Sofie Thorsen stellt abstrakte Fragen zum Thema Raum, seiner Formensprache und Gestaltung, immer ausgehend von konkreten architektonischen, zeitlichen und geografischen Situationen. In ihren Spielplastiken beschäftigt sie sich etwa mit einer in Vergessenheit geratenen Formentypologie der Kunst am Bau-Bewegung der Nachkriegszeit und betont dabei die Verschränkung von abstrakter Skulptur, Architektur und Städteplanung, Ästhetik und Gesellschaft.
Sofie, wie würdest du jemandem, der dich nicht kennt, deine Arbeit erklären, also das, was du tagtäglich machst?
Ich bin jeden Tag im Atelier und verbringe die Zeit mit einer Mischung aus konkreter Arbeit an den einzelnen Projekten in Form von entwickeln, skizzieren, ausarbeiten, tatsächlich produzieren, entwickeln … Parallel natürlich noch die ganze Büroarbeit, die nicht wenig ist: vom E-Mail beantworten, Bilder bearbeiten, Texte redigieren bis hin zur Steuer.
Du arbeitest also nicht von zu Hause aus?
Nein. Eigentlich nicht. Ich habe zwar zu Hause einen Arbeitsplatz, von dem aus ich aber lediglich E-Mails beantworte oder Texte und Bilder bearbeite. Ich arbeite nicht ungern zu Hause, habe das früher auch öfter gemacht. Zur Zeit kommt es aber nur vor, wenn ich sehr konzentriert an einer Sache bleiben muss, so wie jetzt an dem Buchprojekt. Dann werde ich nicht von den anderen laufenden Projekten im Atelier abgelenkt. Hier im Atelier habe ich aber das ganze Lager, das Archiv und alle Unterlagen. Hier kann ich an großen Projekten arbeiten, ohne darauf achten zu müssen, dass ich auch Dreck und Staub produziere. Die Schlagschnur-Bilder, die ich gerade mache, das ginge zu Hause gar nicht, weil sich die losen Pigmente beim Arbeiten überall verteilen. Ich habe hier auch einen kleinen Archiv- und Büroraum, in dem ich am Computer sitze und Zeichnungen im kleineren Maßstab mache. Der flexiblere Raum ist dann der, in dem wir hier sitzen.
Kannst du dich daran erinnern, als du dir gedacht hast: „Ja, ich werde Künstlerin.“ Wann hast du dich entschieden, mit der Kunst Geld zu verdienen?
Das war ein fließender Prozess. Es gab bei mir nicht einen speziellen Moment, in dem mir klar war, so muss es nun sein! Natürlich hat man die Absicht, wenn man sich an der Kunstakademie bewirbt, dass man das später dann auch machen will. Ich hatte das aber nicht zu Ende gedacht. Man macht sich ja als Student nicht zwingend Vorstellungen, was nach dem Studium alles passiert. An Wien war damals noch gar nicht zu denken.
Du bist seit über zwanzig Jahren als Künstlerin tätig. Wenn du zurückschaust, was hat sich in der Zeit geändert. Was bedeutet es, heute Künstler zu sein?
Ich führe sicher jetzt ein anderes Künstlerleben, als ich es nach dem Studium geführt habe. Das hat aber auch mit dem Älterwerden zu tun und nicht nur mit veränderten Bedingungen in der Kunstwelt.Die Ansprüche, die an einen Künstler gestellt werden, haben sich schon sehr gewandelt. Vor allem in den letzten fünf Jahren hat sich einiges geändert. Der Kunstmarkt spielt eine ganz andere Rolle heutzutage. Was das letztendlich bedeutet, ist, glaube ich, noch nicht absehbar.
Du kommst gerade aus Dänemark zurück, aus deinem Sommerurlaub. Du wurdest in Aarhus geboren, der zweitgrößten Stadt Dänemarks. Wie bist du aufgewachsen?
Ich bin in Aarhus geboren, habe dort aber nur bis zu meinem zweiten Lebensjahr gelebt und bin dann im nordwestlichen Teil Dänemarks aufgewachsen, auf Mors, einer relativ großen Insel im Limfjord. Zwischen meinem vierten und siebenten Lebensjahr habe ich mit meinen Eltern in Afrika, in Sambia, gelebt. Mein Vater hat dort auf einer UNO-Schule unterrichtet. Ich habe daran noch sehr lebendige Erinnerungen. Nach der Schule und einem Jahr in Barcelona habe ich in Kopenhagen Architektur studiert, ich war aber eine eher sehr unkonzentrierte Studentin. Ich habe nach zwei Jahren Architekturstudium die Möglichkeit bekommen, ein Auslandsjahr in Ungarn zu absolvieren. Das war vor Erasmus und anderen Ausstausch-Stipendien erfunden worden, und ich weiß eigentlich nicht mehr, wie ich von einer Architekturausbildung auf eine Kunsthochschule wechseln konnte. Ich habe dann in Budapest bei Dóra Maurer studiert, das war für mich eine irrsinnig wichtige Zeit. Das war der Moment, in dem ich begriffen habe, was konzeptuelle Arbeit bedeutet. Danach war es erst klar, dass ich nicht weiter Architektur, sondern Kunst studieren wollte. Zurück in Kopenhagen, habe ich dann an der Kunstakademie weiter studiert, bis ich nach Wien gezogen bin.
