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Stefanie Moshammer, Wien

In the Studio

»Man braucht die Fantasie, um die Wirklichkeit erträglicher zu machen.«

Die Österreicherin Stefanie Moshammer nutzt unterschiedliche Medien wie Fotografie, Bewegtbild, Text, Installationen, textile Skulpturen und Buchpublikationen, um persönlich Erlebtes auf eine künstlerische Ebene zu heben. Mittels ihrer research-basierten Praxis eröffnet sie den Betrachtenden einen frischen Blick auf gesellschaftliche Themen wie weiblichen Alkoholismus, die Suche nach und Vermarktung von Liebe, oder Konsumverhalten. Neben ihrem künstlerischen Werk ist Moshammer auch als Fotografin für Modestrecken sehr gefragt, sie arbeitete etwa mit Harper’s Bazaar und Fendi.

Stefanie, wie bist du zur Kunst gekommen?
Begonnen habe ich eigentlich mit Textildesign; danach legte ich ein Jahr Sozial- und Kulturanthropologie auf der Hauptuniversität ein, um mir noch einen anderen Input zu holen. Später verlagerte sich mein Fokus auf Grafikdesign. Allerdings wurde meine Bewerbung dafür auf der Universität für Angewandte Kunst in Wien nicht angenommen – das hat mich ziemlich empört (lacht).

Warum wurdest du abgelehnt?
Auf Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass ich in einer Fotografie Klasse besser aufgehoben wäre! Glücklicherweise wurden auf der Kunstuniversität in Linz, wo ich schließlich studierte, Grafikdesign und Fotografie gemeinsam unterrichtet. Meine Abschlussarbeit dort war meine erste künstlerische Arbeit. Ich bin damals nach Las Vegas, und daraus entstand das Buch Vegas and She.

Wie hast du Las Vegas erlebt?
Es war ein verrückter, schrecklicher, aber interessanter Ort. Weil er so einen Bruch darstellt: dieser künstliche, triste Platz, an dem versucht wird, Glück zu verkaufen. Der Titel Vegas and She entstand aus dem Gedanken, dass Vegas der männliche Gegenpol zu She ist, zu den Frauen, die sich dort produzieren, aber auch zu mir selbst.

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Du selbst hattest allerdings kein Glück in Las Vegas – hast du nicht Zeit im Gefängnis verbracht?
Ja (lacht) und im Buch Vegas and She sind teilweise Indizien von dem Vorfall ersichtlich.

Wie kam es dazu?
Das ist eine blöde Geschichte, die erzähle ich jetzt nicht (lacht). Aber das war Teil meines Vegas Erlebnisses. Lustigerweise traf ich im Gefängnis Leute, die ich schon fotografiert hatte. Ich saß an dem langen Essenstisch, und gegenüber war plötzlich eine Frau, deren Foto auch im Buch enthalten ist. Aber all das wird aufs Erfahrungskonto gebucht (lacht)!

Wie war die Arbeit an diesem ersten Buch, Vegas and She, das 2015 erschien?
Ich würde sagen, dass ich damals noch einen naiven Zugang zur Fotografie hatte. Ich hatte keine Erwartung an mich selbst. Ich machte einfach viele Bilder, ohne wirklich zu wissen, was danach damit passieren würde. Damals fotografierte ich noch analog und digital; Vegas and She ist die einzige Arbeit, für die ich noch analoge Fotos aufnahm. Mittlerweile empfinde ich analog als limitierend. Für mich ist der Nachprozess spannender: die Bilder aus einer Riesenauswahl aussuchen zu können, zu editieren und zu kuratieren.

Dein eigentlicher Arbeitsprozess beginnt also, wenn die Fotos schon gemacht sind?
Genau. Da überlege ich, wie ich die Bilder in einen Kontext bringe, was ich damit erzählen will: Visual Storytelling eben. Deshalb mache ich auch Bücher, weil es da ein durchgehendes Narrativ gibt.

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Welches Buch ist dein persönlichstes?
Vielleicht das kleinformatige Each Poison, A Pillow. Ursprung der Arbeit ist mein Brief als Achtjährige ans Christkind, in dem ich mir als Kind wünsche, dass meine Mutter nie wieder betrunken ist. In der Zusammensetzung der Bilder für das Buch steckt allerdings viel Recherche; es handelt sich hauptsächlich um found footage, nur wenige Bilder sind von mir selbst aufgenommen. Aber der Brief ist die Basis der Arbeit.

