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Ulrich Lamsfuß, Berlin

In the Studio

»Mein Traum war immer, zu malen wie eine Maschine.«

Man kann den Maler Ulrich Lamsfuß einfach als Fotorealisten bezeichnen, ebenso wichtig ist in seiner Arbeit aber sicherlich der Bezug zur Appropriation Art.

Ulrich, momentan arbeitest du an einem großformatigen Blumenbouquet, dessen Vorlage die Abbildung einer Plastik von Jeff Koons ist. Kannst du mehr zu dieser Motivwahl erzählen?
Ich beschäftige mich immer wieder mit Blumen, Arrangements und Vasen. Das ist ein Genrebild, das unter anderem immer wieder in meinen Arbeiten auftaucht. Genre ist eine horizontale Erzählform, und man erzählt weniger auf eine Auflösung hin, als dass man eine Konstellation oder Problemlage warmhält und umkreist. Es geht um Wiederholbarkeit und Beispielhaftigkeit. Also zweite Ordnung, und die interessiert mich sehr stark, weil ich sie als die eigentlich dominante Ordnung empfinde. Der ganze „Hallraum“ von Stillleben und Bildern überhaupt spielt eine Rolle, der ja immer schon da ist, damit muss man umgehen. Was man tut als Künstler, ist ja, Dinge herzustellen, die es wert sein sollen, meinetwegen an die Wand gehängt zu werden. Wenn man sich auf so ein Motiv bezieht, überbetont man natürlich die Frage nach Künstlichkeit. Wenn ich, wie in diesem Beispiel, eine Arbeit von Jeff Koons abmale – der sich auch schon damit beschäftigt und auf diverse Quellen bezogen hat, als seine Arbeit entstand, die selbst einen extremen Wert darstellt –, ist das an der Grenze zur Überaffirmation.

Es geht also auch um die Wiederholung und die Reproduktion der Reproduktion: vom Original-Bouquet über die skulpturale Interpretation von Koons zur fotografischen Dokumentation bis hin zu deiner Reproduktion oder Interpretation?
Genau.

Kann man behaupten, dass all deinen Arbeiten eine Vorlage vorausgeht?
Ja, ich arbeite ausschließlich mit und nach Vorlagen.

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Kannst du deine Vorgehensweise kurz beschreiben?
Meine Technik ist sehr simpel. Gezielt unterkomplex. Wie Malen nach Zahlen. Eigentlich könnte man es als Antimalerei bezeichnen, ohne jede Kunstfertigkeit. Es gibt keine Vorzeichnung, Untermalung, Wisch- und Lasurtechniken, kein Genie. Im Gegenteil – ich funktioniere wie eine Art Plotter. Ich benutze ein Raster für die Übertragung der Vorlage auf die Leinwand. Ich platziere die Farbe da, wo sie laut Vorlage hingehört ohne altmeisterlichen Malerei-Aufbau. Ich fange oben links an und höre unten rechts auf.

Also eine sehr unmittelbare Methode ohne großen, malerischen Anspruch?
Ja, mein Traum war immer, zu malen wie eine Maschine. Antikunst. Das Einzige, worauf es ankommt, wenn man so arbeitet, ist, dass man es machen wollen muss. Im Vordergrund steht also in erster Linie der Wille und die Aufrichtigkeit, da soll nichts anderes sein.

Worauf kommt es dir dann genau an?
Eine Fragestellung ist: Was ist der Moment, der Menschen dazu bringt, in ihren Hobbykellern 15.000-Teile-Puzzle zusammenzusetzen? Das ist die Energie, die ich interessant finde, auch in der Kunst. Dass du dabei unbedingt eine neue Information transportierst, glaubt dir inzwischen eh keiner mehr. Trotzdem ist da auch immer die Suche nach Wertsystemen, Glaubenssystemen, die Suche nach Kunst also. 

