Die bildende Künstlerin Raphaela Riepl untersucht feinfühlig die Ausbreitung von Licht im Raum. Mit einem zeichnerischen Verständnis schafft sie mit ihren Neonarbeiten atmosphärische Räume mit besonderen Lichtstimmungen, deren Erleben ihre Intention begründet. Bewusst setzt sie ihren Arbeiten andere Materialien entgegen und lässt so einen besonderen Dialog mit Raum, Zeit und Licht zu.
Raphaela, in deinem Studio sind wir von unterschiedlichen Lichtstimmungen umgeben, die eine sehr besondere Atmosphäre schaffen. Wie ist Licht zu deinem Medium geworden?
Begonnen hat es in dem Jahr vor meinem Diplom an der Akademie der bildenden Künste in Wien (2010). Ich war drei Monate in New York und habe unter anderem bei dem Lichtkünstler Keith Sonnier im Atelier gearbeitet. Nach meinem Abschluss an der Akademie bin ich wieder zurück, um mit der Open Source Gallery zusammenzuarbeiten. Hier gab es bereits die Überlegung, mich mit einem anderen Medium zu befassen, denn ich hatte das Gefühl, mein Medium noch nicht so richtig gefunden zu haben … Durch Zufall bin ich zu einer Glas- und Neonwerkstatt gekommen und war auch mehrere Jahre in einer Neonwerkstatt tätig, wo wir viele Installationen für Künstlerinnen und Künstler, aber auch für Modegeschäfte oder Auslagen großer Kaufhäuser realisierten. So habe ich das Medium und den Umgang mit Neon gut kennengelernt. Als ich dann wieder zurück nach Wien gekommen war, wurde das Medium, das ich für andere Leute angewandt hatte, zu meinem eigenen. Da wurde mir klar, dass mich Licht im Speziellen interessiert und auch die Verbindung zur Linie, zum Zeichnerischen.
Dein Weg zum Medium war ein längerer, doch schon, als du noch sehr jung warst, wusstest du, dass du Künstlerin werden wolltest …
Ich hatte immer viel mit Kunst zu tun; meine Familie ist sehr kunstinteressiert, und in Linz war zeitgenössische Kunst für mich sehr präsent. So gesehen war es kein revolutionärer Akt, denn Kunst gehörte irgendwie schon da zu meinem Umfeld, und ich bin so aufgewachsen. Ich glaube, wie es dann in die Richtung gegangen ist, dass ich mich weiter damit beschäftigen wollte, war der Punkt, als ich gesehen habe, dass es so viele Möglichkeiten gibt, einen eigenen Weg zu gehen oder den eigenen Weg sozusagen auch zu erfinden. Man kann in der Kunst im Prinzip alles machen. Das war ein sehr befreiender und inspirierender Gedanke für mich.
Wie hast du dich für ein Kunststudium in Wien entschieden?
Es war eher pragmatisch und nicht unbedingt so, dass ich nach Wien wollte … Mich hat das Ausland mehr interessiert, und so war ich während des Studiums auch in Paris. An der Akademie selbst studierte ich in der Grafik-/Druckgrafikklasse, wobei es sehr offen und frei war, wie man sich entwickelte; Gunter Damisch und Veronika Dirnhofer, die die Klasse leiteten, haben alle Wege sehr gefördert … Eine wichtige Basis für mich war das Zeichnen als ein sehr unmittelbares Medium, eines, das immer leicht zur Hand ist, auch um sehr spontan Ideen festzuhalten, und deshalb ist Zeichnen auch jetzt noch ein Ausdrucksmittel von mir.
Also ist Zeichnung bei dir weiterhin eine Grundlage, mit der du arbeitest. Welche Bedeutung nimmt sie bei deinen Neonarbeiten ein?
