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Tillman Kaiser, Wien

In the Studio

»Professionalität und Kunst sind ein Widerspruch in sich.«

Tillman Kaisers Formensprache zeichnet sich durch symmetrische Kompositionen und reduzierte Farbigkeit aus. Sein Interesse am rhythmischen Element in der Musik ist in den mit Malerei ergänzten Fotografien und Collagen ebenso spürbar wie in den utopisch anmutenden Skulpturen.

Du hast an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Hundertwasser und Schmalix studiert. Hundertwasser ist in Wien beinahe so etwas wie Teil der kulturellen Identität der Stadt. Welchen Einfluss hatte Hundertwasser in dieser frühen Zeit deiner künstlerischen Entwicklung auf dich?
Hundertwasser ist sehr umstritten, viele seiner Bauten sind fragwürdig. Leider hat er sich kommerzialisieren lassen – aber nicht des Geldes wegen, sondern weil er diese Vision vom Umweltschutz und der Verbindung des Menschen mit der Natur hatte. Außerdem war Hundertwasser ein wahnsinnig guter Maler. Mir war es im Grunde egal, in welcher Klasse ich studierte. Hundertwasser selbst habe ich nur zwei- oder dreimal gesehen, er hat gesagt, Kunst kann man nicht unterrichten, und die Studenten werden von der Akademie angezogen wie Bienen vom giftigen Honig. Allerdings hatte er einen hervorragenden Assistenten, den Fotografen Peter Dressler. Dressler hat uns eine Haltung als Künstler wie auch als Mensch vermittelt.

Wie bist du zur Kunst gekommen, und wann hast du für dich beschlossen, Künstler zu werden?
Ich habe immer schon gezeichnet. Als ich in die Pubertät gekommen bin, habe ich begonnen, intensiv zu zeichnen und zu malen, vorwiegend als eine Art von Selbsttherapie. Für mich war das der beste Weg, mich auszudrücken. An der Akademie bemerkte ich dann, dass die selbsttherapeutischen Arbeiten nicht genug sind. Das lag daran, dass ich keine Distanz zu meiner Arbeit hatte. Es ist allerdings wesentlich, aus der Distanz zur eigenen künstlerischen Praxis tätig zu sein und sich plausibel mit der Gesellschaft zu kontextualisieren. In den Jahren an der Akademie habe ich einen harten Schnitt gesetzt und angefangen, anstatt der surrealistischen Gebilde nun Häuser zu malen. Mit der Zeit stellte ich fest, dass ich mich damit wiederum zu weit von mir selbst entfernt habe, und in der Folge ist es mir allmählich gelungen, das Unterbewusste, Chaotische mit klaren Gedanken, Formen und Ornamenten zu verbinden und so meine eigene Vorgehensweise und Bildsprache zu entwickeln.

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Hat dein Umfeld deinen frühen künstlerischen Werdegang beeinflusst? Kannst du Künstler nennen, die für dich wegweisend waren?
An der Akademie bewegt man sich in einem sehr anregenden Umfeld. So richtig unterrichtet wurde ich jedoch nicht. Kunst kann man meiner Meinung nach nur sehr bedingt lehren, aber man kann den Studierenden eine gewisse Hilfestellung zur Selbsterkenntnis geben. Ich weiß nicht, wie das jetzt an den Kunsthochschulen ist, aber gelernt habe ich dort im Grunde genommen nichts. Das ist auch nicht weiter schlimm. Mir wurde einfach die Möglichkeit gelassen, mich frei weiterzuentwickeln. Nach dem Studium habe ich in einer großen Wiener Galerie im Ausstellungs- und Messeaufbau gearbeitet. Das war insofern sehr spannend für mich, als dass ich dort viel gute Kunst gesehen habe. Man muss sich das vorstellen, von der Akademie aus sind wir nie in eine Galerie oder Ausstellung gegangen! Ich habe mich immer sehr für den Surrealismus interessiert, das kommt meiner Art der Reflexion entgegen. Man erkennt es zwar nicht an meinen Arbeiten, aber Giorgio de Chirico und René Magritte schätze ich sehr.

