Durch komplexe Abläufe schafft die Wiener Künstlerin Julia Haugeneder Faltobjekte, die eine eindrückliche Formensprache aufweisen und einen experimentellen Zugang zu Material und Raum aufzeigen. Für ihre Kunstwerke stellt sie das Material selbst her, wobei das Falten eine Bewegung ist, die Ordnungen erzeugt und vormals weit entfernte Punkte miteinander in Berührung bringt. Mit diesem dialogischen Prozess geht es der Künstlerin um eine Verflechtung kunsthistorischer Aspekte mit aktuellen Zeitphänomenen.
Julia, dein Weg zur Kunst war alles andere als geradlinig …
Stimmt. Ich habe sehr lange gebraucht, mir einzugestehen, dass ich das machen darf. Es ist wirklich dieser Klassiker: Ich komme nicht aus diesem Umfeld, wo Kunst eine Rolle spielte. Zwar malte ich schon als Teenagerin, aber ich habe das überhaupt nicht ernst genommen. Dann studierte ich tatsächlich, auch aus Feigheit heraus, Kunstgeschichte, weil ich mich einfach nicht traute, mich zu bewerben; aber ich war wirklich nicht sehr glücklich als Kunsthistorikerin und schloss das Studium nur ab, um kein loses Ende zu haben.
Wann hast du dich dann für das Kunststudium entschieden?
Währenddessen. Ich habe einfach bemerkt, Kunsthistorik passt absolut nicht zu mir, und so habe mich an der Akademie der bildenden Künste in Wien beworben und bin im dritten Anlauf genommen worden. Jedoch studierte ich parallel Filmphilosophie und begann meine Dissertation. Es gab also eine Zeit, die sehr zweigleisig war, im Theoriebereich und in Richtung kleiner Unikarriere, wo ich dann aber schnell merkte, dass ich nicht hart und konsequent genug für eine klassische Akademie-Karriere bin. Und während ich gespürt habe, dass das inkompatibel ist, habe ich extrem viel Freude und Lust am Arbeiten im Atelier entwickelt.
Wie war denn die erste Zeit an der Akademie, hast du dich schnell einfügen können?
Ich habe sehr lange gebraucht, in dieses Arbeiten zu kommen, ich habe bei der Videokunst begonnen, und da ist es mir bald schwergefallen, ohne Material zu arbeiten. Bevor ich fast aufhörte, bin ich in die Werkstätten an der Akademie gegangen, um dort Techniken und Materialien zu probieren, die ich nicht kannte, darunter die Tiefdruckwerkstatt. Und das fand ich richtig cool, mit dem Material dort zu arbeiten. Gefühlt habe ich also erst nach drei Jahren so wirklich mit den Arbeiten in der Druckgrafikklasse begonnen.
Mittlerweile sind Faltobjekte ein wichtiger Teil deiner künstlerischen Praxis. Wie hast du diese Technik des Faltens für dich entdeckt?
Für mich ist sie ein Vehikel, Skulpturen auf eine ökonomische Weise herzustellen. Ich habe mit sehr kleinen Arbeiten begonnen, ausgehend von dem Faltspiel Himmel und Hölle; diese Idee, von dem Zwei- in das Dreidimensionale zu wechseln, war sehr bereichernd. Es ist sehr konventionell, was wir an Falttechniken von klein auf lernen … Das habe ich dann einfach praktiziert und gemerkt, ah lustig, sobald man faltet, handelt es sich immer um irgendwelche Ordnungshandgriffe; wir falten, um Dinge in Ordnung zu bringen, von der Kleidung bis hin zum Klopapier. Es gibt also diese Idee, etwas Großes in eine kompakte Form zu verwandeln, und das nach einem sehr geordneten System. Das als Methode hat sich dann irgendwie bewährt, um in allen möglichen Größen, Formen und Farben Objekte herstellen zu können, von denen ich gerne hätte, dass es sie gibt.
Was macht das Material aus, was erlaubt es dir?
Im Prinzip besteht es aus einer sehr dünnen Gummihaut, die ich selber herstelle. So fange ich nicht damit an, dass ich ein Material kaufen muss, wie eine Leinwand, sondern der erste Schritt ist, ich stelle dieses Material her, in allen möglichen Größen, und weil es nur diese Gummihaut ist, die sich über alles darüberlegen lässt, kann man aus dieser zweidimensionalen Fläche ein dreidimensionales Objekt machen. Das finde ich nach wie vor eine ganz gute Technik, weil die Skulpturen leicht sind, sie werden relativ groß, ich kann die Farbe und Haptik frei bestimmen … All das finde ich sehr entgegenkommend.
