In seiner konzeptuellen Kunst beschäftigt sich Roman Pfeffer mit Fragen der Korrektur, Transformation, Ordnung und Verdichtung. Hierbei spielt er bewusst mit der Wahrnehmung und bietet Gedankenexperimente an, die sich nicht an rationale Gesetzmäßigkeiten halten. Spielerisch bewegt sich sein Werk zwischen Bildhauerei, Malerei, Grafik, Fotografie und Video, um sich Themen des Alltags und solche der Kunst anzueignen.
Roman, welcher Weg führte dich zur Kunst?
Ich bin in die Ortweinschule (Höhere Technische Lehranstalt für Bautechnik, Kunst und Design) in Graz gegangen, und da gab es Architekten, die mich unterrichteten, und das war eigentlich der Start, ohne dass es mir gleich bewusst war … Sie sprachen u. a. über Kompositionen, Ordnungen und Rhythmik, eigentlich über Dinge, die spannend sind, aber zu dieser Zeit keinen Sinn für mich ergaben, aber dennoch mein Interesse weckten. Wenn ich jetzt zurückblicke, waren das die Umstände, die zur Kunst führten.
Wie kam es dann zu deiner Bewerbung an einer Kunstuniversität?
Nach der Schule habe ich mir gedacht, Geografie, aber auch Kunst wäre interessant. Dann habe ich geschaut, wo ich das studieren könnte. Von der Kunst hatte ich relativ wenig Ahnung, und ich denke, dass jene, die heute zu studieren anfangen, viel besser vorbereitet sind und mehr über zeitgenössische Kunst wissen; in meinem Fall war ich komplett blank zu Beginn des Studiums. Mich hat es interessiert, aber wo es dann genau hingeht oder was mich jetzt wirklich fesselt, da hatte ich keine Ahnung gehabt. Es war also eher ein Impuls … Ich bin dann nach Wien und bewarb mich an der Akademie der bildenden Künste. Bei der Aufnahmeprüfung war es dann so, dass Gunter Damisch entschieden hat, dass ich in seine Klasse soll. So kam es, dass er, ohne dass ich wusste, wer er eigentlich war, die Entscheidung für mich getroffen hat. (lacht)
Hat dich deine Familie in deiner Wahl unterstützt?
Mein Vater kommt aus einer klassischen Kriegsgeneration, d. h., er ist ohne Vater aufgewachsen, und seine Mutter ist in die Schweiz gegangen, wobei er zurückgeblieben ist. Er hat allein sein Leben organisieren müssen … Er hat einen Beruf erlernt und über die Jahre sein Leben aufgebaut, und bei seinen Kindern – wir sind fünf Kinder, also eine recht große Familie – hatte er keine speziellen Ideen gehabt, sondern er sagte, als wir 16 Jahre alt waren: „So, jetzt ist mein Auftrag erledigt, ich greife nicht mehr in euer Leben ein, und ihr macht das, was euch interessiert.“ Insofern gab es keinen Förderer, aber auch keinen Verhinderer.
Während deines Studiums der Malerei warst du am Kent Institute of Art and Design in Canterbury in England. Wie prägte dich dieser Aufenthalt?
Das war für meine Kunstentwicklung eine wichtige Zeit, weil es dort darum gegangen ist, was wir eigentlich als Künstler machen. Es ging um eine Inhaltlichkeit, die für mich greifbar war. Und da bin ich draufgekommen, dass es das ist, was mich interessiert, also was transportiert Kunst und welche Inhalte transportiere ich mit meiner Kunst. Im Studium in der Damisch-Klasse ging es mehr um die eigene künstlerische Persönlichkeitsentwicklung, d. h., dass man einen Strich entwickelt, der wiedererkennbar ist, oder dass ich Techniken gut erlerne … Das waren alles Parameter, wo ich mir gedacht habe: Aber was bedeutet das, wenn ich einen wiedererkennbaren Strich habe? Das ist zwar gut und nett und schön, aber es spielt für die Kunst, die mich interessiert, keine Rolle. Und da bin ich erst in England draufgekommen. Das war zwar der Grundstein, wie ich dann weitergearbeitet habe, aber tatsächlich würde ich meinen Start in die Kunstwelt mit einer Ausstellung im Schloss Hollenburg 2006 ansetzen, wo ich erstmals mit meinen Arbeiten nach außen gegangen bin.
Mittlerweile bewegst du dich zwischen Bildhauerei, Grafik, Malerei, Fotografie und Video. Was reizt dich daran, mit diesen unterschiedlichen Medien zu arbeiten?
Das Medium ist an sich nur ein Medium, aber es muss natürlich perfekt ausgeführt sein, vor allem wenn man alles selbst machen möchte. Aber in Wirklichkeit interessiert mich, wie bereits erwähnt, die Inhaltlichkeit, und dann gibt es dafür einfach ein passendes Medium.
Kannst du das näher ausführen?