Du hörst meistens Musik, während du im Atelier arbeitest. Hat das einen Einfluss auf dein künstlerisches Schaffen?
Einfluss nicht unmittelbar, aber möglicherweise fließt das Wesen der Musik ein. Meine Bildkompositionen basieren oft auf sich wiederholenden Elementen, in Musik übersetzt wären es vorwiegend stark rhythmische Lieder. Rhythmus findet man nicht nur in der Musik, auch in der bildenden Kunst, der Literatur und Poesie. Rhythmus ist ganz wichtig. Der psychologische Effekt, den Wiederholungen auslösen können, interessiert mich.

Du bist hier in deinem kleinen Atelier in einer ehemaligen Trafik zwar mitten in der Stadt, aber dann doch abgeschieden. Wie empfindest du das?
Auf dem Weg ins Atelier stelle ich mir manchmal vor, dass jeder Schritt auf dem Weg dorthin in einen tiefen Keller führt. Dort angekommen, bin ich dann unerreichbar versteckt.

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Was war die bisher größte Herausforderung in deinem Künstlerdasein?
Die größte Herausforderung ist jedes Mal der Beginn einer neuen Arbeit. Es wird nicht einfacher. Herausforderungen sind Teil des Lebens: Es ist beispielsweise eine große Herausforderung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Man hat immer mehr Projekte im Kopf, als man umsetzen kann. Manchmal wünsche ich mir, es würde mehrere Tillmans geben. Sie könnten parallel arbeiten, der eine macht Bilder, der andere Skulpturen, der dritte findet neue Ideen. Jede neu begonnene Arbeit stellt eine Herausforderung dar, es ist fordernd, aufzupassen, dass man sich nicht wiederholt. Ich habe zwar meine Routinen, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Routinen auch gefährlich sind. Wenn jemand sagt, er ist ein professioneller Künstler, dann schrillen bei mir die Alarmglocken, Professionalität und Künstler sind in meinen Augen ein Widerspruch in sich. Ein Profi ist jemand, der eine bestimmte Sache besonders gut kann und mit viel Routine drangeht. Aber als Künstler sollte man nicht bei dem Einen bleiben, sondern immer ein bisschen etwas Neues suchen, zumindest sukzessive. Insofern bin ich ein Pfuscher, ein totaler.

Hast du schon mal überlegt, den Künstlerberuf an den Nagel zu hängen?
Nein, nie. Es ist zwar schon ein mühsamer Beruf, aber gleichzeitig der wunderbarste, den ich mir vorstellen kann. Man kann den ganzen Tag machen, was man will und niemand erteilt einem Anweisungen. Andererseits erfordert er viel Selbstdisziplin.
Mit dem Künstlerberuf wählt man einen mühevollen Weg. Ich sehe es an den Kollegen, mit denen ich studiert habe, die meisten machen mittlerweile ganz etwas anderes, um zu überleben. In unserer Gesellschaft wird nur bezahlte Arbeit als wertvoll angesehen, Wert hat nur, was Geld einbringt. Dabei gibt es viele Personengruppen, die Großes leisten, ohne dafür Geld oder oft auch nur Anerkennung zu erhalten, wie beispielsweise alleinerziehende Mütter.

Als Künstler hat man gewisse gesellschaftliche Freiheiten. Mit Freiheit kommt aber auch Verantwortung. Siehst du eine bestimmte Verantwortung für dich als Künstler oder für die Kunst im Allgemeinen?
Ich empfinde es so, dass man als Künstler am Rand der Gesellschaft lebt, sozusagen als Außenseiter. Das ist durchaus als Vorteil zu betrachten. Somit ergibt sich die Möglichkeit, die Welt aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu beobachten.

Welcher Aspekt im Kunstschaffen ist deiner Meinung nach am wesentlichsten?
Es ist unbedingt erforderlich, in der Arbeit authentisch zu bleiben und diese auch ständig zu hinterfragen. Ich denke, sobald man beginnt, sich selbst zu belügen, bemerken das die Betrachter in der Sekunde. 

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Bezogen auf deine Objekte, hast du gesagt, dass du ähnlich einem Science-Fiction-Regisseur die Leute in Staunen versetzen möchtest und dafür mit psychologischen Tricks arbeitest. Was können wir uns darunter vorstellen?
Das ist schon länger her, das ist eine ältere Geschichte. Ich finde es interessant, Dinge aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu ziehen und in einen neuen zu stellen – in Form von Collagen.
 