Wie kann man sich das Buch vorstellen?
Es enthält zum Beispiel historische und zeitgenössische Werbungen von Alkoholika, wo Frauen meist sexualisiert dargestellt werden. Es gibt Stills von Videos, persönliche Fotos aus unserem Familienalbum, gemischt mit Instagram Screenshots von Videos, in denen Frauen betrunken durch die Gegend fallen. Persönlich an dem Buch ist natürlich das Thema, mit einer alkoholkranken Mutter aufgewachsen zu sein, und der Text am Ende, den meine Mutter geschrieben hat. Das kleine Buchformat spiegelt den Kontext der Intimität wider, sowie die Idee, dass das Thema des weiblichen und familiären Alkoholismus meist ein verstecktes ist, das oft nicht viel Aufmerksamkeit bekommt.

Sind deine Arbeiten Lebenskapitel – die Zeit in Las Vegas, die Auseinandersetzung mit deiner Mutter?
Naja, gewisse Themen beschäftigen einen zu gewissen Zeiten. Aber ich versuche mit meiner Arbeit nicht nur Einzelschicksalsgeschichten zu erzählen, sondern sie auf eine allgemeine Ebene zu heben.

Wie gelingt dir das?
Mit Recherche. Ich will verstehen, was außerhalb des Persönlichen ein spezielles Thema sonst noch ausmacht. Bei Each Poison, A Pillow habe ich diese Vorgangsweise erstmals nach außen deutlich gemacht. Denn zu Beginn meiner Karriere war ich sehr fotografisch unterwegs und arbeitete nur mit reinem Bildmaterial, das ist jetzt etwas anders.

Hattest du das Gefühl, dass Fotografie nicht ausreicht, um dich auszudrücken?
Ja. Das fotografische Bild hat eine Begrenzung. Aber je nachdem, was man aussagen will, kann man es mit anderen Medien anreichern. Deshalb verwende ich Video Installationen, oder gehe installativer mit anderen Materialien um.

Each Poison, A Pillow war also die erste Arbeit, für die du unterschiedliche Medien verwendet hast?
Ja: Es ist ein Buch, aber auch eine Installation. In der Ausstellung dazu gab es beispielsweise Videoarbeiten; private Archivbilder wurden zu Kissen, die im Raum als Skulptur wahrgenommen wurden. Weiblicher Alkoholismus ist ein häusliches Phänomen, und darauf beziehen sich diese Kissen, die etwas Softes, Entspanntes haben. Und das ist bei jeder Substanz auch so, dieses Suchen nach Komfort.

Gibt es zu jedem Buch eine Ausstellung oder umgekehrt?
Nicht unbedingt. Aber durch die Bücher erreiche ich einen anderen Kreis, meine Arbeit kommt an andere Orte und in andere Hände. Gleichzeitig ist es ein geschlossenes Format, wie eine kleine Welt, die sich auftut. Eine Ausstellung ist auf einen Zeitraum limitiert, und das Buch überlebt länger.

Ein Buch, das die dazugehörige Ausstellung erst nach sich zog, war deine Wien-Arbeit für Louis Vuitton, ein Auftragswerk des Konzerns. Wie hast du die Stadt auf deine Art dargestellt?
Zuerst fand ich es schwierig, weil Wien mir nahesteht und ich Stereotypen vermeiden wollte. Dann vertiefte ich mich in die Recherche: Ich verwendete etwa Liedtexte, Screenshots von meinem Desktop, Emails vom Editor, die den Entstehungsprozess aufdeckten. Er wollte Wien anfangs etwas klischeehafter dargestellt sehen (lacht)! Aber er verstand schließlich meine Idee, den Research über Wien in das Buch zu inkludieren. So habe ich die Regeln gebrochen beziehungsweise unterwandert, aber sie auf meine Art doch wieder erfüllt.

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Regeln zu brechen: Da sind wir beim Hintergrund deiner künstlerischen Arbeit. Was macht deine Fotografie zu Kunst?
Das liegt nicht in meiner Entscheidung. Das passiert oft durch Institutionen, durch einen gewissen Blick von anderen. Es ist eine schwierige Frage, oft weiß ich es selbst nicht.