Grundlage nicht im Sinne, dass ich für meine Neonarbeiten Skizzen mache, ich mache eigentlich nie wirklich Skizzen. Die Zeichnungen sind eigenständige Arbeiten, und die Neoninstallationen sind Zeichnungen im Raum, ebenfalls von der Linie ausgehend. Die Neonröhren sind Linien und werden entweder auf Bildträgern angebracht, die dann aber auch Teil dieses Objekts sind, oder sie schweben als Linien frei im Raum. Spannend bei dieser Art der Zeichnung finde ich, dass bei Tageslicht, also weißem Licht, die Zeichnung sehr präsent ist, und bei Dunkelheit das Streulicht präsenter wird. Wenn kein Tageslicht einfällt, wirkt alles atmosphärisch, die Stimmung steht im Vordergrund, und die Linien verlaufen sich im Hintergrund. Da finde ich den Moment dieser Veränderung sehr interessant. Beim Atmosphärischen geht es auch um die Streuung des Lichts, denn die geht von den Grenzen des Lichtkörpers hinaus und ist quasi immateriell. Hier stellt sich die Frage, wo fängt die Arbeit an und wo hört sie auf.
Kannst du ausführen, wie du auf einen Raum eingehst und Atmosphären schaffst?
Ich finde es sehr spannend, auf die Eigenheiten eines Raumes einzugehen, was also schon besteht, wie die Grundarchitektur ist, ob es irgendwelche Bögen oder Fenster gibt … Bei manchen Arbeiten setzt so der Raum den Rahmen, oder meine Arbeiten führen vorgefundene Formen weiter. Die Raumarchitektur und die Stimmung, die ein Raum hat, und auf welche Weise ich diesen prägen will, was ausgelöst werden soll, wenn die Betrachter*innen reinkommen, das alles ist eine ständige Frage. Mit Licht kann man so viele verschiedene Atmosphären schaffen, also zum Beispiel ganz künstliche oder sehr vertraute Lichtstimmungen … Es ist auch immer ein Experiment, weil erstens jede Arbeit in jedem Raum anders funktioniert, das hat viel mit dem Lichteinfall und den Gegebenheiten zu tun, und dann geht es auch darum, wie die Linien funktionieren und wie die Lichtstimmung in den verschiedensten Lichtsituationen funktioniert. Hier geht es um einen Einfühlungsprozess, aber gleichzeitig sind meine Erfahrungen mit Installationen und meine Experimente im Atelier von Bedeutung. An sich kann man alles aber nie so genau konzipieren; in einem anderen Raum wirken die Arbeiten vielleicht anders, daher ist nie alles ganz planbar … So bleibt es ein spannender Moment, wenn das Licht dann im Raum eingeschaltet wird, wie es funktioniert und wie es die Umgebung auch verändern kann.
Ist es auch ein Spiel, das deutlich macht, was du auslösen möchtest, wie Farben auf jemanden wirken sollen?
Es ist schon ein Spiel, wobei es sehr verschieden sein kann, wie es auf jemanden wirkt. Ich kann nur von meinem Empfinden ausgehen; wie es auf andere wirkt, bleibt individuell verschieden. Manche fühlen sich in bestimmten Umgebungen und den gegebenen Lichtstimmungen wohl, andere empfinden vielleicht Unbehagen, was jedoch nicht meine Absicht ist. Farbbedeutungen haben für mich keine Relevanz, denn sie sind kulturell und persönlich unterschiedlich und jede/r hat einen anderen Bezug zu Farben. An sich arbeite ich fast immer abstrakt, und dann gibt es den Raum, sodass es für alle eine eigene Geschichte, ein eigenes Empfinden, eine eigene Wahrnehmung gibt. Mir geht es nicht um konkrete Assoziationen zu meinen Arbeiten …
Das klingt sehr befreiend, auch unter dem Aspekt, wie Betrachtende auf deine Arbeit reagieren können …
Stimmt. Wobei, Reaktionen finde ich gut, aber keine bestimmten … Mir ist auch wichtig, dass ein demokratischer Zugang zu meinen Arbeiten möglich ist. Es freut mich, wenn die Installationen berühren, ohne Vorwissen zu meiner Arbeit oder Kunst im Allgemeinen vorauszusetzen. Hin und wieder habe ich von Betrachter*innen eine Assoziation gehört, dass meine Arbeiten an Urformen erinnern, einen Ausschnitt von etwas, was man vielleicht unter einem Mikroskop sehen könnte … Das finde ich schön, aber es ist keine Intention von mir. Für mich hat es eher etwas von einem Reinzoomen in etwas, wie in eine Emotion oder Wahrnehmung, es geht mir ganz Allgemein um Essenzielles.
