Als Künstler interessiert sich Thomas Feuerstein für die Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft. Seine Projekte, die oft über mehrere Jahre entwickelt werden, nehmen sehr unterschiedliche Formen an. Er schafft Skulpturen und Installationen mit stark performativem Charakter, in denen Technologie und biologische Prozesse entfesselt werden.
Thomas, woher kam dein Interesse an bildender Kunst und dem Beruf Künstler?
Bereits in meiner frühen Kindheit habe ich aus Lehm seltsame Dinge gebastelt und manisch mit Kugelschreiber gezeichnet – meistens Elefanten und eigenartige kubistische Figuren. In der Schulzeit schenkte mir mein Onkel eine alte Nizo Super-8-Kamera. Das öffnete ein neues Fenster zur Welt. Mit einem Freund drehte ich kurze Spielfilme und nach der Matura arbeitete ich als Kamera-Assistent. In Österreich Film oder Kunst zu studieren, war für mich damals keine Option. Ich wollte ins Ausland, arbeitete in diversen Jobs und begann nebenbei Kunstgeschichte und Philosophie zu studieren. Das verdiente Geld habe ich letztendlich nicht für das Auslandsstudium gespart, sondern in Material für Installationen gesteckt. Das war eine gute Entscheidung.
Welche Themen haben dich am Anfang deiner künstlerischen Laufbahn beschäftigt?
Im Grunde waren es ähnliche Fragen, die mich bis heute beschäftigen. Wie verändern sich Mensch und Gesellschaft durch Technologie, Ökonomie und Politik und welche Rolle spielt Kunst dabei? Dies lenkte Ende der 1980er Jahre den Blick auf das Digitale und ab den 1990er Jahren auf Biotechnologien. Mein Zugang war vom Poststrukturalismus geprägt und öffnete eine Weltsicht, in der ich meinen Alltag und vieles, was mit Kunst zu tun hatte, als antiquiert erlebte. Ich war neugierig auf neue Verbindungen zwischen Kunst und Wirklichkeit, stellte klassische Autorenschaft infrage und interessierte mich für Netzwerkideen.
Was ist unter Netzwerkidee in der Kunst zu verstehen?
Netzwerke schaffen Bezüge zur Wirklichkeit und verdichten künstlerische Werke. Sie sprengen überkommene Selbst- und Weltbilder und befördern einen prozessualen Werkbegriff. Dadurch wird eine neue Poesie der Kunst als Poiesis des Realen möglich. Beispielsweise wurden in Echtzeit die Hausse- und Baisse-Bewegungen [länger andauernde Abwärts- und Aufwärtsbewegungen an Börsen] von Aktiennotierungen in kammermusikalische Noten transponiert, wie 1993 in Hausmusik, oder Nachrichtenmeldungen der APA von einem neuronalen Netzwerk in Form eines endlosen Prosatextes interpretiert, wie 1994 in Proustmaschine.
Was spielt gedanklich in die Netzwerkidee hinein?
Verallgemeinert ist es für mich die Conditio humana. Netzwerke schaffen Weltbezüge und strukturieren Beziehungen zwischen Menschen, ohne die Sprache, Handel, Wissenschaft oder Kunst in heutiger Form nicht denkbar wären. Netzwerke sind Ausdruck einer Sehnsucht, sich mit Menschen und Umwelten zu verständigen, sich selbst und das viele Andere zu verstehen. Ein Kunstwerk ist für mich ein Knoten im Netzwerk oder im Sinne von Clifford Geertz eine dichte Beschreibung von Welt. Netzwerke sind latent vorhanden, uns aber oft nicht explizit bewusst. Kunst macht Netzwerke manifest, bringt sie selbst zum Sprechen, wodurch sie zum Material künstlerischer Produktion werden. Netzwerke lassen sich nicht auf technische Aspekte elektronischer Kommunikation und sozialer Geflechte reduzieren, sie durchziehen die gesamte Biosphäre. Deswegen faszinieren mich Stoffwechselkreisläufe, molekulare Kommunikation und materielle Prozesse in Natur, in unserem Körper sowie in Biochemie und Biotechnologie. Der Kunst erschließen sich dadurch neue Möglichkeiten, Wirklichkeit nicht nur abzubilden und zu repräsentieren, sondern auch produktiv zu machen. Daraus resultiert eine neue Ästhetik und Poetik.
