dreißig Jahren.
Hat dein Umfeld deinen Entschluss, Kunst zu studieren, beeinflusst?
Ich komme aus einer Mischung aus Lehrer- und Künstlerhaushalt – mein Großvater hat als Dirigent, Kapellmeister und Pianist in Innsbruck agiert, und meine Mutter war auch Musikerin, mein leiblicher Vater ist Literat und Schriftenentzifferer und hat Jahrzehnte freiheitsliebend auf Schiffen gelebt. Dieses Umfeld von Musik und Kultur war beeinflussend. Ich habe als Kind ständig gezeichnet, gemalt, mir mit 16 Jahren das Schweißen beigebracht. Einige meiner Schulfreunde haben Kunst, Architektur und Schauspiel studiert und haben auch die Künstlerlaufbahn eingeschlagen.
Inzwischen hast du ein Studio in Bruneck, in Südtirol, und eines in Berlin. Wie teilst du dir die Arbeit zwischen den beiden Orten auf?
Seit Jahrzehnten pendle ich nun schon zwischen Norddeutschland und Südtirol. Zahlreiche Ausstellungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie in Italien resultierten aus dieser Bewegung. Meine beiden Kinder sind teils in Deutschland und in den Bergen Südtirols aufgewachsen, wo ich gute Arbeitsbedingungen vorfand. Gemeinsam mit zwei anderen Künstlerinnen wurde mir von einer Tuchfabrik namens Moessmer in Bruneck eine 600 Quadratmeter große Werkstätte zu Verfügung gestellt. Dort arbeiten wir als Artists in Residence. In Berlin arbeite ich andererseits in einem loft-artigen Raum, wo ich Texte redigiere, Ausstellungen und Kunst-am-Bau-Projekte entwerfe und plane, Werke konzipiere und Personen aus dem Kulturbereich treffe.
Gibt es denn auch Berührungspunkte zwischen deinem Schaffen und der Arbeit der Textilfabrik, in der sich dein Studio befindet?
Eine aktive Textilfabrik ist ein ebenso ungewöhnliches wie inspirierendes Arbeitsumfeld. Ich stelle immer wieder Arbeiten mit den Produkten der Tuchfabrik her. Wir drei Künstlerinnen haben zehn Jahre Kunstprojekte unter dem Namen „Artists by Moessmer“ im öffentlichen Raum geschaffen.
Kommen wir von deinem Arbeitsumfeld zu deiner Arbeit selbst. Wie würdest du jemandem, der oder die noch nie von dir und deiner Kunst gehört hat, erklären, worum es dir in deiner Arbeit geht?
Ursprünglich habe ich Malerei studiert. Mit der Zeit sind meine Werke dann immer raumgreifender geworden. Inzwischen gibt es auch fotografische Werke und Videofilme, die teils in die Objekte und Installationen integriert werden. In meinen Arbeiten gehe ich auf psychologische Themen ein, teils performativ, teils ritualhaft, oder verfolge feministische und andere sozialkritische Ansätze. Meine Ausstellungen füge ich so zusammen, dass die Werke zu einer Inszenierung werden und wie Versatzstücke, einer Geschichte entnommen, erscheinen. Oft gehe ich inhaltlich auf den Ausstellungsort ein und wechsle den Stil oder die Technik. Teils sind meine kinetischen Objekte sogar mit Licht und Sound oder einer Komposition versehen, die eigens dafür eingeladene Musiker entwickeln.
Du hast erwähnt, dass du unterschiedliche Medien in deinen Arbeiten verwendest. Haben diese Medien jeweils eigene Funktionen für dich?
Es gibt die Malerei. Malerei lügt nicht. Ein „gutes Bild“ ist ganz einfach ein „gutes Bild“. Dabei kann ich aber nicht einmal sagen, wann und ob ich ein „gutes Bild“ malen werde, ein Bild überrascht einen Maler, man kann es nicht planen, es entsteht. Meine Objekte hingegen passen sich in ihren Formen und Dimensionen oftmals an den jeweiligen Ausstellungsraum an. Der Einsatz verschiedener Medien entsteht oft sehr spontan. Mir ist das Spiel wichtig. Manchmal gibt es auch performative Schritte zwischen dem einen und dem anderen. So wie etwa bei meinen körperbezogenen Werkreihen. Ich schlüpfe in die genähten Objekte, und diese werden zu einer zweiten Haut. Diese Häute in Bewegung gesetzt, gebe ich in fotografischen Sequenzen wieder.
In deinen Skulpturen setzt du oft Vergrößerungen und Verzerrungen von Objekten, die uns vertraut sind, ein. Was willst du mit diesen Transformationen ausdrücken?
Kannst du dich an das Gefühl erinnern, dass dir als Kind alles viel größer erschienen ist? Wenn man etwas beobachtet und intensive Emotionen entstehen, verschwimmen die Dinge und Orte miteinander und erscheinen überdimensioniert. Das heißt, unsere Wahrnehmung eines Objekts, eines Raums oder einer anderen Person verändert sich durch Empfindung und Erinnerung. Die persönliche Wahrnehmung einer Situation oder eines Objektes ist wesentlich einfacher in Form von Film oder Literatur zu beschreiben, als sie in einem Objekt wiederzugeben.
In welchem Verhältnis stehen denn Malerei und Objekt in deinem Werk?
Für mich sind Malerei und Zeichnung die unmittelbaren Ausdrucksmedien. Durch Malerei komme ich zur Selbstreflexion. Der Malakt über Stunden und Tage hinweg ist so hoch konzentriert, dass ich zur Entspannung schon als Studentin angefangen habe, Objekte aus den teils nicht fertig gemalten Leinwänden zu konstruieren. Ich habe die Leinwände aufgeklappt, umspannt und Gegenstände in sie hineingedrückt, sie eingerissen. So sind nach und nach meine plastischen Werke entstanden.
