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Olaf Holzapfel, Berlin

In the Studio

»Der Raum hat Gesetze, die ohne die Sprache auskommen.«

Olaf Holzapfel beschäftigt sich in seinem vielfältigen künstlerischen Werk mit unterschiedlichsten Materialien, die von Stroh bis hin zu digitalen Zeichnungen reichen. Kulturtechniken indigener Völker interessieren ihn ebenso wie virtuelle und physische Räume. Seine Arbeiten wurden mehrfach international gezeigt, darunter 2017 auf der documenta 14 und 2011 auf der 54. Biennale di Venezia. Wir sprachen mit ihm über das Dazwischen-Sein in der Welt, über das künstlerische Erbe früherer Künstlergenerationen und über die Frage, ob Handwerk Kunst sein kann.

Olaf, als du 1996 mit deinem Studium der Malerei an der HfBK in Dresden begonnen hast, warst du 29 Jahre alt. Was hast du vorher gemacht?
1989 bin ich als Flüchtling über Österreich und Ungarn in die Bundesrepublik gekommen. Die 90er-Jahre habe ich gebraucht, um mich neu zu orientieren. Am Anfang lebte ich in Erlangen. Und dann bin ich gereist. Ich war in New York und in Indien, bin zu Orten gefahren, die wichtig für mich werden sollten.

Nach deinen Reisen hast du dich für das Malereistudium entschieden? Nein, noch nicht. Eigentlich wollte ich was mit Physik machen. Dann fing ich an, Architektur an der TU in Dresden zu studieren. Die Kunst kam später.

Du hast dann bei Professor Ralf Kerbach in Dresden Malerei studiert. Warum in Dresden und nicht in Düsseldorf oder woanders?
Ich habe mir mehrere Hochschulen angesehen. Aber Dresden in den 90er-Jahren – das war eine völlig chaotische Zeit. Ich glaube, es wird sich später noch herausstellen, dass die Grundsteine für viele Dinge, die heute aktuell sind, damals gelegt wurden. Das war einfach der große Umbruch nach dem Zusammenfall des Ostblocks. Aber es war eben nicht nur das. In Bayern herrschte eine etablierte Wohlfühlatmosphäre. Es war klar, dass in Dresden, Berlin, in den neuen Bundesländern viel mehr passierte.

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Rückblickend betrachtet: Wie wichtig war das Studium der Malerei im Vergleich zur Architektur für dich?
Genau das, was mich gestört hat, war das, wo ich gelernt habe. Man lernt ja immer an den Schwierigkeiten. Als Architekt lernt man, mit den Leuten zu kooperieren. Ich arbeite gerne mit Gewerken, mit anderen Kulturen, das ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit geworden.

Heute arbeitest du verstärkt im skulpturalen Bereich, nicht mehr so sehr in der Malerei …
Ich bin ein klassischer bildender Künstler. Für mich ist die Trennung zwischen den Gattungen nicht zentral. Es geht mir um das Bildnerische an sich und nicht unbedingt darum, ob das nun die zweite oder dritte Dimension ist, in der ich arbeite. Da gibt es ja einige Künstler, die auch so agieren, z. B. Thomas Schütte, Mike Kelley oder Isa Genzken.

Der Raum ist für viele deiner Arbeiten essenziell. Du sagtest mal, du bist gerne im „Dazwischen“. Was bedeutet das für dich?
Man kann sich ja entscheiden zu sagen, ich fetischisiere einen Körper, so wie das bei Rembrandt ist oder bei Rodin, sodass man auf die Substanz geht. Ich glaube, das ist auch immer noch ein Fixpunkt, das ist zumindest das deterministische Denken der westlichen Kunst lange Zeit gewesen. Wir sind seit der Industrialisierung, seit sich das auflöst, ständig mit anderen Welten in Kontakt. Es gibt von Gotthard Günther ein Buch, das heißt „Die amerikanische Apokalypse“. Darin beschreibt er, dass den Europäern mit der Entdeckung Amerikas klar wurde, da existiert was großes Anderes, das viel größer ist als Europa, und dass dieser Garten, in dem wir leben, ein fragiles Gebilde ist. Für mich ist das Dazwischen-Sein der Status quo. Die Schwierigkeit für das europäische Denken ist, zu akzeptieren, dass man, ohne was fix zu machen, in dem Dazwischen-Sein ein Ziel verfolgen kann und auch genau sein kann.

Welche Rolle spielt der virtuelle Raum für dich?
Der virtuelle Raum ist so präsent wie für Caspar David Friedrich die Industrialisierung präsent war. Es gibt von mir digitale Bilder, die sind in den Nullerjahren entstanden. In ihnen habe ich darüber nachgedacht, was ein digitales und was ein analoges Medium ist – und wie die zusammenhängen, vor allem in Bildern. Mein Interesse ist die Partizipation am Raum. An allem Raum.