Was sind die wichtigsten Fragen, die dich heute in deiner Kunstproduktion beschäftigen?
Es sind Fragen zu den Transformations- und Produktivkräften unserer Zeit. Was bedingt mich und meinen Alltag und wie verändert dies mein Leben? Die Frage ist banal, aber die Antworten sind endlos und aktualisieren die Frage unentwegt. Wie verändern Digitalisierung und Biotechnologien die Lebens- und Machtverhältnisse, die Produktion und Verteilung von Gütern und Ressourcen im Kapitalismus, unser Verhältnis zur Biosphäre und letztendlich unser Selbstverständnis als Individuum? Sind Begriffe wie Individuum, Subjekt und Autor in der heutigen Zeit noch haltbar? Beinhaltet die Einsicht, dass wir keine abgegrenzten Entitäten, sondern biologisch betrachtet Holobionten [Metaorganismus, aus einem komplexen Netzwerk aus verschiedenen Lebewesen zusammengesetzt] sind, nicht auch eine Veränderung unseres Kunst- und Kulturbegriffs. Als Künstler kann ich mich nicht auf den Geniebegriff zurückziehen und Halbverdautes auf die Leinwand erbrechen. Ich will auf die leisen, ephemeren Veränderungen und Prozesse horchen und diese in den Arbeiten zum Sprechen bringen.
Könntest du deine Beschäftigung mit der Frage nach der Prozesshaftigkeit in der Kunstschaffung erläutern?
Kunstwerke sind für mich nicht Resultat eines Ausdrucks, sondern vielmehr ein Prozess. Das künstlerische Objekt sehe ich in meinem Werk als eine Art Subjekt oder als einen Akteur, mit dem ich kollaboriere. Das Werk versammelt Prozesse und macht diese produktiv, indem es nicht nur symbolisch, sondern auch real eine metabolische Beziehung mit der Welt eingeht und diesen Metabolismus performiert. Das trifft sowohl auf digitale, algorithmische Kunst als auch auf biotechnische Kunst zu. Ein einfaches Beispiel: Anfang der 1990er ging es mir nicht um die Schaffung von Bildern und Grafiken mittels Computer, sondern vielmehr um Algorithmen und Vernetzungen, die aus einer eigenen Logik heraus Werke generieren, die nicht in einem festen Zustand sistieren. Ebenso ist dieses Denken und künstlerische Handeln einer biologischen Kunst nahe, die mit Prozessen aus Natur und Wissenschaft operiert.
Also schafft der Künstler einen Künstler und dieser schafft das Werk?
Das Kunstwerk ist der bessere Künstler. Ich will Werke schaffen, welche die Welt besser verstehen als ich selbst. Kunstwerke waren immer schon eine Art künstliche Intelligenz, und seitdem es algorithmische und biotechnologische Prozesse in der Kunst gibt, wird dies auch auf einer ästhetischen Ebene präsent. Als Künstler bin ich Arbeiter und Laborant, der sich um das Werk sorgt und die entsprechenden Voraussetzungen und Bedingungen schafft. Hat Fleming das Penicillin erfunden? Er hat den Schmutz der Welt in die Petrischale gelassen und das Werk, das wir mit ihm verbinden, wachsen lassen.
Wie verbinden sich hier die Fragen nach Autorenschaft mit Prozessen?
Prozesse sind künstlerische Kollaborateure. Ihnen eine Stimme zu geben und sie im Werk performativ zu verhandeln, eröffnet neue Möglichkeiten abseits juristischer Diskurse über Autoren- und Urheberschaft. Ich sollte mich nicht wichtiger nehmen als ein Bakterium, das an der Entstehung einer Arbeit beteiligt ist.
Gut sichtbar ist dieser Ansatz in deiner Arbeit Prometheus Delivered von 2017.
