Samuel Henne untersucht in seiner Arbeit anhand des Wechselspiels von Skulptur und Fotografie unterschiedliche Inszenierungsstrukturen der Bildentstehung. Künstlerisch werden Mechanismen befragt, die Henne auch selbst anwendet, um neue Bilder zu schaffen. Die Werke entstehen dabei oft in seriell angelegten Arbeitskomplexen. Ein gewisser Hang zu Perfektionismus und das Setzen farblicher Akzente verleihen den Arbeiten eine popkulturelle Note.
Samuel, drei Aspekte – Raum, Skulptur und Fotografie – werden von dir behandelt, in Relation zueinander gesetzt oder spezifisch befragt. Wie haben sich diese Schwerpunkte in deiner Arbeit herausgebildet?
Zu Anfang fokussierte ich mich auf das bewegte Bild, also auf den Film, wobei bereits einige frühe filmische Werke etwas Statisches aufwiesen und Befragungen an Räumlichkeit und die filmische oder auch bildliche Bewegung enthielten. Ich begann mich für die Konstruktion von bildlich-szenischen Momenten und die Inszenierung von Stillleben und Bildern generell zu interessieren und die Mechanismen und deren damit verbundene Herstellung zu hinterfragen. Immer wieder interessierte es mich, herauszufinden, wo die Grenzen von fotografischen Bildern liegen und wie diese ausgereizt werden können.
Wie sieht dieser Ansatz in der Umsetzung deiner Arbeit nun genau aus?
In meiner Arbeit untersuche ich beispielsweise Inszenierungsstrukturen, die auch die eigene Bildgenese betreffen, und hinterfrage und thematisiere den Prozess und die Bedeutung dieser Mechanismen, unter anderem in Bezug auf eine finale künstlerische Arbeit. Die Fotografie ist dabei über die Zeit mein bevorzugtes Medium geworden, um diesen Fragen nachzugehen, da sie es mir erlaubt, Verbindungen zu schaffen – also Anknüpfungspunkte zu anderen Medien wie beispielsweise der Skulptur oder auch der Malerei. Der Raum ist über die Jahre immer wieder zu einer wichtigen Komponente in diesen Hinterfragungsprozessen geworden, da ich durch ihn und die weiteren Ebenen, die er evoziert, in verschiedenen Ausprägungen die Vielschichtigkeit von Ansichten und Setzungen anders und erweitert erproben und überprüfen kann.
Deine Arbeiten benötigen teils aufwendige Inszenierungen. Kannst du diesen detaillierten Prozess der Bildentstehung genauer beschreiben?
Mein Arbeitsprozess kann zumeist darauf heruntergebrochen werden, dass es mir letztlich darum geht, neue Bilder zu konstruieren. Dies geschieht in der Regel in einem Arbeitskontext, der am Ende eine gewisse Thematik oder serielle „Abarbeitung“ einer Idee behandelt, der also im weitesten Sinne als „seriell“ bezeichnet werden kann. Im Verlauf der Konzeption und der Erarbeitung findet sich bestimmt ein gewisser Hang zum Perfektionismus. Dies trifft besonders auf Kontrolle und Beeinflussung von den bildgebenden Parametern zu. Meistens wird jedes Detail exakt geplant und durchdacht und letztlich so auch durchgeführt. Dennoch ist mir bewusst, dass es von Zeit zu Zeit nötig ist, weniger perfektionistisch zu sein und einer gewissen Spontanität einen Spielraum zu gewähren oder einzuräumen.
Wo ergeben sich ab und an Probleme in dieser, wie du sagst, perfektionistischen Arbeitsweise?
Überraschungen gibt es im Arbeitsprozess immer wieder und eine Eins-zu-eins-Umsetzung von Vorstellung und Konzeption hin zu der finalen Realisierung beinhaltet immer bestimmte Aspekte, die letztlich nicht zu einhundert Prozent vorauszudenken sind. Grundsätzlich gibt es durchaus eine nicht geringe Anzahl an Bildern, die schlussendlich für mich doch nicht so funktionieren, wie geplant, und so ihre „Gültigkeit“ verlieren. Konkret kann dies selbst dann passieren, wenn ein Bildaufbau über Wochen im Studio erfolgte und immer wieder angepasst und „überprüft“ wurde und ich letztlich doch entscheide, dass das Ganze am Ende verworfen werden muss und man dann im Grunde neu anfängt.
