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Simon Lehner, Wien

In the Studio

»Wie könnte ich eine Brücke von der Fotografie zur Malerei schlagen?«

Simon Lehners Themen sind persönliche und kollektive Identität, und wie wir diese aus der Erinnerung bilden. Er hatte seine ersten Erfolge mit Fotografien, schafft jedoch mittlerweile hybride Arbeiten, die malerische und skulpturale Elemente aufweisen. Lehner hinterfragt in seinen Werken, wie uns die Bilderflut prägt, der wir permanent ausgesetzt sind, und wie das Gedächtnis unserer Gesellschaft dadurch beeinflusst wird.

Simon, deine Arbeiten werden 2023 in zwölf Ausstellungen vertreten sein. Wie fühlt sich das für einen jungen Künstler an?
Ich habe es mir eigentlich immer anders vorgestellt. Früher dachte ich mir oft: „Da will ich hin, wo der oder die Künstlerin gerade steht“. Wenn ich zum Beispiel bei einer Preisverleihung war, hatte ich die Überzeugung, dass diese Preisträger nun doch sicher keine Sorgen mehr hätten. Und dann gewann ich zwei Jahre später denselben Preis und hatte doch mehr Sorgen um die Zukunft als je zuvor! Und dachte mir: „Das gibt’s ja nicht.“ Auch heute bin ich jedenfalls noch nicht dort, wo ich hinwill, sondern möchte mich immer weiterentwickeln.

Angefangen hast du mit Fotos, Serien wie How far is a lightyear aus 2018 haben dich bekannt gemacht. Dein Ziel ist es ja, dich weiterzuentwickeln: Bist du also heute ein anderer Fotograf?
Ich würde mich gar nicht mehr als Fotograf bezeichnen! Meine neuen Werkgruppen haben zwar im Kern noch mit Fotografie zu tun, weil das Ausgangsmaterial immer Fotografie ist. Die Figuren in meinen Arbeiten entstehen aus Archivfotografien, sie werden aber im Computer zusammengebaut: Die komplette Bildkomposition passiert also digital. Daher finde ich die Bezeichnung Fotograf für mich nicht mehr stimmig, denn ich schaue nicht mehr durch das Werkzeug der Kamera durch, wenn ich auch weiterhin die Fotografie als Ausgangspunkt verwende.

Wie hat sich diese Wegbewegung von der Kamera ergeben?
Für mich war das Medium Fotografie irgendwann tot. Ich sehe viele Probleme im Hinblick darauf, wie wir als Gesellschaft mit dieser Masse an Bildern umgehen. Ich frage mich, ob Fotografie eigentlich mehr Gutes oder Schlechtes für die Menschheit gebracht hat. Denn einerseits können wir durch dieses Medium etwas speichern, aber gleichzeitig werden wir heute durch Foto und Video so stark manipuliert.

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Trotzdem arbeitest du immer noch mit Fotos. Geht es dir dabei um die Wahrheit, die ein Foto wohl (auch) darstellen kann, oder eher um die Erinnerung, die wir uns über das Foto verschaffen?
Um beides eigentlich. Wahrheit ist natürlich ein Thema in der Fotografie, gerade weil wir heute im Gegensatz zu früheren Generationen wissen, dass Fotos trügerisch sein können. Spannend ist, wie wir kognitiv Bilder verarbeiten: Das funktioniert ähnlich wie der Mechanismus der Algorithmen, die unsere Gesellschaft konstruiert hat.

Hinterfragst du also mit deinen teils computergenerierten Bildern die Wahrheit?
Ja! Meiner Ansicht nach wird Fotografie in fünf bis zehn Jahren obsolet sein. Natürlich wird es den intimen Moment weiterhin geben. Aber sonst wird alles, was wir brauchen, in Archiven vorhanden sein. Es gibt schon jetzt einen riesigen Datenpool an Bildern! Firmen werden keine Fotografen oder Fotografinnen mehr engagieren, sondern Bilder für Werbung, wie etwa Sonnenuntergänge, von Computerprogrammen generieren lassen.

