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Oliver Laric, Berlin

In the Studio

»Ich bin generell an kulturellen Manifestationen interessiert.«

Scannen, bearbeiten, drucken – Oliver Larics Werke sind Kopie und Original zugleich. Anhand digitaler Methoden verformt und inszeniert der in Innsbruck geborene Künstler kunstgeschichtliche Objekte und transportiert sie in die Gegenwart. Zudem hinterfragt er die Konzepte von Authentizität und Einzigartigkeit, indem er mehrere Versionen bestehender Skulpturen erstellt und audiovisuelle Inhalte remixt.

Oliver, wie bist du in deiner Jugend zur Kunst gekommen?
Mein Interesse war früh da und wurde auch vonseiten meiner Mutter unterstützt. Ich hab in meiner Jugend über viele Jahre Graffiti gemalt und dann in Wien Grafikdesign an der Angewandten studiert, da ich keine Vorstellungen von Kunstwelten hatte. Während des Studiums habe ich schnell gemerkt, dass ich eigentlich selbstinitiiert arbeiten möchte.

Du hat dir also mehr Freiheit gewünscht?
Ich wollte weniger Kompromisse eingehen und hab an meinen eigenen Videos gearbeitet und diese online veröffentlicht. Zeitgleich habe ich mit den Kolleginnen Aleksandra Domanović, Georg Schnitzer und Christoph Priglinger 2006 einen Kunstblog (vvork.com) gegründet. Durch diese Online-Plattform hat es erst gar keine Notwendigkeit gegeben, in physischen Räumen auszustellen. Wir hatten eine Webseite als Ausstellungsraum und waren unabhängig von externen kuratorischen Möglichkeiten. Mit der Zeit sind dann Einladungen gekommen, Ausstellungen in physischen Räumen zu entwickeln. Anfangs war ich eher enttäuscht von der Übersetzung in den physischen Raum, von dem, was online so gut funktioniert hat und durch die Partizipation von anderen lebendig wirkte. Nach den ersten Erfahrungen hatte ich ein Bedürfnis, über den Umgang mit dem Raum ähnlich nachzudenken wie über die Webseiten. Da kam auch die Überlegung, Skulpturen zu realisieren.

01 Oliver Laric c Patrick Desbrosses

Wie hast du dich dann auf das Medium Skulptur festgelegt?
Ich habe mich nie auf Skulptur festgelegt. Ich arbeite viel an Videos und Skulpturen, aber auch mit einigen anderen Herangehensweisen, die nicht in diese zwei Kategorien passen.

Spielen der Prozess und dessen Dokumentation für dich eine wichtigere Rolle als das Endprodukt?
Ja! Was für mich gut funktioniert, ist eine flexible digitale Datei, die physisch realisiert werden kann, aber im Mittelpunkt steht für mich das Wiederholbare – dass ich eher ein Rezept oder eine Anleitung schreibe und kein abgeschlossenes Produkt herstelle. Vielleicht habe ich mich immer mehr für das Abbild der Skulptur interessiert als für die Skulptur selbst. Bei physischen Arbeiten gehe ich davon aus, dass mehr Menschen die Arbeiten als Dokumentation erleben als im Raum. Ich habe von Anfang an versucht, eine Struktur zu entwickeln, die sich immer wieder mit der Zeit verändern kann. Das ist ein Prozess, der es mir erlaubt, kontinuierlich zu lernen. Die Kombination einer digitalen Komposition und der Manifestation im Raum durch additive Fertigung wie 3D-Druck fügt sich da.

Würdest du sagen, dass dein Studium an der Angewandten in Wien eine Inspiration für dich war und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die du dir da aneignen konntest, heute für dich noch eine Rolle spielen?
Ich habe primär gelernt, was ich nicht machen möchte, denn in meinem Hauptstudiengang war das Klima höchst regressiv. Wir haben im Zeitalter von unzähligen neuen digitalen Entwicklungen über Posterwettbewerbe und die Gestaltung von Briefmarken nachgedacht. Auch über meine Klasse hinaus war eine veraltete Macho-Kultur dominant. Es gab einen theoretischen Teil, der ganz spannend war und den ich heute noch als hilfreich empfinde. Aber prinzipiell sehe ich meine Studienepisode als schwierige, einschränkende Phase. Ich bin auch bei meinem Diplom durchgeflogen. Vielleicht war das gut, weil ich das, was mir dort vorgelebt wurde, nicht nachmachen wollte.

