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Lone Haugaard Madsen, Ærø, Dänemark

In the Studio

»Es ist ein Sich-Wundern im Raum.«

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Lone Haugaard Madsen bewegt sich in ihrer Arbeit zwischen Skulptur, Malerei, Objektkunst, Fotografie, Sound, Text und Performance – ohne eines dieser Medien bevorzugt zu benutzen. In ihren Installationen setzt sie diese unterschiedlichen Werke in einen bestimmten Kontext zueinander, der ihre Auseinandersetzung mit dem Kunstbegriff beschreibt: Die Beschäftigung mit einem alltäglichen Objekt und der Einsatz desselben in einem bestimmten Aufbau kann ein Stück Holz, Ton, oder Metall in Kunst transformieren. Haugaard Madsen studierte in Wien, wo sie über 20 Jahre auch lebte; mittlerweile ist sie in ihr Heimatland Dänemark auf die Ostseeinsel Ærø gezogen.

Lone, wie bist du zur Kunst gekommen?
Eher muss man doch fragen: Wie ist die Kunst zu mir gekommen? Als Kind habe ich einfach Dinge produziert, ich habe mich dabei nicht auf ein Medium konzentriert – genau wie jetzt auch! Wenn ich einen Behälter brauchte, habe ich ihn selbst hergestellt, ich habe mit dem gearbeitet, was ich gefunden habe.

Wie war das im Studium: Muss man sich da nicht für ein bestimmtes Medium entscheiden?
An der Kunstschule in Dänemark war das tatsächlich eine Herausforderung. Ich habe die Abteilung gewählt, wo ich möglichst frei agieren konnte, und das war zufällig Grafik. Später an der Akademie in Wien ging es dann eher darum, die Unterrichtenden zu finden, die ein erweitertes Denken auch erlauben. Mir erschien es schon immer logisch, mit allen Materialien zu arbeiten. Heimo Zobernig war der Professor, bei dem das möglich war. Ich habe nicht eine spezifische Ausdrucksweise, sondern meine Methodik, und die ist immer gleichgeblieben.

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Was ist deine Methodik?
Es ist diese prägende Geste, die ich lange nicht als Kunst definiert habe. Der Drang, zu tun. Meine einzelnen Objekte üben in dem Zusammenhang, in dem ich sie aufbaue, und in dem Verhältnis, in das ich sie zueinander stelle, etwas bestimmtes aus. Wie die einzelnen Teile dann in einer Ausstellung platziert sind: Daran erkennt man meinen Blick.

Wie würdest du deinen Blick definieren?
Es ist ein Sich-Wundern im Raum. Ein Beobachten, ein Wachsein. Zu agieren mit all diesen unterschiedlichen Materialien, aber immer bereit zu sein, alles wieder zu verwerfen und vielleicht nur ein Objekt auszustellen.

Wie kommt man zur Sicherheit, zum Vertrauen in den eigenen Blick?
Manche sind sicher geboren … Ich jedenfalls nicht (lacht)! Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht kann ich es mit der Situation und dem Gefühl vergleichen, wann eine Arbeit fertig ist. Dieser Moment, an dem die Arbeit nicht zu wenig ist und nicht zu viel. Dafür habe ich ein Gespür, das ich kaum in Worte fassen kann …

Aber in eine Geste, wie ich sehe?
Ja, ich mache immer diese Handbewegung (lacht): Eine hochgehobene Hand, und der Daumen berührt die anderen Fingerspritzen, als könnte man etwas riechen. Auf dem Weg dorthin liegt sehr viel Ausprobieren! Heute bin ich an einem Punkt, wo ich den Raum, in dem ich arbeite, für mich so ausgesteckt und abgesichert habe, dass ich eine Erlaubnis gefunden habe, darin frei zu agieren.

Erlaubnis von wem? Von dir selbst?
Wahrscheinlich, ja. Aber auch durch die Umgebung, durch die Annahme meiner Arbeit von Anderen. Es gibt eine Bestätigung meines Werks durch Ausstellungs- und Museumseinladungen, und überhaupt durch das ganze System, das meine Arbeit trägt.