Die Kunst also um der Kunst willen? Eine totale Sinnfreiheit?
Nein überhaupt nicht. Nur uneigentliches Sprechen eben. Auch eine Verweigerung. Ich habe Sympathie für die Beleidigten und Erniedrigten, vieles auf dieser Welt ist für mich nicht in Ordnung, um es mal vorsichtig zu sagen. Affirmation ist nicht meine Sache. Dann lieber die Schönheit der Regelverletzung. Mich interessieren Oppositionen und Ambivalenzen, wie meinetwegen die zwischen high und low. 

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Was war in diesem Fall deine Motivation, Künstler zu werden?
Mangel. Das Empfinden, dass es auf dieser Welt an Schönheit mangelt, und dann die Frage danach, was das eigentlich ist, sein soll. Jedes Bild von mir stellt die Frage, ob es das eigentlich wert ist. Und durch die immense Arbeit treibe ich den Preis hoch. Ich habe nicht erwartet, damit Geld zu verdienen. In den frühen Neunzigern war es an den Kunstakademien noch überhaupt nicht absehbar, worauf es hinausläuft. Bis es bei mir richtig losging, war ich der Meinung, ich suche mir einen Job und mache nebenbei meine Kunst. Das Gefühl der Sinnlosigkeit an der Kunstakademie war enorm – die Situation war geprägt von einem ziemlich lächerlichen, andererseits aber viel zu ernsthaften Kampf, irgendwie ein Problem zu erzeugen, um es dann künstlerisch wieder zu lösen.

Trotzdem hast du zu Ende studiert.
Offiziell, ja. Aber ich war fast nie an der Akademie. Auf eine Art bin ich eigentlich eher Autodidakt. Berlin war gut – hier konnte man auch ohne Hochschule sein Atelier haben. Der Professor kam einmal im Jahr ins Atelier und hat sich die Arbeiten angesehen, und das war’s dann. Aber ich bezweifle, ob nicht andere Wege zum gleichen Ergebnis geführt hätten. Ich denke, dass ich eine Art autistisches, sich selbst entwickelndes System bin. Außerdem gab es in Berlin damals einiges, was für meine Entwicklung wesentlich relevanter war, wie zum Beispiel Rave. Die Egalisierung aller Hierarchien, die Absage an den Künstler oben auf der Bühne im Licht und das Publikum unten im Dunklen, die Absage an die Kunst und das Original und das Ego waren und sind für mich essenziell und evident. Ich fand und finde das ganz einfach richtig. Fuck art – Let’s dance! Das hat das Lähmende an der Kunstakademie für mich sehr evident aufgelöst.

Wie ging es dann weiter?
Irgendwann habe ich dann mehr als Beschäftigung wieder angefangen zu malen und die Fragen nach dem Inhalt auf die Coffee-Table-Magazin-Ebene reduziert. Kunst ist eben das, was man macht, wenn man nichts zu tun hat. Ein schön niedrigschwelliger Ansatz. Minimalinvasiv. Der Kurzschluss zwischen Motiv und Motivation. Dieser ostentative Eskapismus fühlt sich bis heute richtig und gut an. Wenn ich bei der Kunst die Motivation nicht verstehe, kann ich mit ihr nichts anfangen. 

