Karin Sander ist bekannt für konzeptuell-pointierte Arbeiten wie Zeichnungen mit Büromaterialien, polierte Hühnereier, polierte Wandstücke, Gebrauchsbilder, Mailed Paintings, figurative Plastiken von real existierenden Personen, die Audiotour Zeigen, Obst- bzw. Gemüse-Wandstücke (Kitchen Pieces) und andere. Sie arbeitet mit der Zustandsveränderung von Vorgefundenem, seien es Objekte, seien es Räume. Mit geringfügigen Eingriffen in die Situation legt sie deren materiellen Bedingungen offen, um eine minimale Differenz zwischen Alltäglichkeit und Kunst herbeizuführen.
Karin, bei solchen Objekten, wie deinem "polierten Hühnerei" aus dem Jahr 1994, oder auch Werken deiner Serie "Kitchen Pieces" beschäftigen dich Materialität und Eigenschaften dieser alltäglichen Gegenstände. Es wirkt wie ein Spiel mit der Oberfläche, bei dem das „Alltägliche“ infrage gestellt oder sogar als „unecht“ wahrgenommen wird. Welcher Gedanke steckt dahinter, das „Alltägliche“ so zu verfremden?
Jede dieser von dir angesprochenen Arbeiten hat einen anderen Hintergrund, und sicherlich geht es nicht um Entfremdung, Spiel oder gar Irritation. Das polierte Ei war Teil der Ausstellung Leiblicher Logos und erklärt sich damit selbst. Mit den Kitchen Pieces verhält es sich ähnlich, zumindest, wenn man Bilder der Kunstgeschichte aufruft. Die Kitchen Pieces werden gezeigt, wie sie sind, unwirklich mag erscheinen, dass sie an der Wand hängen wie ein Bild.
Bei den "Kitchen Pieces" handelt es sich tatsächlich um „echtes“ Obst und Gemüse. Es wird nicht konserviert, sondern verändert sich. Wie haben Sammlerinnen und Sammler damit umzugehen?
Die Kitchen Pieces welken, trocknen und werden immer wieder erneuert, wenn der Sammler es für notwendig erachtet; ein Restaurator wird nicht gebraucht.
Die Thematik von Material und dessen Eigenschaften setzt sich in deinen Glasskulpturen fort. Du arbeitest dafür mit der Technik des Fließens und des Tropfens und Reaktionen von Glas auf Hitze oder Kälte. Wie viel Kontrolle oder Kontrollverlust ergibt sich durch diesen Arbeitsprozess hinsichtlich des Endprodukts?
Das Material unter Kontrolle zu haben, ist allein schon aus Sicherheitsgründen wichtig. Ich arbeite mit der Viskosität des Glases und weiß, wie das Endprodukt aussehen wird, das kann ich zu jeder Zeit auch dahingehend beeinflussen.
Du warst eine der ersten Künstlerinnen, die sich mit der 3D-Technik auseinandergesetzt haben, und du hast diese seit 1998 für dich so weiterentwickelt, dass immer mehr Menschen daran teilhaben können. Kannst du beschreiben, wie sich deine Kunst mit der Technik entwickelt hat und wie du die Technik für dich angewandt hast, damit sie deine Kunst ermöglicht?
Zuerst habe ich eine Vorstellung von einer Arbeit, und dann suche ich die entsprechende technische Umsetzung. In diesem Fall hatte ich eine Art dreidimensionale Fotografie im Sinn, das war 1997. Mir war aber nicht klar, dass dies bisher noch niemand gemacht hatte und wie aufwendig das sein würde. Es musste also ein Verfahren eigens für diese Arbeit entwickelt werden, und Programme mussten dafür geschrieben werden. Ja, ich habe also den ersten 3D-Bodyscanner, der für die Forschung an der Universität in Utrecht zur Vermaßung gebaut wurde, für das Porträt des Kurators der Kleinplastiktriennale, Werner Meyer, eingesetzt. Zusammen mit den entsprechenden Technikern wurde daraufhin das Verfahren entwickelt, das aus den gewonnenen Daten den Bau einer Figur ermöglicht. Wichtig dabei war, ein möglichst dichtes Netz von 3D-Informationen und daraus einen geschlossenen Körper zu generieren. Mithilfe eines Extruders oder später dann auch eines 3D-Druckers konnte die Figur oder besser das Porträt maßstabsgerecht, der Auflösung und Datendichte entsprechend, ziemlich originalgetreu in 1:10 gebaut werden.
Limitiert oder eröffnet die digitale Entwicklung neue Möglichkeiten?
10 Jahre später, das heißt 2007, bekam ich dann den Ruf an die ETH nach Zürich, wo ich mit eigenem Scanner und einem entsprechend ausgestatteten Labor an der 3D-Fotografie, die ich zum Verständnis immer wieder so nenne, weiterarbeiten und sie in Bezug auf Innen- und Außenräume und Negativvolumina weiterentwickeln konnte. Limits sehe ich bisher keine.
Es folgten später mehrere Ausstellungen, bei denen Besucherinnen und Besucher sich scannen und in 3D ausdrucken lassen konnten und als kleine Figur aus farbigem Gipsmaterial Teil der Ausstellung, sogar Teil der Sammlung des Museums werden konnten. Wie würdest du den künstlerischen Gedanken hinter diesem Ausstellungskonzept beschreiben?
Da jeder Besucher und jede Besucherin selbst entscheidet, wie er oder sie als Figur gesehen werden will, also ob und in welcher Haltung an dieser Arbeit teilgenommen wird, würde ich von einer Art Selbstporträt sprechen.
Beinhaltet diese Arbeit damit auch einen performativen Charakter, der von Besucherinnen und Besuchern veranlasst wird?
Ich würde eher davon sprechen, dass sie am Entstehungsprozess der Arbeit beteiligt sind, dass sie zu Akteuren im Ausstellungsbetrieb werden.
Generell gesprochen, hast du konkrete Vorstellungen, wie deine Kunst idealerweise erlebt oder verstanden werden sollte?
In der Konzeption gibt es diese klaren Vorstellungen, aber in oder nach der Realisierung gehen das Erleben oder die Rezeption über diese Vorstellung hinaus, was auch gut ist.
Interview: Alexandra-Maria Toth, Julia Rosenbaum
Fotos: Michael Danner