Wie gehst du an eine Arbeit heran?
Bevor ich zum Arbeiten komme, interessieren mich viele gesellschaftspolitische Themen … Wenn ich dann aber mit dem Arbeiten beginne, dann verarbeite ich diese nicht direkt in meinen Werken, sondern ich finde eher Ausdruck von etwas, was innerlich bereits im Prozess ist. Mein Fokus richtet sich auf das, was in mir gerade passiert, ohne es jetzt wirklich in einem rationalen Gedanken festzufangen, sondern zuzulassen, was da gerade ist, und mich darauf einzulassen. Wenn ich merke, dass ich ins Musterhafte oder Rationale komme, dann versuche ich, es zu brechen, um in dem Spürenden zu bleiben. Hier geht es mir vor allem darum, ein Einordnen oder Rationalisieren zu vermeiden. Um so arbeiten zu können, ist es mir aber ganz wichtig, vor und nach dem aktiven Prozess viel zu hinterfragen. Wann ist unser Handeln von gesellschaftlichen Normen geprägt, die nicht die persönliche Einstellung widerspiegeln. Was haben wir kulturell angenommen, ohne es selbst bewusst entschieden zu haben. Das zu hinterfragen und Unbewusstes aufzudecken finde ich ganz wichtig, um Veränderungen möglich zu machen – Diskriminierungen zu eliminieren.
Es gibt also keine bestimmten Themen, die einfließen?
In den Arbeiten steckt kein Ausdruck von einem spezifischen Thema. Es geht mir darum, diese Begrenzungen, die Themen haben, wegzulassen. Es geht vielmehr um Inklusion.
Formst du die Neonröhren eigentlich selbst?
Nein, ich arbeite mit einer Werkstatt zusammen. Es gibt zunächst Zeichnungen, Tusche auf Backpapier, in denen ich aufzeichne, wie sie angefertigt werden sollen. Entweder entscheide ich mich für ein Farbglas oder eines, das mit Pigmenten bestaubt wurde, oder beides. Dann gibt es noch verschiedene Gase, die auch Einfluss nehmen … So fließen mehrere Entscheidungsprozesse mit ein. Die letzten Arbeiten sind aus vielen Linien und Zeichnungen heraus entstanden. Es gibt einen collagenartigen Moment, in dem ich viele Elemente rumliegen habe und dann probiere, wie sie zusammenpassen, und das Spontane, das die Zeichnung eigentlich in sich trägt, auch erhalten bleibt. Bis zum Schluss geht es auch darum, wie die Linie sein soll … Zwar ist die Röhre schon gebogen und mit Gas gefüllt worden, aber wie sie platziert wird, ist offen. Das ist ein weiterer Prozess. So behalte ich mir das Unmittelbare bis zum Schluss, es bleibt lebendig.
Materialität spielt bei dir eine große Rolle, oder?
Ja, das ist schon total wichtig. Das Haptische, wie es sich anfühlt und wie die Materialien miteinander funktionieren. Oder wie sich das Licht, von den Röhren ausgehend, im Metall spiegeln kann und mit welcher Farbe sich die Spiegelungen verändern; im Dunklen wird die Strahlung teilweise mehr geschluckt, aber die Linie reflektiert. Beim Hellen ist die Strahlung viel mehr sichtbar. Das heißt, je nach der Beschichtung wird das Licht ganz anders reflektiert. Es geht auch darum, die Materialien auszureizen. Das Spiel mit Licht hört also nie auf, auch in Verbindung mit dem Raum, wie sehr der Raum Teil von der Arbeit wird. Es ist immer ein Ertasten und Erkunden, wo was möglich ist, und bleibt ein spannendes Forschungsfeld.
Das klingt nach einem sehr forschenden Ansatz …
Ja genau. Licht, Materialien, ihr Zusammenspiel und die Atmosphäre im Raum zu erforschen, das finde ich total spannend. Auch die eigenen Vorstellungen und Begrenzungen zu erkunden, aufzubrechen und Ungewohntes zu probieren reizt mich sehr. Durch das Experimentieren können so Fragestellungen aufkommen, oder man forscht mit den Medien in alle Richtungen, ohne eine These zu verfolgen. Ich mag diesen Freiraum.