Ein spannender Aspekt in deiner Arbeit ist das Aufgreifen der räumlichen Komponente.
Der Aspekt des Räumlichen ist für mich unter anderem immer wieder der Versuch der „Umwanderung“ des Objekts mit der Fotografie. Wenn die Fotografie als Medium versucht eine Skulptur darzustellen, so ist dies für mich zunächst eine Behauptung in der Hinsicht, dass ein einzelnes Bild zunächst relativ wenig über einen dreidimensionalen, räumlichen Objektzusammenhang aussagt. Diese Behauptung von Dekaden an „Skulpturenfotografie“ finde ich daher interessant, aber eben auch hinterfragungswürdig. Die Arbeit musée imaginaire (2013) beispielsweise thematisiert damit zusammenhängende Aspekte konkret. Innerhalb der Arbeit habe ich Publikationen mit fotografischen Abbildungen skulpturaler Werke wiederum selbst zu skulpturalen Objekten umgeformt und diese im Studio so fotografiert, dass eine gewisse Räumlichkeit und Dreidimensionalität evoziert wird und ein gewisser „Trompe-l’œil-Effekt“ entsteht, der trotz der Größe der Bilder zunächst eine Räumlichkeit und Objekthaftigkeit suggeriert.
Für die Arbeit musée imaginaire hast du bestimmte Bücher, die historisch-skulpturale Abbildungen enthalten, verwendet. Was interessiert dich besonders an diesen Publikationen und deren Darstellungen von Skulptur?
Die Publikationen, die der Arbeit als Material zugrunde lagen, waren zur Zeit ihres Erscheinens, also in den 1920er- bis zu den 1970er-Jahren, eine Möglichkeit, um überhaupt Ansichten von Skulpturen zu verbreiten. Sie bestimmten aber auch, wie Skulptur im kunsthistorischen Kontext rezipiert wurde, und waren dabei eine Hauptgrundlage für das Schreiben über Skulptur. Dieser Aspekt war für mich immer mit einer gewissen Fragwürdigkeit in Bezug auf die tatsächliche Sinnhaftigkeit oder überhaupt die Möglichkeit der Wiedergabe einer dreidimensionalen Skulptur durch die Fotografie behaftet. Ich fand diese inhärente Behauptung der „Abbildbarkeit“, aber auch Abhandlungen darüber, wie Skulptur zu fotografieren sei, immer interessant, aber auch fraglich, da sich in diesem Kontext von Fotografie und Skulptur gleichzeitig sehr deutlich die Stärken, aber auch die eindeutigen Mankos der Fotografie ablesen lassen.
Kannst du den künstlerischen Prozess dieser Hinterfragung bei musée imaginaire und die damit zusammenhängenden kunsthistorischen Referenzen erläutern?
Im Umgang mit den Büchern begann ich durch das Falten und Einschlagen der Seiten einer „Brechung der Bilder“ nachzugehen. Dadurch entstanden „Neukonstruktionen“ und Collagen, die eine kritische Hinterfragung ermöglichten. Interessant ist auch, dass Hinterfragungen der Abbildung von eigenen Werken auch bei Künstlern wie Constantin Brâncuși schon augenscheinlich präsent waren. Brâncuși wollte, dass nur seine eigenen Fotografien von den Skulpturen in Umlauf kommen, da sie für ihn „eigene Arbeiten“ darstellten, welche die Essenz der Skulpturen auf sensibler Ebene wiedergeben sollten. Er sprach sich so gegen eine reine fotografische „Reproduktion“ aus. Auguste Rodin beispielsweise war hingegen im Sinne einer medialen Verbreitung eher strategisch an der Fotografie interessiert. Diese unterschiedlichen Aspekte der schon sehr frühen Verknüpfung von Skulptur und Fotografie im Werk verschiedener Künstler waren ein Ausgangspunkt für mein Interesse am Sammeln und die Auswahl an Büchern.