Wie nennst du deine Kunst? Gibt es einen Begriff dafür?
Ein Theoretiker würde es installative Malerei und Skulptur nennen, aber ich arbeite auch performativ. Und wenn Arbeiten von mir verkauft und bei Sammlern neu installiert werden, nehmen sie ja wieder eine andere Form an, werden etwas anderes. Ich nenne die Dinge also – naja, einfach meine Arbeit (lacht)! Es gibt keine Bezeichnung: Und das gefällt mir gut. So kann ich mein freies Agieren bewahren.

Es gibt also auch keine Definition für dich als Künstlerin?
Ich sehe schon, dass ich Malerin, Bildhauerin bin … Vor allem, weil ich Bildhauerei studiert habe: Das sagte jedenfalls die Schrift über der Türe (lacht). Bildhauerei ist insofern wichtig, als dass es auch um Raum geht. Und Raum ist ja immer noch der Übertitel für meine Gruppierungen oder Versammlungen von Objekten und Bildern. Das Räumliche ist sehr präsent.

Deine Titel tragen wie erwähnt immer das Wort „Raum“ und eine Nummer, zum Beispiel Raum #345 … Kannst du das erklären?
Nun, ich zähle von der ersten Arbeit in meiner Studienzeit an. Denn auch diese Arbeiten sind wichtig, weil sie innerhalb meiner Reihe von Werken beziehungsweise Räumen auch Referenzen zueinander haben. Es ist nicht so, dass ich etwas verwerfe, das ich vor 15 Jahren gemacht habe. Und so bin ich in der Nummerierung einfach weitergegangen.

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Deine Arbeiten werden meist als geschlossene Werkgruppen in Galerien ausgestellt. Kann ein bestimmtes Werk aber auch herausgelöst werden?
Wenn ich Einzelausstellung aufbaue, achte ich darauf, dass die Werke aus jedem Winkel im Raum eine Verbindung zueinander haben, dass alles stimmig ist. Aber wenn Sammler*innen oder Museen sagen: „Diesen kleinen Teil hätte ich gern“, und ich ein Empfinden habe, dass der Teil auch alleine stehen kann – und das können die meisten – dann ist mir das recht.

Die Objekte müssen also nicht zusammenbleiben oder auf eine gewisse Art ausgestellt werden?
Nein, gar nicht. Manchmal passiert es, dass eine ganze Werkgruppe gekauft wird. Wenn diese dann wieder ausgestellt wird, stellt sich natürlich die Frage: wie? Manche Käufer*innen haben den früheren Aufbau dokumentiert. Aber mir ist lieber, wenn in neuen Räumen auch neu aufgebaut wird, wenn das Werk neu leben darf. Das kann erfordern, dass ich anwesend bin. Es ist schon passiert, dass ich Werkgruppen mischen oder ihnen etwas hinzufügen durfte. Das war eine tolle Gelegenheit für mich, vor und zurück in meiner eigenen Praxis zu gehen.

Damit schaffst du ein neues Werk, denn durch die Korrespondenzen der Gegenstände untereinander entsteht ja wieder etwas Neues?
Genau! Es ist also fast unmöglich, mein Werk in herkömmlichen Archivierungsprogrammen zu erfassen. Eine meiner großen schlanken Eisenkonstruktion sollte mal in einem Museum stehen, zur Verankerung wollten sie Löcher in den Boden bohren. Aber ich nahm einfach Sandsäcke und legte sie um die Skulptur herum: So füge ich Objekte hinzu und das Werk lebt neu.

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Wo findest du die Materialien für deine Werke?
Als ich in Dänemark studierte, da war mein Material die Akademie: Ich fotografierte die Wände meines Arbeitsraums und arbeitete damit. Später entdeckte ich Materialien für mich, die andere übriggelassen hatten: Überreste von Museumsworkshops, von Werkstätten, von vergangenen Ausstellungen – da gibt es so viele Ressourcen! Manchmal nützte ich diese Werkstätten gleich als eine Art Atelier. Dort gab es immer tolles Material, um etwas herzustellen.