Bei dieser Arbeit wird eine Marmorskulptur, die Replik einer Prometheusdarstellung nach Nicolas Sébastien Adam, von Bakterien zersetzt. Steinfressende, sogenannte chemolithoautotrophe Bakterien verwandeln über Stoffwechselprozesse den Kalkstein in Gips. Die Autorenschaft gebe ich an Bakterien ab, die als Bildhauermeißel fungieren, indem sie die Form der Skulptur verändern und langsam auflösen. Selbst aus dem anfallenden Gips wächst in der Arbeit Ovidmaschine ohne mein Zutun eine neue Skulptur. Als Künstler schaffe ich Rahmenbedingungen. Idee und Konzept bilden das Initial, aber das Endresultat produziert die Arbeit selbst.
Warum hast du gerade die Figur des Prometheus für diese Arbeit ausgewählt?
Prometheus gilt als Kulturheros unserer Zivilisation. Er ist der erste Bildhauer, der die Menschen erschafft. Er bringt ihnen das Feuer und damit Technologie, Fortschritt und Kultur. Zeus war darüber nicht erfreut und bestrafte Prometheus, indem er ihn an den Kasbek im Kaukasus ketten ließ. Zudem schickte er den Adler Aithon, der täglich Stücke aus der Leber des Prometheus riss. Für die Griechen waren Leber und Leben synonym. Sie stand für die Zukunft und diente in der Leberschau als Medium der Prophetie. In Prometheus Delivered werden menschliche Leberzellen in einem Bioreaktor gezüchtet, die eine Matrix besiedeln und zu einer Skulptur heranwachsen. Da Leberzellen für die Entgiftung in unserem Körper sorgen, können sie sich auch von Nährstoffen aus den Zellen der Bakterien ernähren. Nicht allein metaphorisch, sondern auch metabolisch wird in Prometheus Delivered aus Stein organisches Fleisch. Es wächst eine Leberskulptur als Hepatoskopie [Leberschau] im Zeitalter der Biotechnologie.
Ist dabei nun der Prozess selbst als Kunstwerk zu betrachten, oder sind es die Fragen, die dabei aufgegriffen werden?
Die Ununterscheidbarkeit macht für mich Arbeiten interessant. Ich vertrete hier einen nondualistischen und holobiontischen Ansatz. Es verknüpfen sich verschiedene Geschichten in unterschiedlichen Sprachen und machen das Werk zu einem Knoten im Netzwerk von Bedeutungen und Prozessen. Am Beispiel von Prometheus Delivered agieren Bakterien und Körperzellen als bildhauerische Akteure, die biochemisch eine molekulare Geschichte der Evolution und Menschwerdung erzählen. Die damit verbundenen Metaphern und Mythologien sind zwar sprachlich ganz anders verfasst, betrachten aber aus menschlicher Sicht dieselbe Geschichte. Insofern konvergieren Bedeutungen und Prozesse in der Frage der Form, die sich heute als Transformation aktualisiert.
Was ergibt sich gedanklich aus der Arbeit mit biologischen Prozessen für dich?
Ein Kunstwerk ist für mich mehr als eine Dienstleistung, weiße Wände und leere Räume zu bestücken. Warum soll ein Kunstwerk nicht etwas sein, das vergleichbar ist mit einer Pflanze, einer Wolke oder einem Ozean?
Welche anderen Bedeutungsebenen – möglicherweise auch ethische – könnte man in dieser Beziehung aus Prometheus Delivered herauslesen?
Arbeitet man als Künstler mit lebenden Organismen, quert man die Grenze zwischen Ästhetik und Ethik. Für Prometheus Delivered habe ich eine Graphic Novel angefertigt, in der die Fleischwerdung aus Stein gleichzeitig als Utopie und Dystopie weitergedacht wird. In Tradition von Speculative-Fiction wird von einer Gesellschaft erzählt, in der Menschen beschließen, sich weder von Tieren noch von Pflanzen oder anderen Organismen zu ernähren. Das Recht auf die Verfügbarkeit von Leben endet im eigenen Körper. Deswegen werden vergleichbar der Leberskulptur bei Prometheus Delivered alle Nahrungsmittel, aber auch Werkstoffe und Energieressourcen über eigene Körperzellen in vitro kultiviert. Muskelzellen liefern Fleisch, Hautzellen Leder, Knochen Baumaterial und Fettzellen Brenn- und Treibstoff. Das einstige Tabu des Kannibalismus wandelt sich hier zum ethischen Imperativ. Das Vormoderne und Amoralische erfährt durch Technologie eine Sublimierung, die zur kulinarischen Onanie wird.