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Wie kann man deine Motivation für bestimmte Motive verstehen?
Natürlich gibt es gewisse Schmerzpunkte, und wenn mir dann ein Motiv begegnet, das diese penetriert – wie beispielsweise das Kunst-in-Kunst-in-Kunst-Thema mit dem Blumen-Bouquet – dann geht’s los. Meine neue Ausstellung befasst sich beispielsweise mit losen Assoziationen zum Thema „Little Red Riding Hood“. „Capucetto Rosso“ ist der Titel eines Stückes von Rene Pollesch. Es ging dort um das ganze Feld von Rotkäppchen, aber auch von Karl Marx, also Märchen und Utopia und so weiter. Und dann noch diffuse deutsche, Giorgio-Moroder-mäßige Italiensehnsucht im Titel. Das bildet dann den Hintergrund für eine Reihe von Bildern, wie etwa für die Vasen mit den Marx-Porträts. Bei den Vasen geht es mir aber auch immer um den Hohlkörper, die Möglichkeit der Leere, und um die Oberfläche, hier mit Karl Marx. Alle diese Erzählstränge muss man natürlich nicht wissen, aber diese assoziativen Verbindungen entwickeln für mich eine Bedeutung und geben einen Anlass. Die daraus entstehenden Motive können aber von jedem anders dechiffriert werden. Ich stehe neben dem Betrachter und nicht gegenüber. Es geht um Betrachtung, Anschauung. Es geht für mich um die Utopie des motivierten Lebens. Erkenne ich also etwas, motiviert mich das, mich damit zu beschäftigen. Die Motivwahl ist also schon irgendwie persönlich, ähnlich wie im Jugendzimmer aufgehängte Poster.

Kannst du noch kurz etwas zu der Arbeit mit den Marx-Vasen sagen und warum es eine Serie von 4 Bildern geworden ist?
Meine Eltern waren 68er, und bis zu meinem 8. Lebensjahr hing bei uns Karl Marx im Wohnzimmer neben dem Kommunistischen Manifest und darunter die gesammelten Lenin-Bände, in Leder gebunden. Es hat so einen nostalgischen Moment, steht für Zeiten mit konsistenten Glaubens- und Wertsystemen. Um die Gegenwart zu beschreiben, wird Marx andererseits zurzeit auch wieder richtig relevant. Das Motiv hier ist allerdings eine Vase aus der Sowjetunion der 1950er Jahre, einem Land, das es gar nicht mehr gibt, quasi ein Artefakt des Scheiterns, was zudem einem Sammelband des Taschen-Verlags über DDR-Souvenirs entnommen ist. Außerdem male ich, wie gesagt, wahnsinnig gerne Hohlkörper, Gefäße, wo du nicht weißt, was drin ist. Die Entscheidung, bestimmte Motive öfter zu malen, kommt ursprünglich daher, dass ich in einer neuen Wohnung in jedem Zimmer das gleiche Bild hängen haben wollte. The Painting. Aber mir gefällt auch, wie die Wiederholung das Originale destabilisiert.

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Es gibt auch Motive, die du selbst generierst, wie entstehen diese?
Die Vorgehensweise unterscheidet sich nicht grundlegend vom Rest. Es entwickelten sich gewisse Fragestellungen, Themengebiete, die immer wiederkehrten. Beispielsweise beschäftige ich mich mit der Frage, wo in Deutschland eigentlich das Geld herkommt? Wo und wie wird Geld generiert in Deutschland? Dabei geht es um Mittelständler und Weltmarktführer aus Deutschland. Wenn ich keine guten Bilder finde, fahre ich halt mit Fotografen hin und dokumentiere die Produkte oder die Produktion, und male sie im Anschluss und speise sie so in meinen Fotoblog ein. Praktizierter kapitalistischer Realismus. Ich interessiere mich auch für Mode(fotografie), Film, für Reenactments, Fakes und so. Mit diesen künstlerischen Strategien im Kopf kann ich auf verschiedenen Ebenen operieren. Ob das nun persönlich, abstrakt oder künstlich ist, spielt für mich keine Rolle. Viel Neues zu erzählen habe ich nicht, auch nicht den Anspruch daran. Worum es bei mir größtenteils geht, ist ein Skeptizismus gegenüber Wert-, Glaubens- und Kommunikationssystemen. 

Wie meinst du das?
Etwas, das ich an Bildern sehr mag, ist eben, dass sie schweigen. Sie senden still vor sich hin. Ich kann nur versuchen, sie in der Schwebe und offenzuhalten, sie so zu behandeln, dass man sie wieder sehen kann. Dazu muss ich klare Aussagen vermeiden, sonst weiß man sofort Bescheid, und nichts verstellt den Blick so sehr wie Bescheidwissen. „Unlearning“ hieß das auf der letzten documenta, wenn ich das richtig verstanden habe. Deswegen ist Reden über Kunst tendenziell unangenehm und unpassend. Im Grunde bin ich einfach nur da und mache, rekonstruiere Visibilität.