Was war deine erste Ausstellung?
Die erste Ausstellung kam durch eine Einladung von einer Kuratorin zustande, mit der ich bis heute in Kontakt bin – Caitlin Jones, die ein Video mit dem Titel 787 Clip Arts, das ich 2006 gemacht hatte, kuratiert hat. Das Video ist eine Animation von vielen einzelnen Clip-Art-Grafiken, die in der Sequenz das Gefühl von einem bewegten Bild schaffen. Das Video hatte sich über Blogs verbreitet und eine Werbe-Agentur hatte es kopiert, aber es wurde auch von anderen Künstler:innen immer wieder neu interpretiert. Es ist ein lebendiges Video, das durch die Veröffentlichung auf Webseiten belebt wurde. Durch diese Erfahrung haben sich viele Sachen ergeben, die mich heute noch prägen.

Wann bist du dann nach Berlin gegangen, um dich ganz der Kunst zu widmen?
2007. Ich habe davor in Japan gelebt und nicht wirklich genug Zeit für meine eigenen Arbeiten gehabt. In Tokio habe ich für Bands Musikvideos generiert, was mir Spaß gemacht hat. Aber ich war auch abhängig von anderen Meinungen, vor denen ich meine Ideen verteidigen und Kompromisse eingehen musste.

Und da war Berlin die Lösung?
Ja, irgendwie schon. Die Lebenshaltungskosten in Tokio waren hoch und Berlin war damals relativ günstig. Der Umzug ermöglichte mir, mehr Zeit für meine eigene Arbeit zu finden.

Wie ging es dann weiter?
Die vorhin erwähnte Werbeagentur, die mein Video kopiert hatte, bot mir nach Kritik von Leuten, die mein Video kannten, eine Kompensation an. Das hat mich einige Zeit über Wasser gehalten. Dann kam eine Kommission vom ICA in London und ein Sammler hat einige Video-Editionen gekauft. Das hat sich dann Stück für Stück ergeben und mir ermöglicht, weiterzumachen, auch wenn es anfangs nicht einfach war. Nicht dass es jetzt alles problemlos läuft!

Was ist Kunst für dich?
Ich habe keine spezifischen Vorstellungen, was Kunst ist. Ich bin nicht an einer engen sozialen Szene interessiert, die eine vermeintlich singuläre Kunstwelt ausmachen soll, sondern generell an kulturellen Manifestationen. Ich denke oft mehr über Musik als über visuelle Kunst nach. Ich sehe so viele parallele Bewegungen mit wenigen Überlagerungen. Daher finde ich es schwierig, von einer einzelnen Kunstwelt zu sprechen.

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Die Themen deiner Skulpturen und deiner Videoarbeiten sind vielfältig. Aber es fällt auf, dass du sehr oft lebende Objekte porträtierst. Warum das?
Ich habe keine Antwort darauf. Ich überlege oft, warum ich bei diesen organischen Formen ende. Vielleicht ist es kontextbezogen und eine Antwort auf das, was ich um mich herum wahrnehme. Vielleicht hat es auch mit leicht zugänglichen Kontaktpunkten zu tun.

Du hattest in letzter Zeit einige große Ausstellungen, unter anderem im S.M.A.K. in Gent. Kannst du etwas darüber erzählen?
Die Ausstellung in Gent war leider eine Pandemie-Ausstellung, die ich lange vorbereitet, aber selbst nie gesehen habe. Die fand in der Phase zwischen den ganzen Lockdowns statt. Zentral war ein neues Video, das Momente der Verwesung und der Metamorphose zeigt. Diese Prozesse habe ich mit einem 3D-Programm als Stop-Motion-Video modelliert, in dem ich jeden einzelnen Animations-Frame gerendert habe. In den beiden sich spiegelnden Nebenräumen habe ich unterschiedliche Interpretationen der gleichen Skulpturen gezeigt, wie beispielsweise ein Hundepaar in zwei Variationen.

Was zeigen diese Hunde?
Das ist ein Paar von Hunden, die sich sehr lieblich umarmen. Davon habe ich eine Variation aus dem Ferdinandeum in Innsbruck und eine von deren Vorläufer aus dem Britischen Museum in London gezeigt. Weiterhin wurde ein Motiv eines Jägers und seines Hundes als Relief ausgestellt. Der Scan basiert auf der neoklassizistischen Skulptur von John Gibson, die ursprünglich kein Relief ist. Und dann habe ich noch eine weitere Skulptur gescannt und bearbeitet, die den Odysseus auf der Flucht vor einem Zyklopen zeigt. Das ist eine humane Figur, die sich an einem Widder festhält. Die Proportionen sind ungewöhnlich. Der Mensch wirkt klein in Relation zum Widder, was eher untypisch ist für die Darstellung der Beziehung zwischen Mensch und Tier.