Viele Disziplinen sind nötig für deine Skulpturen. Könntest du deine Arbeitsweise verdeutlichen?
Ich bin sehr dankbar, mit Wissenschaftlern arbeiten zu dürfen, die ihre Forschung und Erfahrung in die Projekte einbringen. Viele sind Freunde geworden, denn oft teilen künstlerische und wissenschaftliche Fragen, so unterschiedlich die Disziplinen auch sind, ein gemeinsames Interesse. Das inspiriert mich. Derzeit arbeite ich mit Umwelttechnikern, Mikrobiologen und einem kleinen Team von Programmierern und Technikern an einem neuen Projekt, das unglaublich vielfältig ist und Spaß macht. Die Entwicklung von Prozessverfahren und Steuertechnik, die über das Labor hinaus unter den Bedingungen einer Ausstellung funktionieren, dauert bisweilen einige Jahre. Entscheidend ist für mich, dass die zum Einsatz kommende Technik Charme hat und nicht allein einen pragmatischen Zweck erfüllt.
Du erwähntest eben, dass deine Maschinen einen gewissen „Charme“ haben sollten. Welche ästhetischen Aspekte sind dir wichtig bei deinen performativen Installationen? Denn sicherlich wird sich mancher Betrachter oder manche Betrachterin deinen Arbeiten zunächst auf der visuellen Erlebnisebene annähern, bevor er oder sie sich mit der prozessualen Ebene und anderen Bedeutungsebenen auseinandersetzt.
Maschinen und Apparaturen haben für mich skulpturalen Charakter und sind ästhetischer Bestandteil der Installationen. Die Trennung zwischen hehrer Kunst und schnöder Technik ist mir fremd. In der Moderne wurde die Maschine ästhetisch gefeiert, aber sie diente primär der symbolischen Repräsentation. Mich interessiert die Maschine, um Prozesse in Gang zu setzen, und insofern ist sie auch ästhetisch integraler Bestandteil des Werks.
Deine „Maschinen“ sehen unheimlich komplex aus und sehr rätselhaft, fast wie aus dem Labor eines verrückten Professors entsprungen. Spielt diese Komplexität eine wesentliche Rolle für das Erleben deiner Kunst?
Ein Kunstwerk ist so komplex wie jedes andere Objekt auf der Welt. Bei manchen Objekten wird die Komplexität aber eher evident als bei anderen. Ein Stern am Nachthimmel ist ein einfacher Punkt, aber für einen Astrophysiker ein unglaubliches Schauspiel der Elemente. Romantisch gesprochen, will ich Kunstwerke schaffen, die wie Sternschnuppen auf die Erde fallen und als Meteoriten von einer anderen Wirklichkeit berichten.
Kunst hat viele Repräsentationsformen. Wo verortest du dich hier als Künstler genau?
Vereinfacht kann man Kunst heute unter zwei Aspekten einteilen. Einerseits in jene Kunst, die repräsentativ abbildet und mit Metaphern und Symbolen sowie mit psychologischer Raum- und Farbwirkung arbeitet. Das hat eine lange Tradition in der Kunstgeschichte und im Kunstmarkt und stellt den Menschen anthropozentrisch in den Mittelpunkt. Zum anderen gibt es eine Kunst, die sich dem Realen zuwendet und Prozesse aus Natur, Wissenschaft, Informatik, Ökonomie oder Politik zum Material der Arbeit macht. Mich interessiert beides, aber die Erneuerung und Aktualität von Kunst liegt im zweiten Aspekt, da über Prozesse in unserer Daten- und Biosphäre eine neue Ästhetik präsentiert wird. Sie schafft neue Formen und Möglichkeiten des Lebens.
Interview: Alexandra-Maria Toth
Fotos: Günter Kresser