Geht es nicht auch um die Absicht des Künstlers?
Ich denke, man kann alles Mögliche behaupten, aber wenn man seine Arbeit nicht nach außen trägt und sie präsentiert, egal ob als Ausstellung oder als Buch, wird sie nicht wahrgenommen. Erst durch die Auseinandersetzung und Beschäftigung anderer Menschen damit wird das Werk zu Kunst. Dabei verlasse ich mich auf die Wahrnehmung des Betrachters. Ich habe natürlich bestimmte Ideen und Inhalte, die ich in der Arbeit zu transportieren versuche; aber wie sie von jemand anderem wahrgenommen werden, weiß ich letztlich nicht.

Welche Themen möchtest du kommunizieren?
Mich interessieren Inhalte, die einen gewissen gesellschaftlichen Bruch haben. Ich versuche, sie poetisch darzustellen. So, dass das “Hässliche” nicht gleich ersichtlich ist, sondern erst durch die Auseinandersetzung mit meiner Arbeit wahrgenommen wird. Themen wie das Mysterium bestimmter Orte, die (fiktive) Suche nach Liebe, der allgegenwärtige Einfluss von Kapitalismus sowie das Phänomen unseres Konsumverhaltens, einschließlich des Alkoholismus, sind Themen, die mich beschäftigen. Diese Inhalte werden mit persönlichen Erzählungen und Erfahrungen verflochten, was dem Ganzen eine andere Tiefe verleiht.

Andererseits könnte man sagen, dass du mit Louis Vuitton mit einer sehr kommerziellen Firma zusammen gearbeitet hast …
Aber auch hier versuche ich immer, auf eine Art und Weise die Regeln zu brechen und Betrachtenden einen anderen Blick zu ermöglichen.

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Stets mit der dir eigenen Ästhetik – wie hast du sie dir erarbeitet?
Das passiert organisch: Man findet die eigene Sprache. Ich transportiere nur mein Inneres nach außen. Und wie meine Arbeit ist, hat ganz viel damit zu tun, wie meine Geschichte ist, wie ich selbst bin, wie mein Charakter ist. Daher ist jede Arbeit jedes Kunstschaffenden anders. Es ist die Erweiterung oder Fortsetzung der eigenen Persona, das macht es auch so spannend. Oft weiß man gar nicht so genau, warum man so ist, wie man ist, und weiß daher auch nicht, warum die Arbeit so aussieht, wie sie aussieht. Das hat natürlich auch ganz viel mit äußeren Einflüssen zu tun.

Ist deine Arbeit ein Spiegel deiner selbst?
Auf eine Art schon, aber wenn du Kunst macht, ist es ja nicht so, dass du dich selbst ständig in den Spiegel siehst. Die Arbeit geht nach außen. Ich finde es ganz schwierig, die eigene Arbeit zu bewerten.

Apropos bewerten: Muss man als Künstlerin über dem stehen, was andere denken könnten, wenn man mit seiner Arbeit rausgeht?
Auf jeden Fall muss man dahinterstehen! Mir ist es wichtig, menschlichen Themen eine gewisse Würde zu geben, einen erhabenen Blick. Aber natürlich mache ich mich gerade mit dem familiären Alkoholismus-Thema am fragilsten.

Dabei betrifft das auch viele andere …
Ja, und deshalb habe ich es wahrscheinlich auch gemacht. Weil ich weiß, dass es kein Einzelschicksal ist, und weil ich in der Hinsicht kein Schamgefühl empfinde.

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In deinen Arbeiten vermischen sich Wahrheit und Fiktion. In welchem Verhältnis stehen sie zueinander?
Die beiden überschneiden sich, und ich liebe es, damit zu spielen. Meine Arbeit entspringt immer einer gewissen “Wahrheit”, in der ich mich inhaltlich auf eine reale Begebenheit beziehe. Das ist mein Spielraum und in diesem Raum ist Platz für Experimente. Dann kommt das fiktive Element dazu, das die Geschichte auflädt. In meinem Werk umarmt die Realität die Fiktion, das eine geht ohne das andere nicht. Man braucht die Fantasie, um die Wirklichkeit erträglicher zu machen. Zugleich spielen aber Humor und Ironie auch immer eine Rolle in meiner Arbeit.

