Fernab der Kunstwelt lebt und arbeitet die Malerin Vivian Suter auf einer ehemaligen Kaffeeplantage in Panajachel, Guatemala. Hier bindet sie bewusst die Natur in die Erschaffung ihrer Malereien ein und gibt ihr eine besondere Autorschaft. So finden sich in den Arbeiten Spuren von Blättern, Schlamm, Regenwasser, aber auch Abdrücke von Hundepfoten. Damit entwickelte Vivian Suter eine ganz eigene Bildsprache, in der Erinnerungen an Zeit und Ort eingeschrieben sind.
Vivian, deine Mutter, Elisabeth Wild, und deine Großmutter waren Künstlerinnen. Hat dich das in deiner Wahl, Malerin werden zu wollen, beeinflusst?
Sicher. Nicht, dass es mir sehr bewusst war, aber ich glaube, das war schon immer, was ich machen wollte. Meine Großmutter war auch sehr begabt, und das geht sogar zurück zu meiner Urgroßmutter, die viel gemalt hat. Das Künstlerische liegt tatsächlich in der Familie, und vor allem bei den Frauen (lacht).
Deine Familiengeschichte ist sehr bewegend; deine Mutter flüchtete mit ihrer Familie vor dem Nationalsozialismus nach Argentinien. Dort wurdest du in Buenos Aires geboren und bist erst in jungen Jahren mit deiner Familie nach Basel gekommen. Beschäftigt dich diese Vergangenheit?
Das kann ich nicht ausschließen, weil die Begebenheiten so sind und dass diese mich mit beeinflusst haben … Aber das ist nicht unmittelbar oder ein bewusstes Thema meiner Kunst. Ich selbst möchte immer wieder nach Argentinien zurück, und jedes Mal, wenn ich in Europa bin, ist die Schweiz mein Ausgangspunkt. So schwer die Vergangenheit ist, Orte inspirieren mich, und ich komme sehr gerne zurück, aber ich bin auch wieder gerne bei mir zu Hause in Panajachel und bei meiner Arbeit in der Natur.
In Basel warst du an der Kunstgewerbeschule. Fandest du viel Zuspruch von deiner Familie, oder gab es jemals sogar einen anderen Berufswunsch?
Für mich nicht, aber mein Vater hatte mich nicht darin unterstützt, dass ich an die Kunstgewerbeschule ging. Ich musste zuerst auch etwas anderes lernen; aber das war für mich nicht das Richtige. Unterstützung gab es von meiner Mutter, die mich ermutigt hat, an die Gewerbeschule zu gehen, um dann auch Kunst zu machen.
Wenn du zurückblickst, wie war diese Zeit für dich als junge Kunstschaffende?
Es liegt vierzig Jahre zurück, aber es war sehr spannend, weil Jean-Christophe Ammann, der leider schon verstorben ist, damals die Leitung an der Kunsthalle Basel hatte und eine Ausstellung mit Basler Künstlern realisierte und ich dabei sein durfte. So war es eine aufregende Zeit, indem ich auch das erste Mal als Künstlerin mit meinen Arbeiten herausgekommen bin und neben anderen meine Position zeigen konnte.
Wann hast du dich zum ersten Mal als Künstlerin betrachtet?
Ich glaube, das war für mich nie eine Frage. Es war einfach so … In meinem Pass steht auch, dass ich Malerin bin, und das war mir ein großes Anliegen, denn mir ist wichtig, als Malerin und nicht als Künstlerin bezeichnet zu werden.
Nach deinen anfänglichen Erfolgen in der Schweiz hast du dich nach einer Reise komplett aus der Kunstwelt zurückgezogen. Ein mutiger Schritt …
Ich wollte das. Ich wollte davon wegkommen, denn dieser Lebensstil hat einen doch sehr geprägt … Es ging mir darum, meinen eigenen Weg zu finden und nicht so beeinflusst zu werden von allem Drum und Dran in der Kunstwelt, oder auch darum, nicht in eine Art Abhängigkeit zu geraten. Also habe ich mich bewusst davon gelöst.