Gehst du mit einer Idee, einem bestimmten Gedanken an die Arbeit, oder entwickelt sich das Thema im Sinne einer surrealistischen Herangehensweise während des Arbeitsprozesses aus dem Unterbewusstsein?
Natürlich hat man während der Arbeit viele Ideen, die direkt in die Arbeit einfließen, aber ich bereite die Arbeiten mit Hilfe von Skizzen und räumlichen Gedanken vor, nicht nur – wie in meinem Fall – am Boden kniend und malend.

Wie viel Erklärung braucht deine Kunst, oder möchtest du den Betrachter mehr intuitiv ansprechen?
Ich finde es sehr gut, wenn Arbeiten auch ohne Erklärung funktionieren. Aber ich gebe auch gerne Erklärungen, wenn es hilft. Ebenso respektiere ich völlig Kunst, die nicht ohne Erklärung auskommt. Das tolle an der Kunst ist, dass – solange es gut gemacht ist –, alles erlaubt ist. Es gibt keine Dogmen wie in der Religion. Wenn dann jemand zum Beispiel meint, Malerei sei obsolet, fällt das für mich unter verzichtbaren Dogmatismus. Im Grunde finde ich es sehr spannend, wenn die Betrachter ihre eigenen Assoziationen haben und die Arbeiten wie eine Reflexionsgrundlage funktionieren.

Deine Arbeit wird in ihrer Rezeption unter dem Einfluss unterschiedlicher kunsthistorischer Stilrichtungen gesehen: Kubismus, Futurismus, Surrealismus, Bauhaus, Postmoderne … Gibt es so etwas wie ein Missverständnis in der Rezeption deiner Arbeit, mit dem du gerne aufräumen möchtest?
Das mit den Utopien und Dystopien ist schon interessant, aber es wird oft ein wenig überbewertet. So wichtig ist es mir nun auch wieder nicht. Ich glaube, dass die Rezeption einer Position auch immer abhängig von Zeitströmungen und Moden ist.

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Manche deiner Objekte wie „Moontrap“ oder „Table“ erinnern an das Faltspiel „Himmel und Hölle“. Würdest du sagen, du treibst ein Spiel mit der Wahrnehmung der Betrachter?
Symmetrien interessieren mich, da ist wieder das Element des Rhythmischen, bei dem es kein oben und unten, kein hinten und vorne gibt. Und dadurch ergeben sich oft solche Formen, die aussehen wie das Himmel-und-Hölle-Spiel. Ich finde es auch interessant, dass, wenn man Zeichnungen übereinanderlegt, sich ähnlich der Synkope in der Musik eine rhythmische Verschiebung ergibt: Ein Schlag wird ausgelassen und der andere doppelt betont. Solche Überlagerungen sind sehr schön, das versuche ich in meinem Arbeiten umzusetzen.

Wie bist du zu den fotografischen Techniken gekommen?
Die Fotobilder habe ich nicht geplant, sie haben sich im Laufe der Zeit ergeben. Diese Entwicklung gefällt mir, und ich finde sie auch insofern interessant, da ich eigentlich ein Maler bin. Meine Entwicklung ging von der Malerei zur Collage. In einer früheren Phase habe ich viel mit Siebdruck gearbeitet, immer ergänzt mit Malerei. Als diese Technik für mich ausgereizt war, habe ich mich den Fotogrammen zugewandt, auch in Form von Cyanotypien, einem alten fotografischen Verfahren. Die belichteten Partien erscheinen im für die Technik typischen Blauton. Man mischt zwei Chemikalien, die in einem bestimmten Verhältnis mit Wasser verdünnt sind, in der Dunkelkammer zusammen, dadurch werden sie lichtaktiv. Dann bringe ich die Flüssigkeit auf Papier auf, um dieses im Anschluss an der Sonne zu belichten. Das Ergebnis ist ein Fotogramm, das im Unterschied zum Foto in Direktbelichtung ohne Linse aufgenommen wird. Daneben mache ich auch Fotogramme auf Basis von Silbergelatine, also in Schwarz-Weiß.
Später habe ich mir eine Camera obscura gebaut – ein weiterer Schritt in Richtung Fotografie, weil keine Direktbelichtung wie beim Fotogramm erfolgt. Im Grunde ist diese Entwicklung die Wiederholung der Geschichte der Fotografie.