Wie können wir uns deinen Arbeitsprozess vorstellen?
Es ist oft eine lange Recherche über Material und Zeitphänomene, und im Arbeitsprozess geht es zum Teil sehr weit weg davon. Ich schreibe auch Texte, da ist es sehr konkret, was ich sage, aber bei den Skulpturen öffnen sich die weiteren Themen. Ich fange klein an, und thematisch wird es dann größer, vor allem wenn man im Arbeiten ist.
Du arbeitest also immer mit einem Thema?
Ja, und tatsächlich auch in Hinblick auf Serien; ich glaube, ich habe noch nie ein Einzelwerk gemacht, weil es mir einfach leichter fällt, von einem Ding nicht so viel zu erwarten. Es heißt nicht, dass ich dann alle zeige ... Manchmal ist auch das, was am Ende dabei herauskommt, relativ weit weg von dem, wie ich begonnen habe. Zum Beispiel dieses rote Objekt No lips, 2023. Da ging es darum, diese ganz typische Lippenstiftform, die seit den 1950ern vermarktet wird, zu nehmen und damit zu arbeiten und ein Objekt zu machen, das in irgendeiner Form diese Körperlichkeit und diese Lippen hat.
In deiner Zusammenarbeit in dem Stück Stroke all the colours out of the sky – a portrayal of the artist’s process (2023) mit der irischen Künstlerin und Choreografin Asher O’Gorman konnte man dich in deiner Produktionsarbeit auf der Bühne sehen. Wie war das für dich?
Asher hat mich eineinhalb Jahre vor der Produktion gefragt, ob ich mitmachen will, und da war es noch ganz offen, was es ist. Da hatte ich noch gar nicht begriffen, dass ich da auf der Bühne sein soll (lacht). Als ich zusagte, meinte sie, dass es passieren kann, weil es so intensiv ist, dass ich danach nicht mehr mit meinem Material arbeiten möchte, und ich dachte, das ist ja super, das ist praktisch wie Psychoanalyse (lacht). Und das war meine Motivation, mitzumachen.
Das klingt nach einer intensiven Zeit. Hat dich das in deiner eigentlichen künstlerischen Praxis unterbrochen?
Das war tatsächlich so, und dann merkt man, wie unterschiedlich die Bereiche strukturiert sind. Ich arbeite meistens an drei Ausstellungen gleichzeitig, die nebeneinander entstehen, und dann kommt plötzlich dieser Monolith … Ich habe gemerkt, das geht einfach nicht zusammen. Es ist eine Entweder-oder-Entscheidung, wie Filmdrehs, es schluckt dich einfach, und dann kann man nebenbei nicht so ein bisschen Ausstellungen vorbereiten, es ist nicht kompatibel.
Also würdest du es nicht noch einmal machen?
Nein. Ich bin kein Bühnenmensch. Es war cool, in einen anderen Bereich hineinzuschauen, aber ich will nicht gesehen werden. Meine Arbeiten sollen ausgestellt werden. Dennoch habe ich das als Privileg empfunden, dass da jemand so intensiv und so lange mit mir im Atelier sein wird.
Du bringst mit der Faltung recht große Themen wie Kapitalismus in Verbindung, so auch in der Ausstellung Abschied. Oder eine Person und ein Esel zusammen wissen mehr als eine Person alleine (2023).
Es ist eine Entwicklung des letzten Jahres, dass ich mir zugestehe, konkreter Themen aufzugreifen. Ich komme aus einem theoriebasierten Recherchieren und möchte das in meine Ausstellungen integrieren, aber zeitgleich eine formale Offenheit in den Arbeiten behalten, das heißt, dass die Skulpturen nicht einfach eine Bebilderung von den Überlegungen sind, sondern es diese zwei Momente gibt. An sich geht es um Kollektivität, dass wir immer in Beziehung zu allem stehen, also nie losgelöst sind, und auch alles, von dem wir umgeben sind, nicht von einer einzelnen Person produziert wurde, also weder in der bildenden Kunst, weil einfach Materialien alleine, die, mit denen wir arbeiten, kollektiv entstanden sind, noch bei meinen Arbeiten bis zu einem gewissen Grad. Manchmal merkt man, wow, ich bin einfach eingewoben in so viel und auch gleichzeitig, und das fand ich bei dieser Ausstellung interessant.