Du kritisierst diesen Prozess, benützt ihn aber selbst, oder?
Das stimmt natürlich! Ich habe ein Riesenset an Fotografien, die Mitglieder meiner Familie und ich früher gemacht haben, aus denen ich neue Bilder, Figuren und Umgebungen bauen kann. Mit dem Computer kann ich dann jeden Finger, jede Kopfneigung, jede Wimper auf dem Bild steuern. Ich benutze diesen Prozess und spiegle damit wider, wie wir in Zukunft mit Bildern umgehen werden, wie sich Fotografie überhaupt in Zukunft entwickeln wird.

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Wie hat sich deine Arbeit in diese Richtung entwickelt?
Es fing langsam an. Zuerst kam das computergenerierte Bild, und danach die Überlegung, von der Flachware Fotografie in den Raum zu gehen.

Das klingt fast so, als würde dich die Bildhauerei reizen …
Ich wollte eigentlich immer Bildhauer oder Maler werden. Schon vor zehn Jahren fragte ich mich, wie ich diese Brücke von Fotografie zur Malerei schlagen könnte, die ich jetzt langsam betrete.

Warum hast also du nicht Malerei studiert?
Malerei war eigentlich das erste, das mich interessiert hat. Aber Fotografie war mein Werkzeug, da hatte ich mehr Verständnis für Bildkomposition, es ist mir auch in der Handhabung leichter gefallen. Aber jetzt hat mein Arbeitsprozess malerische Elemente, denn er findet zwar im digitalen Raum statt, aber wie ich an ihn herangehe mit Grundierung, mit Layering, das ist ähnlich wie in der Malerei.

Ist deine neue Technik ein neues Medium, das du miterschaffen kannst?
Ja, absolut! Ich kenne niemanden, der das genauso macht. Natürlich gibt es Künstler und Künstlerinnen, die mit Robotern arbeiten, das ist nichts Neues. Aber dass man das noch mit Archivfotos verknüpft und daraus 3D-Charaktere generiert, die in neuen Kompositen auftauchen, die man durch Roboter malen lässt …

Das klingt sehr technisch!
Das ist es! Jede Software hat eine eigene Erinnerung. Ich füttere den Roboter mit dem Bild, das ich am Computer vorgefertigt habe, und der verändert das wieder leicht, dann male ich wieder dazu, dann wieder er, das ist ein Hin und her zwischen Roboter und mir und zwischen der Erinnerung des Roboters und meiner. Ich arbeite mit fast 25 verschiedenen Softwares, die alle miteinander verlinkt sind. Und die bilden eine schöne Analogie dazu, wie wir Menschen Bilder in der Erinnerung verarbeiten.

Wie würdest du diese neuen Arbeiten einordnen?
Sie sind jedenfalls Hybride – und ich will sie gar nicht kategorisieren. Denn es sind keine direkten Malereien, keine Fotos, keine Skulpturen, aber sie weisen trotzdem malerische und skulpturale Elemente auf. Eine Einordnung ist also schwierig. Für mich haben diese neuen Arbeiten jedenfalls meine Fotoarbeiten abgelöst, und bilden mit den Videoarbeiten und den Installationen meine drei Grundpfeiler.

Welches ist dein Lieblingsmedium?
Das, woran ich gerade arbeite: vom Foto zum Malprozess! Mit den Skulpturen arbeite ich allerdings auch gerne.

Ist das eher neu für dich?
Ja, ich mache jetzt das erste Mal skulpturale beziehungsweise installative Arbeiten. Bei meiner ersten institutionellen Solo-Schau in Erlangen 2023 zum Beispiel zeige ich eine „Animatronic“ Figur, die mit den Zehenspitzen auf einem Kopf steht und darauf ununterbrochen auf und ab wippt. Der Kopf dieser großen Figur hat eine lange Nase, und diese Nase kratzt durch die Bewegung der Figur die ganze Zeit an einer Mauer auf und ab. Solange die Ausstellung dauern wird, solange wird die Nase an der Wand entlang kratzen.

Die Bewegung hört sich ziemlich nervtötend an – und auch beim Hinsehen produziert die Skulptur wahrscheinlich Gänsehaut, oder?
Ja, und das soll sie auch! Mir geht es um das Somatosensorische (die Körperwahrnehmung betreffend) also wie uns Bilder über unsere Sinnesorgane kontrollieren können. Wenn wir zum Beispiel bei einer Baumarktwerbung jemanden über eine Holzlatte streifen sehen, dann spüren wir das, als würden wir die Bewegung selbst ausführen – und werden damit gezielt manipuliert. Das versuche ich in meine Arbeit einzubauen.