Wenn es jetzt um Licht und Schatten geht, wie bei der Skulptur in meinem Fall, dann ist das Objekt das interessantere, obwohl es aus der Malerei kommt. Es gibt eine große Serie der Mazzocchi, an der ich schon seit Jahren arbeite. Diese Serie kommt eigentlich aus der Malerei mit Referenz auf Paolo Uccello. Er hat einen Ring am Kopf weiterentwickelt, der ursprünglich ein Tragering war, aber am Hof zum Zierring wurde, weil man andere Transportmittel hatte. Und Paolo Uccello, der im 15. Jahrhundert lebte, als die Entwicklung der Perspektive ein großes Thema war, hat diesen Zierring in eine geometrische Form weiterentwickelt. Meiner Meinung nach hat er so einen Schwierigkeitsgrad eingeführt, um Themen wie Perspektive, Licht und Schatten voranzutreiben … Ich denke, Künstler tendieren dazu, sich Schwierigkeitsgrade aufzuerlegen, um einen Schritt weiterzukommen. Und das fand ich interessant, also habe ich mir dieses geometrische 16-teilige Objekt mit einem achteckigen Querschnitt, was etwas sehr Systematisches hat, herausgeholt, um damit zu arbeiten. Das Systematische ist etwas, was mich in meiner Kunst sehr interessiert.
Deine Herangehensweise ist bestimmt von Korrektur, Transformation, Ordnung und Verdichtung. Um was geht es dir genau, was sind deine Anliegen?
Es gibt verschiedene Linien in meiner Kunst; vieles hat mit dem Alltag zu tun oder speist sich daraus, wobei Geometrie und Rhythmik hineinspielen. So nehme ich Dinge aus dem Alltag, wie den Mazzocchio, und überführe sie in die Kunst; ich suche mir also gerne Künstler oder Gegenstände, mit denen ich arbeiten kann, und schaffe durchaus Referenzketten, wobei dann auch hinterfragt wird, was eine Übernahme von Vorhandenem in der Kunst bedeutet. Bei mir ist es aber auch so, dass manche Arbeiten Aktualität dadurch erfahren, dass bestimmte Themen wie das Klima virulent werden und so meine Serie der kultivierten Zierpflanzen (2012), die u. a. einen Eingriff in die Natur thematisieren, nunmehr gezeigt wird. Allgemein geht es mir um Komplexität.
Komplexität ist ein gutes Stichwort, denn bei deinen Arbeiten handelt es sich um ein Spiel mit Wahrnehmungen wie bei dem Luster oder Der Künstler als Kreis (2015), wo das Maßband als Wahrheitsindikator fungiert. Welche Reaktionen möchtest du gerne auslösen?
Mir gefällt es, wenn man sich dafür interessiert. Und wenn man sich meine Arbeiten genauer anschaut, dann kommt man auf noch etwas anderes, wie beim Luster. Man sieht einen Luster und denkt sich, komisch, was macht er auf diesem Foto? Aber bei genauerem Hinschauen sieht man, dass dieser nur halb ist. Im Moment davor hat das Gehirn den in der Mitte auseinander geschnittenen Luster vervollständigt. Der Titel ist Halblicht (2011), wobei man sich fragt, was bedeutet es, was ist ein halbes Licht, was ist ein ganzes? Es interessiert mich, wenn Fragen aufkommen oder ein interessanter Diskurs ausgelöst wird … Als Künstler sehe ich mich schon als Person, die hin und wieder Hürden einbauen darf, um auf etwas anderes zu kommen.
Dabei spielen Titel bei dir eine große, fast doppeldeutige Rolle, oder?
Ja. Wichtig ist mir einerseits die Oberfläche, vielleicht kommt dies noch aus meiner Malereiwelt, denn ob gepinselt oder lackiert wird, macht einen Unterschied, da es auf unser ästhetisches Empfinden Auswirkungen hat; das ist erst einmal der Eintritt in die Arbeit. Und andererseits gibt es den Titel und das Spiel mit Bedeutungen. Es gibt zum Beispiel eine Sesselarbeit: einen halben Stuhl, und dieser halbe Stuhl ist mit seinen pinkfarbenen Federn sehr opulent und er spiegelt sich im Spiegel und wird somit zum ganzen Stuhl. Mit dem Titel Permanent Selfie (2022) gibt es auch die Verbindung zu unserer Welt, also wann sind wir ganz, ist unser Spiegelbild perfekt, oder wer sind wir eigentlich, wenn wir ein Selfie machen. Oder die Arbeit painted by nature, polished by the artist (2021). Hier geht es um den Balanceakt zwischen Natur und Mensch. Auf einem schräg stehenden Sockel balanciert ein Stein, bei dem zum Teil die Flechten wegpoliert wurden. Wenn man diesen Stein wegnähme, dann fiele der Sockel um. Der Stein hält also das Gleichgewicht, und so geht es um Messbarkeit und Balanceakte. Derart stellen sich verschiedene Fragen bei meinen Arbeiten. Das Interessante in der Kunst ist ja, dass man etwas entdeckt … Man sieht etwas, es interessiert einen, und dann arbeitet es weiter.
So gibt es bei dir den Begriff der Decodierung …
Genau. Man ist auch ein bisschen Archäologe; man muss Schicht für Schicht öffnen, sodass man zu mehr vordringt.
