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Marianna Uutinen, Berlin

In the Studio

»Ich schaffe einen performativen Raum, in den Menschen sich hineinversetzen können.«

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Die nordeuropäische Szene für zeitgenössische Kunst entwickelt neue Dynamiken und wird zunehmend von internationalen Sammlern beobachtet. Mit den Nordic Notes lenken wir regelmäßig den Blick auf die nordische Kunst- und Kulturszene und stellen ihre wichtigsten Akteure vor.

Seit über dreißig Jahren erstellt die finnische Künstlerin Marianna Uutinen Werke, die die Herstellung von gestischen Zeichen zugunsten eines erweiterten Begriffs von Malerei ablehnen. Sie ist vor allem für ihre großformatigen abstrakten Gemälde in der für sie charakteristischen Handschrift bekannt, bei der Acrylfarbenschichten zu einer Haut aufgebaut werden, die sie dann direkt auf die Leinwand drapiert.

Marianna, du hast deine Zeit zwischen Helsinki und Berlin aufgeteilt. Wie funktioniert das im Alltag?
Ich bin jetzt seit sechs oder sieben Jahren in Berlin, und von Anfang an wollte ich an beiden Orten Studios haben. Da ist ein urbaner Raum auf der einen Seite, und in Finnland, wo ich noch ein Seehaus habe, geht es mehr um die Natur. Ich brauche beides, also ist das ein perfektes Arrangement für mich.

Beide Orte spielen also eine bedeutende Rolle für dich.
Ich kehre jeden Monat nach Helsinki zurück, um dort mehr mein Privatleben zu leben. Berlin hingegen ist ein großartiger Arbeitsplatz und repräsentiert für mich einen Ort der Freiheit. Hier kann ich meine Arbeit in einen anderen Kontext stellen und mich auch auf asketischere Weise vom materialistischen Leben befreien. Zum Beispiel ist meine Wohnung super minimalistisch. Es gibt nicht viele Möbel … Ich bevorzuge Licht und Raum.

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Wie würdest du deine Arbeit beschreiben?
Es geht um Kommunikation. Ich schaffe einen performativen Raum, in den Menschen sich hineinversetzen können. Zum Beispiel, wenn ich diese Falten mit Acrylfarbe mache, denken die Leute, dass es echtes Plastik ist. Ich verführe sie dazu, etwas Vertrautes, aber nicht unbedingt Definierbares zu sehen. Die Bilder sind nach der Erfahrung des Betrachters das Ergebnis einer Kombination aus materiellen Illusionen und Konfrontationen mit den eigenen Projektionen.  

Du hattest gerade eine Ausstellung in der Galerie Forsblom in Helsinki. Was waren einige der Themen, mit denen du dich beschäftigt hast?
Die Ausstellung hieß LIVE, und mit dem Titel wollte ich wirklich die Vorstellung anregen, dass diese Materialität in gewisser Weise lebendig wird; dass die Malerei ein lebendiges Bild ist, ein lebendiges Wesen und nicht nur ein Objekt oder eine Darstellung.

Kannst du deine Arbeitsweise erläutern? Wie wird die Acrylfarbe hergestellt?
Ich male zahlreiche Acrylschichten dick auf Kunststoff, löse diese dann vom Malgrund ab und klebe sie auf die Leinwand. Ich mische Farbe mit viel Acryl, das in seiner Essenz Kunststoff ist, und nutze diese Materialfunktion, um die Illusion von Kunststoff zu erzeugen. Ich mag es irgendwie, wenn die Farbe so aussieht, wie sie ist. Eine entscheidende Sache bei diesem Verfahren ist, dass es diese Gleichheit zwischen den Oberflächen gibt; die erste Schicht des Bildes ist die älteste. Es gibt diese zeitliche Gleichheit, weil sie alle auf der gleichen Oberfläche sind. Und ich hoffe, dass die Menschen das Nichtlineare erleben, das Hier und Jetzt.

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Wie viele Schichten braucht man normalerweise?
Es hängt von der Oberfläche des einzelnen Bildes ab und davon, was ich will, aber der technische Teil ist, dass es mindestens vier oder fünf Schichten sein müssen. Du kannst dir vorstellen, dass, wenn ich drei Bilder mache, es bis zu dreißig Schichten dauern kann, um diesen Effekt zu erzielen. Es ist eine Menge Material.

Es muss auch physisch sehr anstrengend sein?
Teilweise ist es eine Art von Action Painting, die es sehr körperlich macht – ich muss auf dem Boden malen und große Leinwände bewegen. Diese Art der Arbeitsweise hat viele unkontrollierbare Aspekte, und es kann eine echte Herausforderung sein, damit umzugehen. Aber die Unfälle können auch einige wirklich gute Dinge hervorbringen. Das ist Teil des Prozesses. Zuerst denkst du, oh mein Gott, es ist zerstört, aber dann musst du akzeptieren, dass dieses Material so zerbrechlich ist und dass es ein Teil der Arbeit ist.