Wie entdeckst du die Menschen, Gemeinschaften, Häuser, Orte, Handwerkstechniken etc., die sich häufig als Spuren in deinen Arbeiten wiederfinden?
Ich glaube, die Europäer sind schon immer viel gereist, um herauszufinden, wer sie sind. Man kann geistig reisen, aber für mich war es bedeutend, die Dinge live zu sehen. Peter Sloterdijk sagte mal, dass die zeitgenössische Kunst immer mehr von der Oberfläche und dem Effekt ausgehe. Jedoch die hauptsächliche künstlerische Strategie sei Wiederholung und Differenz. Ich schaue eher, wo ist die Differenz, um zu verstehen, was ich mache oder wo ich mich weiterentwickeln kann. Wo gibt es interessante Dinge, die ich auch vergleichen kann? In Tokio habe ich Fotos von Blindenmarkierungen gemacht. Diese Blindenmarkierungen gibt es auf der ganzen Welt. Aber so, wie die in Tokio platziert werden, ist das absolut typisch japanisch. Nach so etwas suche ich.

Was interessiert dich besonders an deiner Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, wie den Wichí?
Die Wichí leben im Dschungel von Südamerika. Sie haben interessanterweise dieselbe Abstraktion in ihren Bildern, die auch eine Stadt in sich trägt. Die Wichí weben die Abstraktion der Welt in ihre Textilien über die Landschaft, die sie selber kaum verändern. Sie sind ja Nomaden gewesen, und ihre Textilien sind eine Abstraktion über die Wildnis. Sie sehen in der Natur auch eine Ordnung und haben keine verklärte oder romantische Vorstellung von der Natur. Das war auch ein Gedanke in der Romantik, bei Runge zum Beispiel, oder auch später bei Cézanne, dass man die Struktur der Natur erkennt. Es gibt eine Verbindung zwischen den abstrakten und den natürlichen Dingen, das ist kein Gegensatz.

Wie läuft der Kontakt vor Ort ab, z. B. in Patagonien? Sprichst du Spanisch? Wie kommunizierst du mit Menschen, mit denen es keine gemeinsame Sprache gibt?
Ich arbeite oft mit lokalen Handwerkern, die mir helfen, dadurch kriege ich viel mehr Input. Ich gehe nie irgendwohin und habe schon was in petto, sondern entwickle die Arbeit zusammen mit den Menschen, auf die ich treffe. Beide machen ein Angebot, und dann treten wir in einen Prozess ein, egal ob das Zimmerleute in Deutschland sind oder die Wichí. Ich sage nicht: „Hier ist mein Entwurf und jetzt führt den mal aus.“ Die Menschen haben selber Wissen und sagen, sie wollen das auf diese oder jene Art umsetzen. Dieses Gespräch – nicht über das gesprochene Wort, sondern über das Material, die Methode –, das ist das Essenzielle, was passiert. Das Wissen wird über das Material vermittelt.

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Bei den Heubildern ist der Arbeitsprozess aber anders, oder?
Diese Arbeiten haben etwas mit meiner Werkgruppe der Faltungen zu tun, hier geht es mir um grundsätzliche Fragestellungen. Wie bringe ich eine Linie, die trotzdem auch dreidimensional ist, in eine Fläche? Der Arbeitsprozess ist unterschiedlich, mal entwerfe ich sie digital, mal mit einer Handzeichnung. Die Heubilder sind zwischen Fläche und Raum. Man sagt Heubild, aber jedes Gewebe ist auch dreidimensional. Die Heubilder sind wie ein „Blow Up“ von einer Leinwand, sie sagen etwas darüber aus, wie wir eine Leinwand sehen, wie diese gemacht ist. Das Interessante an den Heubildern ist doch, dass sie zeigen, dass wir aus der Geometrie gar nicht rauskommen. Das sind sozusagen meine zwei Themen: Das eine ist das Material mit seiner Interpretation, dann gibt es aber auch den Teil in mir, der sich mit dem Abstrakten beschäftigt, mit dem Modellhaften, und der sagt, wir kommen nicht raus aus der Geometrie. Die Geometrie bestimmt uns. Es gibt den Satz: „Am Anfang war das Wort.“ Niklas Luhman sagt, es gibt nichts, was nicht schon gesagt ist, also man kommt da nicht raus – aber das bestreite ich. In der bildenden Kunst bezieht man sich aber ganz oft auf den Raum. Der Raum hat Gesetze, die ohne die Sprache auskommen. Wenn ich mit dem Raum etwas machen möchte, dann trete ich sofort in die Gesetzmäßigkeiten des Raumes ein. Und die sind vor der Sprache.