Wie bist du eigentlich auf diesen sehr außergewöhnlichen Titel gekommen?
Den hat mir ein Taxifahrer mitten in der Nacht einmal gesagt, weil wir gemeinsam den Weg nachgeschaut haben (lacht). Er meinte, dass die meisten Leute total beleidigt sind, wenn er das sagt, weil sie dann sofort fragen, wer ist jetzt von uns der Esel? Und ich fand das eigentlich ganz cool, weil er meinte, er macht so eine Sozialstudie mit dem Spruch.
Stehst du noch in Kontakt mit ihm?
Nein, leider. Der hat wirklich keine Ahnung, was er da losgetreten hat (lacht); eigentlich echt schade, aber mir war das in dem Moment nicht bewusst, dass das so ein Ding wird. Mir ist wochenlang dieser Satz unentwegt eingefallen und dann dachte ich, eigentlich finde ich den toll, damit möchte ich arbeiten.
Arbeitest du immer auf Ausstellungskontexte hin?
Ja, und es gibt ein Für und Wider ... Ich habe unlängst einige Ausstellungen verschoben, weil ich eine Lücke brauchte, in der ich nicht für eine Ausstellung produziere, sondern irgendein Zeug mache, von dem ich nicht hoffen muss, dass es ausstellbar ist. Und so habe ich angefangen, ganz andere Skulpturen zu machen, die auch aus einem anderen Material sind. Ich habe unterschätzt, dass ich diesen Freiraum brauche, um etwas entwickeln zu können. Auch für größere Sprünge, um woanders hinzukommen, darf ich nicht das Gefühl haben, ich muss das jetzt ausstellen.
Brauchst du den Ausstellungsraum, um überhaupt in ein Arbeiten zu kommen?
Ohne einen Ort oder einen konkreten Kontext geht es fast nicht … Ich sehe den Raum, und dann ist es wie ein mentales 3D-Programm, wie sich eine Ausstellung zusammenbaut. Ich mache keine Skizzen oder Raumpläne; ich baue Einzelteile im Atelier, und die bringe ich in den Raum, und dann werden sie aufgebaut. Manchmal passt es dann nicht, weil die Maße nicht stimmen, aber ich finde alles irgendwie gut so. Es entsteht also schon konkret für den Raum, aber sehr Pi mal Daumen und nach einem Legosystem (lacht).
Zusammenarbeit ist dir wichtig. Was heißt das für dich konkret?
Nachdem ich jetzt zwei Jahre relativ viel ausgestellt habe, merke ich, dass ich gern mit anderen Leuten arbeite, aber nicht so sehr in einem Kollektiv, das stabil ist in der Zusammensetzung, sondern einfach grundsätzlich. Ich bin zum Glück umgeben von lauter interessanten Leuten, mit denen ich auch gern arbeite, und habe deswegen die Entscheidung getroffen, nur noch gemeinsam mit anderen Leuten auszustellen und nicht mehr allein. Und das freut mich total.
Ein mutiger Schritt …
Ich bin begeistert von dieser Entscheidung, weil ich merke, es beflügelt mich, und es macht mir viel mehr Spaß, ins Atelier zu gehen, wenn ich währenddessen auch im Austausch mit Leuten bin. Es wird auch komplexer und cooler, weil man selbst gewisse Dinge auch nur bis zu einem Punkt sieht, und wenn jemand mit einem spricht, kommt man oft auf andere Sachen. Ich glaube schlichtweg, die Ausstellungen werden so einfach besser. Ich denke, ich habe die Idee von Soloausstellungen zu sehr als Norm übernommen und mich selber gar nicht gefragt, ob das überhaupt etwas ist, was ich will.
Du hast den Anspruch, Dinge erfahrbar zu machen ...
Es hat etwas mit Selbstbewusstsein und auch Älterwerden zu tun … Die Leichtigkeit zu haben, auch einfache Dinge ernst zu nehmen, und sich trauen, dies zu sagen, inklusive eigener politischer Haltungen. An der Akademie habe ich es ein bisschen verlernt, meine Haltungen in meine Arbeit hineinzulegen, als hätte ich die entkoppelt, und das muss ich gerade lernen, mich zu trauen, sehr klar in meinen Formulierungen zu sein, und das auch von meinen Arbeiten zu erwarten, dass die auch eine Haltung einnehmen; die kann sich über die Jahre ja auch ändern, aber mir ist das mittlerweile sehr wichtig.