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Apropos machen: Welche Rolle spielt Geschwindigkeit in deiner Arbeit?
Ich arbeite inzwischen viel langsamer als früher. Wenn ich im Jahr 10 Bilder schaffe, davon die meisten eher klein, ist es ein fettes Jahr. Ich habe das wachsende Bedürfnis, genau zu sein. Ich arbeite sehr skrupulös, brauche extrem lange, bis ich überzeugt bin, dass etwas fertig ist, da sind starke Beharrungskräfte, die mich bremsen. Am liebsten würde ich das noch zuspitzen, aus Liebe zur Dysfunktionalität und aus Ablehnung jeder Verwertungslogik. Am besten am Ende nur noch ein Motiv malen, stoisch und mit immenser Intensität. Ich bewege mich also ostentativ langsam in einer Zeit, die charakterisiert ist von Aufmerksamkeitsökonomie und Hochgeschwindigkeit – die Opposition von Akzeleration und Kontemplation. Für einen Schnappschuss, der unter Umständen den Bruchteil einer Sekunde gedauert hat, brauche ich leicht schon mal zwei Monate.

Also „slow art“ könnte man sagen?
Ja. Very slow art. Nearly no art.

Anders verhält es sich mit deinen Zeichnungen, oder?
Zeichnen begreife ich für mich therapeutisch. Nachdem ich beim Malen nur noch langsam vorankomme, brauche ich eine Art Ventil, um in kürzerer Zeit mal mehr zu schaffen. Momentan beschäftige ich mich viel mit Porträts, mit Blicken auf Tumblr.  

Nach welchen Suchkriterien gehst du im Netz vor?
Ich suche nach Blicken, die ich gut zeichnen kann, weil sie mir gefallen, ich sie interessant finde. Die Ausleuchtung und räumliche Wirkung der Bilder muss stimmen, sonst macht es keinen Spaß.

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Bildrechte spielen in deiner Arbeit eine permanente Rolle. Wie gehst du damit um?
Ich sehe es ganz pragmagisch: Wenn ich ein Magazin aufschlage und ein Bild gefällt mir – wieso sollte ich es dann nicht malen? Es ist bei der Bilderflut heute eigentlich eher Notwehr. Ich bewältige damit die Informationsflut, die auf mich einstürzt. Ich bin am Anfang völlig naiv damit umgegangen und habe erst im Laufe der Zeit festgestellt, dass es ziemlich illegal ist. Deshalb werden die Fotografen jetzt vorher angeschrieben, und ich versuche, das Einverständnis zu bekommen. Alle Bilder sind klar nach ihrem Fotografen, der Quelle oder anderen relevanten Informationen benannt. Glücklicherweise male ich inzwischen nicht mehr so schnell, daher gestaltet sich die Organisation der Rechte leichter. 

Also auch hier fügst du nichts hinzu, sondern reproduzierst lediglich?
Nein, dafür müsste ich ja richtig gut sein. Außerdem würde ich in diesem Moment wertend arbeiten, und das will ich nicht. Ich möchte keine Interpretation, sondern wie bei der Malerei auch, eine möglichst kalte Nachahmung, auch wenn mir das dann doch eigentlich nie gelingt.

Was sollen deine Bilder beim Betrachter auslösen und wie willst du deine Kunst idealerweise wahrgenommen wissen?
Ich würde sagen, dass ich Wahrnehmung so zuspitze, dass das ganze Regime des Sehens und Zeigens am Ende dubios wird. Es geht um meine Faszination für Bilder und darum, was das eigentlich ist, ein Bild, und wie das funktioniert. Am Ende steht eine Frage und nicht eine Antwort. Darüber hinaus sollte es unterhaltsam sein, Kunst ist letzten Endes auch immer Entertainment.

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