Es gibt offensichtliche Parallelen zwischen deiner Arbeitsweise und dem Abstrakten Expressionismus, was bedeutet, dass deine Arbeit oft als weibliche Antwort auf diese meist männlich geführte Bewegung positioniert wird. Siehst du das auch so?
Nun, ich glaube nicht, dass meine Malmethoden dem Abstrakten Expressionismus an sich nahe stehen, aber ich habe sicherlich viele Referenzen auf diese Bewegung – neben anderen modernistischen Sprachen in meiner Arbeit. Ich möchte, dass meine Arbeit für viele Kontexte offen ist. Ich bin selbst Feministin, aber ich würde mich nicht unbedingt eine Künstlerin nennen. Es ist eine so stereotype und klischeehafte Art, meine Arbeit zu betrachten, als ob es bei ihr [Werkserie in rosa Neonfarben] nur um Rosa ginge und darum, eine Frau zu sein. Warum sollte es um Frauen gehen? Natürlich liegt es zum Teil daran, dass ich eine Frau bin, aber das ist nicht der Hauptgrund. Ich habe auch von Leuten über meine Bilder gehört, dass man nicht sagen kann, ob sie von einem Mann oder einer Frau gemacht wurden, und das freut mich wirklich, weil ich Gender-Kategorisierungen im Allgemeinen nicht mag. Ich hoffe, dass es eines Tages passieren wird, dass wir nicht so viel in diesen Termini denken. 

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Wenn es um deine Studio-Praxis geht, hast du eine Routine?
Es kommt darauf an, wie ich mich fühle. Ich habe Phasen, in denen ich eine Routine habe, und solche, in denen ich sie weniger habe, aber ich habe sie immer im Kopf.

Wie lange arbeitest du normalerweise an einem Bild?
Es kann sein, dass ich vier Monate lang wie eine Verrückte arbeite (lacht) und dann alles wegwerfe, weil ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden bin, und dann, plötzlich, mache ich drei Bilder in zwei Tagen. Diese „Vorarbeit“ ist Teil des Prozesses. Ich kann auch ein Bild machen, an dem ich vier Monate arbeite, also ist es nicht wirklich rational.

Du arbeitest jetzt seit über dreißig Jahren als Künstlerin. Welche Art von Kunst hast du zu Beginn deiner Karriere gemacht?
Als ich 1985 an der Akademie abschloss, machte ich eine Art informelle, sehr chaotische, abstrakte Kunst mit viel Materialität. Ich arbeitete sehr intuitiv, wenn es um Malerei ging, aber ich wusste nicht genau, was ich ausdrücken wollte. Ich liebte es einfach, zu malen. Auf der anderen Seite begann ich, mich mit internationaler Kunst zu beschäftigen, und in diesen postmodernen Zeiten fühlte ich, dass ich meine eigene Sprache finden und mit meiner Arbeit etwas sagen musste.

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Welche Künstler hast du dir damals angesehen?
Alle zusammen! Die Akademie in Helsinki war akademisch sehr konservativ: Obwohl ich gute Künstler und Maler als Lehrer hatte – und ich denke, der Dialog mit ihnen war sehr wichtig –, hatten wir keine Kunsttheorie oder Kunstgeschichte. Ich hatte das Glück, dass ich sofort nach der Schule reisen durfte. Es war fantastisch, New York, Berlin … das war fantastisch.

Was kam als nächstes?
Ich habe ein paar Jahre lang nicht viel gemalt. Aber ich zeichnete und beschäftigte mich immer noch inhaltlich mit Dingen, die mich interessierten. In dieser Zeit habe ich versucht, viel Philosophie zu lesen, über französischen Poststrukturalismus, Postmoderne, Semiotik – dadurch hat sich mir so vieles erschlossen. Ich wurde analytischer und freier in meiner eigenen Arbeit. Meine erste Ausstellung hatte ich 1989. Ein wichtiger Moment für meine gesamte Karriere war die Entstehung der Arbeit Cornucopia im Jahr 1989. In ihr verbindet sich Farbe mit einem realen Objekt, einem Füllhorn, und es geht um die Symbiose zwischen modernistischer Malerei und banalen Objekten. Ich habe mit einer Garniertülle für Kuchen gemalt und die Textur dieses banalen Objekts imitiert … das Bild und das Reale verschmolzen auf Anhieb. Ich war sehr verspielt und ironisch und hatte damals viel Humor. Ich habe immer noch Humor, aber ich setze ihn in meiner Arbeit nicht mehr so oft ein, weil das Leben zu hart ist. [lacht]

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