In einer deiner letzten Arbeiten beschäftigst du dich mit "Spielplastiken" in Wien, jenen Objekten, die im Rahmen von "Kunst am Bau" sowohl als Spielplätze für Kinder wie auch als "Kunst im öffentlichen Raum" entstanden waren. Die Stadt Wien war in den 1950er/60er-Jahren Hauptförderin moderner Kunst und unterstützte die bildenden Künste, inklusive Spielplastiken, in der utopistischen Überzeugung, dass die bildende Kunst in der Lage ist, einen Beitrag zur Verbesserung des Lebens und Miteinanders der Menschen zu leisten.
Die historischen Spielplastiken aus den 1950er Jahren sind mir aufgefallen, als ich mit anderen Objekten der Wiener Kunst am Bau gearbeitet habe und ihre sehr avancierte Formensprache erstaunlich fand, zu einer Zeit, als sehr wenig abstrakt gearbeitet wurde im öffentlichen Raum. Sie waren wie kleine Architekturutopien, die irgendwie in einem Raum zwischen Gebrauchsplastik und bildender Kunst entstanden sind. Später hat mir dann der Bildhauer Josef Schagerl, der damals viele solche Skulpturen entworfen hatte, bestätigt, dass er und sein Kollege Josef Seebacher tatsächlich diese Spielplastiken als eine Möglichkeit gesehen haben, abstrakte Skulpturen für den öffentlichen Raum zu produzieren. Und die Möglichkeit, abstrakt zu arbeiten, scheint für diese Künstler genau so wichtig gewesen zu sein wie die Verbindung von Kunst und Leben, wenn nicht sogar wichtiger.
Kunst zur Verbesserung des Lebens und Miteinanders: Ist das nicht ein skandinavisches Thema?
Nein, das ist nicht skandinavisch. Die Vorstellung, dass Kunst und Leben zusammengehören, hat meines Erachtens mehr mit Bauhaus als mit Skandinavien zu tun. Bauhaus hat dann natürlich auch Einfluss in Skandinavien gehabt, aber genauso in der österreichischen, französischen, amerikanischen Nachkriegszeit.
Findest du den damals formulierten Anspruch, dass Kunst ein Beitrag zu Verbesserung des Lebens von Menschen ist, noch zeitgemäß, oder wird der Kunst und den Künstlern da nicht zu viel abverlangt?
Natürlich kann Kunst was bewegen. Aber ich verstehe es nicht als die primäre Aufgabe der Kunst, unser Zusammenleben zu verbessern, eher als eine Praxis, in der Fragen gestellt werden können, weniger, um Antworten zu geben. Ich sehe ich es eher als Aufgabe der Architektur oder des Designs, sich darum zu kümmern, wie unsere Lebensräume gestaltet werden können. Ich meine allerdings nicht damit, dass sich Kunst nicht mit der Lage der Welt, mit den Bedingungen, in denen wir leben, beschäftigen soll.
Das ist eigentlich ein sehr politisches Thema. Vor allem die „Spielplastiken“ formulieren ja eine konkrete „Vision von Gesellschaft“. Siehst du dich als politische Künstlerin?
Zwangsläufig tauchen in meiner Arbeit immer wieder politische Themen auf, weil ich mich mit Räumen beschäftige und Themen, die mit unserer Umwelt zu tun haben. Ich würde mich aber nicht als „politische Künstlerin“ bezeichnen. Das ist ganz sicher nicht der rote Faden meiner Arbeit. Wenn man beispielsweise die Spielplastiken-Serie nimmt, geht es anfangs um ein Interesse gegenüber Objekten, deren Abbildungen ich gefunden hatte und die ich nicht kannte. Objekte, die für Wien zur damaligen Zeit unheimlich progressiv und wahnsinnig toll waren. Da war eine direkte Anziehung und Neugierde.