Im Studio sehen wir auch Stoffbahnen. Wie setzt du Textilien ein?
Ich arbeite gerne mit Textilien. Als raum-installative, fast organische Elemente funktionieren sie auf malerische Weise, und das Material macht sehr viel selbst. Angefangen hat das mit einem Seidenstoff, den ich mehrere Meter lang mit Punkten bemalt habe … Da ging es mir um das Material, wie die Seide fließt und so auch einen Gegensatz zu Metall und Glas bildet. Durch die weiche Struktur können bei jedem Windstoß Bewegungen entstehen. Die Licht- und Schattenmomente oder die Durchlässigkeit finde ich ebenso spannend. Ich habe auch gefärbte Leinwände, die ich dem Neon gegenübersetze.
Wie würdest du jemanden, der deine Kunst nicht kennt, diese in wenigen Worten beschreiben?
Es ist ein Spiel mit Materiellem und Immateriellem, eine Zeichnung im Raum. Es gibt die Objekte und auch das Nichtgreifbare durch das Licht und die Lichtstreuung … Es geht um ein atmosphärisches Erleben im Raum.
Was motiviert dich in deiner Arbeit?
Es ist alles sehr offen im Arbeiten und Forschen, und das ist eine Motivation für mich. Wenn ich merke, da schließt sich was, oder wie bereits erwähnt, wenn man in gewohnte Bahnen kommt, in Muster verfällt, geht es mir darum, das alles wieder zu öffnen. Dieses Öffnen und Experimentieren sind mir sehr wichtig.
Gibt es andere Lichtkünstler, deren Arbeiten du schätzt?
Lichtkunst interessiert mich im Allgemeinen sehr: die Forschung und die Raumwirkungen der Arbeiten. Auch die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema (z. B. durch Robert Irwin) finde ich spannend. Künstlerinnen, die mich speziell faszinieren, sind aber nicht unbedingt Lichtkünstlerinnen, wie etwa Isa Genzken und Agnes Martin.
Siehst du dich eigentlich selbst als Lichtkünstlerin?
Ich würde es nicht abstreiten, aber mir geht es um ein offenes Denken, und mir liegt nicht so viel daran, das Medium schon in meiner Berufsbezeichnung festzuhalten. Ich selbst sage eher Künstlerin. Aber ja, ich arbeite viel mit Licht, und es ist ein Medium, das mich so richtig fesselt.
Welche Bedeutung hat deine Kunst im Hier und Jetzt?
Wenn sie berührt oder dazu anregt, Dinge vielleicht auf verschiedene Weise zu sehen oder eben sich aus dem Gewohnten etwas anderem zu öffnen, ist das schon schön. Mit geht es darum, inspirierende Räume zu schaffen, die Menschen auf verschiedenste Weise motivieren oder auch zu neuen Gedanken anregen.
An welchen künstlerischen Fragestellungen arbeitest du, welche Projekte stehen an?
Einerseits arbeite ich an kompakteren, raum-installativen Arbeiten, ohne konkret zu wissen, wo sie dann genau sein werden, und dann plane ich für das Licht- und Soundfestival Klanglicht 2023 in Graz eine Installation. Gemeinsam mit Julia Haugeneder und Stephanie Winter wird es im Herbst eine Gruppenausstellung geben, kuratiert von Sophia Vonier, und 2024 mit Galerie 3 eine Einzelausstellung … Eine Fragestellung, die mich gerade sehr beschäftigt, ist eine der Gemeinschaft. In einem gemeinsamen Projekt mit einer Freundin, der Künstlerin Khira Jordan, möchten wir Text und Sound von ihr und raum-installative Arbeiten von mir verbinden. Wir haben beide in Fort Greene, Brooklyn, gewohnt und uns in einem Nagelstudio kennengelernt. In Referenz auf unsere persönliche Geschichte, aber auch exemplarisch als Ort für Austausch und Aufeinandertreffen einer Gemeinschaft, möchten wir einen Raum schaffen, wo Interaktionen stattfinden können, und uns mit dem Thema „Community awareness“ auseinandersetzen.
Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Christoph Liebentritt