Du hast am Anfang des Interviews erwähnt, dass dich Leben und Tod im Spiegel der Religionen von Kindesbeinen an fasziniert haben. Wie schlägt sich das in deinem Werk nieder?
Ich sehe den Künstler als Grenzgänger. Beim Arbeiten – besonders beim Malen – erlebe ich Versenkung und den Zugang zur Vergangenheit oder zu Zukünftigem. Teils habe ich das Empfinden, dass ich die Geschichte meiner Ahnen in meinen Werken aufarbeite. Durch den Verlust von nahen Angehörigen habe ich begonnen mit Feuerritualen zu arbeiten. In den meisten Kulturen wird der Übergang vom Leben in den Tod ja durch Feuer- und Rauchrituale begleitet. Durch den Einsatz des Elementes Feuer wird der Bezug zu Übersinnlichem hergestellt. Durch performative Inszenierungen des Feuers verortet sich das Ritual im Werk, sei es in der Malerei oder in meinen Fotografien. So sind Werke entstanden wie The Burning Supper oder Mama.
Du verfasst auch immer wieder Texte zu deinen Werken. Welche Rolle spielt das Schreiben in deiner Arbeit, welche Aspekte deiner Kunst willst du damit herausstellen?
Schriften wie Die Praxis der Kunst oder Kunst kontra Ästhetik von Antoni Tapies haben mir schon in jungen Jahren zugesagt. Sämtliche Werke der Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen befinden sich in meiner Büchersammlung. Es ist anregend, den Werkvorgängen und künstlerischen Prozessen anderer Künstler und Wissenschaftler zu folgen. In diesem Sinn ist es mir ein Anliegen, meinen inneren Antrieb zu beschreiben oder über Arbeitsprozesse zu sprechen. Durch die Beschreibung von Ausstellungskonzepten, die Einladung zu Diskussionsrunden und Interviews wird das Medium „Sprache“ herausgefordert.
Kannst du außer Antoni Tapies andere Personen nennen, die für dich und dein Werk prägend waren oder es noch sind?
Mit 16 Jahren habe ich in der Galerie Elisabeth und Klaus Thoman in Innsbruck Zeichnungen von Arnulf Rainer gesehen, die mich sehr beschäftigt haben. Anfang 20 haben mich Beuys und, wie gesagt, besonders Antoni Tapies, aber auch Emil Schumacher, Alberto Burri und Emilio Vedova, bei dem ich auch studiert habe, stark inspiriert. Aus Norddeutschland kommend, habe ich das Werk von Jonathan Meese, Daniel Richter und John Bock mit Interesse verfolgt. Anish Kapoor ist für mich einer der spirituellsten Künstler. Außerdem haben mich Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Maria Lassnig, Pipilotti Rist, Marina Abramović, Mona Hatoum oder auch Schriftstellerinnen wie Elfriede Jelinek beeinflusst.
Womit beschäftigst du dich aktuell?
Zur Zeit arbeite ich an einem ganz abstrakten Werkzyklus mit dem Titel Morphic Fields, der seit zwei, drei Jahren immer wieder in Schüben entsteht. Durch den informellen Einsatz von schwarzer Tusche auf Leinwand schaffe ich Bilder, die wie Einblicke ins All oder Aufnahmen von großer Distanz auf die Erdoberfläche wirken und auf eigenartige, düstere Weise „aufblühen“. Es ist eine Maltechnik, die mich ständig selbst überrascht. Inhaltlich beschäftigt sich der Zyklus mit der Theorie der morphogenetischen Felder. Morphogenetische Felder besitzen ein Gedächtnis, in dem vorherige Prinzipien gespeichert sind. Und durch meinen informellen Einsatz von Malerei entstehen ebenfalls „Resonanzmuster“. Als Gegengewicht zu dieser sehr abstrakten Art male ich zeitweise auch ganz gegenständlich, zum Beispiel die Feuerbilder, die ein bisschen in Richtung altmeisterlicher Malerei gehen.
Kannst du uns einen Ausblick geben, wo deine Kunst demnächst zu sehen sein wird?
Zurzeit arbeite ich an einer größeren Ausstellung im Landesmuseum Franzensfeste in Südtirol. In den ehemaligen Pulverlagern und Waffenarsenalen der 1833 bis 1838 unter Kaiser Franz I. erbauten Festungsanlage stelle ich gemeinsam mit dem Künstler Michael Fliri aus. Ich habe Anfang des Jahres für vier Monate in dieser Festungsanlage mein temporäres Atelier aufgeschlagen. Der Titel der Ausstellung ist Grenzgänge, und die Dimension der Festungsanlagen bringt mich auch selbst an meine Grenzen. (lacht) Vor Kurzem ist der Alperia Tower, der 40 Meter hohe Wasserspeicher der Stadt Bozen, in Zusammenarbeit mit der Architektin Valentina Bonato und dem Architektenteam vom Studio Museum39 entstanden. Der Turm ist wie eine Lichtinstallation und spiegelt den Erhitzungs- und Erkaltungsprozess des Wassers wider. Zudem arbeite in an der Realisierung von unterschiedlichen Kunst-am-Bau-Projekten in Deutschland und Italien.
Interview: Gabriel Roland
Fotos: Jasmine Deporta
Links:Julia Bornefeld's websiteGalerie Elisabeth & Klaus Thoman