Ist das eine neue Überlegung von dir?
Nein, das hat mich schon früh interessiert. Ich habe es etwa in meiner Werkgruppe How far is a lightyear? mit dem Foto von dem Jungen voller Ameisen am Rücken zum Ausdruck gebracht, die man ja auch fast spüren kann. Schon da habe ich das Prinzip gezielt eingesetzt.

Im Gegensatz zu diesem Foto sind aber deine Arbeiten heute weiter von deiner persönlichen Erfahrung entfernt, oder?
Ja. Jetzt kratze ich eher an der Bildermanipulation und an der Oberfläche von Bildern, es geht mir um das Auseinandernehmen von Fassaden.

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Das lässt den starken autobiografischen Bezug anklingen, der vor allem in deinen ersten Werken sichtbar ist. Auch in der Literatur ist ja gerade das Genre der Autofiktion sehr gefragt; sieht du dich in dieser Tradition?
Gute Frage. Ich bin immer von mir ausgegangen, wenn ich Thematiken wie Trauma anspreche. Ich gehe also vom Persönlichen aus, wie ich mit Erinnerungen umgehe, und wende es dann ins Kollektive, also wie wir alle mit Erinnerungen umgehen. Anders gesagt: Meine Themen sind persönliche Identität und kollektive Identität, und wie wir sie bilden. Denn wir werden so stark durch die Bilder beeinflusst, die wir konstant vermittelt bekommen. Ich denke, wir haben mittlerweile ein kollektives Datentrauma aufgebaut.

Kannst du das erklären?
Es ist spannend und furchteinflößend zugleich: Die Bildtechnik hat Systematiken und Prinzipien aufgebaut, die jenen ähneln, wie Trauma in unserem Kopf mit Bildern umgeht. Social Media zum Beispiel hat Algorithmen, die ähnlich funktionieren, wie wir Menschen Bilder in der Erinnerung verarbeiten. Und das Interessante ist, dass wir dieses System – das eigentlich ein Schwachpunkt in unserem kognitiven Prozess ist – als Vorlage für die Algorithmen genommen haben. Dazu gibt es übrigens auch wissenschaftliche Studien, über die Wechselwirkung zwischen Psychologie und Technik.

Da sind wir wieder bei der Erinnerung, die in deinem persönlichen Erlebten auch Trauma einschließt. Wie erinnerst du dich an deine Kindheit?
Vorsichtig gesagt herrschte bei uns eine schwierige Familiendynamik, aber mir ist bewusst, dass ich da nicht ein Einzelfall bin. Meine Themen von Identität und auch toxischer Männlichkeit kommen wohl daher, mehr will ich aber nicht dazu sagen.

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Du bist in Wels aufgewachsen, kamst früh zur Fotografie …
Mit der Fotografie habe ich mit 14 angefangen, dank eines Lehrers, der mein erster Unterstützer war. Ich hatte damals zur Fotografie einen naiven Zugang; ich dachte, da ginge es nur ums Blumen fotografieren und ähnliches. Der Lehrer aber hat skizziert, was Fotografie noch alles kann, und ich wusste nach drei Minuten: Das ist mein Werkzeug!

Später hast du in Wien auf der Angewandten Fotografie studiert …
Ich war in der Klasse für angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien. Ich fühlte mich als Außenseiter, denn die Klasse hatte einen Fokus auf Magazinfotografie, die ich eher als klassisch dienstleisterisch empfunden habe. Das hat mir eigentlich nicht besonders gefallen … Und dann gab es diesen einschneidenden Moment, als ich gemeinsam mit der Professorin in der Küche stand, und sie mich plötzlich fragte: „Du willst eigentlich gar nichts für Magazine machen, oder?“ und ich konnte nicht anders, als aus vollem Herzen „Nein!“ zu antworten (lacht).

Trotzdem hattest du ausgerechnet mit Fotos für die amerikanische Vogue 2018 deinen ersten internationalen Erfolg …
Ja! Drei Wochen nach diesem Gespräch schrieb mir plötzlich Anna Wintour von Vogue, ob ich einen Auftrag für sie machen könnte. Ich hatte zu dem Zeitpunkt eine Ausstellung in New York, sie hatte dort zwei Arbeiten gekauft und mich deshalb kontaktiert.