Ich sehe die ganze Werkreihe in ihren verschiedenen Erscheinungen als eine Befragung dieses Phänomens mit seinen formalen, gesellschaftlichen, historischen Aspekten, inklusive auch der politischen Bedeutung von Abstraktion im öffentlichen Raum in der Zeit kurz nach dem Krieg. Ich versuche, mich dem zu nähern und zu begreifen, mit dem Wissen, daran nicht ganz ranzukommen. Und vor allem versuche ich, mit dem ausgeforschten Material eigenständige Werke zu entwickeln, die unabhängig vom Ausgangsmaterial funktionieren und betrachtet werden können.
Das hat ja schon was Wissenschaftliches?
Ja, aber auch nicht. Man kann es wahrscheinlich als eine Art „Artistic Research“ einordnen. Zusätzlich zu einer strukturierten Recherche in Archiven und Texten benutze ich formale, materielle, haptische Methoden, die mit Körper zu tun haben und weniger mit Sprache. Ich habe zwar oft das Gefühl, dass es noch so viele Texte zu lesen gäbe und so viele weitere Bildquellen, die aufgesucht werden könnten, aber der Kern meiner Arbeit soll nicht bei der Vorarbeit liegen, sondern bei den Werken.
Seit wann bist du eigentlich in Wien?
Seit 1999. Das war gleich nach den Haider-Wahlen, vor der Bildung von der schwarz-blauen Regierung. Ich kannte Wien nicht und konnte fast kein Deutsch. Mehr, als einen Kaffee zu bestellen, war sprachlich nicht drin. Ich wusste relativ wenig über die österreichische Nachkriegsgeschichte, über die Frage der fehlenden Kriegsbewältigung, und befand mich plötzlich mittendrin in dieser unfassbar emotionalen politischen Phase. Das war eine heftige Zeit.
Warum ausgerechnet Wien als Standort?
Das war ein Zufall. Mir war schon klar, dass ich ins Ausland gehen werde. Henrik Olesen, den ich sehr schätze, meinte, ich solle doch nach Wien, dort unterrichte Renée Green. Ich hatte damals zwar schon was ganz anderes im Kopf, bin dann aber doch nach Wien und habe es auch nicht bereut. In Wien fand ich ein Level an Theorie und Diskurs vor, auf der Universität und in den Kunstinstitutionen, das ich aus Kopenhagen zu der Zeit nicht kannte. Es gab Institutionen wie das Depot und die Generali Foundation, in der es unglaubliche Ausstellungen gab. Hier wurden die Themen behandelt, die mich interessierten.
Unter Kreativen heißt es oft, dass Wien im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten ziemlich langweilig ist. Was macht Wien als Ort für Künstler aus?
Mir gehen heute schon Institutionen ab, die es noch vor fünf Jahren gab und eine große Lücke hinterlassen haben. Andererseits arbeiten noch sehr viele sehr gute Leute hier. Es werden nach wie vor großartige Ausstellungen in der Stadt produziert. Wien ist eine Stadt, in der ich gut arbeiten kann, die auch von der Infrastruktur her sehr gut ist und in der man sich das Leben noch einigermaßen leisten kann. Das ist in anderen Städten immer schwerer zu bewerkstelligen. Ich muss aber schon auch regelmäßig die Stadt verlassen.
Gibt es einen Ort, an dem du dich erholen kannst, dir deine Ruhe oder auch neue Energie holst? Woher holst du deine Inspiration?
Ich fahre gerne und viel zu selten nach Dänemark, ich bin sehr gerne in Kopenhagen. Leider geht sich das zeitlich nicht so oft aus. Inspiration geschieht bei mir während der Arbeit. Inspiration und Erholung sind aber zwei verschiedene Dinge. Natürlich gibt es die Notwendigkeit des Abschaltens, nicht an die Arbeit zu denken. Der Moment der Inspiration passiert bei mir fast immer, wenn ich an den Themen arbeite, die mich beschäftigen. Das passiert eher nicht im Wald, sondern beim Recherchieren, Texte Lesen, Skizzieren, Ausstellungen Besuchen.
Sammelst du Kunst von anderen Künstlerinnen und Künstlern?
Ich tausche manchmal mit Kollegen und Kolleginnen. Von mir selbst habe ich nichts zu Hause hängen. Lieber was von den Kolleginnen und Kollegen.
Wer ist dein Held, wer beeinflusst dich bei deiner Arbeit?
Ich habe viele Helden oder Heldinnen. Aber keine spezifischen. Die Helden oder die Heldinnen spielen verschiedene Rollen. Es gibt da keinen Solitär.
Was sind deine anstehenden Projekte?
Ich habe gerade mein Buch fertig gestellt, das im Verlag für moderne Kunst veröffentlicht wurde. In der Kunsthalle Krems nehme ich gerade an der Ausstellung Abstrakt – Spacial teil.
Interview: Michael Wuerges
Fotos: Maximilian Pramatarov, Oliver Ottenschläger