Es klingt nach einem ständigen Reflexionsprozess über deine künstlerische Weiterentwicklung.
Alles andere fände ich ganz tragisch. Es ist überhaupt kein wertendes Urteil generell über das Arbeiten anderer. Ich finde ganz viele Künstler*innen super, die so dranbleiben an ihren Dingen, und man sieht, die entwickeln etwas innerhalb einer Formensprache. Es ist nur für mich nicht denkbar, weil ich sonst keine Lust mehr hätte, ins Atelier zu gehen. Wenn es zu eng ist, wo ich mich bewege, dann wird es zu vorhersehbar für mich.
Fällt es dir eigentlich leicht, deine Sachen aus der Hand zu geben und verkauft zu wissen?
Ich tue mich nicht schwer damit, zumal ich meine Miete davon zahlen muss. Als ich die ersten Arbeiten verkauft habe, war das für mich wie Alchemie, dass das, was ich mache und was nicht furchtbar mühsam ist, sich in Geld verwandelt (lacht). Und ich will sie ja nicht haben; ich wüsste gar nicht, wo ich sie lagern sollte … Ich behalte mir ganz wenige Sachen.
Deine Werke sind durchaus gewachsen, werden sie noch größer?
Nein, ich will wieder kleiner werden. Und ich nehme mir vor, ganz kleine Sachen zu machen, weil ich das charmant finde. Wir alle nehmen zu viel Raum und Material ein, es reizt mich.
Du lebst und arbeitest in Wien, was ermöglicht dir die Stadt?
Ich bin irre gern weg, aber Wien ist eine super Homebase, und ich schätze, dass es in Restformen einen Sozialstaat gibt, wie Wiener Wohnen. Es ist schon sehr angenehm, hier zu leben, vor allem auch als Künstlerin, und sich nicht zu sehr zu sorgen, aber ich würde mir wünschen, dass geförderte Ateliers mehr ausgebaut werden.
Und wo siehst du dich in zehn Jahren? Bist du dann noch Künstlerin?
Ich weiß es nicht (lacht). Ich finde es auch echt gut, es nicht zu wissen. Wie die allermeisten frage ich mich das aber schon sehr regelmäßig, ob ich nicht einfach was anderes machen soll und will. Von Ausstellung zur Ausstellung denke ich dann aber, dass eigentlich alles super ist, und ich freue mich, dass ich das machen darf und gerade auch keinen Lohnarbeiterjob machen muss. Und so ist es schon toll, dass ich nur Zeit für Kunst habe. Aber es könnte in jede Richtung gehen …
Deine aktuelle Ausstellung go to work on an egg (2024) in Kooperation mit Magdalena Kreinecker, Matteo Sanders und werkbuero in der Neuen Galerie Graz dreht sich rund um das Ei. Wovon seid ihr ausgegangen?
Unser Ausgangspunkt war das Verhältnis von Arbeitskräften, die eine Basis für Kapitalismus sind, im Bezug zur staatlichen Regulierung von Nahrungsmitteln und einer Vermarktung davon. Uns ging es nicht darum, noch eine Ausstellung zu Eiern zu machen, sondern über Gegenstände, die rund um das Ei im Kapitalismus entstanden sind. Und bei der Recherche bin ich darauf gestoßen, dass es in London die Werbekampagne „go to work on an egg“ ab den 1950ern gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Eier das erste Mal auf den freien Markt, und die Regierung launchte diese teure Werbekampagne, die dann sogar bis in die 1970er ging. Es handelte sich um Werbung für Eier, um Arbeitskräfte gesund und genährt in die Arbeit zu schicken.
Worauf dürfen wir uns noch freuen, welche Projekte kommen auf dich zu?
Bis in den Sommer hinein werde ich in Athen auf einem AiR sein. Im Juni eröffnet eine Ausstellung im Badener Kunstverein, auf die ich mich sehr freue, weil ich sie mitorganisiere – (c)lick. Eröffnung ist am 29.6. Und die nächste große Ausstellung wird nächstes Jahr im Kunstverein Augsburg sein.
Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Maximilian Pramatarov