Seit den 1980er-Jahren lebst und arbeitest du nun auf einer ehemaligen Kaffeeplantage. Wie kamst du zu diesem Ort?
Ich war eigentlich nicht auf der Suche nach etwas Bestimmtem, es hat sich so ergeben, dass ich durch diese eine Reise hierher gekommen und dann auch geblieben bin. So hatte ich viel Zeit, mir zu überlegen, was ich eigentlich möchte, für mich und meine Kunst.
Die Plantage ist sehr weitläufig. Wie sind deine Arbeitsorte verteilt, wie können wir uns deinen Alltag vorstellen?
Es gibt unterschiedliche Räume oder Örtlichkeiten, wo ich arbeite, verteilt auf der ganzen Plantage. So gibt es ein Atelier, dort hängen die Bilder, wo ich sie lagere, trockne oder aufrolle zum Verschicken. Und dann ist draußen vor dem Haus ein Ort zum Arbeiten, unter den Bäumen. Wenn ich Bilder male, sind sie aufgespannt zwischen den Bäumen, und manche Werke liegen am Boden, und so lasse ich sie auch über Nacht liegen und die Natur mitarbeiten. Ich arbeite aber auch sehr gerne oben auf einem Berg. An sich ist immer viel los; gerade wird ein neues Tonstudio für meinen Sohn, Frank Wild, gebaut. Und dann sind es alltägliche Sachen, denn ich mache viel im Garten, wobei ich mittlerweile auch viele Helfer habe, und ich kümmere mich um unsere Hunde … Und wenn es um das Künstlerische geht, schaue ich gerne, wie es den Bildern geht, die ich am Abend im Dunkeln zurückgelassen habe, und wie ich mit ihnen weiterarbeiten könnte. Am Tag sehe ich sie in einem anderen Umfeld, in einem anderen Licht, und wie sie sich verändert haben.
Das klingt nach einem stetigen Arbeitsprozess?
Es ist so ein Alltag, wobei ich nicht unbedingt gleich am nächsten Tag weitermache. Ich versuche den Moment, an dem ich bestimmte Malereien verlassen habe, für einige Zeit weiter auf mich wirken zu lassen, und dann gibt es den Zeitpunkt, wo ich mir eine Arbeit anschaue und weiß, wie ich weitermalen werde.
Und wann ist für dich eine Malerei fertig, wann kannst du sie aus der Hand geben?
Das ist eine schwierige Frage, die ich mir im Arbeitsprozess immer wieder stelle. Ist es jetzt wirklich fertig? Und man weiß es nicht … Wenn ich sie mir am nächsten Tag bei Tageslicht wieder anschaue, gibt es manchmal diesen einen Moment, wo ich es weiß; oder man macht doch weiter und denkt: oje, oje, einen Schritt zu viel gemacht (lacht). Aber an sich ist es sehr intuitiv bei mir.
Nachdem deine Arbeit anfangs eher konzeptuell ausgerichtet war, hast du dich später einer sehr ausdrucksstarken, gestischen Malerei zugewandt. Welche Themen haben dich ganz am Anfang beschäftigt?
Wenn ich so zurückblicke, hat es eigentlich immer mit der Natur zu tun gehabt, auch wenn es eher konzeptuell war … Aber die Natur, auch in ganz reduzierter Form, war durchgehend da. Mir geht es um ein Zusammenspiel von Mensch und Natur.