Du hast gerade Auguste Rodin angesprochen. Mit seiner Arbeit hast du dich auch wiederholt in deiner Ausstellung „shifts & tilts“ (2019) innerhalb der Werkreihe hand to hand (2019–2020) beschäftigt. Was kannst du darüber erzählen?
Rodin diente mir im Kontext der Arbeit hand to hand (2019–2020) als Ausgangspunkt. Ich begegnete in einer Ausstellung im Brooklyn Museum der ihm zugeschriebenen Handskulptur The Hand of God (1896–1902). Nach anfänglicher Recherche drängten sich diverse Fragen und Überlegungen hinsichtlich Kopie, Original und Autorenschaft auf, die sich innerhalb der Arbeit in verschiedenen Ebenen und Strängen wiederfinden und verhandelt werden. Die Handskulptur zeigt einen Abguss von Rodins Hand, also keine „Skulptur“ im eigentlichen Sinne. Sie hält einen weiblichen Torso, den tatsächlich noch Rodin selbst formte, und so ergibt sich durch diese Kombination eher eine Art „Mashup“. Dennoch wird die Skulptur als Werk Rodins ausgezeichnet, wobei es sich eigentlich um einen Abguss seiner Hand handelt, der von seinem Assistenten ausgeführt wurde. Der thematische, männliche Schöpfermythos und die Behauptung des „Originals“ dekonstruieren sich darin also in gewisser Weise selbst, was ich in Bezug auf Rodins fragwürdige Persona einen bemerkenswerten Twist fand.
Dieser bemerkenswerte Twist führte dich dann zu den Arbeiten mit dem Titel untitled (Bronze age no more) (2019).
Ich erwarb im Online-Kunsthandel eine Bronze-Kopie der Handskulptur, bezeichnet „nach Rodin“, und so gesellte sich zu der Zuschreibungsverwirrung noch ein weiterer Aspekt hinzu. Um die pseudo-wertige Bronzepatina zu negieren, verwendete ich in einem Gestus der Aneignung ein dunkelblaues Plastikspray, um einen Abgesang auf die Bronze zu kommentieren. Das angeeignete Ergebnis ist recht „tacky“ und artifiziell und wurde in der Folge von mir innerhalb verschiedener Bildinszenierungen in eine weibliche Hand platziert. Die Arbeit untitled (Bronze age no more) (2019) möchte somit in gewisser Weise der Skulptur das Element patriarchaler, gottgleicher Schöpfer-Behauptung abnehmen. An diesen Aspekt knüpft ebenfalls noch an, dass davon ausgegangen wird, dass Camille Claudel an verschiedenen Skulpturen Rodins sehr konkret mitgearbeitet hat und so also Indizien dafür da sind, dass sie nicht nur seine Arbeit stark beeinflusste, sondern auch technisch – „händisch“, also „hand to hand“ – daran mitgewirkt hat. Dies war für mich im Kontext von Original und Zuschreibung eine weitere spannende Zusatzebene, die latent mitschwingt.
Bei Ausstellungen werden von dir die Ausstellungsräume farblich bewusst mit bearbeitet. Welchen Zweck hat dieser künstlerische Zusatzeingriff?
Mit dem Eingriff und den Setzungen durch die Wandfarbe innerhalb der Ausstellungsräume, in denen die Arbeiten gezeigt werden, geht es mir unter anderem darum, einen Sprung aus dem Bildraum des Rahmens in den faktischen Raum zu machen. Ich spiele einerseits damit, herauszufinden, wie die räumlichen und farblichen Eingriffe die Bilder beeinflussen und ob sich dadurch etwas negiert oder ein neues, einmaliges Verhältnis zwischen Raum, Bildraum und Werk entsteht, was ich in den meisten Fällen bejahen würde. Es kann so eine Art Korrespondenz zwischen Bildraum und Außenraum entstehen. Andererseits geht es mir dabei auch um die Hinterfragung von musealen Setzungen – also kritisch der Idee des gebauten Raums für die Kunst und ihre Inszenierung nachzugehen, indem ich mich ähnlicher Strategien bediene und auf sie referiere. Denn es ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Setzungen, ob nun innerhalb eines Museums oder einer Galerie-Ausstellung, eine gewisse Dominanz mit sich bringen und eine Inszenierung sein können, die man kritisch vielleicht als „too pleasing“ oder „candy“ bezeichnen könnte. Dadurch stellt sich dennoch auch immer wieder die Frage: „Was ist das eigentlich, was da zusammengebracht wird?“
Würde ich als Sammlerin deine Werke kaufen wollen, müsste ich dann meine Wände auch von dir bemalen oder verändern lassen, damit das Werk einen vervollständigten Charakter erhält?