Wo siehst du deine Skulpturen neben diesem Prozess, wo stehen sie da? Hat es sie immer schon gegeben?
Ich habe damit begonnen, Skulpturen zu bauen, als ich anfing, Architektur zu malen. In dieser Zeit habe ich Häuser mit Karton nachgebaut. Von diesen Häusermodellen ausgehend, hat sich die räumliche Arbeitsweise verselbstständigt und ist abstrakt geworden. Mit der Zeit habe ich auch begonnen, andere Dinge zu integrieren.

Diese Gegenstände, die du in deine Skulpturen einbaust, wie kommst du zu ihnen, und nach welchen Kriterien wählst du sie aus?
Es sind Gegenstände, die eine gewissen Aura haben oder eine Geschichte erzählen, wie dieser alte Stuhl da, den ich diesen Sommer am Strand gefunden habe – der wird vielleicht auch einmal irgendwo integriert, oder das Innere einer Thermoskanne hier. Wobei dieser Puppenkopf dort nicht funktionieren wird, der ist zu eindeutig.

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Ist Schönheit in der Kunst für dich ein Kriterium? Was zeichnet in deinen Augen Schönheit aus?
Nachdenken über Ästhetik und Schönheit ist meiner Ansicht nach wichtig. Ich glaube, dass die Menschen Schönheit suchen. Das ist wirklich universell. Wie im Tierreich, in dem sich Vögel aufgrund ihrer Farbenpracht schön finden. Man kann über Schönheit genauso nachdenken wie über Philosophie. Der ästhetische Aspekt ist mir enorm wichtig. Die deutsche Autorin Herta Müller hat sinngemäß etwas gesagt, das ich sehr zutreffend finde: Schönheit ist nicht lediglich Stilmittel oder Ornament, Schönheit ist substanziell.

Ist es dein Ziel, etwas zu erschaffen, das schön ist?
Nicht im Sinne von ansprechend oder hübsch, sondern ich möchte etwas erschaffen, das Tiefe hat. Wenn man etwas komplexere Musik hört, findet man sie manchmal nicht auf Anhieb schön, man hält es mitunter gar nicht aus. Man muss sich manches schon öfter anhören, damit es aufgeht. Das ist ähnlich, wie eine Sprache zu lernen. So ähnlich ist es auch mit meiner Arbeit.
Das Schöne an Kunst ist, dass sie für sich selbst steht und für nichts gut ist, keinen unmittelbaren Zweck erfüllt, wie ein Hammer oder ein Feuerzeug. Daher ist sie auch nicht ersetzbar. Sie wird rein ihrer selbst willen geschätzt, das ist schön.

Deine Arbeiten sind farbig sehr reduziert und hauptsächlich in Schwarz und Weiß gehalten. Wie kommt das?
Das liegt daran, dass die Formen, die ich verwende sehr stark sind. Wären sie auch noch bunt, ist das in meinen Augen zu viel. Aber in letzter Zeit gehen mir Farben mitunter ein bisschen ab. Wer weiß, was noch kommt … Vielleicht schaffe ich es noch einmal, ein wenig farbiger zu werden. Meine Hoffnung ist, ich bleibe nicht stehen, sondern entwickle mich immer weiter und weiter.

An welchem Projekt arbeitest du gerade?
Ich produziere derzeit extra große Bilder für meine Ausstellung in der Secession im Herbst 2019. Ich mag die großen Formate, man hat mehr Freiheiten mit ihnen. Ein Fehler in einem kleinen Bild ist eine Katastrophe, aber in einem großen Bild ist er eine Bereicherung. In letzter Zeit habe ich weniger Skulpturen gemacht, weil mich die Bilder sehr in Anspruch nehmen. Ich mache Fotografien mit der Camera obscura und Cyanotypien, das sind sehr arbeitsintensive Methoden, aber ich werde wieder Skulpturen produzieren.

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Interview: Barbara Libert
Fotos: Christoph Liebentritt

Links:
Galerie Emanuel Layr, Wien/Rom

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