Und wie würdest du deine Kunst in einfachen Worten beschreiben?
Es ist eine konzeptorientierte Kunst, bei der die Grundlage das Alltägliche ist, also Dinge, die uns vertraut sind. Diese werden neu interpretiert und eine neue Möglichkeit des Betrachtens wird angeboten.
Wie können wir uns deinen Arbeitsprozess vorstellen?
Ich bin jeden Tag im Atelier. 2006 habe ich als freischaffender Künstler begonnen, und ich bin weiterhin im Rückstand. (lacht) Es war noch nie so: Oh, jetzt muss ich mir etwas überlegen, sondern es gibt immer etwas zu tun. Es gibt intensivere Zeiten, in denen ich mehr mache, und es gibt Momente, wo man mehr Zeit hat und es auch trotz Rückstand lockerer nimmt … Und man muss dazusagen, punktuell arbeite ich für bestimmte Werke mit anderen zusammen; das beeinflusst meinen Arbeitsprozess.
Also gibt es nie Ruhephasen in deinem Schaffen?
Richtig. Und das ist eigentlich eine Idealsituation, dass man etwas macht, was man gerne macht und wo es auch darum geht, das eigene Werk weiterzuentwickeln. Im Idealfall gibt es dann Leute, die gleich das Werk aus dem Atelier mitnehmen.
Arbeitest du mit einem Konzept oder eher intuitiv?
Es ist eine Mischung. Es gibt diesen konzeptuellen Gedanken, aber es gibt kein Reißbrett, an dem ich die Kunst entwerfe. Wenn nicht alles decodiert werden kann, dann ist es für mich am interessantesten. Also wenn man glaubt, man hat es erfasst, und dann kommt man darauf: Oh, es ist ja doch nicht so. (lacht) Wenn es bei diesem Balanceakt bleibt, für mich und die anderen, ist es gut. Und es geht auch um die Abstraktion, d. h., in meinen Serien wird dieser nachgegangen, und hierbei spielt die Dreidimensionalität immer eine Rolle, egal welches Medium ich nutze.
Wir sprachen viel über Bedeutung und Wahrnehmung … Suchst du gerne das Gespräch mit anderen, zum Beispiel im Ausstellungskontext?
Ja, schon. Ich finde es ganz gut, wenn vermittelt wird und man vor dieser Kunst nicht so verloren ist … Es ist ja nicht nur die Kunst, die vermittelt gehört, es ist auch das Gespräch, welches generell von Bedeutung für uns ist. Bei der Kunst finde ich wichtig, dass ein anderer Aspekt dazukommt, und es ist spannend, wenn jemand mit seinem Wissen und seiner Erfahrung mit mir über die Kunst spricht. Einmal kam ein Mediziner in meine Ausstellung und sah sich meine Arbeit 827 kg (2010) an. Durch seine Profession hat er die Serie sofort decodieren können, denn durch die Pupillenerweiterung und Körperanspannung auf den Fotos ist ihm klar gewesen, dass alle etwas sehr Anstrengendes machen, und tatsächlich heben die porträtierten Personen zum Zeitpunkt der Aufnahme ihr eigenes Körpergewicht. Einen Austausch wie diesen finde ich sehr anregend!
Du sagtest einmal, dass das Absolute dir Angst macht. Wie meinst du das?
Das Absolute hat etwas Starres, und wenn etwas starr ist, dann haben wir ein Problem, also wenn sich etwas nicht ändert und gleich bleibt … Für mich ist es interessant, wenn es einen Schritt weitergeht, d. h., wie der Künstler sich ein Werk aufbaut und seine Arbeiten weiterentwickelt und auch Entwicklungsschritte einbaut; darum geht es mir.
Treibt dich das in deinem künstlerischen Schaffen an?
Ja, was mich antreibt, ist, einen Schritt weiterzukommen. Es ist weniger ein Außenantrieb, sondern vielmehr ein Innenantrieb für das künstlerische Schaffen. Als Erstes steht einmal das Werk im Vordergrund; der Erfolg ist natürlich auch cool, aber mich treibt an, dass ich selbst weiterkommen möchte.
Gibt es ein Missverständnis über deine Kunst, was sich hartnäckig hält?
Ein Missverständnis ist, dass konzeptuelle Kunst sperrig ist, weil man schnell Angst davor hat. Das stimmt nicht. Tatsächlich ist es so, dass es einem gefallen kann oder auch nicht, und wenn man dann wissen will, was es ist, dann wird es erst konzeptuell … Aber eigentlich ist es recht einfach, einen Zugang für sich zu bekommen.
Woran arbeitest du derzeit?
Momentan mache ich für einen Vorarlberger Skulpturenpark eine Skulptur zur mehrfachen Unendlichkeit, denn es gibt nicht nur die eine. Das ist ein Zusammenspiel mit dem Mathematiker Georg Cantor. Und tatsächlich habe ich in meinem neuen Atelier viele Serien gerade zurückgelegt, um ganze neue Sachen entstehen zu lassen.
Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Maximilian Pramatarov