Dieses Thema von Mensch und Natur hat sich intensiviert, denn durch zwei Tropenstürme (2005 und 2010) hat sich deine Arbeitsweise verändert, und die Natur spielt nun mit einer Art eigenen Autorschaft mit …
Genau, sie arbeitet mittlerweile an meinen Malereien mit. Damals gab es eine Überschwemmung, und das ganze Atelier stand über einen Meter hoch voll Lehm und Schlamm, und es war alles nass, auch die hängenden Sachen, und natürlich jene, die am Boden lagen, waren ganz bedeckt mit Schlamm. Es war furchtbar; ich konnte gar nicht hinein, weil es auch so tief war. Das Ganze war so schockierend, nicht nur meine Kunst betreffend, denn auch der Hund meiner Mutter ist mit der Flut verschwunden, und wir alle wurden evakuiert … Erst nach einiger Zeit habe ich mich wieder getraut, nachzuschauen, und durch das Beobachten, wie die Sachen langsam getrocknet sind, habe ich eine Veränderung an den Werken bemerkt und so eine Schönheit darinnen entdeckt. Man kann sich nicht ständig wehren gegen etwas, was passiert, sondern man muss mitmachen; sonst ist man immer gegen irgendwas … So ist es entstanden, dass ich mich in meiner Kunst mehr frei gebe und die Arbeiten nun bewusst draußen lasse bei Wind und Regen. So hat die Natur oder die Umgebung einen Einfluss, über den ich mich früher vielleicht aufgeregt hätte, auch wenn meine Hunde darüber gelaufen sind, aber mittlerweile gehört es dazu (lacht).
Deine Kunst erscheint insbesondere durch das Thema der Natur mit der Klimakrise sehr zeitgemäß. Siehst du das auch so?
Sie passt vor allem jetzt dazu, aber als ich angefangen habe, das zu machen, was ich erarbeite, war es nicht unbedingt so, dass sie gepasst hat. Nun passt es, auch wegen des Klimathemas. Und das beunruhigt mich, denn jetzt ist es ein großes Thema, und ich frage mich: Bin ich mit meinen Arbeiten in irgendetwas hineingerutscht? Denn in eine bestimmte Kategorie zu fallen, gefällt mir nicht so sehr …
Wie würdest du deine Kunst in wenigen Worten beschreiben?
Es ist eine abstrakte und sehr freie Kunst, die von der Natur und ihren Begebenheiten mit beeinflusst wird.
Was inspiriert dich?
Mich inspirieren sehr viele Menschen, vor allem jene, die mich unmittelbar umgeben; es sind nicht nur Kunstschaffende oder die zeitgenössische Kunst an sich. Mir geht es darum, Neues zu entdecken, auch durch Besuche in Museen. Ich sehe mir auch gerne sehr alte Sammlungen an, wie jene im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Wie nimmst du die Kunstszene in Guatemala wahr?
Immer mehr Kunstschaffende erfahren Beachtung, weil sich auch alles mehr geöffnet hat, auch in den Themen, und das finde ich sehr gut. Ich finde auch, dass das Thema der Natur hier sehr präsent ist, weil man so lebt und es dann mit der eigenen Kunst vermittelt. An sich ist es eine sehr bewegte Kunstszene, wobei ich nicht unmittelbar in Kontakt mit ihr stehe, aber ich bin ein Teil von ihr.
Durch die besondere Art, wie du viele deiner Arbeiten hängst, hat man das Gefühl, dass man sehr nah an deinen Malereien dran ist und durch sie hindurchwandeln kann. Wie kam es zu dieser Art der Präsentation?
Das hat sich durchs Ausstellen langsam so ergeben. Das erste Mal habe ich es mir wie eine Skulptur vorgestellt, wie diese Bilder hängen könnten … Mittlerweile geht es darauf zurück, wie ich sie lagere, mit einer Hängung, ohne Keilrahmen. Das hat mir immer so gefallen, und so habe ich es dann realisieren wollen. Und seitdem hat es sich verselbstständigt und ist Bestandteil meiner Präsentation geworden.
Wünschst du dir bestimmte Reaktionen?
Nein. Ich freue mich über positive Bemerkungen, und es freut mich, wenn etwas ausgelöst und vermittelt wird. Das macht mich glücklich. Ich kann mir nichts Besseres wünschen.
Wie gehst du dann mit Kritik um?