Sind die Heubilder deine zeitgenössischen Antworten auf die Beschäftigung mit Licht, Natur, Landschaft, so wie z. B. Impressionisten wie Monet sich mit Heubildern und Licht beschäftigt haben?
Als Maler beschäftige ich mich ja immer mit dem Licht. Mein Interesse am Licht kommt aus der Malerei. Die Grundfrage ist: Geht’s mehr um die technischen Aspekte oder mehr um die symbolische Welt. Für mich gibt es keinen Unterschied zum Digitalen, ich gehe davon aus, dass es durch das Material eine Kodierung gibt. Bei Beuys ist das ja eher symbolisch. Es wärmt z. B., und es geht da um die Eigenschaften, die man fühlt. Bei mir geht es eher um die Eigenschaften, die man sieht oder die man gebraucht, wenn man etwas verbindet.

Du arbeitest oft mit natürlichen Materialien, Reet (Schilf), Holz, Heu u. a. Warum, was fasziniert dich an diesen Materialien?
Ich habe mich mit der Stadt als Landschaft beschäftigt. Für mich gibt es einen fließenden Übergang zwischen der Stadt und dem Land. Bloß weil es so arbeitsteilig organisiert ist, merken wir das nicht mehr unbedingt. Wir bekommen immer Vorprodukte zu kaufen. Berlin ist von Feldern und Wäldern umgeben. Und wenn man die Wälder nur noch als verbaute Architektur sieht, dann vergisst man das schnell. Das wird wiederkommen, weil es eben unsere natürliche Ressource ist.

Ist die Beschäftigung mit natürlichen Materialien auch eine Art von „zurück zu den Ursprüngen“ gehen?
Es geht nicht zurück, denn das natürliche Material ist immer da. Es gibt das eine Denken, was immer Fortschritt will, und dann gibt es Dinge, die sind einfach da. Die entwickeln sich ebenso weiter, aber die sind langsamer. Die Kunst macht oft den Fehler, zu fragen, wer das neuste Wort entwickelt, aber dadurch werden die Entwicklungen immer kleiner. Wenn früher ein Künstler ein Œuvre über 30, 40 Jahre entwickeln konnte, weil er auch ein Gefühl hatte, okay, die symbolischen Werte sind gesetzt, so werden heute die Diskurse immer schneller. Diese gehen aber selten vom Material aus, sondern von der Interpretation. Die Frage „Willst du zurück zur Natur?“ oder „back to the roots“ drückt aus, dass etwas abgeschlossen ist. Aber das stimmt einfach überhaupt nicht. Es ist nie abgeschlossen, nur man selber stellt nichts mehr selbst her und hat die Partizipation nicht mehr, aber jemand anderes macht das immer noch. Es ist eigentlich eine Wiederaneignung der eigenen Umgebung.

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Ist Kunst Handwerk? Ist Handwerk Kunst?
Die Kunst ist ein völlig offener Raum. Und diese materielle Welt, von der wir ja permanent umgeben sind und von der wir leben, wenn man die zu einem geistigen Territorium machen will, dann braucht man das Handwerk.

In deinen Arbeiten stecken sehr viele Ebenen, viel mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Wie wichtig ist es dir, dass die Betrachter das verstehen?
Ich finde es am besten, wenn man ein Kunstwerk hat, das man sich lange ansehen kann und das immer wieder Ebenen hat, die sich entfalten. Da ist die Ebene „Transformation durch Einübung“ ganz wichtig. Für mich ist ein Tizian-Bild, solange es präsent ist und ich damit leben kann, nie Vergangenheit, sondern es ist ja noch da. Und der hat es auch dafür gemalt, dass es noch da ist. Das ist auch eine künstlerische Strategie, etwas zu machen, was nicht nur für den Moment ist. Das mag eine menschliche Überhöhung sein, etwas herstellen zu wollen, was die Zeit übersteht. Aber so etwas macht die Kunst ja auch aus.

Wenn du heute ein Bild unterschiedlich blau machst, ist das dann eine farbtheoretische Entscheidung oder ein künstlerisches Bauchgefühl?
Meine Entscheidung kommt aus der Unterhaltung. Jedes meiner Kunstwerke entsteht aus der Unterhaltung mit den Künstlern, die es schon gab. In meiner letzten Ausstellung bei Daniel Marzona habe ich im Nachhinein gemerkt: Da gibt es eine Referenz zu Mondrian, eine zu Hermann Glöckner und eine zu Hokusai. Das ist mir aber erst klar geworden, als die Bilder fertig waren. Aneignung zu künstlerischen Strategien heißt auch immer, etwas wieder zu vergessen. Wenn man sie sublimieren will, muss man sie wieder vergessen können. Mir ist es wichtig, etwas Neues zu machen. Das erreicht man nicht, indem man sich direkt auf das Alte bezieht. Es gibt die Kunst, die permanent zitiert. Die Künstler stellen sich damit selbst ein Bein. Die sind in ihrer künstlerischen Strategie gefangen. Wenn man da ein Jahr später ins Museum geht, dann ist es einfach alles nur alt. Das heißt: Die Auseinandersetzung mit dem Alten ist wichtig, aber es gibt einen Moment, in dem man loslassen muss, um seinen eigenen Weg zu gehen.

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