Damals lebtest du in Wien?
Ja, dort kontaktierte ich die Bühnenbildproduktion der Wiener Bühnen, und die hatten Material ohne Ende. Ich erhielt die Erlaubnis, immer wieder hinzukommen und Übriggebliebenes mitzunehmen – davon habe ich immer noch einiges!

Und jetzt, wo du in Dänemark am Land lebst?
Hier ist es anders: Ich habe keine Ateliernachbarn. Die Natur beeinflusst mich, egal ob ich will oder nicht. Es ist recht schwierig für mich, diese romantische Vorstellung von der Künstlerin am Land zu akzeptieren (lacht).

Man könnte sich das fast so wie im 19. Jahrhundert vorstellen …
Ja (lacht). Aber ich halte mich an meine Methodik. Hier um die Ecke ist ein wunderbarer Schmied; aus seinem Ausschuss kann ich mir Material holen. Die Ästhetik meiner Sachen ändert sich vielleicht, aber mein Denken bleibt dasselbe.

Gibt es eine Hierarchie unter den Materialien? Was ist dir näher – Bild, Stein, Holz, Leinwand, Farbe?
Alles ist gleichberechtigt: All die Marmorstücke, Bronzeteile, Pappe, Papier, Schnüre, Stangen und Holzteile, die bei mir herumliegen. Ich arbeite gerne mit Menschen, die ein Handwerk ausüben, Bronze gießen oder Glas blasen. Ich respektiere ihre Prozesse sehr, aber ich erlaube mir immer, sie zu bremsen, früher, als die Herstellenden es selbst machen würden. Die Geste bekommt damit einen hohen Wert, ebenso wie das Material.

Passiert es eigentlich, dass auch andere Leute dir Materialien für deine Arbeit bringen? Gibt es ein typisches „Lone-Material“?
Menschen, die mich und meine Arbeit gut kennen, bringen mir manchmal etwas. Und oft werde ich gefragt: „Welche Qualität müssen die Materialien haben, die du sammelst?“ Aber ich kann leichter sagen, was es nicht ist: Es soll etwa kein Fahrrad sein, etwas, das bereits eine Identität hat. Aber ich mag zum Beispiel kaputte Bootsteile oder angespültes Plastik, anonyme Dinge, die schon geformt wurden. Es gibt jedenfalls kein typisches Material für mich: Alles von Tonklumpen über Metall, über Überreste von Ausgesägtem, kann ich nutzen.

Viele Menschen fragen sich bei Konzeptkunst, warum ein spezielles, oft alltägliches Objekt zu Kunst wird. Was macht zum Beispiel ein Holzstück, das du ausstellst, zu Kunst?
Meine Beschäftigung damit – und die Wahrnehmung der Betrachtenden davon. Für mich kommt es darauf an, wie man sich mit dem Teil beschäftigt, wie man die Begegnung damit handhabt. Für mich ist ein Objekt nicht deshalb Kunst, weil es einem Kunstraum ausgestellt ist oder die Kunstwelt es als Kunst definiert. Wenn ich ein paar geölte Eichenstücke auf meiner Fensterbank platziere oder sie in einer Galerie ausstelle – wo ist da der Unterschied? Die Frage ist mir nicht wichtig. Ich würde lieber darüber nachdenken, ob es gute Werke sind, über ihre Qualität und ihre Aussage.

Wieviel Teil deiner Arbeit ist eigentlich Nachdenken über deine Arbeit?
Also in Prozenten kann ich es nicht ausdrücken (lacht). Aber je weiter ich physisch vom großen Kunstmarkt weg bin, desto wichtiger wird es für mich, meine Arbeit zu definieren. Es ist eine schwierige Frage (lange Pause). Ich kann sie jetzt vielleicht nicht beantworten, aber ich sie könnte sie mit einer Arbeit umsetzen. Die Definition davon, was Kunst ist – das spielt natürlich immer in meinem Werk mit, aber ich muss das nicht in Worten beantworten können.