Schlecht (lacht). Meine Mutter war sehr kritisch, und so habe ich beschlossen, dass ich ihr meine Sachen besser nicht zeige. Obwohl ich bei ihr oft geschaut habe, wie sie etwas macht, war ich mit meinen Sachen ihr gegenüber sehr zurückhaltend. Als sie dann Fotos von meinen ersten Ausstellungen gesehen hat, war es besser, und es hat ihr auch gefallen, was ich gemacht habe. Aber wenn ich Bemerkungen während des Arbeitens an meinen Werken bekam, konnte ich die Kritik eher schlecht ertragen.
Deine Mutter hat mit dir später auch zusammengelebt. Wie war das für dich und dein künstlerisches Schaffen?
Es gab zwei verschiedene Häuser, und so hatten wir unseren eigenen Platz, wo jede gelebt und gearbeitet hat. Wir haben schon viel gemeinsam miteinander gemacht und das Leben auf der Plantage miteinander geteilt, aber es war schon gut, dass es getrennte Bereiche gab.
Du meintest, du hast dich vor allem dadurch sehr frei gefühlt, indem du weg von der Kunstwelt warst. Mit der documenta 14 (2017) kam aber erneut eine Aufmerksamkeit auf dich, die bis heute besteht. Wie war das für dich?
Das war ein interessanter Prozess für mich. Adam Szymczyk, der 2017 künstlerischer Leiter der documenta war, hat dreißig Jahre später dieselben Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung von Jean-Christophe Ammann, wo ich damals in der Kunsthalle Basel erstmals sichtbar war, eingeladen, und so war ich wieder mit dabei. Zwar gab es zuvor andere Ausstellungen von mir, aber Adam hat uns, und so auch mich, wiederentdeckt. Tatsächlich empfinde ich die Aufmerksamkeit als sehr angenehm (lacht). Ich bin auch an mir gewachsen. Ich war damals sehr scheu, und bin es jetzt vielleicht ein bisschen weniger als früher, und das war auch ein Grund in meinem Verhalten, dass ich mich zurückgezogen hatte. Jetzt finde ich es großartig, dass ich viele Ausstellungen realisieren kann oder auch herumreisen darf und mir das auch leisten kann, so zu leben. Da bin ich schon sehr froh darüber.
Jetzt, wo du weniger zurückhaltend bist, suchst du gerne das Gespräch mit anderen über deine Arbeit?
Ganz so ist es nicht … Deswegen mache ich Ausstellungen, damit man mich verstehen kann, oder ich versuche, mich verständlich durch meine Kunst zu machen. Da braucht es mich nicht noch dazu (lacht). Ich denke, ich kann mich durch meine Kunst besser ausdrücken und man lernt mich durch mein Werk kennen. Jedenfalls ist das meine Hoffnung.
Was erwartet uns in deiner kommenden Ausstellung in der Secession in Wien?
Ich bespiele einen wunderschönen Raum. Das Gebäude der Secession war schon immer anziehend für mich; damals, als ich meine Großeltern besuchte, sind wir oft in die Secession gegangen. Für mich ist es ein großartiger Ort, und so freue ich mich sehr, meine Werke dort zu zeigen zu dürfen. Die Arbeiten kommen von verschiedenen Orten nun in einem Ausstellungskontext zusammen, und für mich ist es spannend, die Bilder neu zusammenzustellen und in Verbindung zu bringen. Es handelt sich um ein Zusammenspiel von älteren und neueren Arbeiten. Darüber hinaus hat mein Sohn Frank mit mir ein Soundstück gemacht, was wir in der Ausstellung mit einbinden werden. Und das mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien zeigt fast zur gleichen Zeit eine Personale meiner Mutter Elisabeth mit dem Titel Fantasiefabrik. So sind wir alle auf ganz besondere Weise in Wien wieder präsent; das finde ich sehr schön.
Interview: Marieluise Röttger
Fotos: Margo Porres