Nein, grundsätzlich bilden die Eingriffe in die Wandgestaltungen, wie gesagt, eine Zusatzebene, die beispielsweise innerhalb der Ausstellungen auch bestimmte Aspekte „zusammenzieht“. In den Ausstellungen geht es mir bei den Setzungen also unter anderem darum, auszuprobieren und auszuloten, was sich auch räumlich noch einmal an Wechselwirkungen für die Bilder ergeben kann. Die Bilder stehen aber ansonsten grundsätzlich auch für sich und nicht in unbedingter Abhängigkeit zu den Wandgestaltungen, sondern können eben diesen erweiterten Dialog eingehen. Doch für eine Sammlung ist dies nicht zwingend erforderlich. Jedoch könnte ich natürlich auf konkreten Wunsch hin die Wände eines Sammlers oder einer Sammlerin individuell mit denken und dementsprechend einbeziehen und bearbeiten.
Digital wird die Kunst heutzutage nach wie vor durch die Fotografie dokumentiert und stark über das Internet verbreitet. Ein unumgänglicher Prozess, wenn ich Ausstellungen weltweit sehen möchte. Wo siehst du kritische Punkte in dieser Ausstellungsverbreitung?
Wie auch bei den „shortcomings“ der Fotografie, wenn diese versucht, Dreidimensionales wie Skulptur abzubilden, drängt sich in diesem Kontext natürlich auf, dass sich auch hier sinnlich und in Bezug auf jegliches Raumempfinden diverse Faktoren ergeben, die nicht mit einem wirklichen Ausstellungsbesuch zu vergleichen sind. In diesem Zusammenhang stellt sich einfach wieder die Frage, was die Fotografie tatsächlich leisten kann, und da bin sehr skeptisch in Hinblick auf die „wirkliche Wiedergabe“ einer Ausstellung. In der fotografischen Dokumentation einer Skulptur oder auch einer gesamten Ausstellung wird immer der physische und der räumliche Aspekt fehlen, also auch das eigene Sich-in-Bezug-zu-der-Kunst-Setzen. Ein Gesamterlebnis ist nicht möglich, und man hat die Ausstellung nicht erfahren, sondern Abbildungen davon betrachtet. Davon aber abgesehen, halte ich jegliche Art von „Zugänglichkeit“ und Demokratisierung in dieser Hinsicht für einen Zugewinn, da man zumindest ein kleines Stück der Teilhabe abbekommt, auch wenn man gerade nicht in Manhattan oder Basel sein kann.
Wir treffen uns hier im CCA – Centro Cultural Andratx auf Mallorca, ein doch recht ungewöhnlicher Ort für eine Artist Residency. Was führte dich hierher?
Bevor ich hierher kam, verbrachte ich ein Jahr in New York für meine Residency im „ISCP – International Studio & Curatorial Program“ in Brooklyn. Die Residency hier auf Mallorca schien mir dazu einen guten und sinnvollen Gegenpol darzustellen, und ich wollte etwas Zeit an einem Ort verbringen, der etwas abgeschnittener vom städtischen, lauten und eher hektischen Leben ist. Ich habe genau das hier gefunden. Zudem ist das CCA ein renommierter und bekannter Ort, den ich unbedingt erfahren wollte.
Interview: Alexandra-Maria Toth
Fotos: Volker Crone