Gibt es Künstler*innen oder Bewegungen, die dir wichtig sind?
Beim Studium fand ich schon einiges interessant; Fuß gefasst hab ich in den Werken der deutschsprachigen männlichen Bildhauer. Aber das ist ja politisch unkorrekt, das heute zu sagen (lacht) … In Wien, als ich studiert habe, war es natürlich Heimo Zobernig, oder Franz West – die Künstler, von denen ich umgeben war. Dort, wo es für mich knistert – da muss ich gleich eine andere Fingerbewegung machen (lacht).

Inspiration kann natürlich aus vielen Quellen kommen …
Das Wort Inspiration muss man ja erst verstehen! Auch die Begegnung mit Sprache, oder die Vorstellung, was ein Buch mit mir tun wird, das ich noch nicht gelesen habe, ist inspirierend. Oder die Diskrepanz zwischen dem, was ich mir vorstelle, im Atelier machen zu müssen, im Vergleich zu dem, was ich aus Lust tue. Dazwischen entstehen, ohne es zu erzwingen, die freien Werke. Viel entsteht in den gedanklichen Warteräumen. Kunst zu machen hat mit einer gewissen Freiheit zu tun, neue Dinge auf der Welt zu produzieren. Etwas zu nehmen und etwas Neues draus zu machen.

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Wie hast du Wien zum Arbeiten erlebt?
Das kann ich gerade im Vergleich mit Dänemark, wo ich jetzt wieder lebe, gut sagen. Dänemark ist von Wasser umgeben; und es kommen zwar immer wieder Menschen von außen, aber man bekommt nicht automatisch Neues präsentiert, man muss also selbst aktiv werden. Wien aber liegt zentral, und so passiert automatisch ein Austausch. Gerade während meiner Studienzeit gab es Unruhen in den Nachbarländern, und junge Künstler*innen kamen nach Wien. Und das mischte sich mit alter Tradition, mit Theater, Musik und Kunst. Es war eine tolle Grundlage für mich. Übrigens hat mir Wien eine große Liebe für die Oper geschenkt!

Du hast über 20 Jahre in Wien gelebt. Woher kam dein Entschluss, aufs Land zu ziehen?
Ich hatte bereits einige Zeit den Wunsch, Wien zu verlassen, in aller Liebe. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, wo ich hinwill. Das hat viel mit Ruhe, Natur, mit dem Meer zu tun. Mit Überschaubarkeit. Diese lebendige Unruhe von Wien möchte ich lieber besuchen als darin wohnen.

Zeigt sich der Umzug schon in deiner Arbeit?
Ja, es entwickelt sich gerade. Schneller, als ich es selbst verstehen kann.

Was sind deine nächsten Pläne?
Ich arbeite gerade für eine Gruppenausstellung im Eisenstädter Kunstverein. Ich bekam als Grundlage einen Text, der Titel der Ausstellung ist Not Knowing. Dann plane ich die Herausgabe eines Katalogs, an dem ich schon lange arbeite. Es gibt auch verschiedene strukturelle Projekte, etwa einen Ausstellungsraum: Hier im Haus habe ich einen kleinen Raum, in dem ich gerne Kunstschaffende zeigen möchte. Und dann gibt es einiges, das noch nicht spruchreif ist.

Raum #415 - knob, 15 (Schräbergarten) & Raum #415 - knob, 14 (Ärmel), Galerie Nagel Draxler, 2024, Ausstellungsansicht, Galerie Nagel Draxler, Foto Credits: Simon Vogel

Lone Haugaard Madsen, Raum#414-Perso, Galerie Sophie Tappeiner, 2024; © kunst-dokumentation.com

Lone Haugaard Madsen, Raum#414-Perso, Galerie Sophie Tappeiner, 2024; © kunst-dokumentation.com

Lone Haugaard Madsen, Raum#414-Perso, Galerie Sophie Tappeiner, 2024; © kunst-dokumentation.com

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Camilla Jørvad

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