Ist so ein Auftrag für die Vogue nicht fantastisch?
Naja, was Mode- oder Auftragsfotografie betrifft, natürlich! Es ist der Olymp! So habe ich „Ja“ gesagt, und das war mein erster Auftrag – also doch Mode. Das war natürlich absurd, da ich ja vorher noch gesagt hatte, dass Mode nicht mein Ding ist.

Was hat Anna Wintour gekauft?
Zwei Fotografien aus meiner Ausstellung How far is a lightyear. Dabei handelte es sich um das Foto eines Jungen mit Ameisen auf dem Rücken, und um einen 3D generierten Sonnenuntergang mit Farbverlauf. Das ganze Verkaufserlebnis war so schräg, weil die Galeristin in New York mir total aufgeregt sagte: „Guess what just happened! Anna just bought two pieces!” und ich ganz ahnungslos: “Who is Anna?” und sie schreit fast: “Anna Wintour!” (lacht). Aber ich muss auch sagen, dass ich heute künstlerisch wirklich woanders bin.

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Wer sind die Künstler, die dich inspirieren?
In den letzten Jahren hat mich Bruce Nauman extrem interessiert; seine Arbeit hatte ich davor einfach nicht verstanden! Jetzt spüre ich da etwas … und Sterling Ruby hat Epoxid-Harzarbeiten, die auch ein Katalysator für mich waren. Generell remixen wir Künstler ja immer, total Neues gibt’s nicht mehr, wird es wohl auch nicht mehr geben.

Überspitzt gefragt: Kann man nach Duchamp überhaupt noch Kunst machen?
(Lacht) Wer weiß! Wir Künstler nehmen etwas und hoffen, dass etwas Neues dabei rauskommt. So ist es!

Du hattest du bereits sehr prominente Aufträge, wie etwa den Designer von Balenciaga, Demna, zu portraitieren …
Ja, das war ein Auftrag vom Zeit Magazin. Ich war in New York bei der Fashion Show, habe „Celebrities“ kennen gelernt … Aber ehrlich gesagt: Das ist nicht mein Ding, und ich war etwas überfordert. Ich muss das auch wieder vergessen; es hat mich mehr abgelenkt, als es mir gutgetan hat. Es ist einfach nicht mein Weg.

Was machst du, um runterzukommen?
Arbeiten! Ich arbeite derzeit 17-18 Stunden am Tag und schlafe wenig, wegen der Produktion für die neuen Ausstellungen. Ich freue mich natürlich, aber es ist es stressig! Ich weiß noch gar nicht, wie ich das alles schaffen soll (lacht). Außerdem kann ich nicht nein sagen, ich bin das einfach noch nicht gewöhnt. Früher habe ich immer ja gesagt, weil man sich als Künstler über das Interesse freut. Aber jetzt habe ich Sophie, meine Studio-Managerin, die für mich absagt – denn ich würde immer noch zu allem ja sagen.

Ist das der Moment, in dem man denkt, man hat es als Künstler geschafft?
Ich glaube, den wird es nie geben. Oder er kommt noch, zumindest hoffe ich das! Es gab vielleicht einen Ansatz davon, als ich bei der Galerie KOW unterschrieben habe. Ich wollte seit fünf Jahren mit ihnen zusammenarbeiten, dann passierte es endlich! Sie haben meine Arbeiten gleich zur Art Basel mitgenommen, das war alles unglaublich …

Kommt man da in Gefahr, abzuheben?
Eigentlich nicht. Mir geht es ja nicht darum, wie mein Lifestyle aussieht, sondern wie meine Arbeiten sind, und was meine Werte dahinter sind. Das Wichtigste ist die Arbeit.

Echo figure, 2023, Courtesy of the Artist und KOW - Berlin, @Simon Lehner

Installationsaufnahme, Kunstpalais Erlangen, Einzelausstellung I love you like an image, Kunstpalais Erlangen, @Ludger Paffrath

Installationsaufnahme, Kunstpalais Erlangen, Einzelausstellung I love you like an image, Kunstpalais Erlangen, @Ludger Paffrath

Echo figure, 2023, Courtesy of the Artist und KOW - Berlin, @Simon Lehner

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Maximilian Pramatarov

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