Siehst du Kunst als einen Fluchtraum?
Flucht wäre der falsche Begriff. Eher als eine gewisse Anreicherung der Realität, und diese fließt mit der Fiktion auf eine zärtliche Art und Weise ineinander.

Wie unterschieden sich deine kommerziellen Arbeiten für Modefirmen von deinen künstlerischen Arbeiten?
Der Hauptunterschied ist, dass du an einer kommerziellen Auftragsarbeit viel kürzer arbeitest. Diesen knapperen Zeitraum empfinde ich oft als erfrischend.

Und die kommerzielle Arbeit dürfte auch von der Recherche her einfacher sein?
Naja, auch mit Mode, Kleidung oder Textilien kann man eine Welt aufbauen. Aber natürlich eine viel kurzlebigere. Ich mag es, aber ich könnte nicht nur Auftragsarbeit machen. Weil ich oft das Gefühl habe, die Arbeit lebt und stirbt sofort wieder.

Wobei du ja auch in dem Fall oft Bilder kreierst, die im Kopf bleiben!
Vielleicht kommt die Kurzlebigkeit nur mir so vor (lacht)!

Hast du den Eindruck, dass es dem Ansehen deiner künstlerischen Arbeit schadet, wenn du auch kommerzielle Dinge machst?
Früher habe ich mich das selbst oft gefragt, mittlerweile nicht mehr. Und die Auftragsarbeit ist wirklich gut bezahlt (lacht)! Das macht mich weniger abhängig von der komplexen Kunstmaschinerie. Ich genieße es, mehrere Ebenen zu haben, um von meiner Kunst leben zu können: Die Auftragsarbeit, die bildende Kunst, und ich unterrichte immer wieder. All diese Tätigkeiten sind mir gleich wichtig.

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Wie gerne arbeitest du in Wien?
Der Vorteil für Kunstschaffende hier ist, dass eine hohe Lebensqualität mit relativ geringen Lebenskosten verbunden ist. Aber ich finde es problematisch, wenn sich alles um Wien dreht. Es ist wichtig, rauszukommen, vor allem, wenn man international wahrgenommen werden will. Ich lebe zwischen Wien und Paris, das funktioniert gut für mich.

Welche neuen Projekte planst du?
Ich arbeite parallel an Projekten. Zum einen arbeite ich fortsetzend an Each Poison, A Pillow. Gleichzeitig erarbeite ich gerade ein älteres Projekt neu: Die Werkserie I Can Be Her hatte einen Brief als Ursprung, den ich in Las Vegas erhalten habe. Er kam von einem Mann, der mein Haus aufsuchte, und plötzlich sein Leben mit mir verbringen wollte. Was er schrieb, war sehr bizarr, voll gekünstelter Romantik, es ging um Häuser und Autos, die er mir geben könne. Meine Werkserie war damals meine Antwort auf seinen Brief. Zehn Jahre später kam es zufälligerweise zu einer Kontaktaufnahme mit dem Mann, was dazu führt, dass ich versuche, die Arbeit neu zu artikulieren.

Welche Ausstellungen hast du geplant?
Each Poison, A Pillow wird im September mit Kahan Art Space während der Parallel Art Fair präsentiert. Und ich arbeite gerade an einem Buch mit dem Kunstverlag RVB in Kollaboration mit Belmond. Auszüge davon werden im November im Dover Street Market in Paris gezeigt. Bis September ist auch eine Arbeit von mir als Teil der Ausstellung Critical Consumption im MAK in Wien zu sehen.

Slow Growing, 2023, 8 x 30 cm, Glas, Stein

Pretending, 2022, Gläser, farbige Flüssigkeit, variable Abmessungen

Some Nights Are Red 3 + 1 + 4, 100 x 130 cm, Tinte auf Leinwand, Acrylpaste, auf Holzrahmen gespannt aus Each Poison, A Pillow

Ortsspezifische Installation, Stoff, Leder, Füllung, Elastik, Galerie Miroslav Kraljevic, Zagreb, 2021

Interview: Alexandra Markl
Fotos: Christoph Liebentritt

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