Wie suchst du deine Scans aus?
Bei den Skulpturen, die auf existierenden Scans oder Objekten basieren, gibt es viele pragmatische Einflüsse. Beispielsweise arbeite ich mit Objekten, die kein Copyright mehr haben, wo die Kunstschaffenden also seit über siebzig Jahren verstorben sind. Da ist vieles möglich. Zuletzt habe ich Rüstungen gescannt. Meine Interessen wandeln sich auch immer mit der Zeit. Die ersten Male, wo ich Objekte gescannt habe, in Kooperation mit einem Museum in England, war der Scan eher ein prozessualer Test. Mich hat interessiert, ob Nutzer die Objekte auch wirklich runterladen. Dann gab es verschiedene Themen, auf die ich mich je nach Zeitpunkt fokussierte. Während des ersten Coronajahres habe ich zum Beispiel eine Skulptur von Edward Jenner, dem Erfinder des Impfprozesses, gescannt. Ich will auch gegenwärtige und zeitlich spezifische Sachen aufgreifen und in mein Archiv aufnehmen.

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Kannst du einmal beschreiben, wie du vorgehst, wenn du eine Skulptur oder ein Video anfertigst?
Bei meinen Videos arbeite ich langsam und entwickle stückweise das Material. Meine Partnerin, die Filme macht, arbeitet im Vergleich unterschiedlich. Sie plant monatelang und dreht dann meist das Material innerhalb von zwei Wochen. Dann folgen Monate im Schnitt. Bei mir ist das viel ungenauer segmentiert. Ich arbeite von Anfang an am Schnitt und komme immer wieder darauf zurück. Oft arbeite ich mit dem Musiker Ville Haimala an dem Soundtrack und da geht es über Monate hin und her zwischen Ton und Bild. Es ist oft ein zähes Herantasten an das Material. Dabei entsteht enorm viel Überschüssiges, das ich nicht unmittelbar verwende. Dieses Material wird dann aber auch Grundlage für zukünftige Arbeiten.

Und den Prozess der Veränderung führst du dann immer weiter?
Ich lasse die Möglichkeit offen, das Material zu verändern, bei Skulpturen wie bei Videos. Ich arbeite auch, nachdem die Videos bereits gezeigt worden sind, meist weiter und ändere den Soundtrack oder ganze Szenen und entferne und ergänze Material. Es hilft mir sehr, wenn ich an einer Skulptur oder einem Video arbeite, dass ich sie mit der Zeit wandeln kann.

Wie generierst du aus dem Digitalen konkrete Formen und serielle Reproduktionen?
Bei meinen Skulpturen fängt es oft mit einem 3D-Scan an. Der rohe Scan wird modifiziert und adaptiert. Dann segmentiere ich in einzelne Elemente je nach Limitation des Bauraums der Drucker. Diese „Bauraum-Limitation” hat sich mit der Zeit als Möglichkeit erwiesen. So versuche ich in technischen Restriktionen ein produktives Potenzial zu finden. Die Formen der einzelnen Segmente werden dann noch vor dem Druck digital transformiert. Ich arbeite gerade an einem Buch für das Ferdinandeum in Innsbruck, in dem ein Teil dieser Prozesse als Tutorials kommuniziert wird. Ich arbeite meist seriell und nutze die verschiedenen Stadien einer Serie als Chance für weitere Versuche. Falls eine Skulptur beschädigt oder zerstört wird, restauriere ich lieber nach meinen aktuellen Kenntnissen und Möglichkeiten, als historisch strikt zu reproduzieren. Es hilft meiner Herangehensweise sehr, wenn eine Skulptur adaptiv und wandelbar ist.

Timelapse, Oliver Laric, 2021, Foto: Dirk Pauwels

Ausstellungsansicht 2000 Cliparts, Oliver Laric, Foto: Dusty Kessler

Sleeping Boy, Oliver Laric, 2023, Foto: Timo Ohler

Interview: Kevin Hanschke
Fotos: Patrick Desbrosses

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